Rezension
zu
„Die demographische Zeitenwende“ von Herwig Birg
(Verlag Beck München 2001)
Der Titel des Buches ist ein Geschenk: endlich spricht jemand nicht
vom demographischen Wandel. „Wandel“ ist positiv konnotiert:
alles wird gut. – Bei demographischer „Zeitenwende“
ist klar, dass eine fundamental andere Situation vor uns liegt.
Ein Drittel aller nach 1960 geborenen Frauen (und vermutlich auch
die dazugehörigen Partner) hat keine Kinder. (In der nächsten
Generation wird die Hälfte aller Einwohner in Deutschland keine
Enkelkinder haben.) Der Autor ist weltweit einer der renommiertesten
Experten für Bevölkerungsfragen. Auf dem Berliner Kongress
„Demographie und Wohlstand“ am 12./13. Juni 2003 gehörte
er zu den herausragenden Referenten (vgl. Bericht in Fh 3/2002).
In seinem Buch bringt Herwig Birg Kapitel über die Eigendynamik
der demographischen Schrumpfung, über die Auswirkungen auf
den Bedarf an Wohnraum und die Konsequenzen für die sozialen
Sicherungssysteme.
Der Autor stellt fest, dass es eine (braune) Bevölkerungspropaganda
gab, und er findet gut, dass es keine mehr gibt. Dass es aber vielen
Menschen geboten erscheint, demographische Probleme auf möglichst
demonstrative Wiese zu verdrängen, findet er falsch. „Man
muss sich fragen, ob nicht vielleicht die besonders engagierten
Gegner (jeder Art von öffentlicher Reflexion über Bevölkerungsfragen)
gegenüber jenen politischen Versuchungen besonders anfällig
sind, deren Folgen sie zu Recht fürchten.“ Dieses Zitat
führt Birg weiter aus, indem er Vergleiche aus dem Suchtbereich
bringt, wo es für den Süchtigen nahe liegt, den Suchtstoff
total zu meiden. „Die große Mehrheit der Bevölkerung
ist jedoch nicht suchtkrank“, d.h. sie kann sich getrost mit
dem Thema Demographie auseinandersetzen. Deshalb sind wir in der
dhg gut beraten, wenn wir uns dem Thema Demographie und Bevölkerungspolitik
stellen. (Prof. Max Wingen schlägt übrigens den Ausdruck
„bevölkerungsfreundliche Familienpolitik“ vor.)
Der Bevölkerungspolitik sind Grenzen gesetzt im Hinblick auf
biographische Entscheidungen, aber wir wissen ja vom Reisen, dass
es offene Grenzen gibt.
Bezüglich der Konsequenzen für die sozialen Sicherungssysteme
schreibt Birg, dass der Wohlfahrtsstaat durch die demographische
Entwicklung so radikal in Frage gestellt ist wie durch keinen anderen
Faktor. Es gibt viele Allerweltsvorstellungen über die Gefahren
der Bevölkerungsexplosion in den Ländern der Dritten Welt,
aber wenige Hinweise auf die Bevölkerungsimplosion in Europa.
Warum ist über die demographische Zeitenwende so wenig bekannt?
„Die Partei, die den Wählern zuerst die Wahrheit über
die demographische Realität sagt, hat die nächste Wahl
verloren.“
Der Autor vermutet, dass die Paare, die überhaupt Kinder haben,
mit durchschnittlich 2,1 Kinder nicht mehr Kinder wünschen.
Wenn die Geburtenzahl durch familienfreundliche Bevölkerungspolitik
erhöht werden soll, sieht er die Möglichkeit bei denen,
die keine Kinder haben. Dieser Anteil ist in Deutschland besonders
hoch. Die höhere Geburtenzahl in Frankreich ist dadurch bedingt,
dass es wirklich weniger Frauen gibt, die lebenslang kinderlos bleiben.
Von finanziellen Zuwendungen meint Birg, dass sie zunächst
Impulse setzen, die wieder „verdunsten“. Dazu mein Kommentar,
dass die geringen Gaben bislang ja wirklich nur ein Strohfeuer hervorbringen
konnten. Die Alternative wäre, dass die Eltern schon beim ersten
Kind ein Entgelt für ihre Familienarbeit bekämen und dass
sie ermutigt würden, noch ein weiteres Geschwisterkind aufwachsen
zu lassen, selbst wenn schon zwei das sind.
Diese Alternative wird im Buch nicht weiter verfolgt. Aber ich
denke, die Wissenschaft wird sich dem Thema zuwenden. Der Anfang
ist gemacht mit den Berechnungen von Elisabeth Jünemann und
Hans Ludwig: „Vollbeschäftigung ist möglich!“,
worüber wir in Fh 1/2003 berichtet haben.
Monika Bunte
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Laudatio
von Irena Leuschner
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Dankesrede von
Monika Bunte
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Bunte vom 29.01.1992
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von Monika Bunte im Coolibri
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