Edith Stein

Edith Stein: "Kreuzeswissenschaft. Studie über Joannes a Cruce"

Im September oder Oktober 1568 hielt der junge Karmelit Johannes de Yepez, mit dem Ordensnamen bisher Johannes vom hl. Matthias, Einzug in dem armseligen Häuschen von Durvelo, in dem er als Grund- und Eckstein die teresianische Reform beginnen sollte. Am 28. November verpflichtete er sich mit zwei Gefährten zur Beobachtung der ursprünglichen Regel und nahm den Adelstitel vom Kreuz an. Das war das Sinnbild dessen, was er suchte, als er sein Heimatkloster verließ und sich damit öffentlich von dessen gemilderter Observanz lossagte; was er dort schon angestrebt hatte, indem er mit persönlicher Erlaubnis nach der ursprünglichen Regel lebte. Es war zugleich darin ein wesentliches Kennzeichen der Reform ausgesprochen: Nachfolge Christi auf dem Wege des Kreuzes, Anteil am Kreuz Christi sollte das Leben der Unbeschuhten Karmeliten sein. (S. 3)

Gott ist reiner Geist und Urbild alles geistigen Seins. Darum kann eigentlich nur von Gott aus recht verstanden werden, was Geist ist, d.h. aber, daß es ein Geheimnis ist, das uns beständig anzieht, weil es das Geheimnis unseres eigenen Seins ist. Wir haben einen gewissen Zugang dahin, sofern unser eigenes Sein geistiges Sein ist. Wir haben auch Zugänge dahin von allem Sein aus, sofern alles Sein als sinnvolles und geistig faßbares etwas von geistigem Sein hat. Aber es entschleiert sich tiefer im Maße unserer Gotteserkenntnis, ohne sich jemals ganz zu entschleiern, d.h. ohne daß es aufhörte, Geheimnis zu sein. (...)

Als alles Geistige und alle Geister unendlich überragend steht Gott an der Spitze dieses Reiches. Zu Ihm aufsteigen kann ein geschaffener Geist nur, indem er über sich selbst aufsteigt. Doch als alles Seiende ins Sein setzend und im Sein erthaltend, ist Gott der tragende Grund von allem. Was zu Ihm aufsteigt, das senkt sich ebendamit zugleich in seine sichere Ruhelage. (136f.)

Gott berührt mit Seinem Wesen das Innerste der Seele (das der hl. Vater Johannes auch als ihr Wesen bezeichnet). Gottes Wesen aber ist nichts anderes als Sein Sein und als Er selbst; Er selbst ist Person, Sein Sein persönliches Sein, das Innerste der Seele ist der Herz- und Quellpunkt ihres persönlichen Lebens, zugleich der eigentliche Ort ihrer Begegnung mit anderem persönlichen Leben. Eine Berührung von Person zu Person ist nur im Innersten möglich; durch eine solche Berührung gibt eine Person der andern ihre Gegenwart kund. (...) Dabei bleibt er aber noch im Dunkeln und verschlossen. In den Erleuchtungen über göttliche Geheimnisse öffnet sich das verschlossene Innere Gottes: wenn die Seele in der gnadenhaften Mitteilung das Einströmen des göttlichen Seins in das ihre als eigene Seinserhöhung erfährt, so tritt sie hier in das göttliche Sein ein. In der Vereinigung (mit ihren verschiedenen Stufen) vollzieht sich ein Einswerden vom persönlichen Quellpunkt des Lebens her durch wechselseitige persönliche Hingabe. (S. 159)

Ist der Seeleneifer hier als Frucht der Vereinigung gefaßt, so ist andererseits die Liebe zum Nächsten ein wichtiges Mittel auf dem Weg zur Vereinigung: "Zwei Dinge ... dienen der Seele als Flügel, um sich zur Vereinigung mit Gott zu erheben: das aufrichtige Mitleid mit dem Tode Jesu und mit dem Nächsten. Und ist die Seele von Mitleid ergriffen mit dem Leiden und Kreuz des Herrn, dann beherzigt sie auch, daß Er all dies auf sich nahm zu unserer Erlösung" . D.h. wer in liebender Versenkung eingeht in die Gesinnung des Heilands am Kreuz, in die Liebe bis zur äußersten Hingabe seiner selbst, der wird eben damit geeint mit dem göttlichen Willen, denn es ist der Erlösungswille des Vaters, der sich in der Erlöserliebe und -hingabe Jesu erfüllt; und man wird eins mit dem göttlichen Sein, das sich selbst hingebende Liebe ist: in der wechselseitigen Hingabe der göttlichen Personen im innertrinitarischen Leben wie im Wirken nach außen. So gehören eigene Seinsvollendung, Vereinigung mit Gott und Wirken für die Vereinigung anderer mit Gott und ihre Seinsvollendung unlöslich zusammen. Der Zugang zu all dem aber ist das Kreuz. Und die Predigt vom Kreuz wäre eitel, wenn sie nicht Ausdruck eines Lebens in Vereinigung mit dem Gekreuzigten wäre. (S. 252f.)

(In: Werke, Bd. I, Druten, Freiburg, Basel und Wien 1983)