Der realistische Commonsense (1986)


Es war einmal ein commonsense,
der glaubte an die Existenz
von einem Baum auf einer Wiese,
der sich von niemand blicken ließe.

Da kam ein andrer commonense
und sagte: "Diese Existenz
von deinem schönen Wiesenbaum
ist nur dein Traum.

Ich hab' schon manchen Baum gesehen
und viele Wiesen, wunderschön,
doch geht es ja um diesen Baum
in Zeit und Raum!"

"Von diesem Baum das Wo und Wann
ich leider dir nicht sagen kann,
noch weiß ich etwas von der Wiese -
doch gibt es diese!"

Als dies Geplauder nun vernommen
ein Mensch, der gerad' dahergekommen,
nicht ganz naiv in solchen Fragen,
der tritt herzu um schlicht zu sagen:

"Ihr Wissen imponiert mir sehr,
doch wüßt ich gerne etwas mehr
worin es eigentlich besteht,
wenn es um solche Dinge geht.

Herr A hier spricht von einem Baum
an sich, und zwar in Zeit und Raum.
Herr B hier meint, daß A privat
den Baum in seinem Kopf nur hat.

Das macht zwei Bäume, unbestritten.
Doch gibt es auch noch einen dritten:
der, den Herr B im Sinne trägt,
wenn er Herrn A's Behauptung wägt.

Und meinerseits müßt' ich den vierten
in meinem eignen Hirn bewirten,
wenn ich euch wohl verstehen soll.
Und das ist toll!

Die Bäume, die wir drei gesehen,
die mögen wohl noch immer stehen.
Doch dieses können wir nur sichern,
wenn wir uns dessen vergewissern.

Erinnerung ist nicht genug,
als daß darauf man sich mit Fug
berufen könnte: daß was war
noch itzt so wär und immerdar.

Dies mag man glauben oder hoffen,
und freilich wird's oft angetroffen.
Doch wahres Wissen ist das kaum:
dies Glauben an den Dauerbaum!

Des Glaubens und der Hoffnung Tugend
ziert allemal die zarte Jugend.
Sie schmücket auch den frommen Christen
- und, wie man sieht, den Realisten.

Wer wissen will, was Sache ist,
der bleibt dabei nicht Realist.
Er traut vor allem seinen Sinnen,
um sich sein Wissen zu gewinnen.

Wenn man was sieht und faßt es an
und sich dabei erinnern kann,
daß dies so ist wie es schon war,
so ist dies unbezweifelbar.

Dies läßt sich dann auch wohl benennen
und insofern auch sicher kennen.
Und alles, was so eingeführt,
verdient den Satz: Es existiert!"

Er sprach's und ging mit Gruß von hinnen
und ließ die beiden tief im Sinnen.
Bis A den B am Ärmel packt
und sich noch in die Wange zwackt,

und B sich auf die Stirne tippt
und triumphierend von sich gibt:
"Was für ein Unsinn! Existenz
verbürgt doch nur der commonsense!"


 

Letzte Änderung:
22. April 2003