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H O M E P A G E


Prof. Dr. Lutz Geldsetzer


Forschungsabteilung für Wissenschaftstheorie

Forschungsbeiträge aus der Abteilung (Prof. Dr.Lutz Geldsetzer)

Beiträge zur Philosophiegeschichte

Bellum omnium contra omnes

(Vortrag am 17.Januar 1996 in der Vortragsreihe des Instituts für Mittelalter- und Renaissanceforschung der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)

Der Titel meines Beitrages zu dieser Vortragsreihe stellt einen Ausdruck des englischen Philosophen Thomas Hobbes (1588-1679) in den Vordergrund, der als allgemein bekannt vorausgesetzt werden darf. Er findet sich in Hobbes' Buch "De Cive", zu deutsch: "Über den Bürger" von 1647, dem dritten Teil seines philosophischen Hauptwerkes "Elemente der Philosophie", und bezeichnet dort den Naturzusstand, in dem sich der Mensch befindet, ehe er zum Bürger wird. Eine wohl ebenso bekannte Umschreibung von Hobbes für diesen Zustand ist "Homo homini lupus" - "Der Mensch ist für den Menschen ein Wolf", was den Wölfen als Rudeltieren, wie man heute weiß, Unrecht tut und allenfalls für ausgestoßene Einzelgänger gilt, die Hobbes dabei wohl im Sinne hatte.

Der Ausdruck erscheint von beklemmender Aktualität zu sein angesichts zweier Weltkriege innerhalb einer einzigen noch jetzt lebenden Generation und ca. 15o Regionalkriegen seit dem letzten, angesichts des noch keineswegs mit Sicherheit beendeten Krieges auf dem Balkan fast im Herzen der sich für am weitesten fortgeschritten haltenden Zivilisation, und nicht zuletzt angesichts der wahrgenommenen Verrohung dieser westlichen Zivilisation durch Gewaltausbreitung und ihre Mediatisierung als beliebtestes Unterhaltungsmittel der breiten Massen.

Unsere Intellektuellen stehen ziemlich verblüfft und fast sprachlos vor diesen Phänomenen. Sie waren und sind auf Fortschritt programmiert, was heißen sollte: Fort vom kriegerischen Naturzustand und hin zu immer umfassenderen Friedensorganisationen - wie es etwa Kant in seinen Schriften vom "Ewigen Frieden" und "Ideen zu einer Philosophie der Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" dargelegt hatte. Da können Kriege und Gewalt nur als Regressionen in frühere Zustände und als Rebarbarisierung verstanden werden. Und doch wird zugleich festgestellt, daß es die Zivilisationsinstitutionen selber sind, die Kriege veranlassen und führen. Es sind ja durch Kulturerrungenschaften wie Sprache, Geschichte, Religion oder Recht definierte Gruppen, Nationen, Staaten, übernationale Organisationen wie die NATO oder gar die UNO, oder internationale Gruppierungen wie Industrien und Glaubensgenossenschaften, die kriegerisch involviert sind. Schaut man näher hin, so scheint es fast keine kulturelle Errungenschaft zu geben, die sich nicht als so hoher Wert ausgeben läßt, daß man dafür Kriege führen muß. Die "wahre Religion", von deren kriegerischer Verbreitung im Mittelalter Semmler berichtete, ist da nur ein Beispiel.

Wir werden nachher darauf zurückkommen. Zunächst aber wollen wir ein wenig den philosophischen Hintergrund der Hobbesschen These erläutern, um zu sehen, was diese These eigentlich besagt und was man heute noch damit anfangen kann.

1. Hobbes' Natur- und Menschenbild.

Hobbes ist einer der Gründerväter des modernen Materialismus. Er hat seinen Materialismus aus der Renaissancelektüre des Demokrit und der Stoa geerbt. Und das hieß, daß er ihn zugleich in einem universaldeterministischen Sinne auffaßte: die Welt als ein Gesamt kleinster und daher unsichtbarer vielgestaltiger Körperchen, die sich nach ehernen Notwendigkeitsgesetzen von Abstoßung und Anziehung im leeren Raume bewegen, sich zu größeren sichtbaren Komplexen verbinden und wieder auflösen. Die Ausarbeitung dieser deterministischen Korpuskularlehre leistete für die Physik bekanntlich Newton, für die Chemie Boyle.

Die Hobbessche Anthropologie verlängert diese Prinzipien in den Bereich der Lebewesen. Auch der Mensch ist ein reines Körperwesen. Was man psychische und geistige Anlagen und Vermögen nennt, muß daher - wie Hobbes gegen Descartes' Lehre von der "denkenden Substanz" betont - auf die naturgesetzlichen Bewegungen des Körperaggregats des Leibes und seines Materieaustausches mit der körperlichen Umwelt der unbelebten und belebten Natur zurückgeführt und von daher erklärt werden. Nahrungsaufnahme, Verdauung und Ausscheidung, ebenso Einatmen, Verbrennung und Ausatmung sind die primitiven Anziehungs- und Abstoßungsprozesse im Bereich der lebendigen Körperwesen, die die Selbsterhaltung des jeweiligen lebenden Organismus gewährleisten. Ebenso muß Erkenntnis als Auffangen von "Sinneseindrücken" korpuskularer Stöße, die Weiterleitung ihrer Bewegungsimpulse durch Nerven und Gehirn und die Erstellung abbildhafter Phantasmen im Gehirn gedeutet werden. Diese werden zugleich die Reaktionsmuster für alles Handeln. So sind Erkennen und Handeln nichts anderes als Transformationsgestalten von materiellen Druck- und Stoßbewegungen im Bereich der menschlichen Selbstbehauptung der Individuen.

Selbstbehauptung ist Machtausübung. Der alte physikalische Kraftbegriff weitet sich hier zum modernen Machtbegriff aus. In der englischen Sprache ist diese Bedeutungseinheit mit "power" eindeutiger erhalten geblieben als auf dem Kontinent. Der Kraftbegriff geht auf die aristotelischen Begriffe von Dynamis und Energeia - lateinisch potentia und actus - zurück. Dynamis bzw. potentia werden, bis dahin im Bereich des Psychischen als "psychische Kräfte", Vermögen, Anlagen, Dispositionen, "Triebe" behandelt, werden jetzt als "Powers" zu Mächten der Selbstbehauptung, ohne dabei ihren traditionellen Sinn als Vermögen und Anlagen einzubüßen. Hobbes reduziert auch sie gemäß den mechanischen Anziehungs- und Abstoßungskräften auf zwei Grundtriebe des Menschen, die die Selbsterhaltung gewährleisten müssen: Es sind der Trieb auf Aneignung von Umwelt und der Trieb auf Vermeidung von Schädigungen und Beinträchtigungen des je eigenen Lebens. Und diese zeigen sich in reiner Form als Besitztrieb und Todesfurcht.

Hobbes behauptet nun, daß die Selbstbehauptung bzw. die Selbsterhaltung des Menschen und allgemeiner aller Lebewesen ein von der Natur verliehenes Recht, mithin Ausdruck des Naturrechtes selber sei. Viele Kritiker haben dies als einen Widerspruch in der Hobbesschen Lehre angesehen, da sie meinten, das Recht und einzelne Grundrechte könnten erst nach dem Naturzustand im Kulturzustand entstehen, so daß der Naturzustand insgesamt ein rechtloser Zustand sein müsse. Sie kannten dabei die Lehren der Stoa schlecht und übersahen zugleich den Einfluß, den die stoische Naturrechtslehre auf das Denken von Hobbes ausgeübt hat.

Das stoische Naturrecht ist nämlich identisch mit der Naturgesetzlichkeit. Es unterliegt der ehernen Notwendigkeit des Universaldeterminismus. Das heißt nicht, daß es in allen seinen Details bekannt und erkannt sein müßte, ebenso wenig wie die Naturgesetze es sonst sind. Es muß, eben als Naturgesetzlichkeit, aus der "Natur der Sachen" erforscht und erkannt werden, und erst dann kann es natürlich auch bekannt sein und aufgezeichnet werden. Das, was man seit den antiken Sophisten Satzung, "Thesis" bzw. positives Recht nennt, stimmt entweder mit diesem Naturrecht überein und ist darauf gegründet, schreibt es gewissermaßen nur fest: dann handelt es sich nach stoischer Auffassung um eine gerechte Rechtsordnung: oder es weicht von ihm ab und tritt gar in Gegensatz zu ihm: dann wird es eine ungerechte Rechtsordnung sein, die über kurz oder lang an den Naturgesetzen und an der Natur der zu regelnden Sachen scheitern muß.

Hobbes legt nun diese stoische Konzeption von der Einheit, ja Identität von Naturgesetzlichkeit und Naturrechtsordnung seinen Überlegungen über den Naturzustand und auch über den darauf aufzubauenden Kultur- bzw. zivilen Zustand des Menschen zugrunde. Die Naturgesetze der universalen Anziehung und Abstoßung der materiellen Körper verlängern sich gewissermaßen im Bereich der menschlichen individuellen Körper in universelle Naturrechte zur Aneignung von allem umweltmäßigen Sein und zur Abstoßung des Lebensschädlichen, insbesondere zur Vermeidung des Todes. Das allgemeine Recht aller bzw. jedes einzelnen auf alles ist Machtausübung zur Selbstbehauptung, d.h. es ist das Recht auf Leben schlechthin. Wo aber Lebendiges ist, da trifft es auf anderes Lebendiges, das ihm mit demselben Recht begegnet und die ihm von der Natur mitgegebene Macht gegen es auszuüben trachtet. Auch Spinoza hat dies in seinem "Tractatus theologico-politicus" von 167o ausgesprochen: Es "erstreckt sich das natürliche Recht der ganzen Natur und folglich jedes einzelnen Individuums ebenso weit wie seine Macht, und folglich handelt ein Mensch in allem, was er nach den Gesetzen seiner Natur tut, nach dem höchsten Naturrecht, und er hat so weit Recht auf die Natur als er Macht hat" (Ibid. Kap.2, § 4). Hegel hat dieses Thema später in der "Phänomenologie des Geistes" in dem berühmten Kapitel über den Prozeß der Bildung des Selbstbewußtseins durch den Kampf auf Leben und Tod tiefer ausgearbeitet. Bei Hobbes handelt es sich wohl um die erste naturrechtliche Fassung des Topos vom "struggle for life" bzw. vom "Kampf ums Dasein", der daher auch nicht von ungefähr in dieser angelsächsischen Denktradition von Darwin als Grundgesetz alles Lebendigen wieder aufgenommen worden ist und seither das moderne Denken schlechthin beherrscht.

Wie der Struggle vor Life ausgeht, wissen wir seither zur Genüge: Die großen Fische fressen die kleinen, und wo sie dies nicht tun, da benutzen sie sie "domestizierend" als Werkzeuge ihrer Machtverstärkung. Im letzteren Falle entstehen im menschlichen Lebenszusammenhang alle Gewaltverhältnisse. Hobbes führt auch das Familienverhältnis darauf zurück. Es ist grundsätzlich ein Gewaltverhältnis der Eltern bzw. zunächst der Mütter über ihre Kinder, die sie haben leben lassen - und falls sie sie haben leben lassen. Hobbes hält sich erst gar nicht dabei auf darzutun, daß die Eltern als die stärkeren das natürliche Recht haben, ihre Kinder abzutreiben oder sie nach der Geburt zu verspeisen - Jonathan Swift kann das später in einem makabren Witz als Lösung des Problems der Übervölkerung und zugleich der Behebung von Ernährungsproblemen in England empfehlen - oder sie wie Haussklaven auszubeuten. Sie haben dann allerdings damit zu rechnen, daß auch die kleinen schwachen Kinder erwachsen und stark werden und solche Behandlung dann heimzahlen. Und nicht zuletzt - und das macht Hobbes sehr deutlich - kann auch der Stärkste von Schwächsten hinterrücks leicht ermordet werden. Die Unsicherheit des Lebens ist daher im Naturzustand allgemein, d.h. sowohl für die Starken wie für die Schwachen, für Kinder, Erwachsene und Greise, für Frauen und Männer. Und das wiederum unterstreicht, da sie sich alle am Leben halten wollen, daß sich alle im Bellum omnium contra omnes befinden.

Hobbes hält sich auch nicht lange bei dem von seinen Zeitgenossen viel diskutierten Problem auf, ob dieser oder irgend ein anders imaginierter Naturzustand eine historische Epoche der Menschheit oder die Zustände bei irgendwelchen Naturvölkern beschreibe. Es ist für ihn der "Zustand des Menschen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft" (wovon gleich das erste Kapitel der Lehre vom Bürger handelt). Er hatte ihn selbst während des englischen Bürgerkrieges vor Augen, und das mag ihn überhaupt zu dieser Untersuchung veranlaß haben. Er deutet zumindest an, daß man jederzeit und überall in diesen Zustand zurückkehren kann, und er sagt sogar deutlich, daß manche ihn als einen Zustand erstreben, in dem so schön "allen alles erlaubt war". Lassen wir ihn hierzu einmal selber sprechen:

"Nun ist aber der Krieg seiner eigenen Natur nach ewig, da er bei der Gleichheit der Streitenden durch keinen Sieg für immer beendet werden kann. Denn der Sieger bleibt weiter bedroht, so daß es fast ein Wunder scheint, wenn in diesem Zustand jemand, und sei er auch noch so stark, eines natürlichen Todes im Alter stirbt. Als ein Beispiel hierfür zeigt uns das jetzige Jahrhundert die Amerikaner; frühere Zeiten zeigen andere Völker, die jetzt zwar gebildet und blühend sind, aber damals gering an Zahl, roh, von kurzer Lebensdauer, arm und häßlich waren und alle Bequemlichkeiten und allen Schmuck des Lebens entbehrten, welche nur der Friede und die Gesellschaft gewähren kann. Wer also meint, daß man am besten in dem Zustand geblieben wäre, wo allen alles erlaubt war, der widerspricht sich selbst; denn jeder verlangt aus natürlicher Notwendigkeit nach dem Guten, und niemand wird einen solchen Krieg aller gegen alle, welcher diesem Zustande notwendig anhaftet, als etwas für ihn Gutes ansehen. Dadurch kommt es, daß man infolge gegenseitiger Furcht es für ratsam hält, aus einem solchen Zustand herauszutreten und Genossen zu suchen, damit, wenn Krieg sein muß, er doch nicht gegen alle und nicht ohne Hilfe geführt werde" (Hobbes, Grundzüge der Philosophie, 3 Teil Vom Bürger, Ausgabe Phil.Bibl. Meiner 158, Leipzig o.J. S. 84).

Hobbes ist sich natürlich bewußt, daß er mit dieser Theorie des Naturzustandes gegen die traditionelle und auch nachher immer wirksame aristotelische Theorie vom Menschen als zoon politikon und vom Coetus naturalis, der natürlichen Veranlagung des Menschen zu sympathetischer Geselligkeit antrat. Er gesteht zu, daß seine These von der natürlichen Ungeselligkeit des Menschen wohl als "töricht erscheinen" müsse (ibid. S.75) angesichts der verbreiteten gegenteiligen Meinung. Er will sich dabei aber auf Fakten berufen und meint: "Die Absicht, weshalb die Menschen sich gesellschaftlich verbinden, ergibt sich am besten aus dem, was sie dann tun, wenn sie verbunden sind" (ibid. S.77). Da zeige sich hinter allen Gesellschaftformen schnell derselbe Egoismus der Selbstbehauptung und der Machterweiterung: Die Geschäftsfreunde wollen nur ihr je eigenes Vermögen vergrößern, die "Amtsfreundschaften" bestehen nur aus Eifersucht um die eigene Karriere, vergnügliches Zusammensein und geistiger Verkehr diene nur der Erhöhung des eigenen Ansehens, weshalb es sehr ratsam sei, aus "Klatschgesellschaften" immer als letzter wegzugehen, damit man die Abwesenden schmähen und jeder Schmähung durch die anderen begegnen könne (Ibid. S.77), usw. Vom Geschlechtsverhältnis, dessen natürliche Liebe und Freundschaft wohl auch schon bei Aristoteles zur Begründung des Coetus naturalis gedient haben mag - Platon hatte von den Liebenden als einer getrennten Seele in zwei Körpern gesprochen - spricht Hobbes überhaupt nicht. Aber sein diskretes Schweigen hierüber hat ja nach Freud und in der modernen Theorie vom Geschlechterkrieg ganz in seinem Sinne beredte Interpretationen erfahren. Die Beispiele zeigen übrigens auch, daß Hobbes weit davon entfernt war, Verträge und Vereinbarungen nur als Institute des zivilisierten Rechtszustandes anzusehen, die es im Naturzustand also nicht geben könnte. Sie kommen auch im Naturzustand vor, aber da gibt es keine Gewähr für ihre Einhaltung und Umsetzung in Handlungen.

Überhaupt sollte man den Naturzustand bei Hobbes nicht als einen Zustand betrachten, der durch den Kulturzustand abgelöst werden könnte und sollte, und der dann nicht mehr verhanden wäre. Es geht bei diesen beiden Zuständen nicht um eine Art Gestaltswitch oder Paradigmawechsel, der ein Ganzes gänzlich umwandelt und zu einem anderen neuen Ganzen macht. Die Natur des Menschen ist und bleibt immer dieselbe, und darum bleiben auch die beiden Haupttriebe des Menschen, die aus dieser Natur fließen, der Aneignungstrieb bzw. Trieb nach Eigentum und Herrschaft und die Todesfurcht, im Natur- und Kulturzustand dieselben. Was aber den Unterschied der beiden Zustände ausmacht, ist nun näher zu betrachten.

2. Der Kulturzustand oder die bürgerliche Gesellschaft (civil society) nach Hobbes.

Hobbes macht in seiner Widmung des Buches "Vom Bürger" an den Grafen von Devonshire die Bemerkung, daß "sicher beide Sätze wahr sind: Der Mensch ist ein Gott für den Menschen, und: Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen; jener, wenn man die Bürger untereinander, dieser, wenn man die Staaten untereinander vergleicht. Dort nähert man sich durch Gerechtigkeit, Liebe und alle Tugenden des Friedens der Ähnlichkeit mit Gott; hier müssen selbst die Guten bei der Verdorbenheit der Schlechten ihres Schutzes wegen die kriegerischen Tugenden, die Gewalt und die List, d.h. die Raubsucht der wilden Tiere, zu Hilfe nehmen". (ibid. S.59). Der letztere Satz, daß der Mensch für den Menschen ein Wolf sei, ist bekanntlich zum geflügelten Wort geworden, und man hält ihn gewöhnlich für den Fundamentalsatz der Hobbesschen Anthropologie, wie wir schon eingangs zeigten. Der erstere Satz, daß der Mensch ein Gott für den Menschen sei, muß zu Hobbes Zeiten auch sehr verbreitet gewesen sein, denn Hobbes setzt voraus, daß auch der Graf von Devonshire ihn kannte. Man kann dem Kontext entnehmen, daß Hobbes ihn auf alte römische Sprüche zurückführte, wonach die Römer ihre ältesten Könige mit reißenden Wölfen verglichen, ihre kaiserlichen Herrscher aber, die ja den Titel "Divus" - der Göttliche - führten, ihnen im Zeichen der Pax Romana als Götter in Menschengestalt gegenübertreten sahen. Das paßt sicher ganz gut zu stoischem Denken und deshalb auch zu Hobbes, aber verbreitet war solche Einstellung nach der Renaissance eher durch die neuplatonische Anthropologie eines Nikolaus Cusanus, Marsilio Ficino und anderer, Diese hatten den Menschen als "kleinen Gott" definiert und sahen gerade darin seine "dignitas" - Würde - daß er, anders als die geschaffenen Engel oder die Tiere, sich selbst zu dem machen müsse, was er sein wolle. Und da könne er sich eben sowohl zu einem Gotte machen wie zu einem Tiere. Im neuplatonisch-christlichen Denkzusammenhang aber ließ diese Unterscheidung sogleich auch an die Kategorien des Augustinischen "Gottesstaates" denken. Denn in diesem klassischen geschichtsphilosophischen Werk war die "Civitas Terrena" schon längst als ein ewiger Kriegszustand zwischen vertierten Menschen, die "Civitas Dei" oder "Civitas coelestis" aber als eine ewige Friedensordnung unter den vergöttlichten Menschen, den "Heiligen" beschrieben worden.

Hobbes, als Neostoiker und Materialist, hat nun einen beträchtlichen Anteil an der Verweltlichung und "Säkularisierung" dieser christlichen Vorstellungen in der Nachrenaissance. Während die Neuplatoniker den Gott-Menschen zum Genie machten und ihn in Wissenschaft, Kunst und Technik "unsterbliche Werke" erschaffen ließen, appellierte der Stoiker nur an die "pneumatische" Naturmitgift des Menschen, an seine Vernunft, um ein irdisches Reich des Friedens oder doch wenigstens Teilbereiche vernünftiger Friedensregelungen zu entwerfen und so den Menschen über den tierisch-wölfischen Zustand zu erheben, in dem er "ein Gott" für den Menschen werden könne. Und während seine Vorgänger auf dem politisch- staatlichen Gebiet, wie Thomas More, Francis Bacon und Campanella das neue "Reich des Menschen" in die Zukunft oder ein phantasiertes "Nirgendwo" - als Utopie - verlegten, bettete Hobbes es mitten in seine Zeit und seine eigene Gesellschaft hinein: als Erkenntnis und Einsicht in die wahre Natur des Menschen, zu der neben den Trieben auch die Vernunftausstattung gehörte, aus der nur die nötigen Folgerungen zu ziehen seien.

Im Naturzustand hat der Mensch auch schon Vernunft, aber er benutzt sie im Struggle for Life nur für seine je eigene Selbsterhaltung. Vernunft besteht in ihrer hauptsächlichsten Anwendung darin herauszufinden, was das Gute und was das Schlechte für ihn ist. Das Gute aber ist das Leben und seine Erhaltung, das Schlechte der Tod und die Lebensvernichtung. Um sich dies Gut zu verschaffen, muß er das Schlechte bzw. Böse gegen alle anderen tun, und das heißt Bellum omnium contra omnes (vgl. dazu: ibid. 2. Kap. S.87, Fußnote). Wer so denkt, denkt aber einen Widerspruch - wir haben die Stelle oben schon mitzitiert, an der Hobbes das ausspricht - denn dieses angebliche Gut ist zugleich das Übel schlechthin, und somit kann es nicht dasjenige Gute sein, das die Vernunft widerspruchslos denken kann. Hobbes denkt auch nicht daran, wie vor ihm der Cusaner und nach ihm Kant und Hegel die Vernunft selber zu einer dialektischen zu erklären, die gerade diesen Widerspruch zu denken habe: etwa als coincidentia oppositorum oder als "Theodizee" des säkularisierten menschlichen Gottes, der das Gute durch das Böse verwirklichen soll, schon gar nicht, wie das heute dauernd propagiert wird, als "Kämpfen für den Frieden". Das gesuchte und vernünftige Gute für alle Menschen muß daher das Schlechte von sich abweisen, und wenn es verwirklicht werden soll, so darf das Schlechte in seinem Bereich gar nicht mehr auftreten.

Das aber heißt, daß die Vernunft Wege und Mittel zu finden hat, das eigene Leben zu sichern ohne die beständige Bedrohung des Todes durch alle anderen und für alle. Mit anderen Worten: die Vernunft empfiehlt, Mittel zur Abschaffung des Bellum omnium contra omnes zu suchen. Mit Hobbes eigenen Worten: "Es ist ein Gebot der rechten Vernunft, den Frieden zu suchen, sobald eine Hoffnung auf denselben sich zeigt, und solange er nicht zu haben ist, sich nach Hilfe für den Krieg umzusehen. Dies ist das Gesetz der Natur" (ibid. S.85).

Nun sieht es ja nicht so aus, als hätten wir dies Mittel schon gefunden. Oder, da es ja auch immer wieder mehr oder längere Friedenszeiten gegeben hat, mag es vielleicht auch sein, daß es zwar gefunden aber auch immer wieder vergessen worden ist. Frieden bringt ja überall Wohlsein und Wohlstand mit sich, und - wie das Sprichwort sagt - :Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Er und die Menschen vergessen leicht, daß das Eis recht dünn sein kann, auf dem sie sich bewegen, und daß darunter immer das kalte Wasser lauert.

Hobbes' Vorschlag zu einem solchen friedenssichernden Mittel ist die Bildung einer überindividuellen Person. Sie wird aus den einzelnen körperlichen Menschen genauso zu einem neuen Körper zusammengesetzt, wie auch der Körper des einzelnen Menschen sich aus den atomaren Körpern zusammensetzt. Und das kann man von den naturalistischen Denkvoraussetzungen Hobbes' aus einen Schöpfungsakt nennen, durch welchen die Menschen ein neues unsterbliches - oder doch relativ unsterbliches, denn sie können es auch wieder zerstören - Körpergebilde in die Welt einführen. Er bedient sich dazu einer alten Denkfigur des römischen Rechtes, nämlich derjenigen von der "juristischen Person", die wir ja auch im heutigen Recht noch kennen. Die bekanntesten Beispiele für solche juristischen Personen sind nicht von ungefähr die "Körperschaften des öffentlichen Rechts", denn in ihrer Bezeichnung lebt auch diese naturalistische Vorstellung von der "Körperhaftigkeit" dieser Gebilde fort.

Ein solcher neuer Körper in der Welt ist ein neues Kräfte- und Machtzentrum, das in seinem Gravitationsbereich jede kriegerische Auseinandersetzung verhindert. Er gleicht darin den Organismen, die auch in sich selbst alle organischen Leistungen zur Lebenskraft des Organismus integrieren. Man kann daher annehmen, daß Hobbes sich Krankheiten der Organismen sich als einen "Bürgerkrieg" der Organe untereinander im Lebewesen vorstellte, die die Existenz des Lebewesens selber gefährden. Das Hauptproblem besteht natürlich darin, wie ein solcher Über-Körper gebildet und zu einer Einheit gebracht werden kann. Für Hobbes als Stoiker liegt hier das Instrument der Vereinbarung, der Willensübereinkunft und des Vertrages nahe, und solches gibt es, wie schon gezeigt wurde, auch im Naturzustand, allerdings "ohne Gewähr" für die Einhaltung und Ausführung. Also muß der hier propagierte Grundvertrag im Unterschied zu denen im Naturzustand die Gewähr für seine praktische Umsetzung mitenthalten.

Hier liegt nun die eigentliche Originalität des Hobbesschen Vorschlages. Wer Glied eines solchen Körpers werden möchte, der muß zunächst einmal auf sein natürliches Recht auf alles verzichten. Das ist zweifellos eine ungeheure Zumutung, denn sie tangiert etwas, was zu allen Zeiten für eines der wichtigsten Güter des Menschen angesehen wurde: seine Freiheit. Fügen wir aber sogleich hinzu: für einen echten Stoiker und Deterministen hat diese Freiheit keineswegs diesen Stellenwert, und also auch für Hobbes nicht. Sie ist eine illusionäre Begleiterscheinung der menschlichen Unzulänglichkeit, nämlich seiner Unkenntnis der eigentlichen Kausalitäten seines eigenen Lebens und seiner Umwelt. Die Stoiker hatten das in einem geflügelten Wort so ausgesprochen: "Volentem Fata ducunt, nolentem trahunt" - Den Willigen geleitet das Schicksal (d.h. die Notwendigkeit), den Widerspenstigen zwingt es. - Und das wird dann bei den späteren stoisch inspirierten Lehren zu der Formel: "Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit", was um der Klarheit willen immer zu ergänzen wäre durch: "oder auch blindes Darauf-ankommen-Lassen, was die Verhältnisse eh' mit Notwendigkeit mit sich bringen".

Der von Hobbes empfohlene Verzicht auf das Naturrecht auf alles ist nun ein Vertrag auf Gegenseitigkeit mit all denen, die denselben Verzicht zu leisten bereit sind und damit in die neue Körperschaft eintreten. Die neue Körperschaft, die Civil society, ist, wie man sieht, eine ganz und gar anspruchslose Gesellschaft. Und sie ist darüber hinaus, worauf es Hobbes am meisten ankommt, eine ganz wehrlose Gesellschaft. Jeder hat nämlich mit seinem Recht auf alles auch das Recht aufgegeben, sich zu wehren, wenn er bedroht wird. Von den übrigen Mitgliedern der Körperschaft kann er freilich nicht bedroht werden, denn sie haben auf jede Gewaltanwendung mitverzichtet.

Halten wir zunächst fest, daß der Krieg aller gegen alle innerhalb dieser anspruchslosen und friedfertigen Gesellschaft ausgeschlossen sein sollte. Er wird aber nicht ausgeschlossen gegenüber allen, die nicht beigetreten sind, auch nicht gegenüber der neu gegründeten Körperschaft selber, und auch nicht gegen die, die den Vertrag zu brechen bereit sind und sich die Vertragstreue der übrigen gerade zunutze machen, um sie zu überwältigen. Von diesen droht nun Lebensgefahr. Sagen wir es mit modernen Wörtern: von den Ausländern, von den Kriminellen und von der eigenen Körperschaft, dem Leviathan, selber. Weil das so ist, muß es im vernünftigen Interesse jedes Gliedes der Civil society liegen, diese Körperschaft so mächtig zu machen wie nur möglich, um ihre Mitglieder gegen alle Nichtmitglieder und die kriminellen Mitglieder zu schützen, und zugleich Vorkehrungen zu treffen, daß die Körperschaft selber nicht ihre eigenen Mitglieder verschlingt und sich selbst zugleich mit - so wie ja manchmal auch ein biologischer Organismus sich selber aufzehrt.

Die Vorkehrungen, die Hobbes hier diskutiert, bewegen sich im Rahmen der aristotelischen politischen Philosophie. Es geht darum festzulegen, wer oder was gleichsam der bewegende Motor der Körperschaft oder die Seele dieses neuen überindividuellen Körpers sein soll. Zur Debatte stehen deshalb Demokratie, Aristokratie und Monarchie, die ja die historisch wirksamen Typen der Verfassungen staatlicher Körperschaften und damit ihrer Regierungsformen geworden sind. Bei Hobbes, der immer in Körpern dachte, sind sie so etwas wie die Gattungen der neuen überindividuellen Großkörper. So, wie sie die geballte Macht verkörpern - nach Jean Bodin (Six Livres de la Republique, 1576) sind sie die Zentren der Souveränität - existieren sie doch auch zugleich nur in körperlichen Menschen. In der Demokratie ist dies das Volk. Das Volk ist aber nicht etwa die Summe oder das Aggregat der vielen einzelnen, die sich zum Vertrag zusammengefunden haben, sondern es existiert nur, wenn und solange es in regelmäßigen Versammlungen zusammentritt, um durch Mehrheitsbeschlüsse einen verbindlichen Gesamtwillen über alles, was politisch zu tun ist, zu bilden. In der Aristokratie sind es diejenigen, die sich ausgezeichnet haben und daher als die besten gelten. In der Monarchie ist es nur ein Mensch. Man beachte hier, daß weder das Volk im genannten Sinne, noch die Aristokraten noch auch der König selbst mit den einzelnen Gliedern der Körperschaft in irgend einem Vertragsverhältnis steht. Und gerade weil sie vom Verzichtsvertrag ausgeschlossen sind, behalten sie ihr natürliches Recht auf alles und damit auch die absolute Macht gegenüber den Körperindividuen, die auf ihr Recht, sich zu wehren, verzichtet haben.

Das Volk, der Adel oder der König also behalten ihr natürliches Recht auf alles, und sie haben jeweils die Macht, die sich aus der Verfügung über alle Dinge in ihrem Machtbereich einschließlich der einzelnen - ihnen gegenüber wehrlosen - Individuen ergibt. Mit modernen Worten gesprochen: Aller Grund und Boden sowie alle Produktionsmittel sind entweder Volkseigentum oder Feudal- bzw. plutokratisches Eigentum oder Eigentum der Krone. Es liegt ganz bei ihnen, wieviel davon sie als sekundäres Privateigentum oder als abgeleitete freie Verfügungsmacht darüber den einzelnen Individuen überlassen. Eine untere Grenze für ein Existenzminimum wird freilich immer erforderlich sein, da der Großkörper ja nur mit dem Zweck gegründet wurde, das Leben der Individuen zu schützen. Nach oben wird es eine solche Grenze nicht geben, da es ja auch das vernünftige Bestreben der Körperschaft sein muß, die Gesamtmacht zu maximieren, um sich gegen alle einzelnen und alle anderen Köperschaften behaupten zu können. Hobbes diskutiert es nicht, aber es liegt in seinen Prinzipien beschlossen, daß damit Sozialpolitik, Kriminalpolitik und Rüstungspolitik und somit die öffentliche Wohlfahrt, die öffentliche Sicherheit und das Militärwesen die Grundsäulen der Politik schlechthin sein müssen. Und dahin ist es ja in modernen Staaten auch überall gekommen, bis es in unseren Tagen gerade in Frage gestellt wird.

In den Prinzipien ist zugleich auch die Rechtfertigung für den Aufopferungsanspruch des Staates an seine Bürger mitgeliefert, den dieser in der Form von Steuerzahlung, öffentlichen Leistungen, Militärdienst bis hin zum Tode für die Körperschaft - später sagte man: für das Vaterland - von jedem einzelnen stellen kann. Die Steuern sind nur eine Art Pacht auf überlassenes Staatseigentum und eingeräumte Verfügungsmacht darüber, und die Aufopferung der Polizisten in der Verbrechensbekämpfung oder der Soldaten im Kriege bis zum evtl. Tode ist das Komplement der Bestandssicherung des Ganzen. Natürlich bringt dieser Anspruch die jeweils Regierenden auch beim einzelnen Bürger immer wieder in Verruf. Hobbes betont aber, daß ihre Herrschaft in jedem Falle absolut ist und jeder Widerstand dagegen einen Verstoß gegen den Grundvertrag darstellt, der den einzelnen als Kriminellen in den Naturzustand zurückversetzt, so daß ihn die ganze Macht des Großkörpers trifft. Darum gibt es für Hobbes auch nicht - wie bei Aristoteles - Verfallsformen dieser Verfassungen. Was man einen Tyrannen nennt, ist nur eine Bezeichnung des Königs durch diejenigen, die ihn nicht mögen. Und ebenso verhält es sich mit der Plutokratie beim Adel und mit der Ochlokratie oder Anarchie bei der Demokratie.

Betrachten wir die Sache genauer vom Standpunkt des einzelnen Individuums, das einer solchen Körperschaft beigetreten ist. Die Bedingung des Vertrages aller einzelnen auf Gegenseitigkeit war die, keinen Widerstand zu leisten gegen die Macht des Großkörpers, solange dieser das Leben des einzelnen schützt und damit zugleich die Todesfurcht mindert. Ist das nun nicht mehr gewährleistet, so ist der Vertrag hinfällig und der einzelne befindet sich automatisch wieder im Naturzustand gegenüber allen anderen und auch gegenüber dem Leviathan. Das kann nach allem Gesagten nur der Fall sein, wenn die Sozialpolitik jemanden unter das Existenzminimum drückt, oder wenn Leben und Eigentum der Bürger durch die Kriminalpolitik nicht besser gesichert wird als im Naturzustand auch, oder wenn die Körperschaft einen Krieg gegen eine andere Macht auf eine solche Weise verloren hat, daß sie dabei zerstört wurde und die Siegermacht nicht an ihre Stelle getreten ist. Der dann eingetretene Naturzustand ist wiederum Bellum omnium contra omnes. Hobbes hält ihn, wie eingangs dargelegt wurde, für das Schrecklichste, was Menschen begegnen kann, und deswegen ist ihm selbst die totalitärste Machzusammenballung, die ihn verhindern könnte, lieber.

Betrachten wir die Sache vom Standpunkt der leviathanischen Großkörper, und das sind die Staaten, so befinden sie sich nach Hobbes untereinander ebenfalls im Naturzustand, mithin auch im Zustand des Bellum omnium contra omnes. Was das im einzelnen bedeutet, darauf geht Hobbes nicht näher ein, aber es läßt sich als Konsequenz seiner Prinzipien leicht erraten. Jeder von ihnen hat, ebenso wie das Individuum im Naturzustand, ein Naturrecht auf alles. Alles, das heißt geostrategisch: die ganze Welt. Und so ist Bellum omnium contra omnes zwischen den Staaten der Weltkrieg schlechthin. Das hat, jedenfalls nach Hobbesschen Prinzipien, etwas Furchtbares und etwas Tröstliches. Das Furchtbare ist, daß jeder Staat auf die Vernichtung der anderen aus ist, und das ist sowohl Naturgesetz wie zugleich Naturrecht. Das Tröstliche ist, daß die Großkörper-Staaten zwar gegeneinander Krieg führen, aber nicht gegen die einzelnen Individuen dieser Staaten, es sei denn, diese hätten sich gar nicht zu einer Staatsbildung vereinigt. Das eröffnet große Spielräume für vernünftige Überlegungen darüber, wie solche Kriege geführt werden können und müssen. Da es, wie gesagt, nicht um die Vernichtung von Individuen gegen kann - mit der Ausnahme von Naturvölkern, von denen man zu Hobbes Zeiten und noch lange danach annahm, sie befänden sich im "Naturzustand" und hätten keine staatliche Verfaßtheit zustande gebracht ("wie bei den Indianern in Nordamerika") - müssen solche Weltkriege auch nicht unbedingt mit Waffen und Kanonendonner geführt werden, sondern mit allen anderen Mitteln, die überhaupt als Machtmittel zu Gebote stehen. Es sind durchweg Strategien, die als Transformationen der mechanischen Prinzipien der Gravitation, also von Anziehung und Abstoßung, Druck und Stoß, Einflußnahme und Abwehr von Einflußnahme zwischen den staatlichen Körperschaften wirksam werden. Man nennt das heute auch oft "Krieg", meint dabei aber gewöhnlich, das Wort sei dann nur eine Metapher. Nach Hobbes ist aber gerade das, was wir so nennen, Bellum omnium contra omnes auf der internationalen Ebene: nämlich "kalter Krieg", Wirtschaftkriege, ideologische Auseinandersetzungen, kulturpropagandistische Feldzüge, diplomatischer Druck, geheimdienstliche Subversion, Instabilisierung von Regierungen, Korrumpierung von Staaten durch Bestechung oder Abwerbung von technischen, Verwaltungs- und wissenschaftlichen Eliten oder überhaupt von Arbeitskräften. Solche Strategien werden in der modernen Welt überall als zivilisatorische und sogar humanitäre oder als Entwicklungshilfemaßnahmen verkauft, manchmal glauben das auch diejenigen, die sie betreiben, und manchmal mögen sie das ja auch wirklich sein. Sie führen aber im nachkolonialistischen Zeitalter im besten Falle nur dazu, daß die so bekämpften Körperschaften zu Satrapien der Großmächte werden, oder im schlechten Falle, daß sie nur zerstört werden und die Individuen dann unter sich in den Naturzustand, d.h. in Bürgerkriege versetzt werden. Daß Hobbes' Prinzipien für die Diagnose des gegenwärtigen Weltzustandes einiges hergeben, das dürfte wohl auf der Hand liegen.

Es dürfte ebenso auf der Hand liegen, daß sich aus den Prinzipien von Hobbes auch Winke ergeben, wie er sich die Abschaffung des Weltkriegszustandes zwischen den staatlichen Großkörpern vorgestellt hätte, wenn er in seiner Zeit dazu überhaupt die Möglichkeit gesehen hätte. Er selbst hat davon nicht gehandelt, wohl aber hat das politische und staatsrechtliche Denken solche Folgerungen daraus längst gezogen, und das hat die internationale Politik unseres Jahrhunderts entschieden mitbeeinflußt. Es handelt sich darum, denselben Gedanken, der den Übergang vom Naturzustand der einzelnen Individuen in den staatlichen Zustand steuerte, nun auf das Verhältnis der Staaten untereinander zu übertragen. D.h. es geht darum, einen einzigen Superkörper über den staatlichen Großkörpern zu bilden, der als "Supermacht" das Recht auf alles in der Welt behält und Teile davon gleichsam als Lehen an die Einzelstaaten vergeben kann, dem sich aber alle Einzelstaaten durch Gewaltverzicht gegeneinander und gegenüber dieser Supermacht - und das heißt heute Souveränitätsverzicht - unterwerfen.

Das ist bekanntlich in unserem Jahrhundert auf zwei verschiedenen Wegen betrieben worden. Einmal in der Bildung des Völkerbundes und seiner Erneuerung als UNO - jedesmal als unmittelbare Folge des moralischen Katzenjammers der Siegermächte nach einem "heißen" Weltkrieg. Zum andern in der Folge des kurzzeitigen Atomwaffenmonopols der Vereinigten Staaten von Nordamerika, die USA als die einzige Supermacht zu etablieren und alle anderen Staaten zum Gewaltverzicht zu zwingen. Dazu forderte Amerika als Siegermacht bekanntlich von den besiegten Staaten sofort "unconditional surrender", d.h. vorbehaltslose Unterwerfung, was erlauben sollte, den besiegten Staaten Verfassungen in seinem Sinne zu oktroyieren. Man weiß auch inzwischen, daß in der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr prominente angelsächsische Stimmen laut wurden, die einen präventiven Atomschlag gegen die damals einzige ernsthafte Zweitmacht, nämlich die Sowjetunion forderten, um jede Konkurrenz der Supermacht auszuschalten. Nach dem Verlust des Atommonopols war m. E. auch die Reagansche "Totrüstungspolitik" im sog. kalten Krieg, die ja ersichtlich den Sowjetstaat durch Auszehrung seiner Recourcen für das Mithalten bei der Rüstung vernichtete - und die Individuen im Einzugsbereich des Sowjetimperiums in eine Art Naturzustand zurückgeworfen hat - aus denselben Überlegungen heraus entstanden.

Inzwischen haben sich beide Strategien: die der Staatenvereinigung zum Superstaat UNO und die der Supermachtbildung eines übermächigen Einzelstaates als "Weltpolizist", als Sackgassen erwiesen. Die UNO erscheint selbst ihren Mitgliedern als "Papiertieger", und die Tatsache, daß Atomwaffen im Mikroformat selbst Hobbybastlern zugänglich werden, gibt wenig Aussicht, daß sich noch irgend eine Supermacht überall durchsetzen kann. Man kann natürlich im Sinne von Hobbes immer noch weiter hoffen, daß es doch auf dem einen oder anderen Wege noch zu einem "ewigen" oder "Weltfrieden" kommen möchte. Aber nach denselben Hobbesschen Prinzipien wäre der Weg dahin selbst weiter ein Bellum omnium contra omnes, sowohl auf der ebene der Staaten selbst wie auch - wo soviele Staaten zusehens verfallen - auch wieder auf der Eben der Individuen.

In den Prinzipien von Hobbes ist also allenfalls die Hoffnung begründet, daß der bellikose Naturzustand zwischen den Staaten nicht zu einem "heißen Krieg" geraten muß, sondern das ein "Gleichgewicht der Kräfte" durch wirtschaftliche Verflechtungen, Transfers von Ressourcen, "Waffenstillständsvereinbarungen" aller Art hergestellt werden kann, die den Holocaust verhindert. Das prekäre Gleichgewicht der militärischen Kräfte aber wird dabei nicht verhindern, daß der Krieg mit allen anderen Mitteln geführt wird. Und wer auf die Sprache der Politik achtet, der wird leicht bemerken, daß sie heute recht ungeniert als das Feld der "Kriege mit anderen Mitteln" gilt. Das militärische Vokabular durchdringt alle Bereiche des kulturellen und zivilisatorischen Überbaus. Die Prinzipien von Hobbes lassen es darüber hinaus als selbstverständlich erscheinen, daß beim Verfall staatlicher Verfaßtheiten die Individuen in den Naturzustand , und d.h. in Bürgerkriege, zurückfallen, die dann freilich mit allen Mitteln der Gewalt, Grausamkeit und Perfidie geführt werden.


Mit der Hobbesschen Theorie vom Bellum omnium contra omnes wurde ein Denkzusammenhang expliziert, der im Abendland alte Denktraditionen bündelt, der das moderne Bewußtsein nachhaltig geprägt hat, der seine Plausibilität und Faszination aus der Anknüpfung an die exakten Naturwissenschaften herleitet und - wie diese - zu exakter Beschreibung der Lage des Menschen in der Welt und Prognosen über das künftige Schicksal der Species homo benutzt werden kann. Viele denken so wie Hobbes, denn seine Philosophie hatte genug Zeit, die Geister für sich einzunehmen. Und sie arbeiten dann auch mit daran, die Prognose zu verifizieren, indem sie beständig für den Frieden kämpfen - d.h. ja Kriegführen mit welchen Mitteln auch immer. Der Friede wird dann irgendwann eingetreten sein, wenn überall Friedhofsruhe herrscht.

Ich für meinen Teil halte die Hobbesche Theorie für grundsätzlich falsch und für höchst gefährlich. Grundsätzlich falsch, weil sie sehr kontingente Tatsachenaussagen über etwas, was am Menschen und unter Menschen vorkommt, zu universalen Prinzipien hochstilisiert und damit anderen Tatsachen, die es auch gibt, nicht mehr gerecht werden kann. Gefährlich, weil sie Folgen für die moralische Einstellung hat, nämlich alle Dinge im Lichte dieser Theorie zu deuten, die Aufmerksamkeit auf das dazu Passende zu lenken und das Unpassende schlicht zu übersehen, und schließlich im Sinne der so gebildeten Ideologie auch zu handeln.

Es ist einfach nicht wahr, daß alle Menschen so am Leben hängen, daß sie alles dafür tun, den Tod zu vermeiden. Und deshalb ist es auch nicht wahr, daß die Todesfurcht und der Selbsterhaltungstrieb die Grundtriebe des Menschen schlechthin wären. Man braucht dazu nicht die heroischen Beispiele zu nennen, in denen Menschen für andere Menschen ihr Leben geopfert haben und es noch immer tun. Die Selbstmordbereitschaft mit Drogen, Alkohol, mit Messer und Gabel, mit Verkehrsmitteln und Sportgeräten - ganz abgesehen von subtileren Mitteln, die "versicherungsfester" sind - sprechen eine ganz andere Sprache. Die Risiken, die gerade heute auf allen Gebieten für bloßes Amusement eingegangen werden - im Berufsleben werden sie gesetzlich immer mehr eingeschränkt - zeigen deutlich genug, daß das eigene Leben - und damit auch das Leben anderer - für viele ein sehr nachrangiger Wert ist. Und deshalb ist es auch mit der angeblichen Todesfurcht nicht so weit her, wie man denkt. Daß man den Tod in unserer Gesellschaft allenthalben tabuisiert, beruht nicht so sehr auf der Verdrängung des Bedrohlichen an ihm, sondern eher darauf, daß er die Routine des Lebens stört.

Wenn es aber so mit dem Leben und dem Tod steht, dann ist es auch nicht wahr, daß das Streben nach Besitz, Eigentum und Macht - um das Leben zu erhalten und den Tod zu vermeiden - überhaupt naturwüchsige Aspirationen aller Menschen sei. Reichtum und Macht mögen wohl weithin erstrebte Mittel sein, um sich vor anderen Menschen auszuzeichnen. Aber gewiß sind es nicht die wichtigsten und sichersten, und wenn man genau hinschaut, ziehen sie in den meisten Fällen eher Verachtung als Bewunderung auf sich. Der Volksmund sagt ja nicht ganz zu Unrecht, am Ursprung großer Vermögen stünde meist auch ein großes Verbrechen, und die sog. Mächtigen dieser Erde wird man immer - spätestens in der Geschichtsschreibung - danach beurteilen, welchen Gebrauch sie von der Macht gemacht haben, sei es zum eigenen Wohl oder derer, über die sie die Macht hatten.

Und deshalb kann es auch nicht wahr sein, daß die Menschen aus Besitz- und Machtansprüchen aneinandergeraten und einander Feinde werden müssen. Sie geraten vielmehr, wie doch jeder Augenschein zeigt, "aus Nichts und wieder Nichts" aneinander, das soll heißen: alles und jedes kann Grund und Anlaß werden, daß Menschen einander feindlich gegenübertreten; und erst deshalb auch gelegentlich Eigentums- und Machtansprüche. Wir haben uns angewöhnt, immer nach Unterschieden zwischen den Menschen zu suchen, die zu Feindseligkeiten Anlaß geben sollen: die eigenen Leute und die anderen, die Einheimischen und die Fremden, die Reichen und die Armen, die Klassen, die Rassen, die Kulturen, die Religionen, die Parteien, ja auch die Frauen und die Männer. Vielleicht sind auch bald die Generationen dran: Mit der "Anti-Baby-Pille" - es klingt ja wie "anti-aircraft-" oder "anti- tank-bullet" - hat es schon angefangen, und mit dem "Anti-Senioren-Serum" wird es enden! Aber man sollte doch schon längst wissen, daß es gerade nicht nur die Unterschiede sind, die man zu Kriegsgründen aufpuschen kann, sondern auch die Gleichheiten. Familienzwist im engsten Kreis ist oft der schlimmste Kleinkrieg, und Religions- und ideologische Kriege sind selten im Vergleich zu den Sekten- und Schulkriegen nächstverwandter Richtungen. Das unterstreicht nur, daß eben alles und jedes zum Streitfall dienen kann aber keinesfalls muß.

Und das kann nur so sein, wenn dagegen auch die Friedlichkeit, die Sympathie, die Freundschaft, ja die Liebe im hierher gehörigen Sinne zur Grundausstattung des Menschen gehört. Was darüber zu sagen ist, haben längst Platon, Aristoteles und Epikur gesagt, und Hobbes' etwas läppische Argumente dagegen können nicht überzeugen. Die darauf begründeten Verhältnisse wie Glück, Zufriedenheit, Wohlsein, ja vielleicht auch Gesundheit, gelten als höchst positive Werte. Aber sie haben durchweg das Fatale an sich, daß sie mit der Zeit langweilen, und das ist nicht nur in unserem amüsierfreudigen Zeitalter tödlich. Die Abwechslung besteht dann im Gegenteil von alledem, das mit Eifer gesucht wird: Unglück, Unzufriedenheit, Unbehagen, alle möglichen Gebresten. Sie sind so spannend und interessant, daß sie das Hauptthema aller geselligen Unterhaltungen geworden sind. Wer würde da noch eingestehen, daß er vielleicht glücklich und zufrieden ist, wenn er es wirklich ist.

Ein letztes möchte ich bei Hobbes als wenn nicht falsch, so doch als höchst verhängnisvoll herausstellen. Es ist die stoische Idee von der juristischen Person, die seiner Konstruktion des überindividuellen Großkörpers, mithin des Leviathans zugunde liegt. Ich sagte schon, sie liegt von den Stoikern her unserem ganzen westlichen Rechtssysterm zugrunde, und deshalb kann man sie nicht Hobbes vorwerfen. Sie ist deswegen auch in unserem Denken so tief verankert, daß sie, soweit ich sehe, niemals auf den Prüfstand einer philosophischen Kritik geriet. "Person" hieß ursprünglich die Theatermaske, also die Rolle, die einer spielte. Und die Stoiker definierten den Menschen selbst als Rollen- oder Funktionsträger. Deswegen fiel es ihnen leicht, auch Kollektive als "Personen" zu behandeln, da sie wichtige Rollen und Funktionen haben. Das hat in der Spätantike und in der Scholastik bekanntlich auch in die Gottesvorstellungen eingeschlagen, da der christliche Gott als "Einheit dreier göttlicher Personen" definiert werden konnte.

Im Rechtswesen der Nachrenaissance wird aus diesem Gott der menschliche Gott in der Gestalt der juristischen Kollektiv-Person. Die Eigenschaften und Rechte der natürlichen Personen werden - wie es der anthropomorphen Bildung von Götterbildern eben entspricht - auf diese neuen Götter übertragen: Sie haben einen eigenen Willen und ihre spezifische Vernunft, ihre eigenen deliberativen und ausführenden "Organe", sie sind "Rechtssubjekte" und - das ist die Hauptsache - sie sind potentiell unsterblich. Sie machen Geschäfte, häufen Vermögen an, üben Macht aus. Sie zahlen auch Steuern , manche aber auch nicht. Wir kennen sie als Vereine, Gesellschaften, Firmen, Verbände, Parteien, Stiftungen, eben als "Körperschaften" des öffentlichen und privaten Rechts bis hin zum Staat selber, und darüber hinaus bis zu internationalen Körperschaften des Völkerrechts. Fügen wir nebenbei hinzu: nur die Familie zählt nicht dazu, sonst ginge es ihr auch aller Welt viel besser. Da diese juristischen Körperschaften nur rechtliche Institutionen sind, fehlt ihnen nur eines, was man von allen natürlichen Personen in erster Linie fordert: Moral. Die Ethik, die im Abendland immer auf das natürliche Individuum, auf den einzelnen zugeschnitten war, hat keine Kategorien für diese Art von Personen entwickelt. Für sie ist - neben dem speziellen Recht der Körperschaften - seit Aristoteles nur die Ökonomie und die Politik zuständig, und mit der Neuzeit auch die Technik. Und deshalb handeln sie nur nach Normen und Gesetzen der Ökonomie, Politik und Technik in den Rahmungen des rechtlich Zulässigen, falls sie nicht gleich auch die Rechtsgesetzgebung selbst in die Hand nehmen.

Nun wußte Hobbes genau, und wir wissen es auch, daß hinter allen diesen juristischen Personen bzw. Institutionen einzelne Individuen stehen. Im Falle der Aristokratie und der Monarchie hat Hobbes die natürlichen Individuen und die juristischen Personen in sehr dialektischer Weise sowohl unterschieden wie auch identifiziert. Und so machen es seither alle Verbandsfunktionäre. Sie beratschlagen, entscheiden und handeln immer als Individuen, aber ihre Beschlüsse und Handlungen werden nicht ihnen, sondern dem Verbandskörper zugerechnet. Die vielgerühmten kollektiven Entscheidungsgremien mit den anonymen Mehrheitsbeschlüssen sind da geradezu ein geniales Instrument geworden, die Zurechnung zu verunmöglichen und die Verantwortlichkeit der beteiligten Individuen unsichtbar zu machen. In der Demokratie treten die individuellen und die kollektive Persönlichkeiten freilich auseinander: sie sind nur dann und solange identisch, als sie zur Volksversammlung tatsächlich vereinigt sind, d.h. modern gesprochen: das Volk ist nur bei der Wahl souverän, sonst aber ist das einzeln Individuum als "privates" gänzlich unschuldig und ohne Verantwortung für das, was die Organe und Funktionäre in seinem Namen als Exekutoren der anonymen "Volonté générale" tun.

Das gilt nun natürlich auch für alle Fragen, die mit kriegsstrategischen Zielen, mit der Kriegsvorbereitung und mit der Abrechnung hinterher zusammenhängen. Juristische Personen sind die Kriegstreiber, juristische Personen führen die Kriege, und juristische Personen - auch in der Gestalt der Gilde der Historiker - urteilen nach den Kriegen in juristischen Kategorien über rechtliche Schuld und Zurechenbarkeit, mithin über gerechte und ungerechte Kriege. Man könnte den Eindruck gewinnen, individuelle Menschen kämen dabei gar nicht vor. Sie zählen nur als Kriegsopfer, gleichsam als Meßzahlen für das Ausmaß der Kriege. Aber dann sind sie meist tot. Von den lebenden Individuen aber ist es hinterher immer "keiner gewesen", denn diejenigen, die man dafür halten sollte, waren immer nur Funktionäre der juristischen Personen oder, wie die Historiker mit Hegel dann gerne sagen: des Weltgeistes.

So erscheint der Krieg als übermenschliches Schicksal, gleichsam als Naturkatastrophe, auf die der einzelne Mensch keinen Einfluß haben kann. Und das nennt man auch jetzt noch Naturzustand. Diese Sichtweise, die heute gewiß sehr verbreitet ist, verdankt sich, wie ich zu zeigen versuchte, wesentlich Hobbes und der Instrumentalisierung gewisser Denkfiguren des römischen Rechts. Warum ich sie für grundsätzlich falsch halte, habe ich schon gesagt. Daß sie folgenreich für die Praxis ist, liegt auf der Hand: sie ist gefährlich, weil sie den Krieg nur durch noch mehr Krieg abzustellen verspricht, aber dies auch erst am Ende aller Tage, der evtl. den letzten Holokaust bedeutet.

Was an die Stelle dieser Sichtweise treten und damit auch die Kräfte und Potenzen der Friedlichkeit stärken könnte, das zu untersuchen, auszubauen und zu propagieren ist gewiß des Schweißes aller Edlen wert. Auf Bausteine dazu in den Anthroplogien von Platon, Aristoteles und Epikur habe ich schon hingewiesen, und vieles Spätere ließe sich dazu als Mörtel verwenden. Das aber kann und soll hier nicht geleistet werden. Die Richtung freilich, wohin wir dabei denken müßten, sei durch eine alte Weisheit aus einer ganz anderen als der westlichen Kultur angedeutet - nicht weil es Entsprechendes nicht auch bei uns gäbe, sondern nur, weil es dort so schön formuliert ist. Er stammt aus dem Da Xue - der Großen Lehre - einem Teil des Sittenbuches Li Ji der chinesischen "Heiligen Schriften" und ist von den Konfuzianern immer als der "Weg" - Dao - angesehen worden, auf welchem nach dem Beispiel der ältesten Weisen das menschliche Zusammenleben friedlich geregelt werden sollte - was freilich nicht heißt, daß die Chinesen ihn immer befolgt hätten. Er lautet:

"Ehe die Alten die ganze Welt befrieden wollten (Ming Ming De Yu Tian Xia = Zhi Ping), brachten sie erst einmal ihren Staat in Ordnung (Zhi Guo). Um ihren Staat zu ordnen, brachten sie erst einmal ihre Familien (bzw. ihre häuslichen Verhältnisse) in Ordnung. Um ihre Häuser zu bestellen, sorgten sie erst einmal für eine (auch körperlich gesunde) Persönlichkeit (Xiu Sheng). Um sich zu Persönlichkeiten zu ertüchtigen, brachten sie erst einmal ihre seelische Verfassung ins reine (Zheng Xin). Um ihre "Herzen zu reinigen" , machten sie sich erst einmal klar, was sie eigentlich wollten. Um sich über ihr Wollen klar zu werden, verschafften sie sich erst einmal Erkenntnisse. Erkenntnis aber liegt im "begreifenden" Umgang mit den Dingen (Ge Wu)".

Das ist ein guter Rat zur Bescheidenheit. Erst einmal bei sich und seinen ganz praktischen Erfahrungen anzufangen, was man selbst tun kann, um friedlich zu sein, anderen friedlich zu begegnen und Institutionen in diesem Geist zu gestalten und zu erhalten, die dann auch geeignet sein werden, den Weltfrieden herbeizuführen.

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Anneliese Volkmar, April 1996
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