Auto-Erotismus (1993)

Seitdem die Frauen weg vom Herd
sind sie dem Manne nichts mehr wert.
Mann muß darum - wer mag's verdenken -
die Libido auf andres lenken.
Am meisten macht ihn da noch an
die alte Spielzeugeisenbahn.
Vor der rutscht er nun auf den Knien -
noch keine Frau hat's je verziehn.
Doch reizt ihn auch das Liebesspiel
mit seinem Kraftautomobil.
Parkt er es nachts bei der Laterne,
seufzt er voll Sehnsucht aus der Ferne
und bangt, daß keiner es berühre,
geschweige denn, es ihm entführe.
Nur wer's in der Garage weiß,
den macht die Eifersucht nicht heiß;
er sonnt sich in dem Hochgefühle,
daß stets verfügbar seine Mühle.
Genoß man einst mit Stolz und Schwung
verstohlene Bewunderung,
die einer schönen Frau gebührte,
die man zur Promenade führte,
so macht das alles heute wett
die Vorfahrt im Kabriolett.
Den Männertratsch, wer's besser kann,
erspart sich der moderne Mann,
denn hochzylindrische Potenzen
sind überlegen allen Schwänzen:
Es zeigt den Meister aller Klassen,
die andern hinter sich zu lassen.

Die Psychoanalyse lehrte,
der Mann die Frau darum begehrte,
weil er in jedem Weibe bloß
zurückwill in den Mutterschoß.
Das kann der Fall jetzt nicht mehr sein
steigt er erst in sein Auto ein:
Da sitzt er wohlig und gemütlich,
tut sich am Radioklange gütlich;
das Leder schmeichelt seiner Wange,
nichts auf der Welt macht ihm mehr bange.
Der Stau besonders ist beliebt,
weil er die rechte Muße gibt,
der Zweisamkeit sich hinzugeben
im intrauterinen Leben.
Geht es dann endlich weiter doch,
jagt er sie durch die Gänge hoch:
Gehorsam folgt in der Bewegung
die Blechgeliebte jeder Regung.
Ein Fußtritt bringt sie in Extasen
- wie geil ist's doch, dahinzurasen!
Erst bei zweihundertfünfzig, scheint's,
sind Mann und Auto wirklich eins,
und er genießt den Liebesakt
im sanften Zwölfzylindertakt.
Und auch so mancher Vollidiot
erfuhr dabei den Liebestod.


Letzte Änderung:
22. April 2003