Gerda Kaltwasser Textforum

Plötzlich hatten wir zwei Primaner im Haus

Gründgens-Morgenfeier

Eigentlich hatte die Morgenfeier für Gustaf Gründgens, veranstaltet von der Düsseldorfer Volksbühne, im Schauspielhaus stattfinden sollen, sie mußte aber aus bühnentechnischen Gründen in die Rheinoper verlegt werden, dort aus ebenfalls bühnentechnischen Gründen ins Foyer. Eine glückliche, was die Oper angeht, sogar eine sehr sinnvolle Lösung. Denn im bald nach Kriegsende provisorisch wieder bespielbar gemachten Opernhaus, ehemals Stadttheater, erlebten die Düsseldorfer im September 1947 an zwei Abenden den Auftakt der Gründgens-Ära: „König Ödipus“ von Sophokles mit Gründgens in der Titelrolle und am nächsten Abend Mozarts „Hochzeit des Figaro“ unter anderem mit Helmut Fehn und Martha Mödl. Seitdem weiß eine aussterbende Generation von Düsseldorfer Theaternarren, was Theater ist.

In dieser Morgenfeier (in Anspielung an die Morgenfeiern im Düsseldorfer Schauspielhaus der Dumont/Lindemanns, in deren Schauspielschule Gründgens das Bühnenhandwerk erlernt hatte) rückten Schauspieler vom Haus am Gustaf-Gründgens-Platz das Bild von G.G. gerade, das ebendort durch den Versuch „Wahrscheinlich bin ich ein Glückskind gewesen“ im Jahr des 100. Geburtstages von Gründgens bis zur Unkenntlichkeit verzerrt worden ist.

Die Namen der Schauspieler: Monica Burger, Ralph-Maria Burger, Wolfgang Arps; sie wurden unterstützt von Solisten der Rheinoper mit Szenen aus „Figaros Hochzeit“. Noch einer erlebte Genugtuung: Heinrich Riemenschneider, der frühere Leiter des Theatermuseums, der in der Gründgens-Forschung die Krönung seines Lebenswerks sehen darf. Die Volksbühne widmet ihm im Gründgens-Jahr einen Sonderdruck.

Mehr Namen gefällig? Theaterkritiker Joachim Kaiser zählte in seiner „Don Carlos“-Kritik aus Hamburg 1963 einige auf, die auch uns Düsseldorfern noch in den Ohren klingen, Joana-Maria Gorwin, Antje Weisgerber, Gründgens als König Philipp.

Ganz gleich, ob als Briefschreiber, als scharfsichtiger Deuter zeitgenössischer Publikumsbefindlichkeiten von 1932 bis 1963, immer zeigt Gründgens sich als ein Multitalent, das auch beim Schreiben so konzentriert, so gegenwärtig, so diszipliniert ist wie als Schauspieler, als Regisseur, als Theaterleiter. Wunderbar der Bericht des Psychiaters Hans Bürger-Prinz über seinen „Patienten“ Gründgens und dessen Wiedersehen mit einem Düsseldorfer Schulkameraden nach etwa 50 Jahren: „Plötzlich hatten wir zwei Primaner im Haus“. Die Düsseldorfer hatten knapp zwei Stunden Gründgens im Haus.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 20. Dezember 1991