Gerda Kaltwasser Textforum

Voll Grass!

Der Dichter und die Düsseldorfer haben nicht nur ein Problem. Der Nobelpreisträger bezeichnete die Stadt am Rhein gerne mal als „butzenscheibenverklebte Pestbeule“. Warum eigentlich?

Die Dichter und ihre Stadt – das Verhältnis ist selten ungetrübt. Zu denken ist an Lübeck und Thomas Mann, an Düsseldorf und Heinrich Heine – fast 200 Jahre hat es gedauert, bis die Stadt den Werbespruch „Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön“ zu schätzen lernte, inzwischen wird er längst nicht nur von Nicht-Düsseldorfern in Frage gestellt. Frankfurt tat sich nicht immer leicht mit Goethens, und es ist fraglich, ob die Weimaraner ihrem Minister Johann Wolfgang von G. die vielen bei chemischen Versuchen des Geheimrats geplatzten Fensterscheiben verziehen hätten, wäre er inzwischen nicht ein so unbezahlbarer Touristenmagnet. Dagegen kann man das zersprungene Glas kaum aufrechnen.

Zersprungenes Glas? Da war doch was…, ach ja, da war ein gewisser Oskar Matzerath, der mit seinem Gesang Glas bersten ließ. Oskar ist eine Kunstfigur, geschaffen vor über 40 Jahren von dem inzwischen Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Und der hat – wie nicht nur sein erster Roman „Die Blechtrommel“ durch bis heute nachzuweisende Ortskenntnis belegt – damals in Düsseldorf gelebt.

Ungeliebtes Düsseldorf

Geliebt hat er es nicht, verbittert haben das viele Düsseldorfer Grass-Leser festgestellt. Die Verbitterung wurde größer beim Erscheinen des Romans „Hundejahre“, in dem sich Düsseldorf unter anderem als „butzenscheibenverklebte Pestbeule“, als „Mostrichklacks“ wieder findet. „Mostrich“ – diese nord- und mitteldeutsche Verhunzung unseres geliebten Mosterts, der zum einen vom französischen Moutarde abstammt, zum anderen von der traditionsreichen Mostertfabrik Bergrath sel. Witwe, trifft uns besonders. Auch im Roman „Ein weites Feld“ findet Düsseldorf als Tatort der Ermordung Detlev Carsten Rohwedders, des ersten Chefs der Treuhandanstalt, nicht gerade ehrenhafte Erwähnung.

Günter Grass ist, wer weiß das nicht, kein Düsseldorfer sondern Danziger. Die Tatsache, dass Düsseldorf Jahrzehnte lang Patenstadt (nicht Partnerstadt, man beachte den feinen Unterschied) von Danzig war, hat mit dem gespannten Verhältnis Grass/Düsseldorf nichts zu tun.

Als Grass, Jahrgang 1927, im kalten Winter 1946/47 nach Düsseldorf vor die wegen Kohlenmangels geschlossene Kunstakademie kam, um Bildhauer zu werden, sattelte er erst einmal auf Steinmetzlehrling um und übernachtete im Caritasheim am Rather Broich. Im Wintersemester 1948/49 wurde er an der Akademie angenommen. 1951/52 fand sich das Jazztrio Grass/Geldmacher/Scholl zusammen, zu dem später auch Kurt Pelzer stieß. Die vielseitig Begabten wurden von Otto Schuster in seinem „Czikos“ engagiert.

Sie begegnen uns wieder in der „Blechtrommel“, Schusters ungarische Hirten-Kneipe an der Andreasstraße, im Buch „Zwiebelkeller“ genannt, Schuster selbst als Schmuh, Horst „Flötchen“ Geldmacher als Münzer und der Akademieprofessor Otto Pankok als Professor Kuchen. Damals schrieb Grass das Gedicht „Im Hofgarten“, eine etwas verkaterte Milieuschilderung, aber nicht so böse wie Düsseldorf, „diese Beleidigung eines nicht vorhandenen Gottes“, später in den Romanen wegkommt.

Günter, nenn’ die Gründe!

Ach, Günter Grass, wenn du uns doch nur einmal deine Abneigung deutlicher begründen würdest. Es gibt doch noch so manche, die sich an dich erinnern. Sigrid Müller zum Beispiel, Witwe deines Lehrherrn Juppi Müller; Trude Esser, die Bildhauerin; begeistert von dir hat der Musiker Sergio Pellicioni in deiner Wohnung an der Stockumer Kirchstraße gewohnt. Auch das Czikos ist noch da. Und das Kreuzherreneck schräg gegenüber von „Hansens Penn“, die in den „Hundejahren“ erwähnt wird.

Im Kreuzherreneck entsteht gerade ein Buch über Düsseldorfs Grass-Zeit; wir Alten versuchen, Freunde in deinen Werken zu entschlüsseln. Aber nicht immer gelingt das. Wo hast du deinen Freund, den Maler Franz Witte, versteckt, den du bis zu seinem Tod vor bitterster materieller Not bewahrt hast? Wo findet sich Juppi Müller, welche Gestalt hat der Bildhauer Ewald Mataré angenommen?

So ganz konsequent ist deine Düsseldorf-Antipathie schließlich auch nicht. Mehrfach konnten wir in der Galerie Ilverich, als sie in der alten Schule von Düsseldorfern betrieben wurde, deine Buch-Illustrationen bewundern. In der Lohausener Galerie der Malerin Babette Beckmann, der Witwe des Bildhauers Curt Beckmann, wurden im vorigen Jahr frühe Grass-Zeichnungen gezeigt, die den hohen Stellenwert bestätigen, den Joseph Beuys der Kunst der Zeichnung zugesprochen hat.

Vielleicht schickt dir ja jemand diesen Hilferuf und du erzählst deinen alten Freunden hier, welche Rechnung noch offen steht. Wir würden sie gern begleichen.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Sonderbeilage zum Bücherbummel, Juni 2001