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Besuch
bei Heinrich Heine
Düsseldorf hat heute nur
einen »großen« Sohn: Schlageter. Zu seinem Ruhme
brennen ewige Feuer. Für ihn werden Denkmäler
errichtet. In der Königsallee liegt zwischen Musikcafés
sein Ehrenmal. In der Landes- und Stadtbibliothek am
Friedrichsplatz verkündet eine große Tafel: »Schlageter-Museum«.
Ich frage den Portier: »Wo ist, bitte, das
Heine-Zimmer?« Er sieht mich verständnislos an. Dann
ruft er einen älteren Mann. Der gibt mir düster
Auskunft: »Das Heine-Zimmer ist vorläufig für immer
geschlossen.«
Ich gebe mich aber damit noch nicht zufrieden und gehe in
die Kartothekräume der Bibliothek.»Könnte ich, bitte,
das Heine-Zimmer sehen?«
Alle Anwesenden, Frauen und Männer, es sind die
Angestellten der Bibliothek, halten in ihrer Arbeit inne
und blicken mich verwundert an. Einer knurrt: »Wissen
Sie denn nicht, daß das Heine-Zimmer geschlossen ist?
Von wo kommen Sie denn her?«
»Aus Amerika, sage ich, und ich bin in Düsseldorf nur
ausgestiegen, um das Heine-Zimmer zu sehen.«
Alle starren mich an, als wäre ich ein Wundertier: die
kommt also aus Amerika und ahnt nichts davon, wie es in
Deutschland zugeht! Aber gab es nicht auch Leute im
Krieg, die nichts von ihm wußten?
Ich blickte heiter und unbefangen vor mich hin. Die
Angestellten stecken die Köpfe zusammen, flüstern,
beratschlagen. Dann kommt ein hagerer Mann auf mich zu:
»Warten Sie!«
Ich setze mich und warte. Der Hagere ist aus dem Zimmer
gegangen, wahrscheinlich muß er mit der Direktion
beraten. Nach einer Weile kehrt er zurück und sagt nur:
»Kommen Sie.«
Stumm geht er mit dem Schlüssel voran, durch dunkle
Gänge, durch Korridore, in denen die Kartotheken
aufbewahrt sind. Nein, das Heine-Zimmer ist nicht erst
jetzt in einen Hinterraum verbannt worden: es war auch in
den Zeiten der Republik ein halbverborgenes Zimmer,
dessen man sich ein wenig schämte.
Der Schlüssel knarrt heiser im Schloß. Die Tür geht
schwer, wie von Staub verklebt. Staub liegt auch dicht
über den Kästen, die an den Wänden entlanglaufen. Die
Wände sind kahl.
Der Hagere beginnt die Schränke zu öffnen. Er nimmt
behutsam einige Bände aus ihrem Gefängnis. Eine
Staubschicht liegt auf den abgescheuerten
Ledereinbänden, deren Rücken den Namen des Dichters mit
goldenen Schnörkeln zeigen.
Die Bücher sind verstaubt, aber wenn man sie öffnet,
ist es, als spreche jemand mit einer ganz jungen,
frischen Stimme:
»Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, wenn man
zufällig dort geboren, und es ist mir, als müßte ich
gleich nach Hause gehen. Und wenn ich sage nach Hause
gehen, so meine ich die Bolkerstraße und das Haus, worin
ich geboren bin. Dieses Haus wird einst sehr merkwürdig
sein- «
Das Haus in der Bolkerstraße sieht jetzt wirklich
merkwürdig aus: mit den abgekratzten Inschriften und der
leeren Nische, aus der man eine Statue gerissen hat.
»Wir müssen uns jetzt beeilen«, sagt der Hagere, aber
seine Hände betasten noch die vielen Bände in den
Schränken, als wollte er feststellen, daß sie noch
nicht zu Staub zerfallen sind.
Bücher in japanischer, chinesischer, spanischer,
griechischer, hindostanischer, indochinesischer - Bücher
in hundert Sprachen! Alle diese Völker dachten, es sei
ein deutscher Dichter, den sie in ihrer Sprache lasen und
den sie liebten .... Das Dritte Reich will sie eines
anderen belehren.
Der Hagere öffnet noch schnell einige Schränke, blickt
hinein; dort ist die Büste Heines, dort sind
Zeichnungen, auf denen er aussieht wie ein echter
deutscher träumender Poet, und hier: ein ausgestopfter
Papagei, sein Lieblingsvogel ...
»Über diesen Papagei schrieb er an Laube, daß nur noch
er und Mathilde ihn am Leben hielten«, erklärt der
Hagere, dann aber schweigt er plötzlich, als hätte er
schon viel zuviel gesagt. Er blickt auf seine Uhr und
beginnt schnell wieder die Schränke zu schließen. »Das
hat alles keinen Sinn«, sagt er, und ich weiß nicht,
worauf er es bezieht.
Dann stehen wir draußen. Wieder knarrt der Schlüssel.
Unten warten sie schon auf unsere Rückkehr, als hätten
wir uns in ein verbotenes, fernes Land gewagt.
»Da sind Sie ja wieder«, sagt eine freundliche Dame,
und sie breitet vor mir, als lebten wir in alten,
vergangenen Zeiten, ein Gästebuch aus.
Und ich schrieb einen Namen hinein.*
1938
* Der Text wurde dem Band entnommen:
Maria Leitner: Elisabeth, ein Hitlermädchen. Erzählende
Prosa, Reportagen und Berichte. Berlin und Weimar,
Aufbau-Verlag 1985
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