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Heimat - ein verlorener Traum -
Lyrische Heine-Reminiszenzen bei Mascha Kaléko

[Der 3. Teil des Aufsatzes: „Heine hat alle Stadien der Emigration mit uns geteilt“. Aspekte der Exilrezeption 1933-1945]

Abgedruckt in: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. von Joseph A. Kruse, Bernd Witte, Karin Füllner. Stuttgart/Weimar 1998.
S. 649-665.
Lyrische Paraphrasen, Reminiszenzen und aktualisierende Adaptionen von Heine-Gedichten gab es wiederholt in der Wirkungsgeschichte des Autors, mögen sie aus ästhetischen oder poli­tischen Gründen erfolgt sein. Für die Exilierten war jedoch das Anknüpfen an jene poetischen Texte Heines, in denen er sich mit Deutschland als fast verlorener Heimat und dem Exil ausei­nandersetzt, ein Akt der Selbstvergewisserung in der Entwurzelung und ein Aufgreifen einer von außen unterbrochenen Kontinuitätslinie. Die „Variationen nach Heinrich Heine“ des aus Prag stammenden Rudolf Fuchs im Band „Gedichte aus Reigate“ sind hier zu nennen oder Jo­hannes R. Bechers Kontrafraktur des „Wintermärchen“ im Versepos „Deutschland. Ein Lied vom Köpferollen und von den ‚nützlichen Gliedern’“. Ich konzentriere mich im folgenden auf eine Autorin, bei der die exilbedingten Heine-Reminiszenzen aus einer bis an die lyrischen An­fänge zurückreichenden künstlerischen Affinität mit dem Autor erwuchsen.

Mascha Kaléko, aus Galizien stammend, trat 1933 in Berlin mit dem Lyrikband „Lyrisches Ste­nogrammheft. Verse vom Alltag“ hervor und erzielte damit schnell großen Erfolg. Für ihren Entdecker, den Rowohlt-Lektor Franz Hessel, den sie ihren „Schutzpatron und lyrischen Pro­tektor“ nannte und für Berufskollegen wie Hermann Hesse war in diesen Gedichten die Heine-Schule unverkennbar:
Es ist eine aus Sentimentalität und Schnoddrigkeit großstädtisch gemischte, mokante, selbst­ironisierende Art der Dichtung, launisch und spielerisch, direkt von Heinrich Heine abstam­mend, eine Art, die in der deutschen Dichtung neuerer Zeit nicht sehr häufig war [...].
Sie bekannte sich dazu, daß die Spötter Heine und Tucholsky ihre literarischen Leitsterne bil­deten. Doch das Feuerwerk des Erfolgs erlosch schnell; am 8. August 1935 wurde Mascha Ka­léko aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und ihr wurde „jede weitere schriftstel­lerische Tätigkeit“ untersagt; mit Wirkung vom 9. Januar 1937 mußte der Rowohlt Verlag den Vertrieb des „Lyrischen Stenogrammhefts“ einstellen und „im Verkehr befindliche Exemplare“ zurückrufen, da das Buch vom Präsidenten der Reichsschrifttumskammer auf die Liste des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt worden war. Trotz ihrer Gefährdung und der ihres zweiten Mannes, des Komponisten und Musikers Chemjo Vinaver entschied sie sich erst im September 1938 dazu, Deutschland zu verlassen. Im New Yorker Exil wurde aus der künstlerischen Wahlverwandtschaft mit Heine eine unfreiwillige Parallelexistenz. Aus dem kecken Spiel im Heine-Ton werden Heine-Variationen, Heine-Paraphrasen und -Reminiszen­sen, die alle um die Themen: Verlust der Heimat - Leiden an Deutschland - Leben in der Fremde kreisen. Die Heine-Texte waren ihr im Exil sehr präsent, da sie zu ihrer Lektüre gehör­ten.

Mehrfach greift Kaléko auf das populärste Exilgedicht Heines zurück, auf die „Nachtgedan­ken“, das Abschlußgedicht der Zeitgedichte in den „Neuen Gedichten“ von 1844, in dem Heine die Darstellung des Exilschicksals mit der Sorge um Deutschland verknüpft. In „Sozusagen ein Mailied“, das in den ersten Monaten der Emigration entstand, variiert die Autorin das Motiv der nächtlichen Erinnerung an die verlorene Heimat. Im Gegensatz zu Heine konkretisiert sich ihre Sehnsucht in Naturbildern. Den positiven Ausblick der „Nachtgedanken“: „Gottlob! durch meine Fenster bricht/ Französisch heit’res Tageslicht“ (DHA II, 130) greift Kaléko nicht auf. Bei ihr brechen die schmerzlichen Erinnerungen auch bei Tageslicht durch.

Sozusagen ein Mailied

Manchmal mitten in jenen Nächten,
Die ein jeglicher von uns kennt,
Wartend auf den Schlaf des Gerechten,
Wie man ihn seltsamerweise nennt,
Denk ich an den Rhein und die Elbe,
Und kleiner, aber meiner, die Spree.
Und immer wieder ist es das selbe:
Das Denken tut verteufelt weh.

Manchmal mitten im freien Manhattan,
Unterwegs auf der Jagd nach dem Glück,
Hör ich auf einmal das Rasseln von Ketten,
Und das bringt mich wieder auf Preussen zurück.
Ob dort die Vögel zu singen wagen?
Gibts das noch: Werder im Blüthenschnee ...
Wie mag die Havel das alles ertragen,
Und was sagt der alte Grunewaldsee? [...]

Die dichtesten Heine-Reminiszenzen finden sich im „Emigranten-Monolog“, in dessen Ein­gangsstrophe Mascha Kaléko ihre Anknüpfung an das Heine-Gedicht „Ich hatte einst ein schö­nes Vaterland“ offenlegt (DHA II, 73):

Ich hatte einst ein schönes Vaterland,
So sang schon der Refugee Heine.
Das seine stand am Rheine,
Das meine auf märkischem Sand.

Im Verlaufe des Gedichts variiert sie verdeckt Zeilen und Zeilenfragmente aus drei weiteren Gedichten Heines in einer Weise, daß sich der „Traum“ vom Vaterland radikal auflöst. Deut-schland ist zu einer Stätte des Todes geworden, die Erinnerung an die Heimat ist abgestorben. Die Wunde, die ihr durch die Entwurzelung zugefügt wurde, erscheint nicht mehr heilbar.

Wir alle hatten einst ein (siehe oben!)
Das frass die Pest, das ist im Sturm zerstoben.
[...]

Die Nachtigallen wurden stumm,
Sahn sich nach sicherm Wohnsitz um,
Und nur die Geier schreien
Hoch über Gräberreihen.

Das wird nie wieder wie es war,
Wenn es auch anders wird,
Auch wenn das liebe Glöcklein tönt,
Auch wenn kein Schwert mehr klirrt.

Mir ist zuweilen so als ob
Das Herz in mir zerbrach.
Ich habe manchmal Heimweh,
Ich weiss nur nicht, wonach ...

Als Mascha Kaléko sich nach 17 Exiljahren im Heine-Jahr 1956 auf eine Reise zurück nach Deutschland begab, stellte diese für sie eine signifikante Parallele zu Heines Deutschlandreise im Jahre 1843 dar. In Anknüpfung an „Deutschland. Ein Wintermärchen“ verfaßte sie das vier­teilige Gedicht „Deutschland, ein Kindermärchen“. In ihm zieht sie ironisch-sarkastisch Bilanz ihres Lebens, vergleicht die eigene Dichterinnenlaufbahn mit der Heines, huldigt Heine, dem ‚Satiriker’, dem ‚Rebell’ und ‚Patrioten’ und mokiert sich über die halbherzige Heine-Renais­sance im Nachkriegsdeutschland.

 

Wie Heinrich Heine zu seiner Zeit
War auch ich in der Fremde oft einsam.
(Auch, daß mein Verleger in Hamburg sitzt,
Hab ich mit dem Autor gemeinsam.)

Der Lump sei bescheiden: Ich sag es mit Stolz,
Daß von Urvater Heine ich stamme, [...]

... Auch ich bin „ein deutscher Dichter,
Bekannt im deutschen Land“,
Und nennt man die zweitbesten Namen,
So wird auch der meine genannt.
[...]

Ich sang einst im preußischen Dichterwald,
Abteilung für Großstadtlerchen.
Es war einmal.- Ja so beginnt
Wohl manches Kindermärchen. [...]

Der Kaléko-Ton des Exils, eine Balance zwischen Witz, Schärfe, Trauer, Melancholie und Selbstironie, entwickelte sich nicht zuletzt aus einer schöpferischen Nachfolge Heines.

[Verfasserin: Ariane Neuhaus-Koch]


Anmerkungen
Rudolf Fuchs: Gedichte aus Reigate. London 1941. Das Versepos von Johannes R. Becher erschien 1934 in Zürich und Moskau.

Im Widmungsgedicht „Dem ‚Heiligen Franziskus’ vom Rowohlt Verlag anno dazumal“ zu „Das lyrische Stenogrammheft. Kleines Lesebuch für Große“, Hamburg 1956, S. <6>.

Hermann Hesse: Neue deutsche Bücher. In: Literaturberichte für Bonniers Litterära Magasin 1935-1936, hrsg. von Bernhard Zeller, Marbach a. N. 1965, S. 75f.

Schreiben des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer an den Ernst Rowohlt Verlag vom 9.1. 1937, mitgeteilt von Gisela Zoch-Westphal: Aus den sechs Leben der Mascha Kaléko. Biographische Skizzen, ein Tagebuch und Briefe. Berlin 1987, S. 208.

Mascha Kaléko: Verse für Zeitgenossen. Cambridge/Mass. 1945, S. 16.

In: Verse für Zeitgenossen, a.a.O., S. 24.

Ebd.; Übernahmen aus folgenden Heine-Gedichten: „Gesanglos war ich und beklommen“ (DHA II, 70f.), „Enfant perdü“ (DHA III/1, 121f.), „Auf ihrem Grab da steht eine Linde“ (DHA II, 74).

Mascha Kaléko: Deutschland, ein Kindermärchen. In: Frankfurter Hefte, 11. Jg., 1956, Heft 4, S. 281.


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