Historische Wohnorte von bekannten Frauen der Düsseldorfer Kulturszene


Hulda Pankok


Eine leidenschaftliche Frau: Louise Dumont (1930)

Die Frage: woher kommt eigentlich der einzigartige Reiz, der von Louise Dumont-Lindemann ausgeht, machte es mir auf einmal bewußt, welcher Tatendurst und welch starker Lebensmut diese Frau beherrscht, die darin jünger und reizvoller erscheint als moderne Zwanzigjährige, die Greisinnen sind im blasierten Lebensgefühl, das genährt wurde an einer irrigen Auffassung der Philosophie vom Untergang des Abendlandes. Aus Resignation, die teilweise ihre Begründung in der Unterernährung der Steckrübenzeit hat, verzichtet diese moderne Jugend auf den Geisteskampf und macht sich zu Greisinnen, die am Anfang ihres Lebens schon das Ende erreicht haben. Warum sich diese Beamtinnen des Lebens überhaupt noch pudern und schmücken, bleibt ein Rätsel, denn die Liebe ist und bleibt ein Abenteuer für leidenschaftliche Menschen. Aber diese jungen Geschöpfe brauchen eben wirklich Puder und Schönheitsmittel, um ihre Unjugendlichkeit und puppenhafte Unlebendigkeit zu übermalen. Arme Menschen! Sie ahnen nicht, daß, je gewaltiger der Mensch ist im Tatendurst und in der Leidenschaftlichkeit der Empfindungen, je größer der Abstand bleibt, der ihn von seinem Alter trennt. Lebendiges Beispiel dafür ist Louise Dumont! Diese Leidenschaftlichkeit ist ihr Reiz, der alles in ihren Bann zieht. Sie ist eine Künstlernatur, und das bedeutet: ein ewiger Neubeginner sein, offen allen Erlebnissen. Solche Menschen werden nicht alt und ihre Anschauungen niemals starr. Für sie gibt es kein Lebensprogramm, das man mit 60 Jahren erreicht hat, so daß man dann im Alter befriedigt sich zur Ruhe setzen kann in dem Gedanken: Du hast dein Programm absolviert.
Nein, für diese Art Menschen gibt es einfach kein Lebensprogramm, da sie den gesamten Lebensrhythmus und das ewige Fließen im eigenen Blute spüren. Die Neigung Louise Dumonts zur Maske war nicht komödiantenhafter Hang zur Lüge, zur Betäubung, sondern er entwuchs der gestalteten Kraft des Künstlers, der Leidenschaften, Ekstasen erlebt, die ihn einfach zur Tat und zum Leben drängen. Bei dieser Art Menschen gibt es kein Ausruhen und keine Altersresignation. Die Tat drängt sie einfach mit 60 Jahren genau so stark ins Leben und in die Kunst wie mit 20. Die Leidenschaft der Empfindungen hält sie jung.
So jung, wie Louise Dumont heute noch ist in ihrer Liebe zum Leben und zur Kunst. Aber wenn ihre Leidenschaft sie verlieren heißt in einen Menschen oder in ein Dichtwerk, da wacht in ihr ein Licht, das Wege weist, damit sie sich nicht verirre, und das ist ihre klare und helle Intelligenz. Und wiederum in Augenblicken, da die Vernunft in zersetzender Analyse die Welt und sogar sich selbst zerpflücken will, da bietet das Herz Einhalt, das sie immer wieder trotz Enttäuschungen zu leidenschaftlicher Hoffnung befähigt und zu einem heroischen Humor, der auch die Lächerlichkeit nicht übersehen kann und ins Leben einzuordnen weiß.
Es ist ein grandioser Kampf, dieser Kampf des Geistes, der bald als gewissenhafter grausamer Richter, ein anderes Mal mütterlich erbarmend sich der Welt gegenüber zeigt; er ist besonders ausgeprägt in dieser Frau, die beherrscht wird von einer denkenden Energie, die einfach jeden Gedanken bis in seine letzten Dunkelheiten verfolgen muß. Das ist Stärke, daß auch vor den Dunkelheiten diese Frau nicht halt macht, das verbindet sie mit einer Duse und mit einer Yvette Guilbert, sie macht auch vor den Abgründen nicht halt. Aber aus dieser Zermarterung kommt ihre Nachsicht für alles Menschliche, ihr tiefes Erfassen all der erhabenen Sünden, welche die großen Dichter - die Büßer der Menschheit - auf der Bühne lebendig machen. Denn nur die Großen - denken wir hier an Shakespeare - wagen zu schildern, was sie sehen. Sie allein wagen alles öffentlich auszusprechen. Und weil sie wahr sind, was die einzige Moralität ist, darum nennt man sie unmoralisch.
Den Kampf für diese letzte Wahrheit führte Louise Dumont in Leidenschaft ein langes Leben, und manche Wunde schlugen ihr jene Menschen, welche die gesetzmäßige Moral gepachtet haben. Sie sahen nicht in Dreysers "Ton in des Töpfers Hand" die tief religiöse Bestätigung des Absoluten in der Welt, von dem alles abhängig ist, auch die mißratene Kreatur, die bei Dreyser die Bestätigung der Liebe findet, die nur der künstlerische Mensch finden kann, der dem Schöpferischen in seiner Art nahe ist. Aus der Aufführung eines solchen wegweisenden Kunstwerks macht man ihr einen Vorwurf. Louise Dumont aber hat den Geisteskampf nicht aufgegeben trotz aller Anfeindungen und trotz manchen Mißverständnisses.
Darum blieb sie so reizvoll und so jung und so liebenswert. Sie hat nicht ausgekämpft, sie steht noch mitten im Kampf für die geistige Freiheit, die von jedem erneut erkämpft werden muß. Denn für jede Zeit gewinnt das Absolute eine neue Gestalt, eine neue Form, die sichtbar für alle herausgestellt werden muß. Das zu tun war Louise Dumonts Berufung. Sie ist ihrer Berufung nicht ausgewichen und hat keinen Kampf gefürchtet.

Mehr zu Louise Dumont

Hauptseite
Programm ihres Drei Eulen Verlags

Eva Pankok über Hulda Pankok.

Text: Ruth Sandhagen

(Quelle: Dem Vergessen entgegen. Frauen in der Geistesgeschichte Düsseldorfs. Lebensbilder und Chroniken. Dokumentation einer Ausstellung des Frauen-Kultur-Archivs. Neuss 1989)


Zurück zum Start
Zurück nach oben