Düsseldorfs denkwürdige Frauen



Nachruf auf Heidede Morgenbrod:

Ein großer Verlust

Heidede Morgenbrod ist von uns gegangen. Sie starb im Alter von 68 Jahren. Ihre Erkrankung war so kurz und heftig, daß man wohl sagen kann: Mitten aus dem Leben gerissen. Auf der Rückfahrt von der Gesamtvorstandssitzung in Altleiningen im März diesen Jahres äußerte sie die Absicht, den Landesvorsitz in NRW, den sie seit 1990 innehatte, in jüngere Hände zu geben. Ich war verblüfft, weil wir nie zuvor davon gesprochen hatten. Mit großer Zielstrebigkeit (und Vorahnung?) führte sie Telefongespräche, und so konnten wir im Mai in Düsseldorf einen neuen Landesvorstand wählen. Am 9. Juni mußte sie ins Krankenhaus, das sie nicht mehr verlassen sollte.

Wie kann ich ihr Leben und ihre Leistung würdigen? Am besten gebe ich etwas von dem weiter, was sie mir erzählt hat. Nie hat sie die Flucht aus Ostpreußen vergessen können, vor allem nicht die nächtlichen Schreie von vergewaltigten Frauen im Sommer in dem Notquartier in Mecklenburg. Dieses Trauma war die eine Wurzel ihres frauenpolitischen Engagements.

Eine andere Wurzel liegt in ihrer Erfahrung, daß eine Frau ihre finanzielle Eigenständigkeit durch ein Kind verliert und dass Kinderbetreuung durch Freunde nicht so leicht zu haben ist und auch nicht unbedingt gewünscht wird. Als ihre erste Ehe Mitte der 60er Jahre scheiterte und sie in ihrem erlernten Beruf als Buchhalterin mit halber Stelle arbeiten wollte, erwies sich die Betreuung des jüngeren Sohnes als unüberwindliches Hindernis. Die Kindergärtnerin des älteren Sohnes räumte ihr - außerhalb der Legalität - die Möglichkeit ein, den Kleineren ohne Anmeldung im Kindergarten "mitlaufen" zu lassen. Daß sie als Preußin/Ostpreußin gezwungen war, etwas "Gesetzwidriges" zu tun und daß sie eine andere Frau, die Kindergärtnerin, veranlassen mußte, ebenfalls etwas "Gesetzwidriges" zu tun, hat sie zutiefst verstört und aufgebracht und nach anderen Lösungen suchen lassen. Sie dachte an etwas, das wir heute "Gehalt für Familienarbeit" nennen. Später heiratete sie wieder. Ihr Mann hatte zwei Kinder, und sie hatte zwei, und sie machte die ganze Familienarbeit für den großen Haushalt. Im Jahr 1979 kam eine Halbtagsstelle als Buchhalterin dazu.

Anfang der 70er Jahre gehörte sie zu den Frauen, die im Düsseldorfer actionsring frau und welt den "Gesellschaftspolitischen Arbeitskreis" gründeten. Nach dem Wahlsieg der SPD bei der Bundestagswahl am 5. Oktober 1972 (mit der darauf folgenden Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler) gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der Initiative 6. Oktober, die die Regierungspartei "am Tag nach der Wahl" mit den Forderungen der Frauenbewegung konfrontierte.

Von 1979 bis 1989 war sie Mitbegründerin und aktive Mitarbeiterin im autonomen Frauenprojekt "Frauen-Bücher-Zimmer" in Düsseldorf (Frauenbuchladen, Kulturbetrieb und "ständige Informationsbörse" verbunden mit gesellschaftspolitischer Arbeit). Für diesen eingetragenen Verein machte sie die Buchhaltung und sorgte dafür, dass er gemeinnützig war.

Im Rahmen ihrer gesellschaftspolitischen Arbeit hatte sie schon vor 1979 brieflichen Kontakt zu Dr. Gerhild Heuer, die später die dhg gründete. Für Heidede Morgenbrod war offensichtlich, daß bei der Frauenbewegung der 70er Jahre die "Familienarbeiterin" überhaupt nicht im Blickfeld lag. Daher galt ihre besondere Liebe seit 1979 der dhg. Daß es in Düsseldorf bald eine aktive Ortsgruppe gab, ist ihrem Impuls und ihrer Anregung zu verdanken. Auf jeder Messe, auf jeder Ausstellung, fast auf jedem Kirchentag übernahm sie "Schichten".

Im Jahr 1991 verunglückte sie schwer bei der Einrichtung des dhg-Standes bei der Messe "Aktiv leben". Sie stürzte und hatte wegen eines komplizierten Bruches einen langen Klinikaufenthalt. Im Jahr 1995 übernahm sie zu allen übrigen Verpflichtungen die Buchhaltung mit großer Umsicht und Gewissenhaftigkeit. Sie schaffte es mit ihren Vorschlägen zur Satzungsänderung, dass die dhg gemeinnützig wurde. Der Namensänderung von der geliebten dhg-Hausfrauengewerkschaft zu dhg-Verband der Familienfrauen und -männer stand sie reserviert gegenüber. Aber Heidede war zutiefst demokratisch, und sie trug die Mehrheitsentscheidung mit.

Was mich an ihr fasziniert hat: ihre Fähigkeit, "Atmosphäre" zu fühlen und atmosphärische Veränderungen zu registrieren und darauf zu reagieren. Irgendwann erfuhr ich, daß sie als junges Mädchen gern und viel Schach gespielt hat. Da wurde mir klar, daß ihre Art zu denken die einer Schachspielerin war; sie spielte strategisch einschließlich der Rösselsprünge, und ihre Intuition hatte sie wohl mit einer 360-Grad-Antenne begabt.

Der evangelische Pastor in Korbach, der sie nie gekannt hat und der sich auf die Angaben der Familie und der Freundinnen stützte, zitierte aus Heidedes Selbstdarstellung (dhg-Rundschau 2/94): "[...] ich lebte im Dauerzorn über die bisher geschaffenen Strukturen und immer wieder dreisten Veränderungen zu Lasten von Frauen." Er hatte als Vers für die Trauerrede bei der Beerdigung den Spruch gewählt:

Lebt als Kinder des Lichts.
Die Frucht des Lichts ist
Gerechtigkeit, Güte und Wahrheit.

Alle Flaggen standen am 13. August auf Halbmast. Es war zur Erinnerung an "40 Jahre Mauerbau", aber es paßte auch zur Beerdigung der (frauen-)politisch denkenden und handelnden Heidede Morgenbrod. Für sie war die Gerechtigkeit für Mütter Herzenssache.
Wir wollen unsere dhg-Arbeit in ihrem Sinne fortsetzen.

Monika Bunte (Düsseldorf)



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