Stadtgewissen mit lächelnden Augen

Flüchtige Anmerkungen zu Gerda Kaltwassers 70. Geburtstag

Ach, Gerda, was sollten wir denn tun ohne dich? Ohne das leichte, unermüdete Stadt-Gedächtnis, das auf einer Karosse mit vier Gummirädern schnurrt, elektrisch angetrieben, deren Merkwürdigkeiten einem Satiriker wie Hermann Harry Schmitz gewiss ein paar hübsche Sottisen aus der Feder gespritzt hätten.
Eine Journalistin ist dies, die das Klischee scheut wie der Teufel den Weihrauch. Immer wieder wunderbar und vorbildlich, wie sie in flüssiger Schreibweise zwischen den Gemeinplätzen durchsegelt ohne Angst vor Skylla noch Charybdis.
Biografische Fakten? Zu skizzieren ist der Lebenslauf der Metzgerstochter aus der Friedrichstadt übers Schlittschuhlaufen am Schwanenspiegel zum Amerika-Stipendium nach dem Krieg zur Ochsentour über verschiedene Tageszeitungen bis hin zur Rheinischen Post (1962). Dort machte sie sich vor allem als Anwältin für prekäre, große und kleine Themen und Regionen von Heine über Minderheiten bis Israel einen Namen. Oft hat sie sich vertippt. Doch nie verschrieben.
Die Summe ihrer Verdienste (streichen wir mal den Singular "Verdienst") addiert sich auf zahlreiche Ehrenringe. Nach wie vor segelt sie zwischen den vielen "H's" herum, Heine, H. H. Schmitz (dem jetzt wenigstens eine Schule gewidmet wurde - also keine Sackgasse, wie auch schon geplant), Hetjens-Museum. Und zahlreichen Büchern, Vorworten, Film-Kommentaren.
Der Bildhauer Bert Gerresheim formulierte bei einer Lobrede 1998 Gerda Kaltwassers Erkenntnis, dass man Wort und Leben, Ästhetik und Moral niemals voneinander trennen könne.
Gerda, das mobile, überfliegende, flatternde, nie flatterhafte Journal-Gedächtnis ihrer Stadt (die deren Herzblut oft genug noch nicht einmal verdiente) - sie ist so eine, über die Jean Paul einmal schrieb: "Die alten Menschen. Wohl sind sie lange Schatten. Aber sie weisen alle gen Morgen."

(Sebastian Feldmann Rheinische Post, 15.11.2000)



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Bearbeitet von KER