Genderforschungs-Transferstelle
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Gedichte

Zweifel

Mein Wissen kehrt sich wider mich,
Ein Flügeldrache,
Von Geißelhieben eines bösen Geists getrieben,
Gefolgt von einem ganzen wilden Heer
Von immer neuem Wissen – also neuem Zweifel,
Denn jedes Wissen schleppt den eignen Zweifel mit –
Ach. Wohin, wohin
Ist all mein Glaube, all mein kindlich Herz!
Wohin, wohin mein fröhlich Selbstvertrau’n,
Der frische Mut, die kecke Sicherheit,
Mit der ich einstmals meine Strasse zog!
Mir lacht kein harmlos Glück mehr, singt kein Vogel,
Mir duften keine Blumen, blüht kein Garten –
Mein Flügeldrache, selbst gegeißelt, treibt mich vorwärts,
Und hetzt mich ab mit seinem Heer von Zweifeln.
Wohl weiß ich viel. – Zu viel! –
Nur eines weiß ich nicht:
Was trug sie in der Hand, die großgeäugte Fremde?
Nur eines, eins weiß ich noch immer nicht:
War es die Wissenschaft?
War es – Chimäre – ?

Rettung

Ich stieg und stieg. – Mühselig war der Weg
Durch rauhes Vorland, abgetrennte Hügel,
Die, kaum erklommen, wieder abwärts wiesen,
Gerissner Täler endlos Labyrinth,
Und über sturmzerzauste Kuppen hin.
Kaum wußt’ ich selber, ob ich höher kam,
Nur, dass die Kniee zitterten, die Lunge keuchte,
Die Einsamkeit mit jedem Schritte wuchs
Und ich mich kleiner, immer kleiner dünkte –
Da hört’ ich’s donnern fern im Hochgebirg:
Horch! Ein Lawinensturz fuhr jäh zu Tal!
Die Gipfel der Erkenntnis senden einen Gruß
So dacht’ ich – einen Donnerleuchtegruß
Den armen Tälern und der staub’gen Ebne!
Da riss mein Fuß mich plötzlich jäh zur Seite –
Was schoss zu Tal? Ein ungeheurer Sturzbach,
Noch untermischt mit Brocken blanken Eises
Und milchig strudelnd – prachtvoll anzuschaun,
Ein frohes Wunder übermüt’ger Kraft!
Mein Aug’ belebte sich, entzückt, begeistern,
Das Herze schlug mir in der Brust vor Glück
Und staunend stand ich – !
Doch je tiefer nun
Der Gipfel Leuchtegruß talabwärts brauste,
Je mehr vermengten sich ihm Schlamm und Erde,
Und Steingeröll, und Schutt der niedern Halden.
Die Täler und die Ebne aber schrieen auf:
Sie sah’n nur noch den Schlammstrom, der verheerend
In ihre selbstzufriedne Enge schoss –
Da wusst’ ich: Ja ! Du bist – du bist gestiegen!
Und von den Greueln der Verwüstung weg
Hob ich die Blicke dankerfüllt nach oben.

Erkenntnis

So oft man ihn zerstört, verbrennt, vernichtet,
Der Vogel Phönix steht von neuem auf:
Mit goldnen Flügeln schwingt er sich hinauf,
Den hellen Blick den Sonnen zugerichtet.
Die laufen feuertrunken ihre Bahnen,
Er wiegt sich froh in ihrem Flammenlicht,
Hoch ob der Erde trüber Wolkenschicht
Geführt von einem unbetrognen Ahnen.
Das ist das Reittier, das der Seele frommt,
Die ihren Weg des Leidens überwand,
Er trägt sie sicher in das lichte Land,
Aus dem von je der Seelen Reinstes kommt.
In sel’ger Harmonie der Sphärenweisen
Trägt sie der Phönix jubelnd himmelan,
Und wiegt sie strahlend auf der ew’gen Bahn,
Wo stolz und glühend die Gestirne kreisen!

Ausfahrt

In Nebelschleiern sinkt das Bild
Der alten Stadt zurück.
Am Ufer steh’n ein altes Leid
Und ein vergangnes Glück.

Das Glück weint leise vor sich hin:
Ich hol’ dich nimmer ein!
Das Leid, es hockt am Ufer breit:
Geh nur. – Ich warte dein!

Der Wind singt über’m weiten Meer:
Was soll dir Leid ? Was soll dir Glück?
In Nebelschleiern sinkt das Bild
Der alten Stadt zurück –

(In: Leonore Niessen-Deiters: Verse. Buenos Aires 1925)

 

 

 

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