WIEDERKEHR DER FOLTER?

Susanne Krasmann, Omri Grinberg, Reinhold Görling
Reinhold Görling
David Becker
Werner Bohleber, Gabriele Schwab
Carlo Gentile
Françoise Sironi
Christian Grüny
Christian Grüny, Karsten Altenhain
Knut Rauchfuss
Françoise Sironi, David Becker, Reinhold Görling, Johannes Kruse
Denis Goldberg, Reinhold Görling
Gabriele Schwab
Françoise Sironi, David Becker
Stephan Trinkaus
Stephan Trinkaus, Elisabeth Weber, Reinhold Görling
Reinhold Görling, Denis Goldberg
Gabriele Schwab
Susanne Krasmann
Gabriele Schwab, Reinhold Görling,
Françoise Sironi
Werner Bohleber, Gabriele Schwab, Reinhold Görling
Elisabeth Weber, Reinhold Görling
Werner Bohleber, Gabriele Schwab
David Becker
Denis Goldberg
Omri Grinberg, , Susanne Krasmann, Reinhold Görling
Françoise Sironi, David Becker, Reinhold Görling, Johannes Kruse

Folter und Zukunft

Internationale Konferenz am 25. und 26. Juni 2009 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Der Flyer der Tagung als PDF

DONERSTAG, 25.06.09

14:00            
Begrüßung, durch den Dekan der Philosophischen Fakultät Prof. Dr. Hans T.  Siepe

Folter und Gesellschaft
- Prof. Dr. Reinhold Görling. Institut für Kultur und Medien, Heinrich-Heine-Universität  Düsseldorf - 

14:45    
Das Recht der Regierung - Folter im Rechtsstaat
- Prof. Dr. Susanne Krasmann, Institut für Kriminologische Sozialforschung, Universität Hamburg -
Das Recht scheint eine immer eindeutigere Sprache zu sprechen: Das Verbot der Folter gilt absolut. Dennoch ist nicht erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich geworden, wie leicht die Folter auch in rechtsstaatlich-demokratischen Gesellschaften zu einem politischen Instrument werden kann. Dabei spielen weniger offene Legitimationsstrategien eine Rolle, eher schreibt sich die Folter stillschweigend in rechtsstaatliche Praxen ein.  Sie lässt sich, so die These, über Sicherheitsimperative rationalisieren

Symbolic occupation and the ambivalence of the Israeli state discourse – about Child Labour in Palestine/Israel
- Omri Grinberg, Jerusalem -

16:15   - Pause -

16:30     
From Intentional Trauma to a Geopolitical Psychopathology
- Françoise Sironi, Psychologin, Psychoanalytikerin, Maître de Conférences à l’ Université Paris 8, Sachverständige am Internationalen Strafgerichtshof -
Fürchterliche Technik der Entmenschlichung, der Dekulturation und der Zerstörung von sozialen Bindungen: die Folter ist eine politische Hydra, die nur dann keine Zukunft hat, wenn sie ununterbrochen bekämpft wird durch die Herstellung von Bewusstsein und von Praktiken, die fähig sind, wirkliche Gegenpole gegen ihr unaufhörliches Auftreten zu schaffen: juristische Gegenpole, medizinische, psychologische und gesellschaftliche, durch die Kraft der Gedanken geschaffene Gegenpole.Auf dem Gebiet der psychologischen Waffen hat mich die psychotherapeutische Praxis mit Folteropfern ebenso wie mit Tätern dazu geführt, ein spezifisches klinisches Konzept der intentionalen Traumatisierung zu erarbeiten, für die Folter zweifellos paradigmatisch ist.Die Folter und andere Formen der politischen Gewalt (Massaker, Genozide, Vergewaltigungen im Kriege, Verschwindenlassen, Vertreibung von Bevölkerungen…) sind sichtbare und konkrete Formen politischer Verbrechen  – was sie aber zum Objekt wiederholter Verleugnung macht, auch wenn sie veritable, mit kollektiver Gewalt verbundene Psychopathologien hervorrufen. Ich werde das in meinem Beitrag weiter ausführen.Ich will zugleich zeigen, wie dieses Konzept zur Herausbildung eines umfassenderen eigenen disziplinären Gebiets geführt hat, das ich geopolitische Psychopathologie nenne. In seinen theoretischen und methodologischen ebenso wie in seinen klinischen und therapeutischen Aspekten liefert dieser Ansatz eine Waffe gegen die Verleugnung politischer Verbrechen und ein Mittel gegen das psychische Leiden, das sie hervorrufen.

Warten auf die Barbaren – Folter und postkolonialer Angstdiskurs
- Priv.-Doz., Dr. David Becker, Sozialpsychologe, Vizepräsident Internationale Akademie an der Freien Universität Berlin, Direktor Büro für psychosoziale Prozesse -
Neuerdings wird Folter als Abwehr einer zivilisierten aufgeklärten Welt gegen Terroristen gerechtfertigt. Hinter dieser Haltung, die sich unter anderem im Gefängnis von Abu Ghraib vergegenständlicht hat, verbirgt sich ein komplexer postkolonialer Prozess, in welchem sich angeblich Zivilisation und Barbarei gegenüberstehen. Das fremde Eigene (S. Freud, "Das Unheimliche") wird dabei auf "die Barbaren" projiziert und dann an Ihnen gewalttätigst bekämpft. Auf der anderen Seite, ist Folter eben keine "westliche" Spezialität, sondern wird überall eingesetzt, gerade auch von denen die gegen den imperialen "Westen" kämpfen, und Menschenrechte und Demokratie als westliche Lügengespinste diffamieren. So ergibt sich dann, dass Folter von Allen eingesetzt wird, wobei jeweils der andere der Barbarei, bzw. der kolonialen Unterdrückung beschuldigt wird. Im Rahmen verflochtener postkolonialer Geschichten (E. Said), wird also Folter allerseits wieder zum legitimen Herrschaftsmittel gemacht. Unter anderem bezugnehmend auf Coetzees Roman "Warten auf die Barbaren" diskutiert der Vortrag diese Problematik und reflektiert die zentralen Themen von Folter: Beschämung und Unterwerfung als Beziehungsmatrix.  

18:00   - Pause -   

19:00       
The Banning of Torture and the Transition to Democracy in South Africa
- Prof. Dr. Dr. h.c. Denis Goldberg, Kapstadt -
Goldberg ist einer der Weg- und Leidensgefährte von Nelson Mandela, der mit ihm 1964 in dem weltweit Aufsehen erregenden Rivonia-Prozess verurteilt wurde. Er war dort Angeklagter Nummer Drei und erhielt eine Strafe von viermal lebenslänglich. Er kam nach 22 Jahren Haft frei und lebte bis 2002 als politischer Emigrant in Großbritannien. Goldberg war der Repräsentant des ANC im Anti-Apartheid-Komitee der Vereinten Nationen und ANC-Botschafter des guten Willens und der Bereitschaft zu einer Verhandlungslösung auch in vielen westeuropäischen Ländern. Eine große Gruppe amerikanischer Organisationen zeichnete ihm in Anerkennung dieser Aktivitäten mit dem Albert- Luthuli-Friedenspreis aus. 1995 gründete Goldberg in London die Entwicklungsorganisation Community H.E.A.R.T. mit dem Ziel, den Lebensstandard der schwarzen Bevölkerung Südafrikas zu erbessern. 1995 erhielt Denis Goldberg von der Caledonia-Universität in Glasgow eine Ehrenprofessur in Anerkennung seiner Verdienste beim Aufbau der Beziehungen zwischen dieser Universität und MEDUNSA bei Pretoria, der Medizinischen Universität für das Südliche Afrika. 1999 wurde ihm für die erfolgreiche Weiterentwicklung dieser Verbindung die Ehrendoktorwürde der Caledonia Universität Glasgow verliehen. Auch MEDUNSA Pretoria anerkannte die Arbeit von Goldberg mit der Verleihung ihrer Ehrendoktorwürde.  

20:30   - Empfang (Geb 23.21, Raum 00.47) -


FREITAG, 26.06.09

8:30 
Diskussion und Werkstattgespräch des Projekts „Die Wiederkehr der Folter?“  
- Julia Bee, Sven Seibel, Nicola Willenberg, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf -

9:30  
Von der Sprache des Gefühls zum Mittel der Qual. Musik als Folterinstrument
- Jun.-Prof. Dr. Christian Grüny, Institut für Kulturreflexion, Universität Witten / Herdecke -
In den vergangenen Monaten war in den Medien wiederholt von einem scheinbar neuen Typus Folter die Rede, der mit Musik arbeitet. Wenn man voraussetzt, dass es hier nicht die bloße akustische Überlastung ist, mit der gearbeitet wird, sondern eine der Musik eigene Wirkung, wäre zu fragen, worin genau diese besteht. Dafür kann auf musiktheoretische und- psychologische Erkenntnisse zurückgegriffen werden, vor deren Hintergrund die Folter mit Musik als geradezu paradigmatisch für „psychologische“ Foltermethoden erscheint.  

10:15   - Pause -

10:30                    
Physische Gewalt und Folter im Zweiten Weltkrieg
- Dr. des. Carlo Gentile, Martin-Buber Institut für Judaistik, Universität Köln I -
Im Kontext der historischen Auseinandersetzung mit der von dernationalsozialistischen Diktatur im Zweiten Weltkrieg entfesseltenVernichtungspolitik spielt die Erforschung von körperlicher Gewalt und Folter kaum eine Rolle. Dieser geringe Stellenwert ist in Anbetracht der millionenfachen Vernichtung von Menschenleben durch das „Dritte Reich“ allzu verständlich. Psychische und physische Gewalt sowie Folter erscheinen uns im Vergleich zu den monströsen Massenverbrechen dieses Zeitalters  als „kleinere Übel“, zumal die Anwendung derartiger Mittel zur Terrorisierung und Bestrafung des Gegners nichts spezifisch nationalsozialistisches zu haben scheint. In meinem Vortrag möchte ich einige Aspekte dieses Themenkomplexes aus der Nähe betrachten. Wie sah die Anwendung von Gewalt und Folter konkret aus? Wer bediente sich dieses Mittels und zu welchem Zweck?

Welche Folgen hatte diese Praxis  für Täter und Opfer? Das Trauma der Straflosigkeit
- Knut Rauchfuss, Arzt, Vorstand der medizinischen Flüchtlingshilfe, Bochum e.V.-  Fallstudien zeigen, dass die weltweit verbreitete Straflosigkeit schwerer Menschenrechtsverletzungen ein schwerwiegendes Hindernis für die Stabilisierung von Überlebenden darstellt. Amnestiegesetze, die den Tätern Schutz bieten, unvollständige Wahrheitsfindung, fehlenden integrale Entschädigung und der Mangel an notwendiger gesellschaftlicher Anerkennung bedeuten eine Verlängerung des traumatischen Prozesses. Ein Ende der Straflosigkeit leistet daher einen nachhaltigen Beitrag für das seelische Wohlbefinden der Überlebenden.  

12:00   - Mittagessen -

13:30       
Trauma, Erinnerung und Historisierung
- Dr. Dipl. Psychologe Werner Bohleber, Psychoanalytiker, Frankfurt a.M., Herausgeber von „Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen“ -
In der  sozialwissenschaftlichen Forschung  beobachten wir einen Trend,  bei den Zeugnissen von Zeitzeugen die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Erzählten nicht mehr zu stellen, sondern sich nur noch auf ihre Funktion für die gegenwärtige Sinnbildung auszurichten. Traumatische Erinnerungen unterliegen aber beim Wiedererinnern nicht einer Transformation durch die Gegenwart. Sie bilden eine Art von abgekapseltem Fremdkörper im psychisch-assoziativen Netzwerk. Einige der psychischen Vorgänge in diesem Bereich werden beschrieben und die Bedeutung einer Rekonstruktion der traumatischen Realität als ein Prozess der Historisierung wird diskutiert. Im Anschluss wird die Bedeutung  eines gesellschaftlichen Diskurses über die historische Wahrheit von sog. man-made-disasters erörtert, die mit ihren Formen der Entmenschlichung auf eine Zerstörung der Persönlichkeit und der geschichtlich-sozialen Existenz des Menschen abzielen. Hier setzt oft ein Nicht-Wissen-Wollen ein, um sich nicht mit den Verbrechen, dem Grauen und dem Leid der Opfer konfrontieren zu müssen.     

Deadly Intimacy: The Politics and Psychic Life of Torture
- Prof. Dr. Gabriele Schwab, Chancellor’s Professor for English and Comparative Literature, University of California Irvine -
“Deadly Intimacy" analyzes torture as both an illegitimate and politically dysfunctional response to political conflict. Torture induces psychic death. The violation of humane ethics in torture reaches the very heart of human vulnerability.  Its effects are enhanced by the fact that it happens within a custodial relationship.  Extreme terror and pain generate a malignant intimacy between the torturer and his victim. Used to describe the dialectics of oppression, Ashis Nandy’s metaphor of “intimate enemies” precisely captures the psychic relationship between a torturer and his victim.  My textual material in these reflections on torture ranges from Ngugi Wa Thiong’o’s and Leonard Peltier’s prison writings to Ruth Kluger’s holocaust memoir, Still Alive, and Ariel Dorfman’s Death and the Maiden, a play about the military dictatorship in Chile.  In addition, I include reflections on Liliana Cavani’s controversial film, The Night porter. My general argument is that, in the long term, torture destroys not only the victim but also the perpetrator, if only because in order to kill his victim’s self, the torturer must also kill his own soul. Once torture is sanctioned, it cannot be confined.  It kills the self, family, community, and country.  In essence it attacks not only the victim’s, but also the perpetrator’s hold on life.  At the same time, however, many have survived torture and become reintegrated in their social, professional and family lives.  Writing torture is one of the ways in which some have reclaimed their life.  These writings defy the torturer’s very attack on language, memory, psyche and the communal world.  

15:00   - Pause -

15:15      
„Die absolute Macht besteht in der Unvorhersehbarkeit.“ Folter, Prekarität, Zukunft
- Dr. Stephan Trinkaus, Institut für Kultur und Medien, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf -
Mit obigem Zitat behauptet Pierre Bourdieu eine Kontinuität zwischen dem Konzentrationslager, das, wie er schreibt, „schlechthin alles möglich macht“ und sozialen Prozessen der Gegenwart, die er selbst als Prekarisierung bezeichnet hat. Die mit der Folter verbundene ‚Erfahrung‘ einer grundsätzlichen Diskontinuität bedeutet demnach keinen Bruch mit der sozialen Praxis, sie steht vielmehr in dieser Kontinuität der Gewalt: In der Folter geht es – so meine These – um das Ausschließen der Offenheit, der Nichtantizipierbarkeit der Zukunft durch die Unvorhersehbarkeit der Gewalt. Sowohl mit der von Judith Butler vorgeschlagenen und unübersetzbaren Unterscheidung zwischen precarity und precariousness als auch mit der, die Walter Benjamin zwischen mythischer und göttlicher Gewalt einführt, lässt sich dieses scheinbar paradoxe Verhältnis vielleicht auf etwas öffnen, das als gewaltlose Praxis prekärer Gemeinschaftlichkeit bezeichnet werden könnte. 

Lässt sich Folter denken? Ansätze der Dekonstruktion,  literarische Zeugnisse
- Prof. Dr. Elisabeth Weber, Department of Germanic, Slavic, Semitic Studies, University of California Santa Barbara -
Die weit verbreitete Meinung und auch im gegenwärtigen Kontext massiver amerikanischer Folter immer wieder gemachte Behauptung, dass Demokratie und Folter sich ausschließen, ist bestenfalls naiv. Die notwendige Frage, die sich mit Jacques Derridas Denken weiterentwickeln lässt, lautet: Was ist es, das im innersten Wesen der Demokratie erlaubt, wenn nicht verlangt oder sogar begehrt, zu foltern? Folter kann mit Derrida nur „gedacht“ werden unter der Bedingung, dass das Denken „sich in einem bestimmten notwendigen Verhältnis zu den strukturellen Grenzen der Beherrschung hält“. Literarische Darstellungen von Nachwirkungen von Folter wie etwa Ariel Dorfmans Death and the Maiden  und Gillian Slovos  Red Dust  legen auch darüber Zeugnis ab.  

16.45  - Abschlussdiskussion -