WIEDERKEHR DER FOLTER?


                                                        Folter und Zukunft

Internationale Konferenz am 25. und 26. Juni 2009 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Intentionale Akte der Gewalt zerstören gezielt ein dynamisches Gleichgewicht von Kräften des Lebens oder irritieren es zumindest. Kräfte des Lebens sind körperlich, psychisch, sozial, kulturell und politisch bestimmt, sie entwickeln sich in einem vielfältigen interpersonellen Austausch von Gefühlen, mentalen Repräsentationen und institutionalisierten kulturellen Formen. Unter den intentionalen Akten der Gewalt nimmt Folter eine extreme Stellung ein: Sie ist eine intendierte Traumatisierung, die sich, auch wenn sie zunächst nur einen einzelnen Menschen zu treffen scheint, auf eine soziale Gruppe, ja auf die soziale Gemeinschaft als ganze richtet. 

Folter bedroht die sozialen Grundlagen unserer Gesellschaften, weil die intendierte Zerstörung der Integrität eines Menschen die Basis eines notwendigen sozialen Vertrauens angreift, sie wirkt unmittelbar zerstörerisch auch auf die sozialen Gruppen, die mit den Opfern von Folter in Beziehungen stehen. In ihrer traumatischen Wirkung, in ihrer Zerstörung oder nachhaltigen tiefen Beeinträchtigung der psychischen und sozialen Grundlagen des Lebens kann die Erfahrung der Folter nicht in das Leben der Opfer integriert werden. Folter ist von daher nicht nur in ihrer theatralen Inszenierung  eine direkte Einschreibung von Geschichte in den Körper des Opfers. Sie reißt Wunden in die Welt der Opfer und ihrer Gemeinschaften, sie ist eine Erfahrung, die in ihrem wesentlichen Kern nicht in eine mentale Repräsentation übersetzt und kontextualisiert, nicht in eine soziale Vorstellung von Welt integriert werden kann und gerade deshalb die Beteiligten in die Geschichte bindet. Wie ein Wiederholungszwang versperrt sie die Zukunft.

Die Zerstörung von mentaler Repräsentation, der Möglichkeit der interpersonellen Erfahrung von Welt, die Dekulturalisierung muss heute als Ziel von Folter begriffen werden. Sie ist gerade nicht, wie man vielleicht in Übertragung früherer Rechtfertigungszusammenhänge denken möchte, Produktion von Wahrheit oder Wissen, sie ist ihre Zerstörung. Sie führt die Möglichkeit des Ausschlusses von sozialer Bindung performativ vor. Das ist vielleicht Teil ihrer phantsmagorischen Macht. Das Schweigen über Folter, die Verleugnung des Wissens über ihre Existenz gehört zur komplexen kommunikativen Strategie dieser Gewalt selbst.  Es kann eine Technik der Produktion einer, wenn auch prekären Gemeinschaft sein.

Ein Weg aus der Folter - ein Weg aus der Folter für das Opfer, für den Täter, für die sozialen Gruppen, die beteiligt sind, für die Gemeinschaft aller Menschen - kann nur über das öffentliche Sprechen über Folter, über den Versuch der Repräsentation dieser extremen Erfahrung gehen. Dies kann ein Akt der Rekonstruktion des Sozialen, der Wiedergewinnung der kulturellen und sozialen Möglichkeiten der Gesellschaft, dies kann ein Akt der Hilfe für den einzelnen sein. Und weil die Zerstörung von Repräsentation zum Ziel der Folter gehört, ist dies immer auch ein politischer Akt. Das erhöht aber auch den sozialen und politischen Druck auf jene, die über Folter sprechen: Opfer, Ärzte, Therapeuten, Menschenrechtsorganisationen, Juristen, Journalisten, Filmemacher, Künstler, Philosophen, Wissenschaftler stehen vor dem Problem, über etwas sprechen zu wollen, das Repräsentation zerstört und nur als Gerücht, als Ungefähres, als Nacht und Nebel erscheinen will, und darüber zu einer Gesellschaft sprechen zu wollen, die davon in der Regel nichts hören will.

Unsere Tagung, die eine erste in einer Reihe von Tagungen zum Thema der Folter und ihrer kulturellen, medialen, medizinischen und rechtlichen Dimensionen sein wird, möchte diese Zusammenhänge weiter klären. Sie sind gerade jetzt, wo wir hoffen können, dass mit den Regierungswechsel die USA sich mit ihrem Weg in die Wiedereinführung der Folter auseinandersetzen und von ihm abkehren werden, von besonderer Bedeutung. Das Sprechen und das Schweigen über Folter aber betrifft uns alle. Und es prägt auch in Ländern, die sich heute vielleicht vom Vorwurf der Folter frei fühlen können, den Alltag vieler Menschen. Die extremen Traumatisierungen durch den Nationalsozialismus sind auch in den Beziehungen, die die Nachgeborenen zu sich und zum Nächsten haben, noch wirksam. Auch das Leid an den Misshandlungen in den Staatsgefängnissen der DDR ist Gegenwart, ebenso wie in Frankreich die Auseinandersetzung mit den Folterungen im Algerienkrieg. Und nicht zuletzt: Nach Schätzung des Bundesinnenministeriums leben in Deutschland etwa eine Million Flüchtlinge, etwa 37% von Ihnen, so haben Untersuchungen ergeben, also etwa 370 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger haben Foltererfahrung.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer u.a.:
David Becker (Berlin), Werner Bohleber (Frankfurt am Main), Denis Goldberg (Kapstadt), Susanne Krasmann (Hamburg), Gabriele Schwab (Irvine), Françoise Sironi (Paris), Elisabeth Weber (Santa Barbara)

Für weitere Informationen und Vorschläge zu weiteren Beiträgen wenden Sie sich bitte an:

Prof. Dr. Reinhold Görling
Institut für Medien- und Kulturwissenschaft
Heinrich-Heine-Universität
Universitätsstrasse 1
D 40225 Düsseldorf
Tel.: +49(0)211-81-15733
Fax: +49(0)211-81-15732
Email: reinhold.goerlinguni-duesseldorfde

Das Programm der Tagung und eine Dokumentation der Tagung in Bildern finden Sie hier

 

Das Buch zur Tagung

Reinhold Görling (Hrsg.)
»Die Verletzbarkeit des Menschen. Folter und die Politik der Affekte«
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