WIEDERKEHR DER FOLTER?

Geschichte der Folter

Bearbeitet von Nicola Willenberg 

Der rechtsgeschichtliche Teil des Projektes befasst sich mit der bisher „nicht erzählten“ Geschichte der Folter. Die klassische Rechtsgeschichte datiert das vermeintliche Ende der Folter stets auf das 18. Jahrhundert, obwohl darüber hinaus nicht nur im Nationalsozialismus und Stalinismus gefoltert wurde. Immer wieder und eben nicht erst in Abu Ghraib folterten auch Rechtsstaaten. Verwiesen sei hier nur auf die Briten in Nordirland, die Amerikaner in Vietnam und die Franzosen in Algerien. Die Analyse setzt daher nach dem vermeintlichen Ende der Folter ein, das heißt der Abschaffung der Folter als legitimes Mittel zur „Wahrheitsfindung“ im Strafverfahren. 

Zum anderen handelt es sich beim Untersuchungsgegenstand auch insofern um die „unerzählte Geschichte der Folter“, als dass die Folter nach ihrem offiziellen Ende zunehmend geächtet aber auch tabuisiert wurde. Ächtung wie Tabuisierung der Folter wurden zu zentralen Merkmalen des Selbstverständnisses der sich als Rechtsstaaten bezeichnenden Staaten, der Inszenierung der modernen westlichen Rechtssysteme als human und rational und schließlich der Distanzierung von den überkommenen, im 19. Jahrhundert reformierten Rechtssystemen. Hauptaufgaben und Ziele des rechtshistorischen Teilprojektes sind daher die Definition eines Begriffs der Folter sowie die Analyse der Begründungszusammenhänge der Ächtung und Tabuisierung der Folter.

Der erste Schritt, die Definition eines Begriffs der Folter, erweist sich als nahezu untrennbar mit den weiteren verbunden, ist die Folter nach ihrer offiziellen Abschaffung doch eben gerade durch das Bemühen gekennzeichnet, sie nicht als solche sichtbar werden zu lassen und vor allem nicht als solche zu bezeichnen. Besonders deutlich wird dies in der aktuellen Debatte an der von dem Osnabrücker Philosophen Rainer Trapp 2006 erfundenen „selbstverschuldeten finalen Rettungsbefragung“, die er explizit – obwohl gewaltsame Befragung eines mutmaßlichen Delinquenten – nicht mehr mit der negativ besetzten Folter in Verbindung gebracht sehen will (Trapp 2006). Benjamin Lahusen, Rechtswissenschaftler am MPI Frankfurt hat ihn vor diesem Hintergrund schon für die Walter-Ulbricht-Medaille für Sprachverlogenheit vorgeschlagen (Lahusen 2009).

Während den Befürwortern der Folter die Neologismen zur Verschleierung ihrer dienen, kritisiert der amerikanische Rechtshistoriker Edward Peters eine allzu weite Definition des Begriffs der Folter. „Die der dramatischen Wirkung dienende Ausweitung vertrauter Begriffe von einem Bedeutungsbereich auf einen anderen“  sei „ein Mittel der Rhetorik, nicht aber der Analyse historischer oder gesellschaftlicher Gegebenheiten.” Er beschränkt den Begriff der Folter daher darauf,  „[…] daß gerichtlich angeordnete Folter die einzige Art von Folter ist, ob sie nun von einem öffentlichen Vertreter der richterlichen Gewalt oder durch andere Werkzeuge des Staates ausgeführt wird.” (Peters 1991: 29)

Alle illegalen Formen der durch Vertreter staatlicher Gewalt im Rahmen eines Verhörs oder einer Inhaftierung verübten Gewalt können von diesem Begriff nicht erfasst werden, da es sich um eine gerichtlich angeordnete Tat handeln müsste. In einer der letzten Veröffentlichungen zur Folter von Amnesty International definiert Urs Fiechtner Folter hingegen sehr weit als „jede Art von systematisch geplanter und durchgeführter Gewalt […] die einem Menschen zu einem bestimmten Zweck angetan wird und zu großen physischen Schmerzen oder psychischem Leiden führt.” (Fiechtner 2008: 45)

Wird in dieser Definition sicherlich die Grenze zwischen einer von einer einzelnen Privatperson verübten Tat zu einer möglicherweise systematischen, von Staatsvertretern verübten oder beauftragten Gewalttat zu sehr verwischt, verweist er doch deutlicher darauf, dass Folter den verschiedensten Zwecken dienen kann. Zu nennen ist dabei Folter als Strafe, Folter als Mittel zur Ermittlung der „Wahrheit“, Folter als Mittel zur Ermittlung von Informationen, Folter als Mittel zur Demonstration und Durchsetzung von Autorität und Folter als Mittel zur Zerstörung eines Gegners. Eindeutig abzugrenzen ist nur die Folter als Mittel zur Ermittlung der „Wahrheit“, die Teil des Inquisitionsprozesses war. Folter besaß dabei die Funktion mittels einer erzwungenen Aussage einen Verdacht zu bestätigen. Gleichzeitig wurde der Folter der Sinn zugeschrieben, den Delinquenten von seiner Schuld zu reinigen.

Diese Form der Folter wurde 1754 in Preußen und folgend in allen deutschen Landen  abgeschafft (Schmoeckel 2000). Gleichzeitig wurden allerdings die Ungehorsams- und Lügenstrafen, die als eine Fortsetzung der Folter in einer anderen Form verstanden werden können, eingeführt und Folter etablierte sich als Mittel „policeylicher“ Ermittlung (Härter 2005: 693ff.).

Körperliche Gewalt blieb damit ein selbstverständlicher Bestandteil des Straf- und Ermittlungsverfahrens, wenn sie nunmehr auch weniger einer direkten Erpressung eines Geständnisses als vielmehr der Demonstration und Durchsetzung von Autorität diente – ein Bestandteil, der bis heute als wesentlich für die Anwendung von Folter gelten dürfte. Hintergrund der Beibehaltung bzw. Einführung dieser neuen Form der Folter war, dass das Geständnis nach wie vor zentral für den Inquisitionsprozess blieb und seine tragende Rolle erst mit den Reformen des Strafverfahrens Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschafft wurde.

Die im Mittelalter und der Frühen Neuzeit klare Grenze – auch wenn in retrospektiven Darstellungen zur Folter, Körper- und Todesstrafen häufig fälschlicherweise in eins gesetzt werden – zwischen der vor der Verurteilung stehenden Folter und der erst nach dem Urteil zu vollstreckenden Strafe verschwamm dabei. Die hinter den Mauern der Gefängnisse verübte körperliche Gewalt verlor ihr Ziel der Erpressung eines Geständnisses und wurde immer deutlicher Mittel zur totalen Unterwerfung des Delinquenten. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Folter Mitte des 18. Jahrhunderts nicht verschwand, sondern ihre Form und Funktion mit der Reform des Strafverfahrens zunehmend in Richtung der Brechung des Individuums verschoben wurde. Die Verantwortlichkeit dafür lag allerdings nicht länger bei den Gerichten, sondern bei den Direktoren der Strafanstalten. 

Der Wandel, der sich beginnend mit der Abschaffung der Folter als Teil des Inquisitionsprozesses vollzog, war damit in erster Linie dadurch bestimmt, dass die Bezeichnung Folter zunehmend tabuisiert wurde, so wie die körperliche Gewalt, ähnlich der später erfolgten Verlegung der Hinrichtungen (Martschukat 2000), für die Öffentlichkeit unsichtbar, hinter den Mauern der Gefängnisse vollzogen wurde. Ob Handlungen als „unzivile Gewaltakte“ oder als „Erziehungsleistungen“ bewertet werden, ist stets von den Diskursen abhängig, die diese legitimieren oder delegitimieren (Bauerkämper/Gosewinkel/Reichardt 2006: 28).

Deutlich wird dies vor allem an der Isolationshaft, die ausgehend von Großbritannien ihren Siegeszug als Therapietechnik für die Delinquenten wie als besonderes Strafmittel antrat. Die möglichen Folgen für die psychische Gesundheit der Häftlinge waren durchaus bekannt. Dennoch setzte sich das System besonders im angelsächsisch geprägten Teil der Welt durch. Besucher der Reformgefängnisse lobten die absolute Stille, die dort herrschte und die Häftlinge mussten selbst beim Hofgang Masken tragen, damit ihre Isolation aufrechterhalten wurde (Nutz 2001: 170ff.).

Die Folterszenen aus den amerikanischen Gefangenenlagern, aus Abu Ghraib und Guantanamo sind damit keineswegs neu. Neu ist vielmehr, dass Folter nicht länger tabuisiert wird und die Bilder der Folterszenen massenhaft in Umlauf gebracht werden. Urs Fiechtner bemerkte in diesem Zusammenhang:  „Bei der Empörung um die Fotos von Abu Ghraib ging es […] wohl häufig nicht wirklich um die Existenz der Folter, sondern darum, wie sie ans Tageslicht kam, und damit um ein Medienereignis, das zu einem erheblichen Anteil auf bloßer Heuchelei beruhte. Es schien fast so, als sei nicht die Anwendung der Folter das Problem, sondern ihre öffentliche Zurschaustellung. Und als sei nicht die Folter selbst widerwärtig, sondern nur einige ihrer Methoden, und diese auch nur dann, wenn sie zufällig sichtbar werden.“ (Fiechtner 2008: 85) 

Ein zentraler Transferbereich des Gesamtprojektes ist daher die vergleichende Analyse der parallel oder divergierend verlaufenden Entwicklungen im medizinischen und juristischen Diskurs und in der medialen Darstellung der Folter sowie deren wechselseitiger Beeinflussung. Zentral sind dabei einerseits die Diskurse, die Folter legitimieren oder delegitimieren. Anderseits gilt es hier aber auch das der Folterszene eigentümliche Spannungsverhältnis näher zu analysieren, bei dem der durch die Folter zugefügte Schmerz für das Opfer jeglichen Sinn auslöscht und es gleichzeitig darüber ermöglicht wird Herrschaftsbeziehungen und Moralvorstellungen in den Gefolterten einzuschreiben (Töngi 2004: 291f.).

 

Literatur


Bauernkämper, Arndt; Gosewinkel, Dieter; Reichardt, Sven: Paradox oder Perversion? Zum historischen Verhältnis von Zivilgesellschaft und Gewalt, in: Mittelweg 36 15,1 (2006), S. 22-36.

 

Fiechtner, Urs M.: Folter. Angriff auf die Menschenwürde, Bad Honnef 2008.

 

Härter, Karl: Policey und Strafjustiz in Kurmainz. Gesetzgebung, Normdurchsetzung und Sozialkontrolle im frühneuzeitlichen Territorialstaat, Frankfurt a. M. 2005.

 

Lahusen, Benjamin: How to do things with words, in: Myops 5 (2009), S. 59-61.

 

Martschukat, Jürgen: Inszeniertes Töten. Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 18. Jahrhundert, Köln; Weimar; Wien 2000.

 

Nutz, Thomas: Strafanstalt als Besserungsmaschine. Reformdiskurs und Gefängniswissenschaft 1775-1848, München 2001.

 

Peters, Edward: Folter. Geschichte der peinlichen Befragung, Hamburg 1991.

 

Schmoeckel, Mathias: Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln; Weimar; Wien 2000.

 

Töngi, Claudia: Um Leib und Leben. Gewalt, Konflikt, Geschlecht im Uri des 19. Jahrhunderts, Zürich 2004.

 

Trapp, Rainer: Folter oder selbstverschuldete Rettungsbefragung?, Paderborn 2006.