WIEDERKEHR DER FOLTER?

Medienwissenschaftliches Teilprojekt

Folter und Film

Prof. Dr. phil. Reinhold Görling und Julia Bee, M.A., Institut für Medien- und Kulturwissenschaft 

Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Darstellung von Folterszenen in audiovisuellen Medien stark zugenommen. In immer mehr Filmgattungen tauchen Szenen der Folter auf, ja ganze Filmerzählungen werden um eine Folterszene herum konstruiert. Seit dem Bekanntwerden der Bilder aus Abu Ghraib ist es dabei auch deutlich, dass sich die filmischen Darstellungen immer schon auf Bilder der Folter beziehen, die als Phantasmen das kulturelle Gedächtnis bevölkern und nun im Zeitalter der digitalen Verfahren der Herstellung und Verbreitung von Bildern in eine neue Dynamik der Zirkulation geraten. So wie Folterszenen nicht mehr auf einzelne Gattungen des Films beschränkt sind, lässt sich ihr Erscheinen in der visuellen Kultur auch nicht mehr auf einzelne Kontexte beschränken. Das schliesst vielleicht sogar ihre Stellung im Raum zwischen Phantasmen und Handlungsrealität selbst ein, etwa wenn gemäß der Filmbilder Opfer vor laufenden Handykameras gedemütigt werden.

Folterszenen sind zu einem Topos von Grenzüberschreitung geworden. In einem mehr oder weniger offenen Spiel von Distanzierung und Immersion werden in solchen Szenen die Zuschauer oft an eine Schmerzgrenze körperlicher Kinoerfahrungen herangeführt, nicht selten werden die Bilder dabei zugleich als visuelle Reflexionen über die Grenzen der Darstellungsmöglichkeit des Kinos selbst präsentiert. In diesem Sinne scheinen filmische Szenen der Folter in einem sehr komplexen Sinne Erfahrungen der Grenzverletzung zu thematisieren, insbesondere die Erfahrung der Verletzbarkeit und Ausgesetztheit. Dass ein Mensch den anderen demütigen, verletzen, körperlich und seelisch anhaltend traumatisieren kann: das erfahren die Opfer, das wird ihnen sowohl zugefügt wie vorgeführt. Folter ist ein „perverses Theater“ (Elaine Scarry, Arthur McCoy). Es bedient sich theatraler Techniken, ihre Darstellung im Film (aber auch im Theater oder in der Literatur) ist aber auch ein Extrem der Reflexion über die Macht der Performanz.

Folterszenen führen vor, wie sich ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen einem anderen sehr vollständig bemächtigt. Dazu gehört auch, dass der Täter das, was ihn verletzen könnte, seine eigene Ansprechbarkeit durch den anderen, zu verleugnen versteht. Insoweit ist Folter auch eine Form der Selbstbemächtigung, die mittels der Gewalt gegenüber dem anderen sich herstellt. In vielen Narrationen aber erscheint auch das Überleben auch als eine Selbstbemächtigung des Opfers. Das sind Fiktionen und Mythen, die dann, wenn sie in reale soziale Beziehungen übertragen werden, höchst problematisch sind. 

Das Forschungsprojekt untersucht die Breite der Folterdarstellungen in audiovisuellen Medien, kontextualisiert sie in den politischen und soziokulturellen Verhältnissen der Gegenwart und analysiert die ethischen und die ästhetischen Problemzusammenhänge.

 

Empirische Studie

Film- und Zuschauer_innenforschung: Inszenierungen von Folter und Verletzbarkeit

Silvia Bahl, Julia Bee, Anja Benksch, Stephanie Reuter Zakirova und Anna Lina van Geuns, Institut für Medien- und Kulturwissenschaft

Die Studie erforscht in kulturwissenschaftlicher Form die Rezeption von Folterdarstellungen im Film. Folterinszenierungen arbeiten mit der für die Folter zentralen Erfahrung extremer Macht und Ohnmacht, sowie der Intimität zwischen Täter und Opfer. Dabei spielt sexuelle und kulturelle Differenz sowie die Ambivalenz zwischen ethischem und affektivem Erleben eine zentrale Rolle. Die Studie will Erfahrungen und die Bearbeitungen von Verletzbarkeit von Filmzuschauer_innen in Bezug auf diese interpersonelle Form der Gewalt beschreiben.

Dabei werden Film und Zuschauer_in nicht als getrennt betrachtet und Subjekte daher nicht als Gegenstand der einseitigen Wirkung von Gewaltbildern aufgefasst. Ziel der Studie ist es vielmehr, Prozesse und Praktiken der Verknüpfung, des Affektiven und der Relationen zu verfolgen, die sich zwischen Filmzuschauer_innen und den Ästhetiken des Films ereignen. Diese werden als zugleich und untrennbar soziale, ästhetisch-affektive und subjektivierende Praktiken beschreibbar. Deshalb werden Verfahren der Cultural Studies und der qualitativen Sozialforschung, vor allem Gruppenwerkstätten und offene Interviews, mit visuellen und kreativen Methoden, sowie Medienethnographien, kombiniert. Visuelle Verfahren wie das Anfertigen von Collagen sind vor allem darauf ausgerichtet, nicht-verbale und unbewusste Bearbeitungsstrategien der Zuschauer_innen miteinzubeziehen. Es geht dabei nicht um die Repräsentation innerer Vorgänge, sondern um die Praxis und Performativität der Übersetzung visueller Eindrücke, zirkulierender Bilder und Narrative der Folter und der Bearbeitung der eigenen Verletzbarkeit, die sich in einem produktiven Umgang mit Bildmaterial ereignet. 

Die Studie verfolgt in zwei Teilen einerseits das Ziel der Erforschung von Praktiken von Horrorfilmkonsument_innen und andererseits die Wahrnehmung und Erfahrungen von Filmen, die Folter in politischen Zusammenhängen in Spielfilmen situieren.