HEINEAGE

Altern und Erzählen im Kulturvergleich

Team:
Univ.-Prof. Dr. Monika Gomille, Institut für Anglistik und Amerikanistik

Ergebnis:
Während einerseits die Auseinandersetzung mit den Prozessen und Erscheinungsbildern des Alter(n)s ein transkulturelles Phänomen ist, können sich andererseits die Formen seiner Repräsentation in unterschiedlichen Kulturen verschieden ausprägen. Betrachtet man Alterskulturen als Wissenskulturen und damit Alter(n) als kulturelles Narrativ, so versprechen kulturvergleichende Untersuchungen zum Alter(n) als Gegenstand des Erzählens besondere Erkenntnisse.

Unter diesem Gesichtspunkt untersuchte das Teilprojekt mit regionaler Schwerpunktbildung (afroamerikanische, asiatisch-amerikanische, indigen amerikanische bzw. kanadische Literaturen) anglophone Erzähltexte. Das in den Literaturen des ehemaligen britischen Empire gespeicherte Wissen ist durch komplexe Vorgänge der Interferenz und Interaktion westlicher und nichtwestlicher Traditionen geprägt. Die untersuchten Texte zeigten eine große Variationsbreite im Hinblick auf das Inventar der Altersbilder, auf die Formen und Verfahren ihrer Repräsentation sowie auf deren historische, institutionelle und religiöse Kontexte.

Es wurden jedoch nicht nur Differenzen, sondern auch Gemeinsamkeiten offenbar, denen ein literarisches Bild entspricht: die Repräsentation von kulturellem Wissen und damit von Gedächtnis durch weibliches Alter(n). Es ist verknüpft mit Modellen der Konnektivität und des intergenerationellen Transfers kulturellen Wissens. Diese Modelle sind vor dem Hintergrund der weltweiten Migrationsbewegungen zu sehen, die unsere Gegenwart bestimmen. Die Kulturwissenschaft hat zur Kennzeichnung der in diesem Zusammenhang entstehenden Kulturen den Begriff der Diaspora neu belebt. Sie betrachtet den Raum der Diaspora als einen lebendigen, dynamischen Raum, in dem sich Elemente des kulturellen Gedächtnisses der Herkunftskulturen der Migranten mit Elementen des kulturellen Gedächtnisses der aufnehmenden Kulturen mischen und gegenseitig befruchten. Das dadurch entstehende Neue lässt auch neue literarische Formen entstehen. Diese sind durch vielfältige intertextuelle Bezüge geprägt. Elemente des Gattungs- und Formenkanons der europäisch-amerikanischen Literaturen gehen teilweise konfliktreiche Verbindungen mit literarischen Traditionen, die zum kulturellen Erbe der Diaspora gehören, ein.

Die Dominanz der Bilder alter Erzählerinnen ließ sich weder mit den lebensweltlichen Substraten, die es in einigen Kulturen besitzt, noch mit der Tatsache, dass die Mehrzahl der untersuchten Texte von Frauen geschrieben wurde, hinreichend erklären. Einleuchtender erschien der folgende Deutungsversuch: Sowohl Alter als auch Geschlecht (insbesondere Weiblichkeit) stellen Kategorien dar, die in bestimmten Kontexten Elemente des Imaginären von Kulturen zu bündeln vermögen, das in literarischen Texten figurative Gestalt gewinnen kann. Literarische Texte entstehen weniger aus dem "Leben" selbst als aus anderen, ihnen vorausgehenden Texten, deren Um- und Weiterschreiben sie praktizieren. Insofern gehören Bilder alter Erzählerinnen zu den zentralen poetologischen Metaphern internationaler Literaturen, die vor dem Hintergrund einer weltweiten Diaspora die Notwendigkeit der Verschriftlichung kultureller Erinnerung als Grundlage von Identität verkörpern. Zugleich signalisieren diese Bilder eine Korrektur der (Literatur-)Geschichtsschreibung. Sie repräsentieren verschwiegenes oder an den Rand gedrängtes kulturelles Wissen und problematisieren weitere Bilder des weiblichen Alters. Das auf diese Weise entstehende Narrativ des (weiblichen) Alters wird damit widersprüchlich und vielstimmig.

Weitere Informationen zum Teilprojekt 

 

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