DIE KLASSISCHE INDISCHE PHILOSOPHIE

 

Vorlesungen an der HHU Düsseldorf

SS 1982, WS 1993/94, WS 1998/99

Lehrmaterial des Philosophischen Instituts der HHU

Forschungsabteilung für Wissenschaftstheorie

 

Lutz Geldsetzer

Abraham Hyacinthe Anquetil - Duperron

1731-1805

 

Copyright 1999 vorbehalten.

Einzelkopie für den Studiengebrauch erlaubt.

 

 

INHALTSVERZEICHNIS

 

Vorbemerkung

§ 1. Die Stellung des Themas im Studienplan "Philosophie"

§ 2. Das gegenwärtige Interesse an indischer Philosophie

§ 3. Geschichte der abendländischen Befassung mit indischer Philosophie

§ 4. Die Sprache und Schrift der indischen Philosophie

§ 5. Zur Literatur der indischen Philosophie

§ 6. Zeittafel zur indischen Philosophiegeschichte

§ 7. Grundbestimmungen der indischen Philosophie

1. Abhängigkeit von den Veden als ihren Quellen 
2. Buddhismus als Reform vedischer Philosophie 
3. Indische Philosophie als dogmatischer Interpretationszusammenhang
4. "Zeitlosigkeit" der indischen Philosophie 
5. Der Idealismus der indischen Philosophie

§ 8. Die vier großen Themen der klassischen indischen Philosophie

1. Karman universaler Kausalzusammenhang
2. Samsara ewiger Kreislauf 
3. Duhkha Leiden 
4. Moksa Erlösung als Loswerden von kausaler Bindung 

§ 9. Äquivalente des Philosophie-Begriffes in der indischen Philosophie

I. Die vedische philosophische Literatur

§ 10. Einteilung der vedischen Schriftengruppen

§ 11. Die Veden

Die vier Sammlungen (Samhita) der Veden: Rig-Veda, Sama-Veda, Yayur- Veda und Atharva-Veda
Ausgaben der Veden 
Die Götter-Lehre
Die Fragen nach Ursprung und Zusammengehörigkeit

§12. Die Brahmanas

Die Sammlungen im Anschluß an die Veden: Aitareya und Kaushitaki-Brahmana des Rig-Veda; acht Brahmanas des Sama-Veda; Taittiriya und Satapatha-Brahmana des Yayur-Veda; Gopatha-Brahmana des Atharva-Veda
Die Aranyakas - Brahmanas für Einsiedler
Die magische "Technik" des Memorierens
Die Lehre vom Ursprung: das Denken (manas)
Die Lehre vom Selbst (atman) und das Menschenbild

§ 13. Die Upanishaden

Ausgaben und Literatur
Die philosophischen Themen und Motive
Die All-Einheits-Lehre als Lehre vom Atman
Die Lehre vom Menschen
Ethische Motive
Erkenntnislehre
Traum und Tiefschlaf als Erfahrung ungegenständlichen Denkens
Der Tod und seine zwei Ausgänge: Wiedergeburt und Moksa
Die Karman-Lehre als Lehre von der Wiedergeburt
Die Moksa-Lehre als Lehre von der Nichtwiedergeburt

II. Die sechs klassischen Systeme (Darshanas) der indischen Philosophie

§ 14. Die sechs Darshanas

§ 15. Die Nyaya-Philosophie

Die Hauptvertreter: Gautama, Pakshilasvamin, Uddyotakara u.a.
Das Programm des Gautama, genannt Akshapada (Augenfüßler)
Menschenbild und Wirklichkeitsauffassung
Erkenntnisinhalte und Erkenntnisinstrumente
Die Lehre von den Sinnen
Die Sinneserkenntnis
Die Schlußfolgerung (anumana)
Die Vergleichung (upamana)
Erkenntnis durch Zeugnis (sabda)

§ 16. Die Vaishesika-Philosophie

Die Hauptvertreter: Kanada, Prashastapada, Samkara Mishra
Vaishesika als Kategorienlehre
Die "Substanzkategorie" (dravya)
Die "Qualitäten" (guna)
Bewegung und Veränderung, Tätigkeit (karman)
Selbigkeit bzw. Allgemeinheit (samanya)
Spezifität bzw. Unterschied (vishesa)
Inhärenz bzw. Relation (samavaya)
Nicht-Sein (abhava)
Ethische Gesichtspunkte

§ 17. Die Samkhya-Philosophie

Die Hauptvertreter: Kapila, Ishvarakrishna, Mathara, Gaudapada, Vacaspatimishra, Vijnanabhikshu
Die Lehre von der Prakriti, der "Kraftsubstanz"
Der Evolutionsgesichtspunkt
Die Lehre vom Purusha als Geistwesen
Verhältnis des Samkhya zur Gottesfrage

§ 18. Die Yoga-Philosophie

Vedische Motive der Ausbildung des Yoga
Die Hauptvertreter: Patanjali, Vyasa, Vacaspatimishra,Bhoja,Vijnanabhikshu
Praktischer Yoga (kriya-yoga) und meditativer Yoga (raja-yoga) 
Die Stufen des Kriya-Yoga: Mantrayoga, Hathayoga und Layayoga
Die Stufen des Rajayoga ("königlicher Yoga")

§ 19. Die Mimamsa-Philosophie

Die Hauptvertreter: Jaimini, Shabarashvamin, Prabhakara, Kumarila, Mandana Mishra, Khandadeva
Die Ontologie des vedischen Sinngehaltes 
Die Hermeneutik der Sinnfeststellung 
Der Heilsweg

§ 20. Die Vedanta-Philosophie

Die Grundlage als "Ende der Veden"
Die Bhagavad-Gita
Die Hauptvertreter: Badarayana, Gaudapada, Shankara
Die Lehre des Shankara
Vedantaschulrichtungen und Wirkungen bis in die Moderne

Bibliographie zur indischen Philosophie

1. Bibliographien

2. Nachschlagewerke

3. Zeitschriften

4. Einführungen

5. Geschichte der indischen Philosophie

6. Textausgaben und -auswahlen

7. Philosophische und philosophiegeschichtliche Probleme

Index der Sanskritwörter

 

Vorbemerkung

§ 1. Stellung des Themas im Studienplan "Philosophie".

Eine angemessene Kenntnisnahme und das Verständnis der indischen Philosophie setzen eine gewisse Vertrautheit mit der allgemeinen Entwicklung der abendländischen Philosophie voraus, wie sie im Grundstudium an der Universität Düsseldorf angeboten wird. Die indische Philosophie wird wie andere Philosophien eigener Kultur- und Sprachräume (vgl. "Japanische Philosophie" und "Chinesische Philosophie") in vergleichender Betrachtung vorgestellt. Dazu bedarf es für unsere Zwecke eben der Vergleichsmaßstäbe abendländischer Entsprechungen. Die indische Philosophie ist daher Gegenstand des Hauptstudiums, in welchem solche Maßstäbe aus dem Grundstudium eingebracht werden können.

In der akademischen Lehre wird die indische Philosophie in Deutschland - im Gegensatz etwa zu Frankreich und den angelsächsischen Ländern - kaum angeboten. Sie ist in Deutschland seit der Hochblüte der vergleichenden indogermanischen Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert in das Ressort dieser Wissenschaft abgewandert, wo sie weniger von Philosophen als vielmehr von Sprach- und Literaturwissenschaftlern gepflegt wird. In einer Gegenbewegung dazu haben sich die Fachphilosophen im Zeichen des humboldtschen Neuhumanismus immer mehr auf die genuine abendländische Philosophiegeschichte und ihre griechischen und lateinischen Wurzeln konzentriert. Daher finden sich in den philosophiegeschichtlichen Standardwerken keine oder höchst unzureichende Darstellungen der indischen Philosophie. Dies muß als großer Rückschritt gegenüber der ersten Blütezeit der Philosophiegeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts gelten, wo die indische Philosophie im Rahmen der "orientalischen Philosophie" schon einmal einen festen Platz bei der Darstellung der Philosophien aller Großkulturen eingenommen hat.

§ 2. Das gegenwärtige Interesse an der indischen Philosophie.

Die spürbare Verunsicherung in den eigenen abendländischen Traditionen stimuliert ein weites populäres Interesse an allem Fremd- und Andersartigen. Dem weltüberspannenden Tourismus entspricht ein geistiger und stimmungsmäßiger Tourismus mit Neugier und viel gutem Willen zur Kenntnisnahme und zum Einleben in exotische Verhältnisse. Ersichtlich kommt dem in Indien und bei seinen geistigen Repräsentanten eine recht missionarische Kulturpropaganda entgegen, die mit modernen Werbetechniken einstige und auch noch andauernde christliche Missionstätigkeit in umgekehrter Richtung beantwortet.

Die Unzufriedenheit mit dem herrschenden realistischen Weltbild, der Verwissen-schaftlichung aller Lebensverhältnisse und der Technisierung der Welt im Westen insgesamt motiviert zur Suche nach der Alternative zu alledem. Diese Alternative wird ersichtlich weniger in den eigenen in den Hintergrund gedrängten Traditionen des Idealismus, des "einfachen Lebens" und der "Nachfolge Christi" oder eines Franz von Assisi, und des handwerklichen und künstlerischen Umgangs mit den Dingen und der Natur gesucht, als vielmehr in meditativer Versenkung in höhere Regionen oder tiefere Schichten des Bewußtseins, in der Verweigerung gegenüber den Ansprüchen des Herkömmlichen oder in der schieren Untätigkeit, wozu indische Philosophie und brahmanische Weisheit frustrierte Abendländer einzuladen scheint.

Solche Sehnsucht wird aber gegenwärtig bei Lage der Dinge im akademischen Lehrbe-reich sich selbst überlassen. Um abzuschätzen, was man in dieser Beziehung von indischer Philosophie erwarten kann, müßte sie gelehrt und für die Lehre selbst wieder weiter und tiefer erforscht werden. Und solange das nicht oder nicht in wünschenswertem Maße geschieht, bleibt es bei blinder und hoffnungsfroher Ambition, sich à corps perdu in ein ungewisses Abenteuer mit dem exotisch-reizvoll Erscheinenden einzulassen.

§ 3. Geschichte der abendländischen Befassung mit der indischen Philosophie.

Die antike mittelmeerische Welt hat indische Philosophie durch ihre Vertreter, die sie "Gymnosophisten" ("nackte Philosophen") nannte, vermutlich recht genau gekannt. Unübersehbar verwandt ist das Denken eines Parmenides, Platons oder eines Sophisten wie Gorgias ("es gibt überhaupt Nichts!") mit gewissen Philosophemen indischen Denkens. Und vermutlich verdankt sich solche Verwandtschaft regem Verkehr hin und her, der besonders seit den Alexanderzügen bis nach Indien gut entwickelt gewesen sein muß. So finden sich bei vielen spätantiken Schriftstellern Erwähnungen der Gymnosophisten, teils fabelhafter Natur, und manche Patristiker schätzen sie als "vorchristliche Heilige".

Die islamischen Eroberungen scheinen dann eine undurchdringliche Barriere zwischen dem Abendland und Indien errichtet zu haben. Mittelalterliche Philosophie weist, soweit bisher bekannt ist, keinen Kontakt mit indischer Philosophie auf. Umso mehr steht sie in lebendigem Austausch mit der Philosophie im islamischen Kulturraum.

Die Renaissance nimmt wieder, wie von allem Alten als den Wurzeln der christlichen Kultur, auch vom indischen Denken "antiquarisch" Notiz, wie man bei Gemisthios Plethon und Giovanni Pico della Mirandola ersieht (vgl. dazu J. D. M. Derrett, Art. "Gymnosophisten" in: Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike, Band 2, München 1979, Sp. 892/3). Indische Philosophie interessiert und erscheint als eine "uralte Weisheit" im Spiegel antiker Berichte, die gesammelt und philologisch aufbereitet werden.

Für den Indienhandel und die Mission sind sie die ersten Quellen eines Indien-Bildes, das im 17. Jahrhundert durch Reise- und Missionsberichte angereichert wird. Eine der frühesten monographischen Veröffentlichungen ist Eduardus Bissaeus' (Hg.): "De Brachmanibus" (London 1665, 2. Aufl. 1668), in welcher er des Pseudo-Palladius' "De gentibus Indiae et Brachmanibus" und eine dem Kirchenvater Ambrosius von Mailand zugeschriebene Schrift "De moribus Brachmanum" und eine weitere anonyme Schrift "De Brachmanibus" wieder zugänglich macht und die antiken Berichte zusammenstellt. Im selben Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts erscheinen: Abraham Roger's "Offene Tür zu dem verborgenen Heydenthum, oder wahrhaftige Vorweisung des Lebens, der Sitten, sammt der Religion und dem Gottesdienst der Bramines auf der Küste Chormandel und denen herumliegenden Ländern" (aus dem Niederländischen übersetzt, Nürnberg 1663) und gegen Ende des Jahrhunderts Sebastian Gotthilf Stark's "Specimen sapientiae Indorum veterum" (graece et latine, Berlin 1697).

Schon die erste neuzeitliche Gesamtgeschichte der Philosophie, Georg Horn's "Historiae philosophicae libri septem, quibus de origine, successione, sectis et vita Philosophorum ab orbe condito ad nostram aetatem agitur" (Sieben Bücher der philosophischen Geschichte, in denen über den Ursprung, die Abfolge, die Sekten und das Leben der Philosophen von der Erschaffung der Welt bis zu unserem Zeitalter, Leiden 1655) enthält ein Kapitel über die "Brachmanen als Philosophen der Inder" (Buch II, Kap. 9, S. 104-111). Hier werden im Stile der Zeit und auf der Grundlage der antiken Quellen Überlegungen über den hebräischen etymologischen Ursprung des Wortes "Brahmanes" angestellt - galt doch vielen Philosophen die hebräische als Ursprache schlechthin. Es wird ein sagenhafter "Jarcha" als "brachmanus summus doctor", "Buddas" oder "gymnosophistarum magister" erwähnt, und es wird überlegt, ob "Calanus" der Eigenname eines Weisen oder eine Sektenbezeichnung sei. Die indischen Weisen werden als gottesfürchtige Asketen gezeichnet, aber auch Zweifel an den Berichten über ihre unerhörte Empfindungs-losigkeit gegen Schmerzen oder langes Stehen geäußert.

Daß die Erwähnung der indischen Philosophie nicht selbstverständlich war, zeigt sich daran, daß Thomas Stanley in seinem die englische Philosophiegeschichtsschreibung begründenden Werk "Historia Philosophiae, Vitas, Opiniones, Resque gestas et Dicta Philosophorum sectaeque cuiusvis complexa" (Geschichte der Philosophie, das Leben, die Meinungen, die Taten und Aussprüche der Philosophen und aller Sekten umfassend, lat. Ausgabe Leipzig 1711) zwar im Schlußteil über chaldäische, persische und "sabaeische" (das Königreich Saba auf der arabischen Halbinsel bis nach Ostafrika betreffende) Philosophie berichtet, aber kein Wort über die indische Philosophie verliert. Und dies, obwohl der schottische Arzt Thomas Burnet schon in seiner "Archaeologia philosophica" (Amsterdam 1694, Appendix) darüber gehandelt hatte.

In Frankreich nahm dann Pierre Bayle die antiken Berichte und die Überlieferung unter die kritische Lupe in seinem berühmten "Dictionnaire historique et critique" (5. Aufl. Amsterdam-Leiden 1740, Art. "Brachmanes" im 1. Band, S. 651-655) und stellte "quelques-unes des contradictions que l' on rencontre dans les livres touchant les Philosophes Indiens" heraus. Ihre merkwürdige Seelen- und Nirvanalehre erläutert er mit vielen Zitaten aus seiner zeitgenössischen "quietistischen" bzw. mystischen Literatur einer Madame Guyon, und die Lebensweise der Brahmanen vergleicht er mit derjenigen der Kartäusermönche. Richtig sieht er auch, daß die Brachmanen noch immer im Orient existieren ("Les Brahmanes subsistent encore dans l' Orient").

Auf Abraham Rogers Berichte verläßt sich dann ein Kompilator, der aus Artikeln der französischen Enzyklopädie eine "Histoire générale des dogmes et opinions philosophiques depuis les plus anciens temps jusqu' à nos jours" (3 Bände, London 1759) zusammenschrieb. Er meint, man finde bei den Indern "kaum weniger Ignoranz und Aberglauben" als sonst im ganzen Orient (Band I, S. 123), auch sei die Berichterstattung von einer "variété fort embarassante"; nicht zuletzt wisse man wenig, weil die Braminen Fremden gegenüber so reserviert seien. Als wesentlich wird nur ihr Götterglaube an Vischnu und Brahma erwähnt. Ausführlicher aber stellt der Autor die exoterische und esoterische Lehre "Buddas" oder "Xekias" vor, dieses "imposteurs ... si celebre parmi les Indiens, auquels il enseigna le culte qu' on doit rendre à la divinité, et que ces peuples regardent comme le plus grand philosophe qui ait jamais existé" (I, S. 123/4). Offensichtlich aber stützt er sich dabei auf Berichte Engelbert Kämpfer's über den japanischen Buddhismus (vgl. E. Kämpfer, Geschichte und Beschreibung von Japan, hg. v. Chr. W. Dohm, Lemgo 1777-1779, zuerst London 1727, französisch La Haye 1729). Er übernimmt auch dessen Vermutung, daß Buddha ein aus Afrika nach Indien eingewanderter, bei den alten Ägyptern ausgebildeter Weiser gewesen sei: "qu' il se donna pour un autre Hermès, pour un nouveau législateur, et qu'`il enseigna à ces peuples non seulement la doctrtine hiéroglyphique des Egyptiens, mais encore leur doctrine mystérieuse" (ibid. S. 130). Diese Vermutung über den ägyptischen Ursprung auch der indischen, zumindest der buddhistischen Philosophie wird dann mit mehreren Argumenten begründet, u. a. auch demjenigen, daß die Buddhabildnisse "un visage éthiopien et les cheveux crépus" zeigten. Im übrigen wird die Buddhalehre mit der jüdischen Kabbala und der En-Soph-Lehre (Lehre vom Infiniten) verglichen. Alles dies wäre nicht erwähnenswert, wenn es nicht noch im 19. Jahrhundert in philosophiegeschichtlichen Debatten über den ägyptischen oder indischen Ursprung der Philosophie schlechthin nachgewirkt hätte.

Richtiger waren die Urteile, die der eigentliche Begründer der deutschen Philosophiegeschichtsschreibung Jakob Brucker in seiner monumentalen 5-bändigen "Historia critica philosophiae" über die indische Philosophie abgab. Er widmete ihr im ersten Band (1. Aufl. Leipzig 1742, S. 190 - 212) ein ganzes Kapitel des zweiten Buches (textgleich in der 2. Aufl. von 1767) "De Philosophia Indorum". Sie wird hier - nach der "Philosophie vor der Sintflut (Philosophia antediluviana)" - und vor der griechischen in den Kontext der "barbarischen Philoosophie" eingestellt, nämlich der hebräischen, chaldäischen, persischen und die der alten Araber, Phönizier, Ägypter, Kelten, Etrusker und Skythen. Dabei wird sie wiederum nur antiquarisch betrachtet, d. h. als eine Erscheinung der Antike. Brucker kennt die genannten Quellen aus der Antike und meint, die besten Köpfe Griechenlands hätten es für notwendig gehalten, bei den Indern Weisheit und Tugend zu lernen - was in der antiken Literatur ja auch bezüglich der griechischen Vorliebe für die ägyptische Weisheit behauptet worden war - und deshalb "zu den Indern hinauszulaufen" ("De cuius - scl. Indiae - Philosophis magna apud veteres fama atque existimatio fuit, adeo, ut qui sapientiae, virtutis cultura et iustam indolem perductae, praecepta inter Graecos discendi cupidi erant, necessarium sibi ducerent, ad Indos excurrere, et sapientiam gentis tanto studio excultum atque custoditam discere; id quod magnos inter Graecos philosophos, Pythagoram, Democritum, Anaxarchum, Pyrrhonem, Apollonium fecisse, et ipsum Alexandrum M. India nuncupata non neglexisse, relationes varias feruntur "(I, S. 190).

Im Zentrum ihrer Lehren sieht er die Gotteslehre: Gott als unsichtbares Licht und als Logos ("Deum esse lumen, non quale quis aspicit, aut qualis sol vel ignis, sed esse Deum l o g o n , non articulatum sermonem, sed illum cognitionis, cuius ope occulta notitiae mysteria cernantur a sapientibus". I, S. 205), als "creator et administrator universi", neben dem es dann noch eine Menge niederer Gottheiten geben soll. Die menschliche Seele hielten sie für unsterblich und in Seelenwanderungen nur in Körpern eingeschlossen. Unverkennbar deutet er dies ganz im neuplatonischen Sinne. Die Naturphilosophie der Inder sieht er aristotelisch als Lehre von vier materiellen und einem himmlischen oder astralen Element in kosmisch-zentrierter Ordnung. Ihre Moralphilosophie schildert er als der stoisch-kynischen und christlichen verwandt. Dabei läßt er sich auch nicht entgehen, die Lebensweise der "Gymnosophisten" zu schildern und auf Grund der verschiedenen alten Berichte abzuschätzen, wie weit sie nun wirklich nackt gewesen seien.

Brucker kennt auch die Existenz ihres heiligen Buches "Vedam" und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß es bald übersetzt und veröffentlicht werden möge, damit man eine glaubwürdigere Philosophiegeschichte schreiben könne ("Vedam ... qui legis divini instar ab Indorum sacerdotibus servatur, et quam maxime occultatur, tandem publice edatur, ut meliori fide de Indorum religione atque placitis inde historia confici queat", I, S. 192).

Mit Bruckers autoritativem Werk ist für den Rest des 18. Jahrhunderts das Interesse der Philosophen für die indische Philosophie fixiert. Die britische Kolonialverwaltung des indischen Subkontinents läßt alsbald die Quellen der Information reichlicher sprudeln. Das meiste, was in englischer oder französischer Sprache erscheint, wird auch ins Deutsche übersetzt.

Johann Friedrich Kleuker übersetzt "Holwel's merkwürdige historische Nachrichten von Indostan und Bengalen mit Anmerkungen und einer Abhandlung über die Religion und Philosophie der Indier" (Leipzig 1778, die englische Vorlage 3 Bände, London 1764). Alexander Dow's "History of Hindostan" (aus dem Persischen des Muhammad Casim Ferishta, 2 Bände, London 1768) mit ihrer Einleitung "Customs, manners, language, religion and philosophy of the Indoos" erscheint in deutscher Übersetzung zu Leipzig 1772. Johann Gottfried Bremer übersetzt J. R. Sinner's 1771 zu Bern erschienenes Werk "Über die Seelenwanderung der Braminen von Indostan" aus dem Französischen (Leipzig 1772). Johann Ith übersetzt den "Ezour-Vedam" (Bern 1779), den im Jahr zuvor St. Croix herausgebracht hatte als "L' Ezour-Vedam, ou ancien commentaire du Vedam, contenant l' exposition des opinions religieuses et philosophiques des Indien, traduit du Sanscretam par un Brame", 2 Bände, Yverdon 1778. Von Paulinus a St. Bartholomaeo's "Systema Brahmanicum, liturgicum, mythologicum, civile, ex monumentis Indicis" (Rom 1791) erscheinen zugleich zwei deutsche Übersetzungen: von Kleuker "Das Brahmanische Religionssystem", Riga 1797, und eine andere Übersetzung zu Gotha 1797.

Noch vor dem Ende des 18. Jahrhunderts wird auch die Bagavad-Gita ("Des Erhabenen Gesang") aus dem indischen Nationalepos "Mahabharata" durch Charles Wilkins aus dem Sanskrit übersetzt: "The Bhaguat-Geetaa, or Dialogues of Kreeshna and Ardjoon", London 1785. Olsonville gibt die französische Version "Bagavadam, or doctrine divine, ouvrage indien canonique sur l' être suprême, les dieux, les gens, les hommes, les divers parties de l' univers", Paris 1788. Auch das Gesetzbuch des Manu, von William Jones als "Institutes of Hindu-Law, or the ordonances of Menu" (Kalkutta 1794, nochmals 1796) übersetzt und herausgegeben, wird von Johannes Chr. Hütter ins Deutsche übersetzt (Weimar 1797).

Es erscheinen de Guigne's "Recherches historiques sur la Religion Indienne et sur les livres fondamentaux de cette religion" und weitere seiner Studien in den Mémoirs der Académie des Inscriptions zu Paris, die wiederum Hißmann in seinem "Magazin" (Band 3) teilweise übersetzen läßt. Ebenso läßt der Abbé Mignot eine Serie von Studien in den Mémoirs (Band 31) erscheinen, deren Titel charakteristisch für die Fragestellungen sind. Diese "Mémoirs sur les ancien Philosophes de l' Inde" sind überschrieben: I. Sur la vie, les moeurs, les usages et les pratiques de ces philosophes. II. Ces philosophes sont-ils redevables à l' Egypte de leur doctrine et de leurs pratiques? III. Examen des communications prétendues entre l' Inde et l' Egypte. Preuves de la communication des Indiens avec les Perses, les Grecs, les Romains, les Juifs, les Chrétiens, et avec quelques Hérésiarques. IV. et IV. Exposé de la doctrine des anciens philosophes de l' Inde, et comparaison de cette doctrine avec celle des philosophes des autres pays.

Seit 1788 erscheinen dann auch die "Asiatic Researches, or Transactions of the Society, instituted in Bengal for Inquiring into the History ... of Asia (4 Bände, Kalkutta 1788-1797, zugleich London 1788-97). Sie wurden von Johann Chr. Fick ins Deutsche übersetzt und von Kleuker erläutert und erschienen als "Abhandlungen über die Geschichte und Altertümer, Künste, Wissenschaften und Litteratur Asiens" in Riga (3 Bände, Riga 1795-1796).

Diese und weitere einschlägige Literatur findet man dann auch verzeichnet - als zugehörig zur Geschichte der Philosophie - in Johann Andreas Ortloff's "Handbuch der Literatur der Geschichte der Philosophie" (Erlangen 1798, ND hg. v. L. Geldsetzer in: Instrumenta Philosophica Series Indices Librorum III, Düsseldorf 1967, S. 56-65). Und sie ist auch, wiederum vermehrt, bei Johann Heinrich Martin Ernesti im "Enzyklopädischen Handbuch einer allgemeinen Geschichte der Philosophie und ihrer Literatur (nur 1. Band erschienen Lemgo 1802, ND. hg. von L. Geldsetzer in: Instrumenta Philosophica Series Indices Librorum VI, Düsseldorf 1972, S. 146-157) zu finden. Das zeugt davon, daß die Bibliographen auf das Interesse des Publikums an indischer Philosophie zählten.

Im neuen Jahrhundert lenkt Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron durch seine lateinische Übersetzung und Ausgabe von fünfzig Upanishads (philosophische Kommentarliteratur zu den Veden) die Aufmerksamkeit auf diese Kernstücke indischer Philosophie. Diese Übersetzung erschien unter dem Titel "Oupnek 'hat (id est, secretum tegendum): Opus ipsa in India rarissimum, continens antiquam et arcanam, seu theologicam et philosophicam, doctrinam, e quattuor sacris Indorum libris: Rak Beid, Djedjir Beid, Sam Beid, Athrban Beid, excerptam. Ad verbum e Persico idiomate, Sanscreticis vocabulis intermixto, in Latinum convertum; dissertationibus et annotationibus difficiliora explanantibus illustratum", 2 Bände, Straßburg 1801-1802. Es hat Schopenhauer begeistert und zu seiner These geführt, daß die indische Philosophie schon längst dasjenige Wissen enthielte, auf das die ganze abendländische Philosophie und erst recht seine eigene Willensmetaphysik abzielte (vgl. dazu M. Hecker, Schopenhauer und die indische Philosophie, 1897). Aber es dauerte noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bis weitere Upanishaden in Übersetzungen zugänglich wurden (von Otto von Böhtlingk, Leipzig 1889; von Paul Deussen, Sechzig Upanishads des Veda, Leipzig 1897; von Max Müller in Band 1 und 15 der "Sacred Books of the East, 1879 ff.). Einstweilen brachten nur noch Chr. Lassen mit "Gymnosophista sive Indicae philosophiae documenta" (Bonn 1832) Dokumente zur Samkhya-Philosophie, und Othmar Frank "Die Philosophie der Hindu. Vädanta Sara von Sadamanda, Sanskrit-deutsch" (München 1835) heraus.

Das philosophische Interesse für Indien aber weitete sich nun allgemeiner auf Sprache und Literaturen Indiens aus (vgl. dazu A. L. Wilson, A Mythical Image. The Ideal of India in German Romanticism, Durham 1964). Friedrich Schlegel machte sich in Paris mit dem Sanskrit und Originalschriften in dieser Sprache bekannt und rief durch sein Buch "Sprache und Weisheit der Indier" (Heidelberg 1808) geradezu eine Welle des Enthusiasmus hervor. Franz Bopp untersuchte die schon von William Jones 1876 zuerst vermutete Verwandtschaft des Sanskrit mit dem Griechischen und Lateinischen und stellte durch vergleichende Untersuchungen den gemeinsamen indo-germanischen (zu dem auch das Persische gehört) Sprachtyp fest. Sein Werk "Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache, in Vergleichung mit jenem der griechischen, persischen und germanischen Sprache "(Frankfurt 1816) bezeichnet die Geburtsstunde der indogermanischen vergleichenden Sprachwissenschaft. Bopp selbst übernahm einen Lehrstuhl für orientalische Literatur und allgemeine Sprachkunde in Berlin. Sein vergleichendes "Glossarium sanscritum" (Berlin 1830 u. ö.), dazu seine "Grammatica critica linguae sanscritae" (Berlin 1829-1832) und seine "Kritische Grammatik der Sanskritsprache in kürzerer Fassung (Berlin 1834 u. ö.) legten den Grund für alle philologische Befassung mit dem Sanskrit. Diese Forschungen erreichten schon mit Otto von Böhtlingks (zus. mit R. Roth u. a. verfaßtem) riesigen "Sanskrit-Wörterbuch" (7 Abteilungen, St. Petersburg 1855-1875) und "Sanskrit-Wörterbuch in kürzerer Fassung, 7 Bände, St. Petersburg 1879-1889) einen bisher nicht überbotenen Höhepunkt. Die von Böhtlingk ebenfalls zuerst im Sanskrittext herausgegebene Sanskrit-Grammatik des Panini aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. (2 Bände, Bonn 1840; ND "Ashtadhyayi", sanskrit-deutsch, Hildesheim 1964) verschaffte dem Abendland überraschende Einblicke in die schon zu Zeiten der klassischen Philosophen Griechenlands vollendete sprachwissenschaftliche Deskriptions- und Reflexionsarbeit indischer Grammatiker (vgl. dazu Th. Goldstücker, Panini, his Place in Sanskrit Literature, 1861, ND Osnabrück 1966). August Wilhelm Schlegel, Professor auf einem für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Sanskrit in Bonn, machte auch den Deutschen die "Bhagavad-Gita" (Bonn 1823) bekannt, zu der Wilhelm von Humboldt seine wirkungsvollen Betrachtungen "Über die unter dem Namen Bhagavad-Gita bekannte Episode des Mahabharata" (Berlin 1826) anstellte.

Fortan war es Sache der Sanskritisten, auch die Philosophie der Inder neben ihrer Literatur und allgemeinen Kultur im Auge zu behalten. Man muß es diesen Spezialisten hoch anrechnen, daß sie es taten. Den Philosophen aber muß man vorwerfen, daß sie zwar die Beherrschung des Griechischen und Lateinischen als unentbehrliche Grundlage des Philosophiestudiums und auf dieser Grundlage die griechische und römische Philosophie-geschichte pflegten, die Kenntnis des Sanskrit und dadurch indischer Philosophie im Rahmen ihres Faches aber vernachlässigten, ja so gut wie aufgaben. Eine rühmliche Ausnahme bildete nur K. H. Windischmann, Medizinprofessor und Philosophiehistoriker in Bonn mit seinem umfangreichen Werk "Die Philosophie im Fortgange der Weltgeschichte, 4 Bände (Bonn 1827-1834), das auch über die indische und die chinesische Philosophie handelte.

Anzeichen dieser merkwürdigen Lage ist die Tatsache, daß Friedrich Ueberweg in seinem zum Standardwerk gewordenen "Grundriß der Geschichte der Philosophie" (Berlin 1865, S. 14) zwar noch die einschlägige Literatur verzeichnet, im Text aber kein Wort über die indische Philosophie verliert. Und das ist bis in die letzten mannigfaltig erweiterten Ausgaben (Band I, 1926, ND. 1957; Band IV "Philosophie des Auslandes", 1928 mit einer halben Seite über Indien) so geblieben. Fehlt es seither auch nicht an philologisch glänzenden Textausgaben, Informationen und immer noch enthusiastisch gefärbter Literatur über die indische Geistigkeit, so mangelt es doch sehr an eigentlich philosophischer Durchdringung der aufgehäuften Schätze von Seiten der Fachphilosophen und einer genuinen Reklamierung der indischen Philosophie für die Philosophie. Verfasser, der noch Gelegenheit hatte, einen der Altmeister der vergleichenden indogermani- schen Sprachwissenschaft, nämlich Walter Porzig, mehrere Semester als Lehrer des Sanskrit zu erleben, und der sich dessen dankbar erinnert, hat aus solchen längstvergangenen Studienzeiten nur noch die Rudimente von Sanskritkenntnissen zur Verfügung. Doch sie setzen ihn vielleicht in Stand abzuschätzen, was in indischer Philosophie mit einer solchen Sprache genuin philosophisch geleistet werden konnte.

§ 4. Die Sprache und Schrift der indischen Philosophie.

Die Sprache der indischen Philosophie ist das Sanskrit, und dies seit den ältesten vedischen Zeiten bis in die Gegenwart. Es ist in dieser Funktion mit dem Griechischen, später mit dem Lateinischen hinsichtlich der abendländischen Philosophie zu vergleichen, welche zunächst Volks- dann Gelehrtensprachen waren, und deren philosophische Termini noch jetzt in den daraus entwickelten jüngeren europäischen Nationalsprachen als Lehnwörter (besonders der gebildeten und akademischen Sprache) enthalten sind.

In der vedischen Zeit (Zeit der Einwanderung der arischen Eroberervölker in den indischen Subkontinent bis ca. 500 v. Chr.) war das Sanskrit die Sprache der Eroberer. In der klassischen Zeit (seit ca. 500 v. Chr.) mit ihrer Ausbildung der "klassischen Schulrichtungen" (Darshanas) und dem Aufkommen des Buddhismus war das Sanskrit schon eine esoterische Gelehrtensprache mit eigener Schrift wie das mittelalterliche Latein in der internationalen Gelehrtenwelt und in der Römischen Kirche. Das vedische Sanskrit hatte sich als frühere lebendige Volkssprache im Kontakt mit der überlagerten Urbevölkerung Indiens zum Prakrit fortentwickelt. In der Literatur dieser Zeit wird Prakrit als Sprache des Volkes verwendet.

In der nachklassischen hinduistischen Periode (ab ca. 1000 n. Chr.) entwickeln sich aus dem Prakrit im Kontakt mit den Sprachen der indischen Völker die sogenannten Prakrit-Dialekte wie Pali (besonders in Ceylon bzw. Sri Lanka), Hindi, Urdu, Bengali, Bihari, Marathi, Pandschabi, Gudscharati, Radschastani u. a., nicht zuletzt auch die Sprache der Zigeuner (Sinti) mit jeweils eigener Literatur. Aber auch neben diesen bleibt das Sanskrit als Gelehrtensprache in steter Pflege und Gebrauch. Es sei nebenbei erwähnt, daß das Alt-Persische (Avestisch, Zend) einen Nebenzweig des Alt-Indischen bildet, aus dem dann das Pelehvi (Parthisch) und aus diesem wiederum seit etwa 1000 n. Chr. das Neupersische hervorging.

Das Sanskrit wurde zunächst im Abendland vielfach für die Ursprache der indo-arischen Völker gehalten. Es löste in dieser vermuteten Funktion als Ursprache die ältere biblisch begründete Meinung über das Hebräische als Ursprache der Menschheit ab. Tatsächlich ist es aber neben Griechisch und Latein ein Nebenzweig aus einer diesen gemeinsamen Sprachwurzel, von der keinerlei Spuren und Überlieferungen mehr erhalten sind, die aber auf Grund hypothetischer Entwicklungsgesetze der Sprachen als das eigentliche "Indo-Germanische" bezeichnet und vielfach zu rekonstruieren versucht worden ist (vgl. dazu Jos. Schrijnen, Einführung in das Studium der indogermanischen Sprachwissenschaft, übers. von W. Fischer, Heidelberg 1921; sowie J. Pokorny, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bern-München 1948 ff.).

Sanskrit zeigt mit dem Griechischen nächste Verwandtschaft. Es weist eine reiche Flexion der Nomina auf (8 Kasus in drei Wortgeschlechtern und drei Numeri), hat wie das Griechische bei den Verben Aktiv, Passiv und Medium sowie eine artikulierte Tempusstruktur (Präsens, Imperfekt, Aorist, Futur, Konditional) mit zahlreichen Modi. Die Ablautbildung spielt wie in allen germanischen Sprachen eine bedeutende Rolle.

Die Sanskritschrift bildet das seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. aufgekommene Nagari-Alphabet ("Devanagari"). Die ältesten Dokumente, noch Vorgänger des Devanagari, sind Inschriften auf Felsen und Gebäuden des Königs Ashoka (263-222 v. Chr.). Im Norden Indiens war es eine von rechts nach links laufende Schrift (wie die semitischen Schriften), "Karoshthi" genannt, im Süden eine von links nach rechts verlaufende Schrift (wie Devanagari und die europäischen Schriften), in der indischen Literatur "Brahmi" genannt. Diese alten Formen wurden erst seit 1837 von James Prinsep entziffert. Man vermutet, daß sie auf dem Wege über Persien auf das semitische (aramäische) Alphabet zurückgehen.

Das läuft wie unsere Schriften von links nach rechts. Im Unterschied dazu wird es nicht auf, sondern unter einer Linie geschrieben: die einzelnen Buchstaben hängen gewissermaßen an dieser sehr betont mitgezeichneten Linie, wodurch semitische Vorlagen auch im Schriftbild umgedreht erscheinen. Es gibt 33 Konsonaten, die gewöhnlich mit einem a-Vokal ausgesprochen werden, dazu aber noch 9 eigene Vokal- und 4 Diphtongzeichen. In der laufenden Schrift treten zahlreiche Ligaturformen auf. Vom a-Laut abweichende Vokalisierung der Konsonanten wird dann meist über der Linie durch zusätzliche Zeichen markiert, was der semitischen und arabischen Punktierung entspricht (vgl. dazu H. Pedersen, The discovery of language. Linguistic science in the nineteenth century, Bloomington-London 1972, S. 188 f.). Setzen wir als Beispiel einen vedischen Hymnus über Agni hierher (aus: A. A. Macdonnell, A Vedic Reader, Madras-Oxford 1917, 5. Aufl. 1960, S. 3):

Zum Studium des Sanskrit können folgende Werke dienen:

J. Gonda, Kurze Elementar-Grammatik der Sanskrit-Sprache. Mit Übungsbeispielen, Lesestücken und einem Glossar, 4. Aufl. Leiden 1963;. M. Mayrhofer, Sanskrit-Grammatik Mit sprachvergleichenden Erläuterungen, 2. Aufl. Berlin 1965 (Slg. Göschen 1158); A. F. Stenzler, Elementarbuch der Sanskrit-Sprache. Grammatik, Texte, Wörterbuch (umgearbeitet von K. F. Geldner und S. B. Biswas), 15. Aufl. Berlin 1965; A. Thumb, Handbuch des Sanskrit. Mit Texten und Glossar. Eine Einführung in das sprachwissenschaftliche Studium des Altindischen, 2 Teile in 3 Bänden, Teil I / 1-2, 3. Aufl. Heidelberg 1958-1959, Teil II, 2. Aufl. Heidelberg 1953; C. Capeller, Sanskrit-Wörterbuch (auf der Grundlage von Böhtlingk, s. u.), ND der Ausgabe 1887, Berlin 1966; H. Grassmann, Wörterbuch zum Rig-Veda, 3.

Aufl. Wiesbaden 1955; M Mayrhofer, Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch des Altindischen / A concise etymological Sanskrit dictionary, Heidelberg 1953 ff.; O. Böhtlingk und R. Roth, Sanskrit-Wörterbuch , hg. von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, 7 Teile St. Petersburg 1855-1875, ND Osnabrück-Wiesbaden 1966; O. Böhtlingk, Sanskrit-Wörterbuch in kürzerer Fassung, 7 Teile in 3 Bänden, St. Petersburg 1879-1889, ND Graz 1959, auch Delhi 1998.

Zum Studium des Pali dienen: M. Mayrhofer, Handbuch des Pali. Mit Texten und Glossar. Eine Einführung in das sprachwissenschaftliche Studium des Mittelindischen, 2 Bände, Heidelberg 1951; K. Schmidt, Pali, Buddhas Sprache. Anfänger-Lehrgang zum Selbstunterricht, Konstanz 1951.

§ 5. Zur Literatur der indischen Philosophie.

Die philosophische Literatur Indiens ist ihrem Wesen nach zunächst eine Domäne der indischen Philosophen selber. Deren Hauptwerke stehen aber in guten Übersetzungen zur Verfügung. Da das Englische in Indien durch die britische Kolonialverwaltung angesichts der zahlreichen Dialekte, die eine intern-indische Kommunikation nicht zulassen, zur Gemeinsprache des modernen Indien gemacht worden ist, sind auch zahlreiche Werke neuerer indischer Philosophen direkt in Englisch verfaßt oder von ihnen selbst zugleich auch in Englisch veröffentlicht worden. Den traditionell engen Verbindungen zwischen Indien und Großbritannien entsprechend, haben englische Gelehrte am meisten zur modernen Literatur über indische Philosophie beigetragen.

Auch die deutsche Indologie kann sich mit namhaften und zahlreichen Studien sehen lassen Doch wird indische Philosophie dann zumeist im Rahmen der Religions- und Kulturwissenschaften gepflegt. Auch Frankreichs Beiträge waren und sind für die indischen Philosophiestudien schätzenswert.

Zur Bibliographie dieser Literatur siehe die einzelnen Kapitel und den bibliographischen Literaturanhang.

§ 6 Zeittafel zur indischen Philosophiegeschichte:

Die indische Kultur ist ihrem eigenen geschichtlichen Wesen nach eine zeitlose Kultur. Dies wenigstens in dem Sinne, den im Abendland die Zeit als das "Maß des Früheren oder Späteren" seit Aristoteles erhalten hat. Wenn es so etwas wie Zeitbewußtsein gibt, so ist es nicht auf mathematisch-messende Zeitbestimmung, sondern auf qualifizierende Wertbestimmung zeitlicher Verhältnisse aus. Das Alte und Überkommene genießt als solches höchste Achtung und Wertschätzung - mag es, chronologisch bestimmt, so alt und so weit überkommen auch gar nicht sein. Diese indische Neigung bringt es mit sich, daß das, was alt ist oder dafür gehalten wird, noch älter gemacht wird, und daß das, was neu auftritt, sich durch Herleitung aus dem Alten legitimieren muß.

Dies verbürgt eine ungeheure Kontinuität in allen Verhältnissen, zumal die sorgfältige Ausarbeitung eines stetigen Traditions- und Interpretationszusammenhangs der geistigen Kultur. Im Gegensatz zum Abendland mit seiner seit der Renaissance ungebrochenen Fortschritts-ideologie, die das echte oder prätendierte Neue als solches schon mit dem Nimbus von Wahrheit, Wert und Nutzen ausstattet und alles dies im Begriff des Fortschrittes zusammenfaßt, verhält sich indisches Denken demgegenüber eher skeptisch. Es blickt eher zurück und prüft und bewertet das Neue in Hinsicht darauf, ob und wie es sich mit Altem verträgt, mit ihm übereinstimmt, es nur verjüngt und lebendig erhält. Denn das Alte und wesentlich Immer-Gleiche kennt und beherrscht man und nimmt es als Maßstab zur Beurteilung aller Dinge, nicht zuletzt der Errungenschaften des Abendlandes, denen man konfrontiert ist. Und wo man solche übernimmt und adaptiert, besteht dann auch die Neigung, sie mit vorhandenen Tendenzen und Vorgängern des eigenen Kulturerbes in Zusammenhang zu bringen. Auf internationalen Philosophiekongressen beobachtet man leicht und immer wieder, daß es schwerlich etwas gibt, was Abendländer vorzutragen haben, das nicht von indischen Gelehrten als längst bei ihnen heimisch und vorhanden interpretiert wird.

Man mache das Gedankenexperiment, sich aus der abendländischen Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte alle Erscheinungsdaten und Autorennamen aus gedruckten Büchern fortzudenken, und dann der wissenschaftlichen Arbeit die Aufgabe zuzuweisen, nicht sowohl eine Chronologie des Nacheinander und Aufeinander-Aufbauens einer Gedankenentwicklung, als vielmehr die sachliche Identität und Verschiedenheit der Gedankenmassen herauszuarbeiten. Damit kommt man bei der grundsätzlichen Daten- und Namenlosigkeit wenigstens der älteren indischen Literatur und Philosophie in die Nähe dessen, was indische Philosophie als ihre Aufgabe begriffen hat. Das Ergebnis solcher Arbeit ist eine grundsätzliche Klassifikation von dominierenden Auslegungsströmungen des vedischen Erbes in den klassischen Systemen und deren eigenen Fortbildung in den späteren Zeiten. Dem würde im Abendland entsprechen, das Fortwirken der Positionen vorsokratischer Weltmodelle bis in die neueste Wissenschafts-entwicklung zu verfolgen, oder auch Platonismus, Aristotelismus, Stoizismus und Skepsis als Grundmuster möglicher Metaphysiken und alle Einzelwissenschaft als Exhaustion dieser Grundmuster aufzufassen - was sicher möglich und teilweise in Angriff genommen ist.

Dies hat Folgen für die Chronologie. Sie stammt im wesentlichen von abendländischer Wissenschaft: der astronomischen Kalenderfestsetzung und der philologisch-historischen Ausfüllung des Kalenderrahmens durch Zuschreibung von Fakten und Daten, die sich gegenseitig im chronologischen Kontext von Synchronie und Diachronie stützten und sichern. Indisches Denken aber legt Wert auf das Alter. Und so beobachtet man die Tendenz, daß indische Gelehrte gerne alles ein bißchen älter machen, als abendländische Wissenschaft behauptet. Siedelt diese die vedische Literatur in vorhomerischer Zeit bis ca. 1500 v. Chr. an, so gelten in Indien 10 000 Jahre als würdiges und angemessenes Alter - wobei man wissen muß, daß 10 000 im ganzen Orient ein Wort für eine unvorstellbar große Zahl und mithin etwas Unvorstellbares, im Ungewissen Verschwimmendes ist.

Für die Chronologie verfügt man ansonsten nur über politische Eckdaten, die an "Kulturoffensiven" oder Herrschaftsverhältnisse anknüpfen, durch die die Inder mit den anderen Völkern - und ihrer Chronologie - in Berührung gekommen sind. Die indische Philosophie- und Geistesgeschichte danach zu gliedern, erscheint daher prekär und eigentlich unangemessen, doch muß dies einer vorläufigen Übersicht genügen.

Wir entnehmen eine solche Tabelle unter allen Vorbehalten Helmut v. Glasenapps "Die Philosophie der Inder":

I. Vedische Periode (ca. 2000 v. Chr. - 550 v. Chr.)

1. Die vedischen Hymnen (2000 - 1000 v. Chr.)

2. Brahmanas ("Opfermystik") (1000 - 750 v. Chr.)

3. Upanishaden (Veden-Interpretation) (750 - 550 v. Chr.)

II. Klassische oder brahmanisch-buddhistische Periode (550 v. Chr. - 1000 n. Chr.)

1. Zeitalter Buddhas und Mahaviras ( ca. 550 - 326 v. Chr.)

2. Zeitalter der Mauryas und Schungas (326 - 1 v. Chr.)

3. Zeitalter des Mahayana-Buddhismus (1 v. - 250 n. Chr.)

4. Zeitalter der Guptas (Herrscher) (250 - 500 n. Chr.)

5. Zeitalter größter kultureller Ausbreitung (500 - 750 n. Chr.)

6. Zeitalter der brahmanischen Gegenreformation (gegen den Buddhismus) (750 - 1000 n. Chr.).

III. Nachklassische oder hinduistische Periode (1000 n. Chr. - Gegenwart)

1. Zeitalter der sektarischen Scholastik (1000 - 1200 n. Chr.)

2. Zeitalter der islamischen Vorherrschaft (1206 - 1526 n. Chr.)

3. Zeitalter der islamischen Großmogulen (1526 - 1761 n. Chr.)

4. Zeitalter der britischen Herrschaft (1761 - 1947 n. Chr.)

5. Republik Indien und Pakistan (seit 1947).

§ 7 Grundbestimmungen der indischen Philosophie.

Folgende Züge scheinen uns die indische Philosophie auszuzeichnen. Wir vergleichen Sie mit analogen Zügen der abendländischen Philosophie.

1. Indische Philosophie beruht auf ihren ältesten Quellen, den Veden, und sie ist interpretatorische Entfaltung ihrer gedanklichen Gehalte. Das läßt sich in etwa mit dem vergleichen, was "christliche Philosophie" für das Abendland bedeutet. Diese ist in wohlverstandenem Sinne interpretatorische Entfaltung des hebräischen (alttestamentlichen) und griechischen (vor allem neuplatonisch inspirierten ) neutestamentlichen Schriftenkanons der Bibel, die ihrerseits dem Abendland die Einheitsstiftung der jüdischen und griechischen Traditionen verbürgt hat.

2. Auch die buddhistische Revolution bedeutet keinen Ausbruch aus der vedischen Tradition indischen Denkens, sondern Repristination und Verdeutlichung ihres dominierenden idealistischen Gehaltes. Das läßt sich in etwa mit der "reformatorischen" Repristination augustinisch-neuplatonischen Denkens im Rahmen der christlichen Philosophie vergleichen. Diese ist in philosophischer Perspektive nicht an "religiösen" Konfessionsstreitigkeiten zu messen, die seit Luther politische Relevanz gewinnen, sondern an der neuplatonischen Reformulierung des christlichen Welt- und Gottesbildes durch Anselm von Canterbury, Duns Scotus und Nikolaus von Kues gegenüber einem stoisch-aristotelistischen Realismus.

3. Indische Philosophie bietet das Bild eines kompakten dogmatischen Interpretations-zusammenhanges. Alles, was in ihr formuliert und gedacht werden kann, ist aus ihren vedischen Grundlagen her zu verstehen und formuliert ihren Gehalt in jeweils zeitgenössischer Adaptation. Das läßt sich mit der wissenschaftlichen Geistigkeit der alten "höheren Fakultäten" abendländischer Universitätswissenschaften vergleichen. Das Rechtsdenken des Abendlandes gründet im römischen Recht und interpretiert und adaptiert die Rechtsdogmen und Gesichtspunkte, die in der Justinianischen Kodifikation (Corpus Iustiniani, 529 n. Chr.) verbindliche Gestalt gewonnen haben. Selbst wo dieses durch neuere Gesetzgebung abgelöst erscheint, ist sein "Geist" auch in die neueren Kodifikationen eingegangen, und es reguliert auch die freiere Rechtsgestaltung des germanisch-angelsächsischen Case-Law. Ebendies gilt erst recht von aller abendländischen Theologie hinsichtlich ihres biblischen Kodex.

4. Die indische Philosophie erscheint als ebenso zeitlos wie ihre kulturellen Institutionen. Dies hat im Abendland keine Parallele. Was als solche gelten könnte, spricht sich in Idealen von einer "philosophia perennis" aus (Augustinus Steuco, Leibniz, Hegel) als einem immergleichen und wahren Grundgehalt echten Philosophierens in allen Variationen und Gegensätzen der historisch ausgearbeiteten Positionen.

5. Die indische Philosophie ist idealistisch. Aber dies läßt sich nur in abendländischer Diagnose so aussagen. Ihr idealistischer Grundzug läßt sich verstehen und entspricht der Rolle der platonischen und neuplatonischen Philosophie im Abendland. Und diese Gemeinsamkeit dürfte zugleich auch das gemeinsame indo-arische Erbe verkörpern und zum Ausdruck bringen. Der indische Idealismus ist zugleich monistisch, indem er alles Verschiedene als Einheit begreift und die Unterscheidung als solche diskriminiert. Dies wird besonders in der Advaita-(nicht-Zweiheit) Philosophie ausgesprochen.Dies entspricht der Position eines Parmenides: Dasselbe Eine ist das Sein und das Denken, das Vielfältige aber ist nichtiger Schein. Man weiß, in welchem Maße Platon dieses parmenideische Programm rezipiert hat.

Der indische Idealismus ist zugleich ein Spiritualismus. Das Eine und Wesen aller Dinge ist das Geistige, und alles Materielle, die sog. Natur ist scheinhafter Abglanz dieses Geistigen.Dies entspricht sehr genau dem neuplatonischen Grundgehalt christlicher Philosophie.

Der indische Idealismus ist daneben auch ein Pragmatismus. Der Wesenscharakter des Geistigen ist das Handeln. In seinen Handlungen erst tritt es "in die Erscheinung", und alle Erscheinung muß daher als "Wirkung des Geistes" erklärt werden. Nicht-Handeln läßt daher auch alle Erscheinung verschwinden.Das entspricht einer alten, undurchschauten abendländi-schen Auffassung von der "Wirklichkeit", die durch Aristoteles inauguriert wurde. Danach ist alle Realität "Energeia" (beim-Werke-sein, Handeln), und diese Auffassung hat sich bis in die Alltagssprache heraufgehalten, die ja das Vorliegende und Gegebene noch immer "Wirklichkeit", "Faktum" (Gemachtes) oder "Tatsache" nennt. Dem Abendland ist nur der Begriff von dem abhanden gekommen, was so wirkt, macht und tut. Dem Aristoteles war es die göttliche Arché, der christlichen Philosophie und dem Neuplatonismus der Gott. Aber Leibniz hat seine Geist-Monade als Handlungswesen (être capable d'action) definiert und die Welt als Produkt der erkennenden und strebenden Handlungen der Monade "erscheinen" lassen, was ganz analog zum indischem Geiste gedacht war. Schließlich hat Fichte das Geistige und nicht-Geistige (die Natur) durch die "Urtathandlung" des "Ich" erbaut und wurde so zum Vater des modernen Pragmatismus. Mit dem "Ich" aber war er schon wieder über indisches Denken hinaus. Mochte er noch so sehr warnen, dies Ich mit dem empirischen Selbstbewußtsein zu verwechseln, seine "Transzendentalität" behaupten (die den Indern als nächstverwandte abendländische Kategorie imponiert), es blieb auch nach ihm durch den deutschen Idealismus hindurch und nachmals das individuelle Selbstbewußtsein der Maßstab und das Modell neuerer abendländischer Idealismen. Schopenhauer hat hier sicher klarer gesehen und in seiner Willensmetaphysik den unauslotbaren, "irrationalen" Dynamismus, der sich aller Vergegenständlichung verweigere, eines Urgrundes beschworen, den noch gegenwärtig die Adepten der Philosophie und Psychoanalyse des Unbewußten auf den Begriff zu bringen suchen.

Schließlich muß man indisches Denken als wohlverstandenen Nihilismus ansprechen. Wenn und soweit das Geistige sich offenbart und zeigt, wird es Erscheinung und "etwas". Und alles Etwas ist daher nicht das Geistige selber. Erkenntnis aber bleibt an das Etwas gebunden, und von ihm ausgehend kann sie dies geistige Wesen hinter den Erscheinungen nur als reines Nichts ansteuern - und natürlich weder erkennen noch aussagen (denn dann wäre es Etwas). Erkenntnis und Handeln aber ist konstitutiv für Erscheinung und Etwas. Die Dimension aber, die zum Wesen des Geistigen weist, ist nicht in Erkenntnis und nicht in Handlungen zu gewinnen. Auch die indische Philosophie kann dies nur als Nicht-Erkennen und Nicht-Handeln aussprechen. Über das Aussprechen hinaus aber zeigt es sich in den kuriosen "Praktiken" des Yoga und der mystischen Versenkung.Dergleichen ist dem Abendland ebenfalls vertraut und gilt als sonderbar und kurios. Der Sophist Gorgias, der den Nihilismus zuerst formuliert hat ("Es ist überhaupt Nichts, und wenn Etwas wäre, könnte es nicht erkannt werden, und wenn Etwas erkannt werden könnte, so könnte es nicht ausgesprochen werden") gilt eher als ironisierender Gegenspieler des Parmenides, der das vom Nichts sagt, was jener vom Sein gesagt hatte. Aber vermutlich hat er bei den Gymnosophisten gelernt.

Der Neuplatonismus aber kam naturgemäß auf diese Einsicht und hat immer wieder das Höchste und Göttliche als das Nicht-Aussagbare und Unerkennbare beschworen. Daraus ent-stand abendländische Mystik, die sich dem Einen - in der Unio mystica - wort-, blick- und tatenlos zu verschmelzen trachtet. Was sich dabei ereignen sollte in Wort und Erkenntnis zu fassen, war das Anliegen der "negativen Theologie", die nicht sagen kann, was sie meint, und nicht meinen kann, was sie sagt. Was aber den Theologen nicht gelang, weil es die Quadratur des Kreises bedeutet hätte, das gelang den Mathematikern, nachdem sie über die Araber die indische Null übernommen hatten.

Bis dahin war das Nichts logisch als bestimmte Negation von Etwas gehandhabt worden, wenn auch die Philosophen immer wieder - und vergeblich - versucht hatten, ihm einen selbständigen Sinn zu verschaffen. Die Null aber war noch über die negativen Zahlen hinaus, die sich durch Subtraktion als Umkehrung der Addition und somit als negativ benannte Zahlen spiegelbildlich ergaben, etwas besonderes. Mit der Null ließ sich und läßt sich gut rechnen, und die Rechnungen stimmen, sofern man bestimmte Verbote einhält, die sich ihr gegenüber empfehlen - dies im Unterschied zu allen anderen Zahlen.

Aber die Anwendung der Arithmetik in der Physik als allgemeine Methodologie mußte ihr auch einen physikalischen Sinn, gleichsam ein Stück Natur zuzuschreiben erlauben.. Und das wird dann überall der Fall, wo man die Natur in positiven und negativen Parametern mißt: Energiezustände, Bewegungsabläufe, neuerdings die Materie (positive und Anti-Materie). Wir wollen nicht behaupten, daß das zu fruchtbaren Forschungsprogrammen und Einsichten führt. Aber es führt gewiß in die gleiche Richtung, die die indische Philosophie seit ihrem Ursprung eingeschlagen hat: zum Nichts als dem allgemeinen Null-Zustand der Naturphänomene, in dem sich alles Positive und Negative neutralisiert und aufhebt. Und daß auch Physiker diesen Zustand als so etwas wie den Zustand des Kosmos vor seiner Entstehung - oder nach seinem Untergang - ansehen, das bringt sie in die Verlegenheit aller Mystik, über das zu reden, was ist, ehe Etwas war und wenn nichts mehr ist.

§ 8 Die vier großen Themen der klassischen indischen Philosophie.

Diese vier Themen, auf die O. Strauss (Indische Philosophie, München 1825, S. 253) aufmerksam macht, bilden sich schon in der Brahma-Literatur heraus. Es sind die folgenden:

1. Karman. Der Begriff bezeichnet die Tat bzw. das Werk. Karman ist ontologische Grundgegebenheit, da sich alles Phänomenale, die "Wirklichkeit" aus Tat und Werk aufbaut. Aber wie das Werk Folge der Tat ist und die Tat im Werk Gegenständlichkeit gewinnt, so auch umgekehrt: jede Tat ist Folge von Werken. Und so bilden alle Taten und Werke eine große Kette, die insgesamt einen Kausalzusammenhang der Wirklichkeit darstellen. Was immer getan wird, hinterläßt Spuren, und die Spuren zeugen neue Taten und Werke.

So entsteht der Erkenntnis die Aufgabe, diesen Zusammenhang zu erforschen und der Praxis die Aufgabe, ihn zu beachten und in Rechnung zu stellen. Jedes Lebewesen und jeder Mensch findet sich in diesem Kausal-Netz vor und wirkt ständig daran mit. Er übernimmt durch seine Existenz Verantwortung für sein Karman-Wirken und muß sich die Folgen zuschreiben lassen.

Aber sich als bedingt vorfindend, muß er sich auch die Bedingungen, unter denen seine Existenz steht, zuschreiben lassen. Wie er sich durch die Folgen seiner Taten gleichsam verewigt, so ist er auch schon in den Vor-Bedingungen seiner eigenen Existenz verewigt. Jede individuelle Existenz ist nur ein Ausschnitt aus dieser umgreifenden Karman-Kette, die gewöhnlich dem lebendigen Bewußtsein nur in seinem Erlebniszusammenhang bekannt wird. Es kommt aber darauf an, die Erkenntnis auf die vorausliegenden und nachfolgenden Kettenglieder auszuweiten, in ihnen die Durchständigkeit eines Selben und Identischen zu finden und zu erkennen. Dies bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Lehre von der Seelenwanderung.

Zugleich führt es auf die Frage von Anfang und Ende dieser Kette. Der Anfang verliert sich bei den Göttern - und sie sind auch im indischen Denken nur ratlose Antworten auf diese Frage. Das Ende aber wird gedacht als ein Verlöschen und Verzehren der Energie, der Wirkkraft, welches herbeizuführen geradezu den Inhalt aller indischen Ethik und Lebensführung bildet. Und dies führt auch die Karman-Lehre zum mystischen Punkt zurück, wo das Sein sich ins Nichts verkehrt.

Die Karman-Lehre dürfte im Abendland dem stoischen Universaldeterminismus am ehesten verwandt sein. Aber auch diese thematisiert nach abendländischer Ursache-Wirkungs-Forschung immer nur die engsten zusammenhängenden Glieder des behaupteten Gesamt-zusammenhanges. Sie beachtet nicht Spätfolgen und Fernwirkungen und verbietet sich gar die Forschung nach den ersten Ursachen. Und so entstand im Abendland kein vergleichbares Bewußtsein von der Verantwortlichkeit und Zuschreibung auch fernerliegender und späterer Verhältnisse bei und zu Akteuren. Die so vielfältig stoisch geprägte römische Rechtsordnung hat dies übernommen: die unmittelbare Tat und das Werk ist zurechenbar und begründet Verantwortung, was aber darüber hinausreicht, gilt als nicht-justiziables Schicksal.

Was die Bedingungen der je eigenen Existenz betrifft, so hat nur Platon im Mythos von der Wahl der Lebensschicksale in einem vorgeburtlichen Zustand der Seele die Karman-Lehre und auch die Lehre von der Seelenwanderung berührt. Und dies ersichtlich unter indischem Einfluß. Im jüdischen Neuplatonismus findet sie allenfalls in der Lehre vom Adam-Kadmon,, dem Urmenschen, der alle folgenden Geschlechter in sich vereinigt, in der christlichen Version in der Erbsündenlehre, nach der jeder Mensch in sich "den alten Adam" als Tatfolgenhypothek des ersten Sündenfalls wiederfindet, eine gewisse Entsprechung. Späteres Christentum aber hat sich schnell dabei beruhigt, daß Gott die Sünden der Väter nur bis ins dritte und vierte Glied bestrafen, Wohlverhalten aber in tausend Generationen belohnen wolle. So hat es zwar die schönen oder schlechten Umstände der Existenz des Einzelnen erklärt, aber die Verantwortung dafür dem Gotte zugeschrieben. Die säkuläre Gesellschaft der Moderne aber hat auch den verantwortlichen Gott noch abgeschafft und zuletzt die Grundlosigkeit und pure Faktizität der menschlichen Existenz "entdeckt". Sie feiert Freiheit und Spontanität und versteht sie als grund- und ursachlosen Anfang. Und so ist sie sehr weit davon entfernt, einen Gedanken wie den vom Karman nachvollziehen zu können.

2. Samsara (sanskrit: Herumlaufen). Samsara bezeichnet einen Aspekt des durch Karman zustande kommenden Gesamtzusammenhangs der körperlichen Existenzen: den "Kreislauf der Wiedergeburten".

Diese Vorstellung ist der stoischen Lehre von der "Wiederkehr aller Dinge" (apokatástasis pantón") verwandt, die bei den Stoikern aber auf die kosmische "Revolution" der Sternkonstellationen nach Ablauf eines "Aions" (des Weltenjahres, ca. 10 000 Sonnenjahre) und damit der Wiederkehr aller Verhältnisse, auch der geschichtlichen und individuellen Entwicklungen, bezogen worden war. In jüngerer Zeit ist die Lehre von Nietzsche wieder aufgegriffen worden.

Ebenso wie die Karman-Lehre setzt auch die Samsara-Lehre ein identisch Durchständiges voraus. Dieses wird im indischen Denken als Atman (Selbst) angesprochen. Im abendländischen Bereich ist es die Seele. Unter den Vorsokratikern war Empedokles, ebenfalls wohl unter indischem Einfluß, Vertreter einer solchen Seelenwanderungslehre, von der man ja auch bei Platon noch Spuren findet. Von Empedokles wird ja berichtet: "Er lehrt auch, daß die Seele in mancherlei Gestalten von Tieren und Pflanzen eingehe" Diogenes Laertios VIII,77) und daß er von sich selber gesagt habe: "Ich war ja einst schon Knabe, Mädchen, Strauch, Vogel und aus dem Meere emportauchender stummer Fisch". Ein schönes Modell für diese Eingebundenheit der Seelenexistenzen ins Samsara liefert des Empedokles Aussage: "Das ist die Bestrafung, die der Demiurg mit ihnen vornimmt wie ein Schmied, der das Eisen umwandelt und aus dem Feuer in das Wasser taucht".

3. Duhkha bezeichnet den leidvollen Charakter des in den Wiedergeburten sich wiederholenden Lebens und darüber hinaus der erscheinenden Existenzen überhaupt.

Die Erfahrung von Härte und Leid des Daseins wird auf den gesamten Weltzusammenhang erweitert, so daß schließlich auch Lust, Freude und Glück nur als Ablenkungen, Schein und uneigentliche Phänomene erklärt werden müssen. Als Erklärungsmodell muß immer wieder Strafe und Buße herhalten, wie das auch schon aus den Worten des Empedokles hervorgeht. Grundsätzlicher hat es Anaximander ausgesprochen, der die Existenz schlechthin für strafwürdig und daher als ein Sühneunternehmen ansieht: Die Dinge "leisten einander Sühne und Buße für ihre Ungerechtigkeit gemäß der Verordnung der Zeit".

Im christlichen Denken hat diese Einstellung in der These, daß die Welt "ein Jammertal" sei (und entsprechend in den Paradiesvorstellungen vom Jenseits) ihren Niederschlag gefunden. Schopenhauers "Pessimismus" ist das metaphysische Gegenstück dieser Lehre. Zuletzt hat noch Heidegger den fundamentalontologischen Schuld-Charakter des Daseins ähnlich wie Anaximan-der herausgestellt.

4. Moksa ergibt sich als Zentralthema aus allen den vorigen Themenstellungen: die Erlösung aus dem Karma-Zusammenhang des Samsara mit seinem leidvollen Duhkha. So gipfeln auch alle indischen Philosopheme in einer Moksa-Lehre, jedoch unterscheiden sie sich spezifisch hinsichtlich dessen, worin die Erlösung gesehen und wie sie erreicht werden soll.

Es liegt auf der Hand, daß hier die Prätensionen aller Religionen mit philosophischer Theorie über den Endzweck der Welt und des Lebens zusammenlaufen. Daher ist das Thema auch im Christentum primordial. Eine säkularisierte, aber christlich geprägte Welt, hat entsprechend säkularisierte Erlösungslehren: Sie liegen allen Therapeutiken zugrunde. Ihre gegenwärtige Proliferation macht auch das Abendland für das Thema der Moksa-Lehre äußerst sensibel; ebenso aber auch für ihre Verlegenheiten. Je mehr das Bewußtsein von dem, was im Argen liegt, sich ausbreitet (bzw. gepflegt wird), desto grösser wird die Verlegenheit anzugeben, woraufhin es verändert oder geheilt werden könnte oder sollte. Darum blickt das Abendland voller Hoffnung auf Indien. Aber das "Prinzip Hoffnung" ist ersichtlich selber schon die abendländisch-säkularisierte Gestalt einer Moksa-Lehre.

§ 9 Äquivalente des Philosophie-Begriffes in der indischen Philosophie.

Ein ältestes Pendant dürfte anvikshiki vidya, "nachprüfende Wissenschaft" oder "kritisches Wissen" (aus dem Politik-Lehrbuch des Kautilya, 3. Jh. c. Chr.) sein. Das entspricht etwa dem formalen Philosophiebegriff, der sich als Bezeichnung des theoretischen Überbaues von Wissenschaft überhaupt im abendländischen Fakultätssystem eingebürgert hat und jetzt noch in der Benennung der "Philosophischen Fakultät" lebendig ist, sofern hiermit der theoretische und allgemeine Teil der Natur- und Geisteswissenschaften (des Quadriviums und Triviums) gemeint war.

In späteren Zeiten wird das synonym mit tarka shastra, "auf Räsonnement gegründete Lehre" oder "Theorie". Aber diesen Ehrentitel nahm noch später in klassischer Zeit das Nyaya-System ausschließlich für sich in Anspruch. Deswegen wiederum setzte sich in klassischer Zeit das unverbindlichere darshana, Ansicht, Lehre oder "System" durch.

Den höchsten Anspruch aber stellt das tattva-vidya shastra, "Lehre von der Wahrheitswissenschaft" oder "Wahrheitswissenslehre" dar, das sich in der neueren Zeit allgemein durchgesetzt hat. Dergleichen ist zwar auch im Abendland als Definition von Philosophie, insbesondere von Erkenntnistheorie (als Disziplin von den Wahrheitskriterien der Erkenntnis) im Umlauf, doch fällt auf, daß die Beibehaltung des griechischen Wortes "Philosophie", das ja "die Liebe zur Weisheit bzw. zum Wissen", durch alle Epochen der Wissenschaftsentwicklung hindurch als eine Bemühung und Bestrebung faßt und nichts darüber enthält, ob und wie sie je zum Besitz oder gar zum Wahrheitsbesitz führen kann, entschieden mindere Ansprüche bezeichnet.

Ein anderer häufig angetroffener Terminus aus diesem Bereich ist atman vidya, "Wissenschaft vom Selbst". Aber damit wird vorwiegend ein bestimmtes Verständnis von Philosophie als Geist- und Bewußtseinslehre ausgedrückt, wie es besonders im Buddhismus verbreitet ist.

 

I. Die vedische philosophische Literatur

§ 10. Einteilung der Schriftengruppen.

Vedische Literatur ist die Literatur der in der Zeittafel genannten vedischen Periode bis etwa 550 v. Chr.

Sie wird eingeteilt in die Schriftengruppe der Veden, welche vier Sammlungen von Götterhymnen und Opfersprüchen zum Gebrauch der Priester darstellen, sodann die Schriftengruppe der Brahmanas, welche Vorschriften und Erklärungen für den Gottesdienst ebenfalls zum Gebrauch der Priester enthalten.

Eine besondere herausragende Schriftengruppe unter den Brahmanas sind dann die Upanishads, auch Vedanta ("am Ende der Veden stehend") genannt. Sie sind die eigentlich philosophische interessanten und ergiebigen Kommentarwerke zu den vorgenannten Schriften.

§ 11. Die Veden.

Ihre Bezeichnung bedeutet wörtlich Wissen (indog. Wurzel: vid-, daraus auch griech.: Idee, lat.: videre = sehen, deutsch: wissen), und gemeint ist damit das höchste und wichtigste Wissen um die Götter und den Ursprung aller Dinge.

Ihr Ursprung ist ungewiß. Sie müssen in mündlicher Tradition in Priestergemeinschaften und Familien jahrhundertelang gepflegt und gehütet worden sein, ehe sie auch schriftlich fixiert wurden. Dies geschah um 600 v. Chr.

Als Schriftenkorpus liegen vier "Sammlungen" (Samhita) vor:

1. Rig-Veda (von rik = Vers). Er ist wohl die älteste und jedenfalls wichtigste Sammlung, deren Inhalt in den übrigen nur in anderer Anordnung wiedergegeben wird. Er besteht aus 1017 Hymnen (Suktas) und zusätzlich 11 weiteren, offensichtlich aus späterer Zeit, also insgesamt 1028. Sie sind in 8 Abschnitte (ashtakas = "Achtergruppe"), diese wieder in Kapitel, schließlich in 10417 Verse (Riks) eingeteilt, die insgesamt aus 153826 Wörtern (Padas) bestehen. Diese genaue Zählung der Bestandteile hat sich für die zuverlässige Überlieferung seit den ältesten Zeiten als außerordentlich nützlich erwiesen. Es existiert noch eine konkurrierende Einteilung in 10 "Kreise" (Mandalas) und 85 Abschnitte (Anuvakas) bei gleicher Hymnenzahl.

2. Sama-Veda (von saman = Gesang). Er besteht aus 1549 Versen, von denen nur 78 nicht auf den Rig-Veda zurückgeführt werden können. Nach der Tradition handelt es sich um Gesänge, die durch den Opferpriester (Utgatar) bei der Spendung von Opfertränken (Soma) zu singen sind.

3. Yayur-Veda (von yayus = Opferspruch). Er liegt in zwei Redaktionen vor, gewöhnlich als "schwarzer Yayur" (Taittiriya Samhita) und "weißer Yayur" (Vajasaneyi Samhita) bezeichnet. Der schwarze Yayur scheint älter zu sein. Er ist in 7 Bücher (Kandas), 44 Kapitel (prasnas), 651 Abschnitte (Anuvakas) und 2198 "Stücke" (Kandikas) von durchschnittlich 50 Wörtern eingeteilt. Der weiße Yayur umfaßt 40 Kapitel mit 303 Abschnitten und 1975 Kandikas. Er scheint jünger zu sein und hat mehr systematischen Charakter.

Inhaltlich besteht der Yayur-Veda fast ausschließlich aus leicht variierten Hymnen des Rig-Veda, jedoch treten einige Prosa-Passagen hinzu. Er richtet sich an den Opferpriester (Adhvaryu), der diese Hymnen beim Opfer rezitiert.

4. Atharva-Veda (von atharvan = Name eines Priesters). Er scheint wesentlich jünger zu sein als die anderen und enthält neben 760 Hymnen in 6000 Versen (z. T. des Rig-Veda) beträchtliche Prosa-Anteile. Gegenüber dem priesterlich-esoterischen Charakter der anderen Samhitas hat er einen exoterischen Grundzug. Gleichwohl wird er für das Ritenbuch des Oberpriesters (Brahman) schlechthin gehalten und daher auch als Brahman-Veda bezeichnet.

Ausgaben der Veden:

1. Rig-Veda Sanskrit-Ausgabe mit Kommentar des Sayana (aus dem 14. Jh. n. Chr.) hg. v. Max Müller, 6 Bde London 1849-75, 2. Aufl. 4 Bde London 1890 ff.

Sanskritausgabe in lateinischer Schrift hg. v. Theodor Aufrecht, 2 Bde 2. Aufl. Bonn 1877.

Deutsche Übersetzungen: H. Graßmann, 2 Bde Leipzig 1876-77, ND 1990; A. Ludwig, 6 Bde Prag 1875-88; Karl Friedrich Geldner, Der Rig-Veda, aus dem Sanskrit in Deutsche übers. und mit einem laufenden Kommentar versehen (Harvard Oriental Series 33-36), Cambridge-Wiesbaden 1951-1957, 4 Teile, davon der 4. "Namen- und Sachregister, dazu Nachträge und Verbesserungen aus dem Nachlaß des Übersetzers", hg. v. Joh. Nobel. Th. Aufrecht, Die Hymnen des Rig-Veda, 2 Bde 3. Aufl. Berlin -Wiesbaden 1955.

Englische Übersetzungen: Griffith, 2. Aufl. Benares 1896-1897 in 2 Bdn. Auswahlausgabe von M. Müller und Oldenberg in: Sacred Books of the East, Bde 32 und 46, Oxford 1891, 1897, ND hg. von B. A. van Nosten und G. B. Holland, Cambridge 1994 (Harvard Oriental Series, 50). Rgveda Samhita, Sanskrit-English, übers. von H. H. Wilson, hg. von Ravi Prakash Arya und K. L. Joshi, 4 Bände, Delhi 1997.

Auswahlausgaben: H. Lommel, Gedichte des Rig-Veda. Deutsche Auswahl und Übersetzung, München-Planegg 1955. P. Thieme, Gedichte aus dem Rig-Veda, Stuttgart 1964; A. A. Macdonell, A Vedic Reader (sanskrit-englisch), Oxford 1960.

Zur Textgeschichte und Kritik: H. Oldenberg, Hymnen des Rig-Veda, Berlin 1888; V. Gampert, Zur Problematik des Alters des Rgveda, in: Archiv orientalni Bd 20, Prag 1952.

2. Sama-Veda, Ausgabe in Sanskrit mit Übersetzung und Glossar von Th. Benfey, Leipzig 1848; mit Kommentar des Sayana in: Bibliotheca Indica, Kalkutta 1874 - 78 in 5 Bänden; Sanskrit-Englisch hg. von Devi Chand, 2. Aufl. New Delhi 1981, ND 1995.

3. Yayur-Veda: Taittiriya-Samhita (Schwarzer Yayur) hg. v. A. Weber in: Indische Studien Bd. 11-12, 1871-72; Englische Übersetzung: von A. B. Keith (Harvard Oriental Series Vol: 18,19) Oxford 1914.

Vajasaneyi-Samhita (Weißer Yayur) hg. v. A. Weber, Berlin 1852; Sanskrit-Englisch hg. von R. T. Griffith, New Delhi 1997 (Parimal Sanskrit Series, 39).

4. Atharva-Veda Ausgabe von R. Roth und W. D. Whitney 1855-65; von Bloomfield und Garbe 1901.

Englische Übersetzung: von W. D. Whitney, Cambridge, Mass. 2 Bde (Harvard Oriental Series Vol: 7, 8) 1905; Auswahlübersetzung von Bloomfield in: Sacred Books of the East Band 42, Oxford 1897.

Deutsche Übersetzung: Hundert Lieder des Atharva-Veda, übersetzt von Grill, 2. Aufl. Stuttgart 1888.

Gesamtausgabe aller Veden: R. T. H. Griffith, Rgveda, Samaveda, White Yayurveda, Atharvaveda (engl. Übers.), Benares 1895-1907.

Literatur zu den Veden: Colebrooke, On the Vedas, Kalkutta 1805, deutsch von Poley, Leipzig 1847; R. Roth, Zur Literatur und Geschichte des Veda, Stuttgart 1846; M. Müller, History of ancient Sanscrit Literature, 2. Aufl. London 1860; Muir, Original Sanskrit Texts, 5 Bde 1858-72; Pischel und Geldner, Vedische Studien, 2 Bde Stuttgart 1889-97; H. Oldenberg, Vedaforschung, Stuttgart 1905; A. Hillebrandt, Vedische Mythologie, 2 Bde Breslau 1927-29 (Nachdruck Hildesheim 1965); A. K. A. Coomaraswami, A New Approach to the Vedas. An Essay in Translation and Exegesis, London 1933; H. Lommel, Vedische Skizzen, in: Beiträge zur indischen Philosophie und Altertumskunde (Festschrift Schubring), Hamburg 1951; W. Ruben, Beginn der Philosophie in Indien. Aus den Veden, 3. Aufl. Berlin (-Ost) 1961 (Texte der indischen Philosophie 1); K. M. Talreja, Philosophy of Vedas, Bombay 1982; B. G. Tilak, Origine populaire de la Tradition védique. Nouvelles clés pour l'interpretation de nombreux textes et légendes védiques. Traduction de Jean et C. Remy, Mailand 1979.

Bibliographie: L. Renou, Bibliographie Vedique, Paris 1931; R. N. Dandekar, Vedic Bibliography, An up-to-date comprehensive and analytically arranged register of all important work done since 1930 in the field of the veda and allied antiquities, Bombay 1946.

Lexikon: Suryakanta, a Practical Vedic Dictionary, Delhi 1981 (768 S.).

Die Veden haben den Indern - wie Homer den Griechen - ihre Götter geschenkt. Sie werden in den vedischen Hymnen angerufen, gerühmt und für verschiedene Leistungen in Anspruch genommen.

Im Rigveda, dem Hauptwerk der Veden, werden 33 namentlich genannt, aber hinzu treten noch unzählige Heerscharen namenloser. Was hier Gott und Götter genannt wird, versteht sich freilich im Rückblick aus religiöser Sicht der Dinge. Denn wie bei den homerischen Göttern sieht man ihnen leicht an, daß sie Personifizierungen von Naturgegenständen und -Kräften oder gar bedeutende Persönlichkeiten der Vorzeit sind. Und da sie vielerlei tun und veranlassen, nehmen sie auch die Gestalt von Ursachen für das an, was man auf ihre Tätigkeit zurückführt, darin den griechischen "Archai" vergleichbar. Ihre Gruppierungen und Verwandtschaften stellen daher auch zugleich die ersten Hinweise auf die Ordnungsvorstellungen über den Kosmos und die Dinge in ihm dar. Diese überschneiden sich vielfältig, so daß auch die Götter nicht immer zu unterscheiden und zu "individualisieren" sind. Man hat Anlaß anzunehmen, daß manche Götternamen dasselbe bedeuten, manche bedeuten Teilaspekte der gleichen Sache, manche weisen auf Eigenschaften anderer Götter hin usw. So ist die Anordnung und Übersicht aller Götter schon in den Veden, erst recht in der Interpretationsliteratur ein Hauptproblem.

1. Der Rig-Veda gibt selbst einen Einteilungsvorschlag nach dem kosmischen Ort ihres Aufenthaltes - wobei es schon wieder fraglich ist, ob solche Orte anders als durch Götternamen gefaßt werden können. Er teilt ein in:

himmlische Götter: Dyaus, Varuna, Mitra, Surya, Savitr, Agni, Pusan, die Asvins, die Göttinnen Usas und Ratri;

atmosphärische Götter: Indra, Apam, Napat, Rudra, die Maruts, Vayn, Paryanya, Apas;

irdische Götter: Agni, Soma, Prthivi. Einige sind ersichtlich Flußnamen, wie Sindhu (Indus), Vipas und Sutudri. Auch ein Feuerbringer (wie Prometheus) namens Matarisvan findet sich hier.

2. Eine andere Einteilung kann man nach den Leistungen vornehmen, die diese Götter erbringen - oder die durch ihre Namen eben benannt werden. So gibt es etwa einen Dhatr (Schöpfer, Erhalter, oft Beiname Indras), Prajapati (Schöpfer oder Herr der Geschöpfe), Vidhatr (Anordner), Tratr (Beschützer), Tvastr (Künstler, eine Art Hephaist) oder Savitr (Sonne, Stimulator). Unter diesen dürfte dann der sehr oft genannte Brhaspati als Herr aller Gebete und Opfer bzw. als Opfer und Gebet selbst hervorragen.

3. Ein Solitär unter den Göttern ist Ka (wörtlich "Wer?"), der unbekannte Gott unter den vedischen Göttern, nach welchem in den Veden nur gefragt wird ( kasmai devaja havisa vidhema Welchem Gott sollen wir opfern?), der aber dann in der Literatur zum Gott stilisiert wird. Dies Verfahren kennt man von den Griechen, die in Athen ebenfalls den "unbekannten Gott" - man könnte sagen: sicherheitshalber, um nichts zu versäumen - verehrten und Paulus damit Gelegenheit gaben, ihn als den Christus und Messias zu konkretisieren.

4. Eine Reihe von Göttern sind Tätigkeiten, Eigenschaften oder Haltungen, allerdings kommen sie weniger oft vor. So Manyu (Zorn), Sraddha (Glaube), Anumati (Gnade, Begnadung), Aramati (Frömmigkeit), Nrrti (Sterben), Aditi (Befreiung, Lösung, bes. von Schmerz) und ihr Gegenstück Diti (Unfreiheit, Ungelöstheit).

5. Eine Reihe sind Göttinnen mit entsprechenden weiblichen Eigennamen, einige davon nur als weibliche Form männlicher Götternamen wie Agnayi, Indrani, Varunani, die dann als Gattinnen Agnis, Indras und Varunas eingeführt werden. Einige von ihnen sind auffällige Naturer-scheinungen wie Usas (Dämmerung) und Ratri (Nacht). Auch Prthivi (Erde) und Aranyani (Wald) sind weiblich. Am bedeutendsten tritt Vac (Rede, Sprache, Sinn) hervor, die nachmals- dem griechischen Logos vergleichbar - Anlaß zu den tiefsinnigsten Spekulationen gibt. Nennen wir auch noch die Wassernymphe Apsaras oder die fruchtbringende Sita.

6. Auch ganze Heerscharen werden unter gemeinsamem Namen als Diener oder Gefolge einzelner Götter genannt: die Maruts (Gefolge des Indra), die Adityas (Söhne der Aditi unter ihrem Anführer Varuna), die Vasus und überhaupt unbestimmt bleibende Vishve devas (Göttergefolge).

7. Schließlich gibt es auch die Götter des Schabernacks oder der Schandtaten und Verbrechen, die als Feinde der übrigen hingestellt werden, etwa den Svarbhanu, der die Sonne verschwinden läßt, Vishvarupa, der dreiköpfige Ochsenklau, oder die Raksas (Kobolde), von denen die Pishacas Leichen verzehren.

Wir legen hier keinen Wert auf Vollständigkeit noch auf besonderen Tiefgang einer solchen Klassifikation. Die Beispiele aber mögen zeigen, wie hier die poetische Phantasie eines herrschaftlichen Viehzüchtervolkes sich auf Einzelheiten seiner Umgebung: die Naturphänomene, die Tugenden und Laster, die Haltungen und Leistungsfähigkeiten konzentriert, den Umgang und die Einstellung ihnen gegenüber in Ritus und Rede heraushebt aus dem unfeierlichen und oft bewußtlosen Umgang des Alltags und ihnen damit für die folgenden Zeiten stete Aufmerksam-keit, Be- und Hinterfragung sichert, die Voraussetzung für alle Forschung in der Wirklichkeit ist.

Aber noch wichtiger als diese "göttliche" Gegenstandskonstitution erscheinen uns die Ansätze zu einer umgreifenden Zusammenhangsstiftung, die ebenfalls schon in den Veden einsetzt. Da ist an einigen Stellen des Rig-Veda die Rede vom Rta (Rita), der Ordnung und Fügung, in die sich die Dinge schicken. Daraus ergibt sich auch ihre Wahrheit - und so wird Rta ebenfalls übersetzt - und ebenso ist es auch die Bezeichnung des wahren Wissens (rta-jna). Es dürfte das indische Gegenstück zum Kosmos der Griechen sein, dessen Strukturgesetzlichkeit die Stoiker zur Heimarméne, in lateinischer Version zum Fatum erhoben haben, welche sogar die Götter einbindet.

Ihren poetischen Ausdruck findet solche Zusammenhangstiftung im Hymnus vom Urmenschen (Purusha), aus dessen Gliedern die Welt entstanden ist, und die auch in den germanischen Sagen vom Riesen Ymir Niederschlag gefunden hat. Diese Stelle lautet: (Rig- Veda 10, 90,: Ausgabe Geldner, Bd. 3, S. 286 ff.):

"Tausendköpfig, tausendäugig, tausendfüßig ist Purusha: er bedeckte vollständig die Erde und erhob sich noch zehn Finger hoch darüber."

Purusha allein ist diese ganze Welt, die vergangene und die zukünftige, und er ist der Herr über die Unsterblichkeit (und auch über das), was durch Speise noch weiter wächst. Solches ist seine Größe und noch gewaltiger als dies ist Purusha. Ein Viertel von ihm sind alle Geschöpfe, drei Viertel von ihm ist das Unsterbliche im Himmel.

Zu drei Vierteln stieg Purusha empor, ein Viertel von ihm verjüngte sich hienieden. Von dem aus ging er nach allen Seiten auseinander und (erstreckte sich) über alles was Speise ißt und was nicht ißt.

Aus ihm war die Viraj geboren, aus der Viraj der Purusha. Geboren ragte er hinten und vorn über die Erde hinaus.

Als die Götter mit Purusha als Opfergabe das Opfer vollzogen, da war der Frühling dessen Schmelzbutter, der Sommer, das Brennholz, der Herbst die Opfergabe.

Ihn besprengten (weihten) sie als das Opfer auf dem Barhis, den am Anfang geborenen Purusha. Diesen brachten die Götter, die Sadhya's und die Rsi's sich zum Opfer.

Aus diesem vollständig geopferten Opfer wurde das Opferschmalz gewonnen. Das machte er zu den in der Luft, im Wald und im Dorf lebenden Tieren.

Aus diesem vollständig geopferten Opfer entstanden die Verse und Sangesweisen, aus ihm entstanden die Metren, aus ihm entstand der Opferspruch.

Aus ihm entstanden die Rosse und alle Tiere mit doppelter Zahnreihe, aus ihm entstanden die Rinder, aus ihm sind die Ziegen und Schafe entstanden.

Als sie den Purusha auseinander legten, in wie viele Teile teilten sie ihn? Was ward sein Mund, was seine Arme, was werden seine Schenkel, (was) seine Füße genannt?

Sein Mund ward zum Brahmanen, seine beiden Arme wurden zum Rajanya gemacht, seine beiden Schenkel zum Vaishya, aus seinen Füßen entstand der Shudra.

Der Mond ist aus seinem Geist entstanden, die Sonne entstand aus seinem Auge; aus seinem Munde Indra und Agni, aus seinem Aushauch entstand der Wind.

Aus dem Nabel ward der Luftraum, aus dem Haupte ging der Himmel hervor, aus den Füßen die Erde, aus dem Ohre die Weltgegenden. So regelten sie die Welten.

Sieben waren seine Umleghölzer, dreimal sieben Brennhölzer wurden gemacht, als die Götter das Opfer vollzogen und Purusha als Opfertier anbanden.

Mit dem Opfer opferten die Götter dem Opfer. Dies waren die ersten Normen (des Opfers). Diese Mächte schlossen sich dem Himmel an, in dem sie die früheren Götter, die Sadhyas, sich befinden".

Der hier gestiftete Zusammenhang ist der zwischen dem Körper des Purusha und den Einzel-heiten dieser Welt, die seine Teile sind bzw. aus diesen hervorgegangen sind. So haben wir die frühere Entsprechung oder vielleicht den Vorwurf zum griechischen Arché-Denken, dem Forschen nach Ursprung, Anfang, Prinzip oder Grundsubstanz alles Wirklichen. Und ersichtlich ist es eine "Theorie" des phänomalistischen Typs, nämlich in dem Sinne, daß sie das, was ohnehin schon Einzelheit dieser Welt ist: der Körper eines Menschen oder Lebewesens, zur einzigen Materie und zum Ursprung des Ganzen hochstilisiert. Dies bleibt auch im Abendland in raffinierteren Metaphysiken eine beliebte Methode: die phänomenale Gegebenheit eines bestimmten Wirklichkeitsbereiches zum Grund (sowohl als Ursache wie als substanzieller Gehalt) aller Wirklichkeit zu erheben, sei es die physikalisch-chemische Materie, die Energie, den lebendigen Organismus, den Psychismus der Sinnlichkeit oder des Denkens oder der unbewußten Triebe und Strebungen.

Aber man sieht auch, daß selbst dies einfache Schema nicht klar und konsequent eingehalten wird - vielleicht auch deshalb, weil es sonst so leicht durchschaubar und somit reizlos und ohne Geheimnis erschienen wäre. Der Purusha gebiert aus sich das weibliche Prinzip Viraj in einer Art männlicher Jungfernzeugung, und dann entsteht er wieder selbst aus beiden. Das mag noch das rätselhafte Geschehen von Fortpflanzung überhaupt, in dem ja gattungsmäßig immer das Gleiche und doch individuell das immer Verschiedene herauskommt, auf den Begriff bringen. Aber dann sind da plötzlich Götter, die ihn opfern und zerteilen. Sind sie nun selber aus den drei Vierteln dieses Körpers, die zum Himmlischen wurden, entstanden, und bevor - oder nachdem sie teilten? Müßige Fragen angesichts des Mythos, der eher darauf abgestellt ist zu zeigen, daß die Götter selber das tun, was die Brahmanen als ihre höchste Würde und ihren Existenzgrund selber behaupten, und daß sie selber mithin so etwas wie Götter seien.

Weitaus "philosophischer" ist der berühmteste unter den "Schöpfungsmythen" des Rig-Veda Nr. 10, 129 (Geldner, Bd 3, S. 359-61). Er lautet folgendermaßen:

"Weder Nichtsein noch Sein war damals; nicht war der Luftraum noch der Himmel darüber. Was strich hin und her? Wo? In wessen Obhut? Was war das unergründliche tiefe Wasser?

Weder Tod noch Unsterblichkeit war damals; nicht gab es ein Anzeichen von Tag und Nacht. Es atmete nach seinem Eigengesetz ohne Windzug dieses Eine. Irgend ein Anderes als dieses war weiter nicht vorhanden.

Am Anfang war Finsternis in Finsternis versteckt; all dieses war unkenntliche Flut. Das Lebenskräftige, das von der Leere eingeschlossen war, das E i n e wurde durch die Nacht seines heißen Dranges geboren.

Über dieses kam am Anfang das Liebesverlangen, was des Denkens erster Same war. Im Herzen forschend machten die Weisen durch Nachdenken das Band des Seins im Nichtsein ausfindig.

Quer hindurch ward ihre Richtschnur gespannt. Gab es denn ein Unten, gab es denn ein Oben? Es waren Besamer, es waren Ausdehnungskräfte da. Unterhalb war der Trieb, oberhalb die Gewährung.

Wer weiß es gewiß, wer kann es hier verkünden, woher sie entstanden, woher diese Schöpfung kam? Die Götter (kamen) erst nachher durch die Schöpfung dieser (Welt). Wer weiß es dann, woraus sie sich entwickelt hat?

Woraus diese Schöpfung sich entwickelt hat, ob er sie gemacht hat oder nicht - der der Aufseher dieser (Welt) im höchsten Himmel ist, der allein weiß es, es sei denn, daß auch er es nicht weiß".

Dieser "Schöpfungsmythos" ist im Gegensatz zum ersteren vom transzendenten Typus. D. h. er nimmt nicht, wie der phänomenalistische, ein bestimmtes sinnliches Einzelne als Grund und Substanz von allem, sondern "geht darüber hinaus" oder "dahinter", um ein ganz anderes als verborgenen Grund des Gegebenen zu finden oder zu stiften. Und dies ist ersichtlich die Richtung aller "transzendentalen" Metaphysiken. Sie gelangen sofort in das Dilemma, dies Andere mit Hilfe des nicht-Anderen, das Unbekannte im Lichte des Bekannten, das Unsagbare in der Sprache des Sagbaren zu erfassen. Dies stößt an die Grenze von Denken, Sprache und Erkenntnis überhaupt.

Der Mythos verrät, daß er das Ergebnis langer Debatten und unermüdlichen Vorstoßens in Ursachenketten ist. Es muß schon vieles "phänomenalistisch" als Grund vorgeschlagen und verworfen worden sein, ehe man dazu gelangen kann, die Frage nach dem Ursprung überhaupt als die nach Sein und Nichtsein formulieren zu können. Und der Impuls solchen Fragens muß ungebrochen erhalten sein, um die Frage weiter zu stellen und sich nicht mit Auskünften zu beruhigen wie etwa derjenigen des griechischen Parmenides: daß das Sein ist und das Nichtsein nicht ist, oder ähnlichem.

Daß am Anfang weder Sein noch Nichtsein war, daß schließt ein, daß dieser Ursprung weder in positiven noch negativen Bestimmungen erfaßt werden kann. Und nur das erläutern die nachfolgenden Ausführungen: weder Tod noch Unsterblichkeit, weder Tag noch Nacht.

Aber dann bedient sich der Mythos eines neuen Tricks: der Potenzierung der Negation. "Finsternis in Finsternis versteckt" wird plötzlich zum Etwas, zur Flut, die nur noch der Erkenntnis ein Negatives bleibt, ontologisch aber Eines und eigengesetzlich sein soll. Diese Argumentationsfigur ist dem Abendland in aller "Ding-an-sich"-Philosophie vertraut und geläufig geworden. Sie behauptet das Etwas und leugnet zugleich seine Erkennbarkeit. Sie begeht den Widerspruch zwischen Ontologie und Erkenntnistheorie und setzt ihn zugleich als erste Wahrheit. Nicht nur die Dialektiker machen aus solchem Widerspruch eine Tugend, er ist vielmehr in den Begriffen von Kraft, Möglichkeit, Potenzialität eine abendländische Institution geworden, inauguriert von Empedokles' Lehre von Liebe und Haß und sanktioniert durch die aristotelische Potenzenlehre. Sie gelten als das eigentlich Wirkende hinter den Erscheinungen, ohne selbst jemals Erscheinung zu werden. Und nur von ihnen kann man sagen, daß sie sind, wenn etwas erscheint, aber auch, wenn nichts erscheint. Und so spekulieren ja auch modernste Kosmologen über die Urkraft, die gewesen sein muß, ehe sie im "Urknall" die erste kosmische Erscheinung hervorrief.

Das läßt sich in physikalischer Theorie eleganter und sicher geheimnisvoller formulieren, nicht aber überzeugender als der primitive Mythos es auch leistet. Er spricht von der "Macht des heißen Dranges" (tapas) und vom "Liebesverlangen", nicht klarer und nicht undeutlicher als Empedokles, Hesiod und Platon über den Eros oder moderne Lebensphilosophen über den "élan vital", der "unterhalb als Trieb", "oberhalb" als Sublimation und Überbau alles Erscheinende bewirkt.

Und noch ehrlicher ist hier der Mythos, da er sich zu Auskünften gedrängt sieht, die er doch nicht verantworten kann. Er läßt sich auf das Fragespiel ein und bleibt im Hypothetischen - vorsichtiger als so mancher moderne Forscher, der so tut, als sei er dabeigewesen. Der "Aufseher der Welt" - was und wer immer das sei - er weiß es, oder er weiß es nicht! Wie sollten da die Weisen mehr erreichen, als "das Band des Seins im Nichtsein" festzumachen?

Nicht die Antworten sind hier also das Interessante, sondern die Fragen. Es sind die zwei Fragerichtungen nach dem "Woher" (dem Ursprung und Grund, der dasselbe sein kann) und nach dem "Wer" des Wissens und Erkennens. Und es deutet sich schon an, daß beide Fragen in dieselbe Richtung zielen: daß Ursprung und Wissen etwas gemeinsam haben. Aber dies Herauszuarbeiten, bleibt Gegenstand der späteren Entwicklungen der indischen Philosophie.

Vergleicht man diese Fragerichtungen mit denen in der griechischen Philosophie durch Aristoteles auf den Begriff gebrachten, so zeigt sich ein wesentlicher Unterschied. Die Wissenschaftslehre des Aristoteles hat in den Kategorien sowie in den vier Ursachen die Fragemöglichkeiten abendländischer Wissenschaft kanonisch festgelegt. Das Fragen richtet sich zuerst und grundlegend auf das "Was ist das?" des einzelnen Dinges bzw. des Faktums, und alle Antworten auf diese Frage legen diesen Gegenstand als Substanz fest und beschreiben ihn nach den Kategorien-Fragen. Erst wenn es so erfaßt und gleichsam gesichert ist, läßt sich weiterfragen nach den Zusammenhängen, in denen es mit anderem Einzelnen und Faktischen steht. Ist also das Was, Wie, Wann, Wo usw. des Einzelnen fragend erschöpft und gesichert,, so richten sich die Fragen nach den vier Ursachen auf das innere Wesen der Sache - die Formursache, auf das "Woraus?" der Materie bzw. des Stoffes?" auf das "Woher der Bewegung und Veränderung?'" und schließlich auf das "Worumwillen des Zieles und Zweckes?" Und diese Fragen münden dann in die Erforschung von begrifflichem Wesen, äußerer materieller Gestalt, kausaler Bedingtheit und teleologischem Entwicklungsziel oder zweckhafter Dienstbarkeit des je Einzelnen in der Wirklichkeit. Die Wissenschaften selbst sind dann nichts anderes als das Gesamt der durch solche Forschung in diesen Fragerichtungen angehäuften Antworten.

Man bemerkt leicht, daß das indische Denken gemäß seinen vedischen Ansätzen anders fragt und andere Richtungen verfolgt, als die durch Aristoteles kanonisierte abendländische Wissenschaft. Indisches Denken fragt nach dem "Woraus?", und das umfaßt Ursprung und Stofflichkeit bzw. Substanzialität der Schöpfung und ist doch auch nicht dasselbe wie abendländisches "Woher der Bewegung" als Kausalität und "Woraus?" als Materialität. Denn dies vedische "Woraus?" ist nicht zeitlich gemeint, wie es in der Entfaltung der Kausalforschung im Abendland immer mehr in den Vordergrund rückt, und die Materialität versteht sich auch nicht als Gegensatz zum Wesen (der Form), sondern ist eher mit ihr identisch.

Die Frage nach dem "Wer denkt, weiß und verkündet" aber taucht in der aristotelischen Fragestilisierung überhaupt nicht auf, und sie ist im Sinne abendländischer "objektivistischer" Wissenschaft bis heute gleichsam tabu. Gleichwohl fehlt sie auch im Abendland nicht, denn mindestens drei große "Wenden zum Subjekt" haben sie gewissermaßen gegen den Aristotelis-mus immer wieder thematisiert: die antike sokratisch-platonisch-sophistische, die augustinisch-neuplatonische und die neuplatonische Wende der Renaissance, die über Descartes, Leibniz und den deutschen Idealismus gewissermaßen die "Substanz zum Subjekt" gemacht haben - wie es Hegel nachdrücklich forderte. Daher ist auch in diesen neuplatonischen und antiaristotelischen "Wenden zum Subjekt" das Pendant zur indischen Thematisierung der Frage nach dem "Wer" des Wissens zu suchen. Und auch die Antworten gehen hier parallel: nämlich daß das "Subjekt" Geist, Selbst, Bewußtsein und letztlich dasselbe wie der Ursprung aller Dinge und Wirklichkeit sei. 

§ 12 Die Brahmanas.

Diese sind eine Schriftengruppe "von und für Brahmanen", wie ihr Name sagt. Die Brahmanen waren und sind die oberste priesterliche Kaste der Inder. Ursprünglich sicher die Führer des Einwandervolkes, haben sie sich dann als Priesterkaste auf die Verwaltung von Vedenkenntnis, Ritus und Gottesdienst spezialisiert, schließlich und bis heute bilden sie überhaupt einen Stand der Gelehrten, Weisen oder Intellektuellen, der nach Ansehen etwa dem entspricht, was man im Abendland die Akademiker (nach Platons "Akademie") nennt, weil sie höhere Studien betrieben haben oder sich um die höhere Bildung bemühen. Solche Bildung aber ist in Indien vedische Bildung geblieben, die über Jahrhunderte durch persönliches Lehrer(Guru)-Schüler-Verhältnis tradiert worden ist.

Wie auch sonst im indischen Kastenwesen weisen die Brahmanen unzählige besondere Zweige und Schichtungen auf. Doch hält sich in diesen eine alte Viererstufung aus dem Gesetzbuch des Manu durch, die der einzelne Brahmane entweder durchlaufen kann, oder deren einzelnen Stufen er zugeordnet werden kann, deren Weihe er jeweils erreicht hat. Diese sind:

1. Brachmachari, der Vedenschüler, der einem persönlichen Lehrer fest verbunden ist und gewöhnlich auch in dessen Diensten aufgeht.

2. Grihastha, der "Haushälter" oder aktive Priester mit Familie und Beruf, der die Veden lehrt und Opferzeremonien durchführt.

3. Vanaprastha, der "Waldbewohner" oder Einsiedler, der sich als alter Mann aus dem aktiven Leben und von der Familie zurückgezogen hat und in der Waldeseinsamkeit nur noch der Meditation, dem Vollzug der religiösen Zeremonien und der Askese lebt.

4. Sannyasi, der Heilige oder Bettelmönch, der ganz "jenseits von gut und böse" alle Bindungen, festen Wohnsitz, ja auch alle Verpflichtung zu rituellem Kultus hinter sich gelassen hat und nur noch seiner geistigen Vervollkommnung und Einswerdung mit dem Göttlichen - und dabei natürlich von Allmosen - lebt. Dieser Stand ist im Abendland als "Fakir" (arabisch: Armer) populär geworden, dessen körperliche Leidens- und Leistungsfähigkeit ebenso sprichwörtlich geworden ist.

Die Bezeichnung dieser Kaste hängt aufs engste zusammen mit den Namen für die höchste Gottheit, von der die Brahmana-Texte selber sprechen: dem (sächlichen) Brahman als allesdurchdringender Weltseele, und dem (maskulinen) Brahma als Weltenschöpfer. Das Satapatha-Brahmana erklärt an einer berühmten Stelle: "Es gibt zwei Arten von Göttern: erstens die Götter, und dann die Brahmanen, welche die Veden gelernt haben und sie rezitieren; diese sind menschliche Götter". Zweifellos entspricht das dem Selbstverständnis und auch der sozialen Anerkennung dieser Kaste.

Als eine Art liturgischer Literatur dieser Priesterkaste wendet sich die Brahmana-Literatur speziell an die Spezialisten der einzelnen Veden-Sammlungen, die sie erläutern und interpretieren: an den Hotr-Priester des Rig-Veda, den Utgatr-Priester des Sama-Veda und den Adhvaryu-Priester des Yayur-Veda. Darüber hinaus gehören zu den Brahmanas auch die sog. Aranyakas, eine Schriftengruppe, die sich an die "Waldbewohner" (Vanaprasthas) wendet, schließlich auch die Upanishaden, die allgemeinere Einführungs- und Interpretationsliteratur für alle Priester und Priesterschüler darstellen.

Daher werden die Brahmanas auch in Zuordnung zu den Veden-Samhitas angeordnet und die allgemeineren als Extravaganten geführt.

1. Zum Rig-Veda gehört das Aitareya-Brahmana (auch Aswalayana genannt). Es ist wohl das älteste und geht bis ins 7. Jh v. Chr. zurück. Daneben gehört zum Rig-Veda das Kaushitaki-Brahmana (auch Sankhayana genannt).

Ausgabe: A. B. Keith, Rig-Veda Brahmanas. The Aitareya and Kausitaki Brahmanas of the Rig-Veda, transl. from the original Sanskrit (Havard Oriental Series Vol. 25) Oxford 1920.

Lit.: Fr. Weller, Die Legende von Sunahsepaim Aitareyabrahmana und Sankhayanasrantasutra (Verh. d. Sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-Hist. Kl. 102,2), Berlin (-Ost) 1956.

2. Zum Sama-Veda gehören acht Brahmanas, von denen die bekanntesten das Praudha-Brahmana (auch Pancha-vinsa genannt), das Tandya-Brahmana und das Shad-vinsa- Brahmana sind. Sie sind noch nicht übersetzt.

3. Zum schwarzen Yayur-Veda gehört das Taittiriva-Brahmana und zum weißen Yayur-Veda das Satapatha-Brahmana. Letzteres gilt als das wichtigste und philosophisch interessanteste aller Brahmanas.

Ausgabe: J. Eggeling, Satapatha Brahmana, in: Sacred Books of the East, Bde 12, 26, 41, 43, 44 (Nachdruck), Oxford 1882-1900.

4. Zum Atharva-Veda gehört nur ein Brahmana, das Gopatha-Brahmana, welches im Sanskrit-Text von R. Lala in der "Bibliotheca Indica" veröffentlicht wurde.

Eine Textauswahl aus den Brahmanas bietet W. Ruben, Beginn der Philosophie in Indien (Texte der indischen Philosophie 1), 3. Aufl. Berlin 1961, S. 37-127.

Die Aranyakas (wörtlich: zum Wald gehörig) werden ihrerseits gewöhnlich den Brahmanas der einzelnen Veden-Samhitas zugeordnet. So gibt es ein Aitareya-Aranyaka (zum Rig-Veda), ein Kaushitaki-Aranyaka (ebenfalls zum Rig-Veda gehörig), ein Taittiriya-Aranyaka (zum schwarzen Yayur) sowie ein Brihad-Aranyaka (zum weißen Yayur).

Ihrem vorwiegend liturgischen Charakter nach sind die Brahmanas und Aranyakas genaue Beschreibungen der Opferzeremonien, gleichsam Anweisungen und Handreichungen zu ihrer Durchführung, Erklärungen über ihre Ursprünge, Spekulationen über ihre Effekte und Erfolgsaussichten. In ihnen spricht sich das Bewußtsein einer Techniker-Kaste aus, die davon überzeugt ist, durch ihre Tätigkeit geradezu den Weltlauf zu ermöglichen, wenn nicht gar ihn zu inszenieren: "Die Sonne würde nicht aufgehen, würde nicht der Priester in der Frühe das Feueropfer darbringen" (nach Glasenapp, Die Phil. d. Inder, S. 32).

Im Zentrum der Riten-Technik steht das genaue Memorieren und Rezitieren der vedischen Hymnen. Die Genauigkeit der Durchführung verbürgt dann den Erfolg, z. B. beim Regenmachen. Kavasha "erschaute" den "Enkel-der-Wasser-Hymnus". Will man Regen machen, so muß man ihn ununterbrochen nachsprechen. "Ununterbrochen regnen nun für die Geschöpfe wird Parjaya, wo ein So-Wissender dies ununterbrochen nachspricht. Insofern er absetzend nachsprechen würde, würde Parjanya nun (nur) mit (einzelnen) Wolken regnend sein. Deswegen ist dies ununterbrochen nachzusprechen. Dessen erste (Strophe) dreimal (nachsprechend) spricht er (dies) ununterbrochen. Dadurch ist dies alles "ununterbrochen nachgesprochen" (aus dem Aitareya-Brahmana, nach Ruben, S. 41).

Solche magische Technik setzt aber nicht nur die Natur in Bewegung, sondern hat auch wohltätige Rückwirkungen auf den Brahmanen selbst, der sich dadurch gleichsam in Gleichklang mit der Natur und den göttlichen Machten bringt. Darüber heißt es im Satapatha-Brahmana:

"Lieb sind Memorieren und Hersagen. Er wird aufmerksamen Denkens, von anderen unabhängig, Tag für Tag vollendet er seine Zwecke, glücklich schläft er, er wird der beste Arzt des Selbst. Sinneszügelung und Sich-gleichmäßig-nur-an-Einem-freuen, Wachsen des Erkennens, Ruhm, Reifen der Welt (um ihn herum), (werden ihm zuteil).

Das wachsende Erkennen verhilft dem Brahmanen zu vier Attributen: (wahres) Brahmanentum, dem entsprechenden Wandel, Ruhm, Reifen der Welt (um ihn herum).

Die reife Welt frommt dem Brahmanen mit vier Attributen: mit Ehrfurcht, Geben, Unverletztlichkeit und Untötbarkeit.

Was auch immer nun wahrlich die Mühen hier zwischen Himmel und Erde sind, das Memorieren nun gerade ist deren Gipfel, das Ziel (dessen), der so wissend das Memorieren treibt. Deswegen ist das Memorieren zu treiben.....

Wenn er nun wahrlich auch gesalbt, geschmückt, ganz satt, auf einem glücklichen Lager liegend das Memorieren treibt, bis zu den Spitzen der Fingernägel nun gerade kasteit dieser sich, der so wissend das Memorieren treibt. Deswegen ist das Memorieren zu treiben.

Honig nun wahrlich sind die Rk-Verse; Schmelzbutter nun sind die Saman-Lieder; Unsterblichkeitstrank sind die Yayussprüche. Wenn dieser nun wahrlich den Dialog lernt, ist dies nun gerade eine Milchspeise und eine Fleischspeise.

Mit Honig nun wahrlich sättigt derjenige die Götter, der so wissend die Rk-Verse Tag für Tag memoriert. Diese, gesättigt sättigen ihn mit allen Wünschen, mit allen Genüssen....

Es gehen wahrlich die Wasser, es geht die Sonne, es geht der Mond, es gehen die Sterne. Wie nun wahrlich diese Gottheiten (würden, wenn sie) wohl nicht gehen würden, nicht handeln würden, ebenso nun wird ein Brahmane an dem Tag, an dem er nicht memoriert. Deshalb ist das Memorieren zu treiben" (nach Ruben, S. 47-48).

Philosophisch interessanter sind nun diejenigen Stellen der Brahmanas, wo die philosophisch relevanten Punkte der Veden erklärt und interpretiert werden müssen. Diese Interpretationen stellen eine erste Herausarbeitung ontologischer und anthropologischer Zusammenhangs-stiftungen dar. Am Leitfaden der Ursprungsfrage wird die kosmologische Theorie ausgebaut, z. B. daß alles Gröbere aus Feinerem entstehe: Stein aus Kiesel, Kiesel aus Sand, Lehm aus Schaum, Schaum aus Wasser; Gold aus Erz usw. Am Anfang aber steht Prajapati, der Demiurg, dessen Rolle als Weltenschöpfer immer wieder herausgestellt wird. Aber im Gegensatz zum abendländischen Denken, wo das Zeugen des Mannes die herrschende Erklärungsfigur wird, ist es hier das Ausbrüten (tapas), welches unhinterfragbarer Ursprungsakt wird. Da das Brüten ja auch eine sprichwörtliche Metapher für das meditierende Denken ist, führt das wiederum zu mannigfachen Rückverweisen auf die schöpferische Funktion der geistigen Tätigkeit.

Dieses Denk-Brüten wird auch zur Interpretation der vedischen Aussage über das Entstehen aus dem Weder-Seienden-noch-nicht-Seienden bemüht. Im Satapatha-Brahmana heißt es darüber:

"Nicht gleichsam wahrlich war dies im Anfang nichtseiend, nicht gleichsam war es seiend. Es war gleichsam dies im Anfang, nicht gleichsam war es. Dies nun, dies war nur das Denken.

Deswegen ist dies vom Seher gesagt: "Nicht Nichtseiendes war, auch nicht Seiendes war damals". Nicht ist ja gleichsam das Denken seiend, nicht gleichsam nichtseiend.

Dies, das Denken, geschaffen, wollte offenbar werden, ausgesprochener, gestalthafter (werden). Dies suchte (ein) Selbst. Dies trieb Askese. Dies nahm feste Gestalt an. Dies sah 36000 Feuer (seines) Selbst, Strahlen, aus dem Denken bestehende, durch das Denken aufgeschichtete; diese wurden nur durch das Denken angelegt, wurden durch das Denken aufgeschichtet; durch das Denken wurden ihnen Spenden gespendet; durch das Denken sangen sie; durch das Denken priesen sie. Was auch immer beim Opfer an Handlung vollzogen wird, was auch immer an Opferhandlung, das wurde nur durch das Denken in diesen, in den aus dem Denken bestehenden, durch das Denken aufgeschichteten als aus dem Denken bestehende (Opferhandlung) vollzogen. Dementsprechend: Was auch immer diese Wesen mit dem Denken vorstellen, das ist die Machung eben nur dieser (Feuer) .... So groß ist die Entfaltung des Denkens, so groß ist die Schöpfung im einzelnen des Denkens, so groß ist das Denken; 36000 Feuer, Strahlen; von diesen ist jedes einzelne so groß, wie jenes frühere (Feuer) war.

Dies Denken schuf die Rede. Diese, die Rede, geschaffen, wollte offenbar werden, ausgesprochener, gestalthafter (werden). Diese suchte (ein) Selbst. Diese trieb Askese, diese nahm feste Gestalt an. Diese sah 26000 Feuer (seines) Selbst, Strahlen, aus der Rede bestehende, durch die Rede aufgeschichtete ... Was auch immer diese Wesen mit der Rede reden, das ist die Machung eben nur dieser (Feuer) ... So groß ist die Entfaltung der Rede...

Diese Rede schuf den Atem. Dieser, der Atem, geschaffen, wollte offenbar werden, ausgesprochener, gestalthafter (werden). Dieser suchte (ein) Selbst. Dieser trieb Askese, dieser nahm feste Gestalt an. Dieser sah 36000 Feuer (seines) Selbst, Strahlen aus dem Atem bestehende, durch den Atem aufgeschichtete ...

Dieser Atem schuf das Sehen ....

Dies Sehen schuf das Hören ...

Dies Hören schuf die Handlung. Das nahm feste Gestalt an (und wurde) zu den Lebenshauchen, zu dieser Zusammenkittung, dem Speiseleib. Unvollständig wahrlich ist die Handlung ohne die Lebenshauche; unvollstängig wahrlich sind auch die Lebenshauche ohne die Handlung.

Dies, die Handlung, geschaffen, wollte offenbar werden ....

Diese Handlung schuf das Feuer. Offenbarer wahrlich ist das Feuer als die Handlung. Durch die Handlung erzeugen sie es ja, durch die Handlung entzünden sie es.

Dies Feuer, geschaffen, wollte offenbar werden ....

Die nun, diese (Feuer) sind nur durch das Wissen aufgeschichtet. Die nun, diese schichten alle Wesen immer dem So-Wissenden auf, auch dem schlafenden. Durch Wissen nun allein werden sie für den So-Wissenden aufgeschichtet." (nach Ruben, S. 61-64).

Offensichtlich handelt es sich um den für die Wendung der indischen Philosophie zum Idealismus grundlegenden Text.

Die Rig-Veda-Stelle dient ihm zum Ausgang, die das Ursprüngliche als weder seiende noch nichtseiend postuliert. Aber sie wird schon selbst als eine verblümte Rede über das eigentlich Unfaßbare aufgefaßt. Daher die Einkleidung des Berichts in die vorsichtige Formulierung: "gleichsam". Es mag in langen und heftigen Debatten darum gerungen worden sein, was in aller Welt am ehesten diesem Postulat entsprechen könnte, und fast mit Stolz und triumphierend wird nun etwas aufgewiesen, was es erfüllt: "dies war nur das Denken".

Ersichtlich ein glücklicher Fund und eine wesentliche Erkenntnis über das Denken. Denn es ist nicht seiend wie die Dinge dieser materiellen Wirklichkeit, die das Maß für die Seiendheit abgeben, und es ist auch nicht nichtseiend wie die Leere, die sich gleichsam durch Wegräumen aller Dinge ergäbe. Vielmehr ist es doch selber das Maß für alles, was als Seiendes erkannt und angesprochen werden kann, und auch das Maß für das, was überhaupt als nichtseiend nur "gedacht" werden kann.

Sicher ist es kein Zufall, daß diese Entdeckung auch bei den Griechen aufkam. Anaxagoras, der um 462 v. Chr. aus Jonien nach Athen kam, brachte sie von daher mit und mag sie von den Indern übernommen haben. Bei ihm ist der Nous die alleserklärende und nicht hinterfragbare Arché. Man hat das üblicherweise mit "Geist" übersetzt, weil sich darunter in abendländischem Sinne eine eigenständige Substanz verstehen läßt. Aber vielmehr bedeutet es ja Denken (von noein). Und dieses läßt sich nicht als Substanz und somit als ein Seiendes verstehen, vielmehr wird es auch schon von Anaxagoras, erst recht von allen Späteren als Kraft, Potenz, Vermögen und somit als dies Mittlere zwischen Seiendem und nicht-Seiendem aufgefaßt. Für Anaxagoras ist das Denken "allein selbst für sich selbst" (im Gegensatz zu allem anderen), "das feinste und reinste von allen Dingen", "vollständig von anderen abgesondert oder geschieden", es "hat seine Macht allein aus sich selbst", es "hat die größte Kraft", "ist ewig", "geht durch alle Dinge hindurch", "ist etwas Unendliches bzw. Unbestimmbares", "besitzt von jedem Dinge jegliche Erkenntnis", "wie die Dinge werden sollten und wie sie waren und wie sie sind, das alles ordnete das Denken an".

Das hat auch Platon anerkannt, der "glaubte, in Anaxagoras einen Lehrmeister nach meinem Herzen gefunden zu haben über die Ursache der Dinge" und seine Schriften "mit glühendem Eifer zur Hand nahm und las" (Phaidon 97B), wenngleich er dann ebenso wie Aristoteles an ihm tadelte, daß er nur den Ursprung, nicht aber die weitere Gestaltung des Universums aus diesem Prinzip herleitete.

Platon selbst hat dann wieder die Inhalte des Denkens, die Ideen, zum eigentlichen Sein gemacht. Aber der Neuplatonismus, dem die aristotelische Möglichkeitsontologie zur Verfügung stand, ist auf das Denken als das Umfassende zurückgekommen und hat es als Geist, Potenz und Allmacht beschrieben, und mit dem Göttlichen identifiziert. So ist es auch im abendländischen Idealismus, der immer dem Neuplatonismus verpflichtet blieb, als "Weltvernunft" und – bei Hegel – als die "absolute Macht" gefeiert worden.

Was nun das Hervorgehen von Rede, Atem, Sinnesleistungen, Handeln, Feuer usw. aus dem Denken betrifft, so mag das brahmanischen Präferenzen entsprechen, die darin ihrem eigenen Tun die Nähe zum Ursprung und damit metaphysische Dignität vindizieren. Es ist für indisches Denken mehr oder weniger kanonisch geblieben, während im abendländischen Neuplatonismus an ihrer Stelle die Emanationen der Geister, Engel und spirituellen Seelen stehen. Aber auch sie tragen für den Blick des Mythenforschern noch alle Züge hypostasierter "Vermögen", die nicht allzu weit vom indischen Prototyp abliegen: Der "Logos" als eingeborener Sohn des Gottes hat sehr viel mit der "Rede" (vac) zu tun, der Atem viel mit neuplatonischem und stoischem Pneuma, das Hören und Sehen viel mit mystischer Gottesschau und dem Pfingstereignis, das Tun und Handeln viel mit der demiurgischen Schöpferkraft der Voluntas Dei, und das Feuer ist auch im Abendland immer Sinnbild der alles verzehrenden Glut des Geistes und des göttlichen Lichtes (von der Lichtmetaphysik der Patristiker bis in die Mythologie der "Aufklärung") geblieben.

Ein zweites wichtiges und folgenreiches Motiv in dieser Deduktion der Wirklichkeit aus dem Denken ist der Begriff des "Selbst" (atman), der hier in brahmanischer Literatur zuerst auftaucht. Der Atman hat im indischen Denken den Stellenwert, den im Abendland das Individuationsprinzip einnimmt. Man könnte sagen, es ist das indische Individuationsprinzip schlechthin. Alles im Denken und in sinnlicher Erfahrung erfaßbare hat diesen Charakter des "Selbst", es ist ein "Etwas".

Im abendländischen Denken ist freilich Individuation vorwiegend unter aristotelischem Einfluß – und damit realistisch – als "Konkretion" (Zusammenwachsen) des Allgemeinen und Begrifflichen mit bestimmter Materie gefaßt worden, und sie wurde dadurch ein abgeleitetes und erklärtes Phänomen. Nur Platon hat die Individuiertheit und Vereinzelung der Seelen als Urphänomen nicht erklärt, sondern vorausgesetzt, und sicher nicht ohne Einfluß indischer Philosophie.

Der indische Atman liegt gleichsam dazwischen. Er hat mit der platonischen Seelensubstanzialität vieles oder das meiste gemein, aber auch das materiell-körperliche Moment spielt eine große Rolle, nämlich für seine Identität durch die Inkarnationen hindurch. Aber darüber hinaus ist der Atman – wie es die Kette der Hervorgänge aus dem Ursprung zeigt – Erscheinung des Wesens und Erscheinung der Erscheinung (Epiphänomen), so daß er auch immer wieder durch die Erscheinungen hindurch zum Wesen und Ursprung zurückkehren kann und muß, sich gewissermaßen in den Ursprung hinein verlieren kann und muß.

Diese Denkfiguration zeigt sich im Menschenbild der Brahmanas. Der Mensch hat wohl Selbst, aber es ist zusammengesetzt aus fünf sichtbaren und fünf unsichtbaren Elementen.

Sein sichtbarer Teil ist die Gestalt (Rupa) aus Haar, Haut, Fleisch, Knochen und Mark. Sein unsichtbarer Teil dagegen wird als sein Namen (nama) gefaßt, und das ist etwas, was wiederum ganz "archäologisch" aus dem Denken (manas), Rede (vac), Atem (prana), Sehen und Hören zusammengesetzt ist. Letztere, gleichsam der geistige oder denkerische Anteil des Menschen, sind im Leben an die Gestalt, das Körperhafte gebunden und in es inkarniert ("eingefleischt"). Aber nach dem irdischen Tod lösen sie sich wieder zu getrennten Elementen auf. Die Brahmanas lassen sie zu ihren Herkunftsörtern Mond, Feuer, Wind, Sonne und Himmelsrichtungen zurückkehren. Jedoch wird auch davon gesprochen, daß sie auch nach dem irdischen Tod noch zusammenbleiben können, bis ein zweiter Tod sie im Jenseits scheidet – dergleichen wird auch im abendländischen Neuplatonismus bei Plutarch ausgemalt, und die christliche Lehre vom Fegefeuer nimmt es wieder auf – oder bis eine neue Inkarnation sie wieder in eine neue körperliche Gestalt zurückführt.

Man sieht daran, daß das Selbst eine relative Größe ist – im Unterschied zur absoluten Individualität neuplatonischer Seelensubstanzen, wohl aber in Übereinstimmung mit körperlicher Individuation durch Materie im aristotelischen Sinne. Man kann daher erwarten, daß im indischen Denken alles Wissen und Forschen nachmals darum kreist, die Selbstheit der Dinge und des Denkens selbst auf den Begriff zu bringen; alle Moksa- (Erlösungs-) Tendenz aber darauf abzielt, es zu überwinden, von ihm loszukommen.

§ 13 Die Upanishaden.

Sie stellen den dritten Teil der Veden-Literatur dar und werden ihrerseits als Anhänge der Brahmanas zu den vier Veden-Samhitas angeordnet. Da sie so "am Ende" der Veden-Literatur stehen, werden sie auch als "Vedanta" bezeichnet. Insgesamt gelten sie den Hindus als Offenbarungsliteratur (Shruti), den Indern allgemein aber als die große vedische Tradition (Smrti).

Ihre schriftliche Abfassung erstreckt sich wahrscheinlich vom 6. Jahrhundert v. Chr. bis ins europäische Mittelalter, aber die meisten dürften der Zeit nach der Abfassung der Brahmanas entstammen. Sie stellen eine ausgebreitete Kommentar- und Interpretationsliteratur zu den Veden und Brahmanas dar, zumeist in Prosa abgefaßt, doch gibt es auch Einsprengsel von Versen, nur einige wenige sind gänzlich in Versform verfaßt. Eine genaue Anzahl läßt sich nicht angeben, da die Zuordnung der späteteren eine Definitionsfrage bleibt, doch liegt die Größenordnung bei ca. 150.

Entsprechend den Brahmanas zu den vier Veden-Samhitas gibt es – oftmals gleichbenannte – Upanishads:

Zum Rig-Veda bzw. seinem Aitareya-Brahmana gibt es einen Aitareya-Upanishad. Zum Sama-Veda gehören Kena- und Chandogya-Upanishad. Zum Taittiriya-Brahmana des Yayur gehört ein Taittiriya-Upanishad, zum Vajasaneyi- (weißen) Yayur gehört ein Isa-Upanishad und zu seinem Satapatha-Brahmana das Brihad-Aranyaka oder Brihad-Upanishad, eines der bedeutendsten von allen. Zum Atharva-Veda gibt es 52 Upanishads, darunter das Katha-, Prasna-, Mundaka- und Mandukya–Upanishad . In den Ausgaben aber werden gewöhnlich Auswahlen aus allen diesen Upanishads vorgenommen. Eine Liste von 120 Upanishads findet sich bei Dasgupta, Bd. I, S. 28.

Ausgaben: Die erste Ausgabe im Westen beruht auf einer persischen Vorlage, die der französische Forscher A. H. Anquetil du Perron ins Lateinische übersetzt hat: "Oupnek‘ hat, seu theologia et philosophia indica", Straßburg 1801-2, 2 Bde. (Der genaue und vollständige Titel lautet: Oupnek‘ hat, i. e. secretum tegendum, opus ipsa in India rarissimum continens antiquam et arcanam S. Theologicam et Philosophicam doctrinam, e IV sacris Indorum libris Rakbeed, Djedirbeid, Sambeid, Athrbanbeid excerptam. Ad verbum e pers. idiomate sanskriticis intermixto in lat. convers. dissertt. et annott. illustr. ab Anquetil du Perron). Es ist im Auszug in deutscher Übersetzung herausgegeben worden von Thaddae Anselm Rixner, Versuch einer neuen Darstellung der uralten indischen All-Einheits-Lehre; oder der berühmten Sammlung ton Oupnekhaton. Erstes Stück Oupnekhat Tschehandouk genannt, Nürnberg 1808. In Frankreich legte L. Poley, Oupanichats, Theologie des Vedas (Sanskrittext mit dem Kommentar des Sankara und franz. Übersetzung) 2 Bde Paris 1836-37 den Grund für das Upanishadenstudium. In England war eine Ausgabe von 52 Upanishads von Colebrooke am verbreitetsten.

Deutsche Ausgaben: Paul Deussen, Sechzig Upanishads des Veda, Leipzig 1897, 4. Aufl. (Nachdruck der 3. von 1921) Darmstadt 1963; ders. Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishad’s, 4. Aufl. Leipzig 1911; Alfred Hillebrandt, Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brahmanas und Upanishaden, Düsseldorf 1964; P. Thieme, Upanishaden. Ausgewählte Stücke, Stuttgart 1966.

Engl.- und Sanskrit-Ausgaben: 112 Upanishads, hg. v. der Nirnaya-Sagara-Press, Bombay 1917; Swami Madhavananda, The Brhadaranyaka Upanishad. With the Commentary of Sankaracarya (sanskr-engl.), Mayavati-Almora o. J; Swami Nikhilananda, The Mandukhyopanishad. With Gaudapada’s Karika and Sankara’s Commentary (sanskr.-engl.) Mysore 1936; ders., The Upanishads, Vol. I: Katha, Isa, Kena, Mundaka, New York 1949; Swami Sharvananda, The Upanishad Series: Isha, Kena, Katha, Prasna, Mundaka, Mandukya, Aitareya, Mylapore-Madras o.J.; R. E. Hume, The thirteen principal Upanishads, 2. Aufl. Oxford 1931 (Nachdruck Darmstadt 1963); S. Radhakrishnan, The Principal Upanishads, New Delhi 1998.

Literatur: A. Edwin Gough, The Philosophy of the Upanishads and ancient Indian Metaphysics, London 1882, 2. Aufl. 1891; Betty Heimann, Tiefschlafspekulationen der alten Upanishaden, München – Neubiberg 1922; S. Radhakrishnan, The Philosophy of the Upanishads, London 1924; A. B. Keith, The Religion and Philosophy of the Veda und Upanishads, Cambridge/Mass. 1925; R.. D. Ranade, A constructive Survey of Upanishadic Philosophy, being an systematic Introduction to Indian Metaphysics, Poona 1926; Chakravarti, The Philosophy of the Upanishads, Kalkutta 1935; Sri Chandra Sen, The mystic Philosophy of the Upanishads, London 1938; W. Ruben, Die Philosophie der Upanishaden, Bern 1947; G. Oberhammer, Zur Beziehung von Feuer und Prana in den vedischen Upanishaden (in: Festschrift für Ammann) Innsbruck 1953; A. Schult, Die Weisheit der Veden und Upanishaden im Lichte des West-Ost-Problems, Bietigheim 1962.

Der Titel "Upanishad" dieser Literaturengruppe bedeutet wörtlich "vertrauliche Sitzung", woraus dann gerne "Geheimlehre" oder "esoterische Lehre" gemacht wird, wie wir sie aus den antiken Philosophenschulen für den inneren Gebrauch der Institute kennen; dies im Gegensatz zu den "öffentlichen" oder "exoterischen" Vorträgen und Verlautbarungen für das Publikum. In der Tat handelt es sich bei den Upanishaden um Lehrmaterial für die Brahman-Schüler, das sie gegen Ende ihrer Ausbildung zu erarbeiten hatten.

Inhaltlich handelt es sich wiederum um Erweiterungen, Vertiefungen und Erklärungen zu den Veden und Brahmanas, die darum die Thematik vorgeben, vielfältig zitiert werden und zu mehr oder weniger tiefsinnigen Spekulationen über das darin eigentlich Gemeinte Anlaß geben. Dies läßt sich durchaus der christlichen Patristiker-Literatur im Hinblick auf die biblische Überlieferung und ihre neutestamentliche Fassung durch die Evangelisten und Paulus vergleichen. Sie haben die Botschaft der heiligen Schrift des Abendlandes in philosophische Fassung gebracht, ihre Thematik festgelegt und Problemstellungen aufgeworfen, die den Anlaß und Vorwurf scholastischer Systembildungen zu ihrer Lösung gegeben haben. Entsprechend gehen auch aus den Themenstellungen und Problemlagen der Upanishaden die klassischen indischen philosophischen Strömungen, die man als Lehrsysteme (Darshanas) unterschieden hat, hervor.

Als dominierendes Motiv tritt in den Upanishaden die All-Einheits-Lehre vom Brahma oder Atman hervor. Sie legt den Grund für die Vorherrschaft des monistischen Denkens im indischen Idealismus.

Zur Einheit gebracht werden aber kann und muß nur, was als Vielfalt vorgefunden wird. Dies ist die Vielfalt der Welten, deren Zahl in den Upanishaden ins Unermeßliche wächst. Ihre Einheit aber wird wie schon in den Brahmanas sowohl als Ursprung wie als gemeinsames Selbst, Atman oder Brahma gedacht.

Zu dieser Welt gehört der Mensch. Seine Eingliederung in die Welten und ihre Elemente und sein Schicksal zwischen Ursprung und Einheit des Ganzen wird weiter entfaltet. Was dabei festgestellt wird, wird auch Grundlage des Menschenbildes der indischen Philosophie.

Den Leitfaden für die Eingliederung des Menschen bzw. seines Selbsts in die Welten gibt die in den Upanishaden erstmals breit entwickelte Karman-Lehre ab. Ihre Entwicklung aber führt zwangsläufig auf die Fragen nach Ursprung und Ende solcher Eingliederung oder Einbindung des Atman in die Weltenelemente. Und dies wiederum führt zur Thematik der Moksa-Lehre, einer Lehre vom "Ausstieg" oder von der Erlösung von diesen Bindungen und Konkretisierungen des Selbst.

Das gedankliche und sprachliche Material zu diesen Lehren bleibt natürlich den Vorlagen der Veden und Brahmanas verpflichtet. So klingt alles Gesagte recht "mythologisch", simpel, bildhaft ja poetisch, in allem das Gegenteil von esoterischem Gehabe.

Der durch eine große Tradition hermeneutischer Tiefendeutung und Metaphern seiner Hinterfragungen hindurchgegangene Abendländer vermutet da gerne tieferen Sinn und verborgenes Geheimnis. Und natürlich legt er immer das hinein, was ihm durch jeweils gegenwärtige Wissenschaft als solcher vertraut und vorgegeben ist.

Wir wollen hier, gewitzt genug im hermeneutische Geschäft, lieber einen umgekehrten Weg verfolgen, nämlich die Esoterik moderner Wissenschaft als Sinnlieferant, mit Wurzeln und Quellen konfrontieren, wo ihre komplizierten und zur Undurchsichtigkeit geronnenen Sinnmomente noch einfach, übersichtlich und in einer dem alltagssprachlichen Verständnis angemessenen Sprache formuliert sind. Nicht der Mythos ist als Verblümung tieferer und eigentlich anderer Gehalte zu entblättern, vielmehr der prätendierte Tiefsinn moderner Wissenschaft auf seine sinnlichen, schlichten und einfachen Motive, Denkmodelle und Erfahrungsgrundlagen zurückzuführen. Es gilt uns wieder ein Bewußtsein dafür herzustellen, daß die Dinge wirklich so einfach sind, wie sie ausgesprochen werden. Und dazu muß man zuerst einmal das abendländische Vorurteil verabschieden, daß nichts wörtlich zu nehmen sei.

Dabei darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es ist die Natur der Sprache selber, bildhaft zu sein. Sie benutzt immer und überall das eine Anschauliche um ein anderes Anschauliches abzubilden, und diese Überlagerung von Bildern der Anschauung läßt gemeinsame Konturen und Profile der Sache hervortreten, macht erst deutlich, worum es geht. Dieser Schematismus bedient sich auch wissenschaftlicher Sprache, jedoch mit dem Anspruch, es gelte das Unanschauliche, was eigentlich nur im reinen Denken – "abstrakt und theoretisch" – zu erfassen sei, durch anschauliche Bilder didaktisch zu vermitteln. Solches reines, unanschauliches Denken aber ist leer und selber nur ein sinnliches Bild des Nichts. Wer immer auf diesem Wege höchster wissenschaftlicher Abstraktion voranschreiten mag, der befindet sich ersichtlich auf dem richtigen Weg zum Verständnis dessen, was auch vedische Philosophie als Moksa empfiehlt.

Geben wir einige Beispiele für die drastisch-anschaulichen Bilder, in denen die Upanishaden ihre Thematik entfalten.

Zunächst zur All-Einheits-Lehre aus dem Gedanken des Atman. Sie ist in den Upanishaden zugleich Ursprungslehre und umfaßt auch die Eingliederung des Menschen. Im Aitareya-Upanishad (I. Adhyaya, nach Deussen, Sechzig Upanishads, S. 15 ff.) heißt es:

"1. Zu Anfang war diese Welt allein Atman; es war nichts anderes da, die Augen aufzuschlagen. Er erwog, ‚Ich will Welten schaffen!‘.

2. Da schuf er diese Welten: die Flut, die Lufträume, das Tote, das Wasser. Jenes ist die Flut, jenseits des Himmels; der Himmel ist ihr Boden – die Lichträume sind der Luftraum – das Tote ist die Erde – Was unter ihr ist das sind die Wasser.

3. Er erwog: ‚Da sind nun die Welten; ich will jetzt Weltenhüter schaffen!‘ Da holte er aus dem Wasser einen Purusha (Mann) hervor und formte ihn.

4. Den bebrütete er; da er ihn bebrütete, spaltete sich sein Mund wie ein Ei, aus dem Munde entsprang die Rede, aus der Rede Agni (Feuer); die Nase spaltete sich, aus der Nase entsprang der Prana (Einhauch), aus dem Prana Vayu (Wind); die Augen spalteten sich, aus den Augen entsprang das Gesicht, aus dem Gesicht Aditya (Sohn der Aditi, Losbindung); die Ohren spalteten sich, aus den Ohren entsprang das Gehör, aus dem Gehör die Dics (Himmelsrichtungen); die Haut spaltete sich, aus der Haut entsprangen die Haare, aus den Haaren Kräuter und Bäume; das Herz spaltete sich, aus dem Herzen entsprang das Manas (Denken), aus dem Manas der Mond; der Nabel spaltete sich, aus dem Nabel entsprang der Apana (Aushauch), aus dem Apana Mrityu (Tod); das Zeugungsglied spaltete sich, aus dem Zeugungsglied entsprang der Same, aus dem Samen die Wasser".

Man sieht, wie hier die beiden Motive der Purusha-Weltentstehung und des Ursprungs im reinen Denken zusammengezogen sind zur Atman-Entstehungslehre. Der Atman (Selbst) ist schon am Anfang "diese Welt allein". Was es als einziges zuerst tut, ist: "er erwog", ersichtlich eine Aktivität des reinen Denkens, von dem in den Brahmanas schon die Rede war. Er will und schafft Welten, die daher auch nichts anderes als Entfaltungen dieses Denkaktes sind. Sind aber erst Welten da, so kann das Denken als Schaffen in weltlichem Bild gefaßt werden: als Brüten (tapas).

Es ist dem Inder so klar und so dunkel wie dem Griechen und dem Abendländer das Zeugen oder dem modernen Menschen die Evolution. Und es wird weder klarer noch dunkler, wenn man es abendländischem Anthropomorphismus der Ursprungserklärung (bei Hesiod und im Neuplatonismus, wo wacker gezeugt wird) als Ornithomorphismus gegenüberstellt. Es faßt den geheimnisvollen Hervorgang des einen aus dem anderen im Bilde dessen, worin es sich am deutlichsten sinnlich wahrnehmen läßt: die Verwandlung im Gewande des Gleichbleibenden, die Bildung des Kükens unter der Eierschale, die Fruchtbarkeit des Denkens in der Ruhe des Nichtstuns.

Wie nun der Mensch zustande kommt, wird in zweiten Khanda sogleich im Anschluß an das Vorige vorgestellt. Hier heißt es:

"1. Diese Gottheiten, nachdem sie geschaffen, stürzten in diesen großen Ozean herab; den gab er dem Hunger und dem Durste preis. Da sprachen jene zu ihm: ‚Ersieh uns einen Standort, in dem wir fest stehen und Speise essen mögen‘.

2. Da führte er ihnen eine Kuh vor; sie aber sprachen: ‚Diese genügt uns nicht‘. Da führte er ihnen ein Pferd vor; sie aber sprachen: ‚Dieses genügt uns nicht‘.

3. Da führte er ihnen einen Menschen vor. Da sprachen sie: ‚Ei, das ist wohlgelungen!‘ Denn der Mensch ist wohlgelungen. Er sprach zu ihnen: ‚So fahrt in ihn je nach eurem Standorte hinein!‘

4. Da geschah es, daß Agni als Rede in seinen Mund einging, Vayu als Prana in seine Nase einging, Aditya als Gesicht in seine Augen einging, die Dics als Gehör in seine Ohren eingingen, Kräuter und Bäume als seine Haare in seine Haut eingingen, der Mond als Manas in sein Herz einging, Mrityu als Apana in seinen Nabel einging, die Wasser als Samen in sein Zeugungsglied eingingen.

5. Da sprachen Hunger und Durst zu ihm: ‚Ersieh auch uns einen Standort!‘ Und er sprach: ‚In diesen Gottheiten lasse ich euch mitgenießen, in diesen Gottheiten mach ich euch zu Teilnehmern‘.

Daher kommt es, daß, für welche Gottheit immer die Opferspeise beschafft wird, in der sind der Hunger und Durst Teilnehmer daran" (Deussen, idib. S. 16/17).

Hier ist die "Konstruktion" des Menschen aus den kosmischen Bestandteilen interessant. Im Abendland ist nur die Einblasung des Lebenshauches in den Lehmkloß übrig geblieben, worin sich das Muster aller dualistischen Leib-Seele-Anthropologien zeigt. Für indisches Denken aber ist der Mensch viel komplexer, darin aristotelischer und stoischer Anthropologie verwandt, die auch den Menschen aus allen Schichten der toten und lebendigen Natur und dem ("thyrathen", von außen durch die Tür hereinkommenden) Geist (er ist den Stoikern feinste Materie) zusammengesetzt.

Daß aber der Tod (Mrityu) als Hauch (Apana) durch die Nabelschnur in die Mitte des Menschen einzieht, muß schon andeuten, daß er etwas anderes sein wird, als abendländisches Vergehen und Auflösung der körperlichen Gestalt. Da er immer schon drinnen ist, kann er nicht von außen bedrohen noch kommt er über einen. Was er aber ist, bleibt vorerst noch dunkel und unausgeführt, ein Thema für spätere Systemphilosophien.

Es macht den Upanishaden Ehre, daß sie Hunger und Durst gewissermaßen gleich- ursprünglich mit den anderen Komponenten des Menschen behandeln – ein im Abendland so sträflich vernachlässigtes Anthropinon. Dergleichen zu beachten, erscheint als zutiefst humaner Grundzug dieser Upanishaden-Anthropologie. Gewiß findet sich darin auch eine Rechtfertigung für den brahmanischen Opferkult, den aufgeklärte Geister auch in indischer alter Zeit als Verschwendung von Speise kritisiert haben mögen.Die Nahrungsmittel werden aber dadurch gerade geheiligt und erhalten den kosmischen Rang, der immer die Aufmerksamkeit darauf lenkt, daß sie allen Wesen, so auch dem Menschen, einzuräumen und zu gewährleisten sind. Abgese- hen davon aber lenkt es auch den Blick auf die ständige Anverwandlung der Natur und ihrer Elemente in alles Lebendige, gleichsam die Nichtabgeschlossenheit des je Individuellen, das im Hunger und Durst den Austausch mit den Elementen als Notwendigkeit erfährt und in ihrer Befriedigung betreibt.

Setzen wir aber noch ein weiteres Dokument hinzu, das über den Menschen Auskunft gibt. Man kann vermuten, daß es Platons berühmtem Mythos im Phaidros (Seelenmodell des Wagenlenkers) zum Vorbild gedient hat. Es steht im Kathaka-Upanishad des Yayur-Veda (3, 7, Vers 3-9, nach Deussen, a.a.O.S. 276 ff):

"Ein Wagenfahrer ist, wisse,
der Atman, Wagen ist der Leib,
den Wagen lenkend ist Ruddhi (Vernunft),
Manas (Denken) wisse, der Zügel ist.

Die Sinne, heißt es, sind Rosse,
die Sinnendinge ihre Bahn.
Aus Atman, Sinnen und Manas
das Gefügte ‚Genießer‘ heißt.

Wer nun besinnungslos hinlebt,
den Manaszügel ungespannt,
des Sinne sind unbotmäßig
wie schlechte Rosse ihrem Herrn.

Doch wer besonnen stets hinlebt,
den Manaszügel wohlgespannt,
des Sinne bleiben botmäßig
wie gute Rosse ihrem Herrn.

Wer nun besinnungslos hinlebt,
unverständig, unlauteren Sinnes,
der kommt nicht zu dem Ort jenseits,
im Samsara verstrikt er bleibt.

Doch wer besonnen stets hinlebt,
verständig und mit lauterem Sinn,
der gelangt zu dem Ort jenseits,
von wo keine Geburt mehr ist.

Wer mit Besonnenheit lenkte,
mit Manas zügelnd, sein Gespann,
der Mann erreicht des Weges Endziel,
dort, wo des Vishnu höchster Schritt".

Wie auch im platonischen Mythos vom Wagenlenker, der das gehorsame Pferd des Mut-Willens gegen das störrische der Begierden und Triebe ausspielend, den Weg der Vernunft und Einsicht fahren kann und so zeigt, was Tugend ist, so deutet uns auch diese Upanishaden-Parallele an, was tugendhaftes und gutes Leben ist.

Konkreter bieten der Taittiriya-Upanishad (1,11, nach Deussen, Geheimlehre des Veda S. 123/24) "goldene Regeln" für das Verhalten an, die man eine Upanishaden-Ethik nennen kann. Sie lauten:

"I. Sage die Wahrheit, übe die Pflicht, vernachlässige nicht das Vedastudium.

II. Nachdem du dem Lehrer die liebe Gabe überreicht hast, sorge, daß der Faden deines Geschlechts nicht reiße.
Vernachlässige nicht die Wahrheit, vernachlässige nicht die Pflicht, vernachlässige nicht deine Gesundheit, vernachlässige nicht dein Vermögen, vernachlässige nicht Lernen und Lehren des Veda.
Vernachlässige nicht die Pflichten gegen die Götter und Manen (Vorfahren), ehre die Mutter wie einen Gott, ehre den Vater wie einen Gott, ehre den Lehrer wie einen Gott, ehre den Gast wie einen Gott.
Die Werke, die untadelig sind, die sollst du üben, keine anderen. Was unter uns als guter Wandel gilt, den sollst du einhalten, keinen anderen.

III. Wir treffen wohl auch zusammen mit Brahmanen, welche höher stehen als wir selbst: vor diesen darfst du nicht eher, als bis sie sich gesetzt haben, aufatmen (zur Ruhe kommen). Du sollst geben mit Glauben, du sollst nicht geben ohne Glauben, du sollst geben mit Freudigkeit, du sollst geben mit Schamhaftigkeit, du sollst geben mit Furcht, du sollst geben mit Mitgefühl.
Ferner, wenn dich einmal Zweifel überkommt in betreff einer Handlung oder Zweifel in betreff eines Verhaltens, so siehe ob nicht daselbst Brahmanen vorhanden sind von richtigem Urteile, geschickt und erprobt, nicht rigoros, aber treu in ihrer Pflicht; wie diese sich in deiner Lage verhalten würden, also sollst du dich in ihr verhalten.
Endlich, wenn du mit solchen in Berührung kommst, die bescholten sind, so siehe, ob nicht daselbst Brahmanen sind von richtigem Urteile, geschickt und erprobt, nicht rigoros, aber treu in ihrer Pflicht; wie diese sich gegen dieselben verhalten würden, also sollst du dich gegen dieselben verhalten".

Es ist eine gute Mischung von formaler und materialer Ethik, und man erkennt auch einige abendländische Gebote des Dekalogs wieder. Daß man Vater und Mutter ehren soll, sogar "wie einen Gott", mag uns vertraut und lange so selbstverständlich gewesen sein, daß man es jetzt umso heftiger kritisch in Frage stellt; dem Lehrer ebenso zu begegnen, ist Gemeingut des ganzen fernen Ostens geworden. Im Abendland hat es nie als ethische Maxime gegolten, sondern sich allenfalls aus der Qualität des Gelehrten als Autorität des Lehrenden ergeben. Daß der Gast heilig sei "wie ein Gott", dürfte Gemeingut aller zivilisierten Völker gewesen sein – solange der Gast dies auch als eigene Verpflichtung für sein Verhalten auffaßte und nicht etwa ernst damit machte, sich als Gott aufzuführen.

Es fällt auf, daß das umgekehrte Verhältnis keiner Regulierung unterliegt: weder das Verhältnis von Eltern zu Kinder, noch des Lehrers zum Schüler, noch des Gastes zum Wirt. Konnte man sich darin auf das "natürliche Verhältnis" verlassen? Offensichtlich wird es dem Vorbild der Brahmanen überlassen.

Noch auffälliger ist die Regelung von Vermögen und Gesundheit als ethischer Angelegenheiten, nicht minder die Aufforderung zum Veda-Studium und zur Veda-Lehre. Sie werden dadurch ethisch zurechenbar, Verantwortlichkeiten des Einzelnen. Dadurch erhält auch Reichtum sein gutes Gewissen und Armut den Ruch des moralischen Versagens. Und ebenso Gesundheit und Krankheit, wie Bildung und Unbildung. Dergleichen muß durch das Prinzip des freudigen, schamhaften, furchtsamen und mitfühlenden Gebens wieder ins Lot gebracht werden.

Man könnte es ein Element formalistischer Ethik nennen, daß empfohlen wird, sich nach dem zu richten "was bei uns als guter Wandel gilt": ebenso, daß man sich im Zweifel das Verhalten der Brahminen zum Vorbild nehmen soll. Aber dies ist doch etwas anderes als etwa die cartesianische Regel, sich in Glauben und Verhalten den Sitten und Überzeugungen seiner Umwelt anzupassen, oder auch als die alte goldene Regel, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, erst recht als der kategorische Imperativ, sich "allgemein" bzw. "verallgemeinerungsfähig" zu verhalten. Derartiger Formalismus führt Sollen nur auf durchschnittliche und übliche Wirklichkeit zurück, in der bekanntlich Moral und Unmoral gemischt vorkommt. Upanishaden-Formalismus führt das Sollen aber auf ausgezeichnetes Sein, eben auf "guten Wandel" und die Vorbilder nicht von irgendwem, sondern von Brahminen zurück. Dann gibt es allenfalls das Problem, zu wissen und aufzuzeigen, was dieser gute Wandel ist und wer ein richtiger Brahmine ist. Und das ist ersichtlich viel leichter und praktikabler als etwa festzustellen, was als "Gleiches gegenüber dem Gleichen" oder was als Maxime einer universalen Gesetzgebung gelten kann.

Wir haben gesehen, daß das Veda-Studium zentral als ethische Forderung gilt. Die Upanishaden-Anthropologie muß uns auch Auskünfte darüber geben, was dabei an Erkenntnis-sen herauskommen kann und was Erkenntnis hinsichtlich des Menschen in seiner Stellung zum Kosmos bedeutet.

Das Chandogya-Upanishad 3,14 (nach Deussen, Geheimlehre des Veda S. 75) sagt uns einiges darüber in einer Sprache, die uns an des Kusaners Lehre vom Zusammenfallen der Extreme erinnert:

"Fürwahr, aus Einsicht (Kratu) ist der Mensch gebildet: wie seine Einsicht ist in dieser Welt, danach wird der Mensch, wenn er dahingeschieden ist; darum möge man trachten nach Einsicht.

Geist ist sein Stoff, Leben sein Leib, Licht seine Gestalt; sein Ratschluß ist Wahrheit, sein Selbst die Unendlichkeit (der Äther). Allwirkend ist er, allwünschend, allriechend, allschmeckend, das All umfassend, schweigend, unbekümmert; -

Dieser ist meine Seele (atman) im innern Herzen, kleiner als ein Reiskorn oder Gerstenkorn oder Senfkorn oder Hirsekorn oder eines Hirsekornes Kern; -

Dieser ist meine Seele im innern Herzen, größer als die Erde, größer als der Luftraum, größer als der Himmel, größer als diese Welten".

So muß Erkenntnis wesentlich diesen Zusammenfall des Inneren und Äußeren, des Kleinsten und Größten zustande bringen. Wie das geschieht, wird uns an drei Erfahrungsfeldern vorgeführt: der Erfahrung des wachen Lebens, des Traumschlafes und des traumlosen Tiefschlafes:

"Zwei Zustände sind dieses Geistes: der gegenwärtige (im Wachleben) und der in der andern Welt; ein mittlerer Zustand, als dritter, ist der des Schlafes. Wenn er in diesem mittleren Zustande weilt, so schaut er jene beiden Zustände, den gegenwärtigen und den in der anderen Welt" (Brhadaranyaka-Upanishad 4, 3, 9, nach Deussen, Geheimlehre des Veda S. 54).

Die "andere Welt" verweist uns auf das, was als Ziel der Moksa zu erwarten ist. Sie ist nicht, wie im Neuplatonismus, das ganz-Andere zu allem Erfahr- und Denkbaren, vielmehr ist sie gerade hinein verwoben in das Erfahrbare und Erlebbare. Um das zu verstehen, muß man freilich der Erfahrung des Traumes und des Tiefschlafes einen anderen Stellenwert einräumen, als ihn diese im abendländischen Denken besitzen. Abendländischer Realismus deutet sie als Reflexe des wachen Lebens, die zwar ihre eigenen Gesetzlichkeiten haben – wonach die Tiefenpsychologie forscht – die aber grundsätzlich von den Zusammenhangsgesetzlichkeiten der Welterfahrung im Wachzustand her gemessen und beurteilt werden, so daß die Abweichung ihnen gegenüber den Grad der Irrealität des Traumerlebens bezeichnen. Abendländischer Idealismus dagegen hat sie wenigstens für ein Modell autonomen Weltentwurfs gehalten und danach die Einschüsse subjektiver oder apriorischer Momente in der Welterfahrung beurteilt.

Die Upanishaden aber nehmen den Traum und den Tiefschlaf als Wirklichkeit und Erfahrungsraum noch ernster. Der Traum gilt als Erfahrung der Lösung und Befreiung von dieser wachen Welt, der Tiefschlaf aber als Erfahrung der Erlösung schlechthin, die somit jedermann zugänglich wird.

Im Traum wird erfahren die Eigenständigkeit des Selbst, das mit den Inhalten und Erfahrungen der Wachwelt souverän Neues erbaut:

"Wenn er nun einschläft, dann entnimmt er aus dieser allenthaltenden Welt das Bauholz (matram = materia), fällt es selbst und baut es selber auf vermöge seines eigenen Glanzes, seines eigenen Lichtes; - wenn er so schläft, dann dient dieser Geist sich selbst als Licht" (Brhadaranyaka-Upanishad 4, 3, 9, Deussen S. 55).

"Und gleichwie ein großer Fisch an beiden Ufern entlang gleitet, an dem diesseitigen und an dem jenseitigen, so gleitet der Geist an den beiden Zuständen entlang, an dem des Traumes und an dem des Wachens" (ibid. 4, 318, Deussen S. 57).

Im Tiefschlaf aber wird auch dieses noch zurückgelassen und gewissermaßen der Ursprung erreicht, in dem das Denken ohne Inhalte denkt, die Sinne ohne Inhalte wahrnehmen, die Erkenntnis ohne Erkenntnis erkennt, da nichts außer ihnen da ist. Dies zu beschreiben, muß man sich zwangsläufig inhaltlich-weltlicher Beschreibungsmittel bedienen, also dialektischer Negationen, die nur den Unterschied zur Wacherfahrung markieren, nicht aber das Eigentümliche diese Zustandes erreichen. Darum wird in späterer Philosophie auch nicht mehr überall versucht, darüber zu reden, sondern diese Erlösung zu praktizieren. Der Tiefschlaf ist die Erfahrung, die man nur macht, wenn man wieder aufgewacht ist, und dann ist er sicher das ganz-Andere von dem, was im Wachsein erlebbar und mit seinen Mitteln beschreibbar ist.

Geben wir etwas ausführlicher die Stelle an, wo im schon zitierten Brhadaranyaka-Upanishad (4, 3, 19ff. Deussen S. 57 ff.) gleichwohl darüber geredet wird:

19. " Aber gleichwie dort im Luftraume ein Falke oder ein Adler, nachdem er umhergeflogen ist, ermüdet seine Fittiche zusammenfaltet und sich zur Niederkauerung begibt, also auch eilt der Geist zu jenem Zustande, wo er, eingeschlafen, keine Begierde mehr empfindet und kein Traumbild schaut.

21. Das ist die Wesensform desselben, in der er über das Verlangen erhaben, von Übel frei und ohne Furcht ist. Denn so wie einer, von einem geliebten Weibe umschlungen, kein Bewußtsein hat und von dem, was außen oder innen ist, so hat auch der Geist, von dem erkenntnisartigen Selbst (prajnena atmana) umschlungen, kein Bewußtsein von dem, was außen oder innen ist. Das ist die Wesensform desselben, in der gestillten Verlangens, selbst sein Verlangen, ohne Verlangen ist und von Kummer geschieden.

22. Dann ist der Vater nicht Vater und die Mutter nicht Mutter, die Welten sind nicht Welten, die Götter nicht Götter, die Veden nicht Veden; dann ist der Dieb nicht Dieb, der Mörder nicht Mörder ... dann ist die Unberührtheit vom Guten und Unberührtheit vom Bösen, dann hat er überwunden alle Qualen seines Herzens.

23. Wenn er dann nicht sieht, so ist er doch sehend, obschon er nicht sieht: denn für den Sehenden ist keine Unterbrechung des Sehens, weil er unvergänglich ist; aber es ist kein Zweites außer ihm, kein anderes, von ihm verschiedenes, das er sehen könnte.

27. Wenn er dann nicht hört, so ist er doch hörend, obschon er nicht hört; denn für den Hörenden ist keine Unterbrechung des Hörens, weil er unvergänglich ist; aber es ist kein Zweites außer ihm, kein anderes, von ihm verschiedenes, das er hören könnte.

30. Wenn er dann nicht erkennt, so ist er doch erkennend, obschon er nicht erkennt; denn für den Erkennenden ist keine Unterbrechung des Erkennens, weil er unvergänglich ist; aber es ist kein Zweites außer ihm, kein anderes, von ihm verschiedenes, das er erkennen könnte.

31. Denn (nur) wo ein anderes gleichsam ist, sieht einer das andere, hört einer das andere, erkennt einer das andere."

Dies ist zugleich die Erfahrung des Todes, bzw. dessen, was hier überhaupt Tod heißen kann: die Rückkehr in den Ursprung. Wir sehen aber zugleich, daß der Tiefschlaf zwei Ausgänge hat: das Aufwachen und das nicht-Aufwachen. So auch der Tod. Im Eingang sind sie gleich. Darüber heißt es (ibid. 4,3,35f. Deussen S. 60):

"Wie nun ein Wagen, wenn er schwer beladen ist, knarrend geht, also auch gehet dieses körperliche Selbst, von dem erkenntnisartigen Selbste belastet, knarrend, wenn es soweit ist, daß einer in den letzten Zügen liegt.

Wenn er nun in Schwäche verfällt, sei es durch Alter oder durch Krankheit, daß er in Schwäche verfällt, dann, so wie eine Mangofrucht, eine Feige, eine Beere ihren Stiel losläßt, also auch läßt der Geist die Glieder los und eilt wiederum, je nach seinem Eingange, je nach seinem Platze zurück zum Leben".

Und an anderer Stelle (4, 1/2, Deussen S. 61/62):

"Wenn nämlich die Seele in Ohnmacht verfällt, und es ist, als käme sie von Sinnen, dann eben scharen sich diese Lebensorgane zu ihr zusammen, sie aber nimmt diese Kraftelemente in sich auf und ziehet sich zurück auf das Herz: der Geist aber, der im Auge wohnte, kehrt nach auswärts zurück; - alsdann erkennt er keine Gestalt mehr.

Weil er eins geworden ist, darum sieht er nicht, wie sie sagen: weil er eins geworden ist, darum hört er nicht, wie sie sagen; weil er eins geworden ist, darum erkennt er nicht, wie sie sagen. – Alsdann wird die Spitze seines Herzens leuchtend; aus dieser, nachdem sie leuchtend geworden, zieht der Atman aus, sei es durch das Auge oder durch den Schädel, oder durch andere Körperteile. Indem er auszieht, zieht das Leben mit aus: indem das Leben auszieht, ziehen alle Lebensorgane mit aus. Er ist von Erkenntnisart, und was von Erkenntnisart ist, das ziehet ihm nach".

Der Gedanke nun, daß der Tod ein Tiefschlaf und der Tiefschlaf ein Tod sei, enthält zugleich den Hinweis, was es mit den Ausgängen aus dem Todesschlaf auf sich hat: Die Karman-Lehre ist die Theorie des Wiedererwachens. Die Moksa-Lehre die Theorie des nicht-Erwachens. Beides ergibt sich aus einem Argument, das im Abendland als Leibnizsches Prinzip der Stetigkeit bekannt ist und auch Leibniz dazu gedient hat, die Existenz des Unbewußten als Minimum eines Bewußtseins zu postulieren, zuzüglich des Arguments des Erhaltungsprinzips, das Kräfte auch dort postuliert, wo sie nicht "wirken". Zwar wird das Denken bzw. das Bewußtsein im indischen Denken nicht als Kraft oder Vermögen betrachtet – es sei denn neuerdings unter abendländi-schem Einfluß, - und dann wird es ein Mittleres zwischen Sein und Nichts – vielmehr ist es ja überhaupt die unhinterfragbare Arché, die auch dem Sein und dem Nichts noch vorausliegt. Manifestes Denken oder nicht-Denken, Bewußtsein oder nicht-Bewußtsein, Wachen oder Tiefschlafen oder Ohnmacht sind gerade sämtlich seine Zustände – wenn nicht auch dieses wieder eine Attributionsaussage wäre, die ihm einen abendländischen Substanzcharakter verleiht.

Die Karman-Lehre taucht im Brhadaranyaka-Upanishad als eine Lehre von der "nichterlösten Seele nach dem Tode" (Deussen) auf. Wir haben sie eingangs als eine Lehre von der Universalkausalität eingeführt, um sie an einem Vergleichbaren abendländischem Verständnis näherzubringen.

Kausalität aber trennt mit Hilfe der Zeit ein Umfassendes in Ursache und Wirkung. Wie schon Sextus Empirikus daran kritisierte, muß man dann das Sein der Ursache behaupten, wenn die Wirkung (zeitliche noch) nicht ist, und das Sein der Wirkung, wenn die Ursache (zeitlich) nicht (mehr) ist. Und so muß man auch in Kauf nehmen, daß ein Sein auf Nichts oder ein Nichts auf Sein wirkt, etwas, was nach allen Regeln der Logik nur als Widerspruch gedacht werden kann. Da ist es denn auch keine widerspruchslose Lösung, wenn man das eine zur Kraft, das andere zur Erscheinung erklärt und es so offen läßt, ob die Kraft (die ja als ein Mittleres von Sein und Nichts konstruiert wird) erscheint oder nicht erscheint. Gleichwohl ist das Abendland durch lange Gewohnheit damit vertraut und wird auch den Karman-Gedanken ohne weiteres so verständlich finden: Die Seele als eine Kraft, die im Leben und nach dem Tode ihre Wirkungen als Erscheinungen zur Geltung bringt.

Sehen wir uns aber zunächst die Stelle aus dem Brhadaranyaka-Upanishad (4, 4, 2-6, nach Deussen, Geheimlehre des Veda S. 62/63) an. Es ist die Rede davon, was mit dem Atman oder dem "Denken" nach dem Tode geschieht:

"Dann nehmen ihn das Wissen und die Werke bei der Hand und seine vormalige Erfahrung.

Wie eine Raupe, nachdem sie zur Spitze des Blattes gelangt ist, einen andern Anfang ergreift und sich selbst dazu hinüberzieht, so auch die Seele, nachdem sie den Leib abgeschüttelt und das Nichtwissen (zeitweilig) losgelassen hat, ergreift sie einen anderern Anfang und zieht sich selbst dazu hinüber.

Wie ein Goldschmied von einem Bildwerke den Stoff nimmt und daraus eine andere, neuere, schönere Gestalt hämmert, so auch diese Seele, nachdem sie den Leib abgeschüttelt und das Nichtwissen (zeitweilig) losgelassen hat, so schafft sie sich eine andere, neuere, schönere Gestalt, sei es der Väter oder der Gandharven oder der Götter oder des Prajapati oder des Brahman oder anderer Wesen.

Wahrlich dieses Selbst ist das Brahman, bestehend aus Erkenntnis, aus Manas, aus Leben, aus Auge, aus Ohr, bestehend aus Erde, aus Wasser, aus Wind, aus Äther, bestehend aus Feuer und nicht aus Zorn, aus Gerechtigkeit und nicht aus Gerechtigkeit, bestehend aus allem. Je nachdem einer nun besteht aus diesem oder jenem, je nachdem er handelt, je nachdem er wandelt, danach wird er geboren; wer Gutes tat, wird als Guter geboren, wer Böses tat, wird als Böser geboren, heilig wird er durch heiliges Werk, böse durch böses. Darum, fürwahr, heißt es: ‚Der Mensch ist ganz und gar gebildet aus Begierde (kama); je nachdem seine Begierde ist, danach ist seine Einsicht (kratu), je nachdem seine Einsicht ist, danach tut er das Werk (karman), je nachdem er das Werk tut, danach ergeht es ihm‘.

Darüber ist dieser Vers:

"Dem hängt er nach, dem strebt er zu mit Taten,
wonach sein inn’rer Mensch und sein Begehr steht; -
wer angelangt zum Endziele
ser Werke, die er hier begeht,
der kommt aus jener Welt wieder
zu dieser Welt des Werks zurück.
So steht es mit dem Verlangenden (kamayamana)."

Man sieht, daß hier nicht von Ursachen und Wirkungen, von Zeit (das "zeitweilig" ist von Deussen hinzugesetzt worden) oder von Kräften die Rede ist. Vielmehr ist die Rede von etwas Beständigem, welches wie eine Raupe von Blatt zu Blatt hinüberkriecht oder als Stoff in verschiedener Bearbeitung wechselnde Gestalten annimmt. Und man könnte ergänzen, daß es auch wie die Raupe das, was sie auf einem Blatt gefressen hat, in ihrer organischen Substanz mit hinübernimmt aufs nächste, oder wie das gehämmerte Metall vielleicht die Spuren voriger Bearbeitung noch in der neuen Gestalt aufweist, so auch dieses Beständige die Spuren seiner Metamorphosen aufbewahrt und in die je neue Gestalt übernimmt. Sicher eine feinsinnige Beobachtung über die Seelenschicksale in diesem Leben, wo nichts an Erfahrungen und Taten spurlos vorübergeht, sondern das Bewußtsein gerade erst zu dem macht, was es ist. Dies wird nun verallgemeinert und über das Leben hinaus ausgedehnt auf eine Kette verschiedener Leben, die alle durch das gemeinsame Schicksal einer identischen "Seelensubstanz" zusammengehalten werden.

Auch dies mag man mit Recht eine Version von Kausaltheorie nennen, die die Unzulänglichkeiten der Rede von Kräften und von zeitlicher Verknüpfung von Ursache und Wirkung vermeidet. Sie setzt die Identität eines Durchständigen voraus, das sich im Wandel zwar erhält, aber doch auch die Spuren des Wandels in sich aufnimmt. Und je nachdem, was dies Durchständige dann ist, so kann es auch nur erscheinen in immer neuen Gestalten und Leben, die ihrerseits seine wahre Natur erst offenbaren.

Am ehesten dürfte Hegel in dieser Richtung gedacht haben, als er in der "Phänomeno-logie des Geistes" darlegte, daß das Bewußtsein "seine Tat ist". Man muß es nur in rechter Allseitigkeit auffassen: Es zeigt sich und offenbart sich in der Tat, aber es bildet sich auch selbst erst und nur in der Tat. Daraus ist dann aber die Punktualität des Tuns und Handelns wieder zu tilgen, die in abendländischen Zurechnungstheorien – besonders im Rechtsdenken – vorausge-setzt wird, und die selber stoischem Ursache–Wirkungsdenken verpflichtet ist. Dann kommt dies Bewußtsein auf die Leibnizsche Monarde heraus, die ja in Taten evoluieren soll, niemals stirbt oder wirklich ohnmächtig wird, sondern im Schlaf oder Tod nur "involuiert" zu einem Zustand minimaler Aktivität des Bewußtseins.

Wie man sich nun den Übergang von einer erscheinenden Existenz in eine andere denkt, geht aus einem Chandogya-Upanishad (5, 2, 3 f, nach Deussen, Geheimlehre S. 94/95) hervor. Es läßt diejenigen, die zum Brahma eingehen, bei der Leichenverbrennung mit dem Feuer aufsteigen auf den "Götterweg". Von den zur Wiedergeburt verdammten aber heißt es:

"Hingegen jene, welche im Dorfe mit den Worten: ‚Opfer und fromme Werke sind unser Tribut‘ Verehrung üben, die gehen ein in den Rauch (des Leichenfeuers), aus dem Rauche in die Nacht, aus der Nacht in die dunkle Hälfte des Monats, aus der dunklen Hälfte des Monats in das Halbjahr, wo die Sonne südwärts geht; diese gelangen nicht in das Jahr, sondern aus dem Halbjahre in die Väterwelt, aus der Väterwelt in den Äther, aus dem Äther in den Mond; der ist der König Soma, und er ist die Speise der Götter, die verzehren die Götter.

Nachdem sie dort, solange noch ein Bodenrest (ihrer guten Werke) vorhanden ist, geweilt haben, so kehren sie auf demselben Wege wieder zurück, wie sie gekommen, in den Äther, aus dem Äther in den Wind; nachdem einer Wind geworden, wird er zu Rauch, nachdem er Rauch geworden, wird er zu Nebel.

Nachdem er Nebel geworden, wird er zur Wolke, nachdem er Wolke geworden, regnet er herab. Solche werden hienieden als Reis und Gerste, Kräuter und Bäume, Sesam und Bohnen geboren. Daraus ist freilich schwerer herauszukommen; denn nur wenn ihn einer gerade als Speise verzehrt und als Samen ergießt, so kann er sich daraus weiter entwickeln (tad bhuya‘ eva bhavati).

Welche hier nun einen erfreulichen Wandel haben, für die ist die Aussicht, daß sie in einen erfreulichen Mutterschoß eingehen, einen Brahmanenschoß oder Kshatriyaschoß oder Vaicyaschoß; - die hier aber einen stinkenden Wandel haben, für die ist die Aussicht, daß sie in einen stinkenden Mutterschoß eingehen, einen Hundeschoß oder Schweineschoß oder in einen Candalaschoß".

Bei solch weiten Wegen erscheint es denn als plausibel, daß man alles über seine vorigen Existenzen vergessen hat, wenn man wiedergeboren wird, zumal, wenn man vorher Bohne oder Gerste gewesen ist. Aber die besondere Sympathie, die der eine oder andere für Bohnen oder Gerste – besonders Gerstensaft – oder gar für ein hündisches oder schweinisches Leben empfinden mag, wird ohne weiteres einsichtig und bedarf keiner weiteren Erklärung. Alles in allem dürfte die Zuschreibung früherer Existenzen mit einem gewissen "Bodensatz" guter Taten so gut oder so schlecht begründet sein wie die "tiefenpsychologische" Zuschreibung aller mythologischen Laster und Verbrechen der antiken Welt ans frühkindliche unschuldige Bewußtsein, deren normaler oder anormaler Durchlauf dann die Lebenschicksale bestimmen soll. Letzteres hat allenfalls den Nachteil, keine großen Varietäten zuzulassen und die Menschen nach allzu wenig Standardkomplexen zu klassifizieren, während die Karman-Lehre immerhin die ganze Breite empirischer menschlicher und lebendiger Existenzen auch als mögliche Schicksale ernst nimmt. Ersichtlich ist dann ein "hündisches", "tierisches" oder gar "Bohnenstroh-Dasein" keine Metapher, sondern das wahre Leben selbst, wie es sich aus Vorläufern und Nachgängern gemäß der umfassenden Karma-Kausalität ergibt.

Führt nun die Karman-Lehre den Gedanken der Kontinuität des Selbst für das Erwachen aus dem Tiefschlaf, der Ohnmacht und dem Tode aus, so die Moksalehre denselben Kontinuitätsgedanken dort, wo kein Erwachen und keine Wiederkehr in Wiedergeburten stattfinden soll.

Die Moksa-Lehre ist damit eine Lehre vom Ursprung und Ende, und gegenüber demjenigen, was alle sonstigen Lehren über die Wirklichkeit behaupten, ist sie eine Lehre von der Lösung oder Erlösung von dieser Wirklichkeit. In den Upanishaden wird sie vielfach als "Weg des Brahman" eingeführt. Man könnte sagen: der Weg zum Ursprung und Einen.

Sie als Erlösungslehre darstellen, heißt sie unter dem Aspekt betrachten, unter dem sie in religiösem Sinne, als Heilslehre, relevant ist. Sie tritt damit in Konkurrenz zu den Eschatologien anderer Religionen, die ein Jenseits gegenüber dem Diesseits, ein Paradies gegenüber dem Jammertal dieser Erde, das Heil gegenüber dem Unheil, Befreiung gegenüber Bindungen versprechen und ausmalen. Und in Religionen ist dieser Erlösungszustand regelmäßig ein Zustand der Gottesnähe – wie das Gegenteil Gottesferne, etwas, was als Abstand bemessen und durch einen Weg überbrückbar gemacht werden muß.

Die Institutionen der Weltreligionen haben diesen Gedanken zum Gemeingut der Menschheit gemacht, so sehr, daß auch die engagierteste Religionskritik und Aufklärung nicht den Gedanken selbst sondern seine religiöse Einkleidung zu vernichten trachtet. Man sieht es den Ersatzlehren an, wes Geistes Kind sie sind. Sie glauben zwar nicht mehr an Gott und ein Jenseits, umso mehr aber an das Diesseits und seine negativen Qualitäten. Die Sehnsucht nach Befreiung und Überwindung sucht sich nun innerweltliche Wege: die fernste Zukunft (ein luftiges Reich der Möglichkeiten) und die fernste Vergangenheit (das exemplarische nicht-Mehr oder überhaupt-Nichts) werden zu innerweltlichen "Utopien", von denen man glaubt, daß sie sein werden und zugleich weiß, daß sie "nirgends sind".

Aber auch diese Differenz von Immanenz und Transzendenz zu überwinden trachtend, hat die moderne Welt inzwischen die Erlösung innerweltlich institutionalisiert. Es ist der Unterschied von Arbeitswelt und Freizeit. Hierauf schlagen nun die alten Kategorien durch: die eine wird verteufelt, die andere vergöttlicht, von der einen erwartet man alles Unheil, von der anderen alles Heil, in der einen ist man entfremdet, in der anderen befreit. Und wie in Erlösungslehren überhaupt ihrer Natur nach nicht positiv gesagt werden kann, was ihr Inhalt und Ziel ist, sondern allenfalls, wovon weg und wogegen sie sich richten, so kann das Ziel auch nur negativ bezeichnet werden: als Verkehrung der anderen Welt. Die negative Theologie von einst wird nun zur negativen Rhetorik der Befreiungsindustrie: Das innerweltliche Paradies ist arbeitslos, mühelos, bargeldlos, drahtlos, pflichtenlos, verantwortungslos, gewissenlos.

Man muß die Transformationen des Erlösungsgedankens bis in solche Verästelungen und Säkularisierungen ins Auge fassen, um sich dahin vorzutasten, um was es dabei überhaupt gehen kann. Es gilt in erster Linie, hinter den sprachlichen Einkleidungen eine perenne Fragestellung und Denkweise aufzuweisen, die gewissermaßen die Natur des Denkens selber ausmacht. Hier kann uns vedische Weisheit auch nur ein willkommener Hinweis sein, wie das Denken sich in ursprünglichen Formen und Redeweisen artikuliert, die selber Vorbild und Motiv für spätere Entwicklungen geworden sind. In der Sache aber geht es um ein zentrales Thema der Metaphysik, die für ihre Arbeit alle Einkleidungen sichten und verwenden muß, um für ihre Zeit und vielleicht auch in der Sache selbst zu Antworten in begrifflicher Fassung zu gelangen.

Sehen wir zu, was die Upanishaden zu bieten haben. Im Maitrayana-Upanishad 6, 34 des Yayur-Veda heißt es darüber (nach Deussen, Sechzig Upanishads, S 357/58):

"Gleichwie das Feuer brennholzlos
Zur Ruhe kommt an seinem Ort,
so kommt, betätigungslos, auch
der Geist an seinem Ort zur Ruhe
sobald an seinem Ort Manas (Denken)
zur Ruhe kommt, weil wahr sein Wunsch.

Doch wenn die Dinge es blenden,
ist unwahr er, werkuntertan.

Gesinnung ist der Samsara,
sie soll man reinigen mit Fleiß;
wie du gesinnt bist, so bist du, -
ein Rätsel und doch ewig wahr!
Der Gesinnung Zur-Ruhe-Kommen
hebt gutes Werk und böses auf,
wer, ruhig selbst, im Selbst feststeht,
erlangt Glück, unvergängliches.

Wenn der Geist nur so anhänglich,
wie er an Sinnendinge ist,
ebenso wäre an Brahman,
wer würde nicht von Bindungen frei!
Der Manas, sagt man, ist zweifach,
entweder unrein oder rein,
wenn wunschbesudelt, ist’s unrein,
rein, wenn es frei von Wünschen ist.

Wer von Zerstreuung, Anhaftung
sein Manas frei macht, regungslos,
und so zur Manaslosigkeit
gelangt, der geht zum Höchsten ein.
So lange hemme dein Manas,
bis zum Herzen es werd‘ zunicht;
das ist Wissen, ist Erlösung.
Das andere ist gelehrter Kram.

Wer durch Nachsinnen reingewaschnen Geistes sich
versenkt in Atman, was für Seligkeit der fühlt,
das auszudrücken sind imstande Worte nicht.
Das muß im innern Herzen man erfahren selbst.

Wasser in Wasser, Glut in Glut,
Raum in Raum nicht mehr sichtbar ist.
So auch tritt, mit dem Eingange
des Manas die Erlösung ein.
Das Manas also ist Ursache
der Bindung und Erlösung uns:
der Bindung, am Objekte hängend,
von ihm Freiheit Erlösung heißt."

Wir entnehmen dem Text die Beschreibung des Erlösungszustandes als Glück, Wissen, Seligkeit, Freiheit, so wenigstens in der deutschen Übersetzung. Ersichtlich sind das nicht ganz andere Sachen, als sie auch in dieser Welt erfahrbar sind, vielmehr gerade solche, die auch hier höchste Wertschätzung genießen. Sie werden aber durch weitere Epitheta diesen gegenüber gesteigert: das Glück sei unvergänglich, die Seligkeit ist nicht durch Worte auszudrücken, das Wissen ist anders als der "gelehrte Kram", und die Freiheit ist absolute Loslösung von aller Objektbindung. Und durch diese Steigerung werden sie wiederum außerordentliche Zustände.

Den Weg dahin einzuschlagen oder ihn zu verfehlen, ist Sache des Denkens – des Manas - , denn es ist "Ursache der Bindung und Erlösung". Wir erinnern uns, daß es ja das Ursprungsprinzip selbst ist. So wirkt es auch im Menschen Erschaffung seiner Welt oder Rückkehr in den Ursprung, worin diese Welt wieder aufgehoben ist. Es ist selbst eine Aktivität, die sich im Wünschen und Begehren an die Dinge heftet, die es im Erkennen selber erzeugt hat. Hier ergeht nun die Aufforderung, "es zu hemmen", es "zur Ruhe zu bringen" wie man ein Feuer, dem der Brennstoff entzogen wird, zum Erlöschen bringt. Erlöschen aber heißt hier nicht verschwinden und zunichte werden, sondern nur unsichtbar und unfühlbar werden. Daß es wieder entzündet werden kann, beweist diesem Denken, daß es "schlummernd" dageblieben sein muß. Uns so auch das Denken, das nicht wünscht und erkennt. Wir stoßen hier wieder an die Grenzen der sinnlich-bildhaften Vorstellbarkeit und Aussagbarkeit durch bildhafte Sprache. Und wenn an anderen, vorher zitierten Stellen, der Tiefschlaf als Erfahrung dieses Ruhens des Manas und des inhalts-und objektlosen Denkens beschworen worden ist, so verhält es sich mit seiner Erfassung nicht anders. Auch der Tiefschlaf oder die Ohnmacht bleibt eine Erfahrung, die nur negativ aus dem Wachen als sein Gegenteil und anders-Sein zu erschließen ist, für den Wachenden aber und von außen – beim Schlafenden oder Ohnmächtigen – als Ruhe, Untätigkeit und Reglosigkeit wahrgenommen wird.

Diese Erscheinungen werden zum Kristallisationspunkt der Aufmerksamkeit indischer klassischer Philosophie, die hier die Dimension der Moksa vermutet und sie durch Praktiken und theoretische Bemühung dem heilsuchenden Menschen verfügbar machen will.

Sucht man nach vergleichbaren abendländischen Erlösungslehren, so findet man nicht leicht etwas Passendes. Zu sehr wurde und wird hier immer der Charakter des Ganz-Anderen jenes jenseitigen Zustandes betont, eben durch die Konstitution des Jenseits selber. Für die Upanishaden aber ist Moksa kein Jenseits und nichts Ganz-Anderes, sondern der Ursprung und Grund aller Dinge selber. Und sicher liegt das an der griechischen und jüdischen Tendenz, solchen Ursprung als Göttliches oder als den Gott in fernste Transzendenz zu setzen, so daß das Heil nur als Weg zu diesem Gotte oder in der "Vergöttlichung" (theiosis oder homoiosis to Theo, wie Platon und die Neuplatoniker sagten) gesehen werden konnte. Für die Upanishaden aber bedürfen auch die Götter selbst des Heils, und ob ihr Ursprung selber ein Gott oder nicht ist, das wird auch zwischen indischen Philosophen und sogenannten Religionen, die aus indischem Denken erwachsen, eine große Streitfrage.

Setzt man aber voraus, daß im abendländischen Sinne das Heil in der Gottesnähe oder Vergöttlichung gesucht wird, so kann man doch in den philosophischen Gottesvorstellungen Hinweise finden, was als die Natur des göttlichen Zustandes und somit des Heils überhaupt in Frage kommt. Dann ergeben sich doch gewisse Parallelen. z. B. erscheint uns recht verwandt die Vorstellung des Aristoteles vom Gotte als erstem Beweger, der selber unbewegt ist. Es erscheint zunächst als Paradox, daß aus dem Unbewegten alles Bewegte hervorgehen soll – und entsprechend als Heilsbewegung zur Unbewegtheit zurückkehren muß. Daher hat Aristoteles auch nach Analogien und Erklärungsmuster für diesen Übergang und dies Verhältnis gesucht. Aber bei ihm ist es nicht der Tiefschlaf, sondern die Achse oder Nabe des Rades, die sowohl an der Bewegung des Rades teilhat wie auch stillsteht, oder der Geliebte, der den Liebenden bewegt – und, so, muß man in diesem Beispiel schliessen, selber nicht liebt und ungerührt bleibt.

Wird das Heil im Abendland aber als Vergöttlichung verstanden, so stehen alle diejenigen Lehren der Upanishadenlehre von der Moksa am nächsten, die den Gott aus der Transzendenz ent-fernen und gleichsam ins Diesseits herüberziehen. Dies sind die Lehren der Mystik, die das Göttliche im Menschen und den Menschen im Göttlichen finden, am reinsten ausgesprochen in der Philosophie des Spinoza.

Sie hat ja den Boden bereitet, auf dem die Systeme des deutschen Idealismus erwachsen sind, die die Theiosis des Menschen und die Anthropologisierung des Absoluten zu formulieren versucht haben. Unter den deutschen Idealisten aber hat Schopenhauer diese Konvergenz mit der Upanishadenlehre selber bemerkt und betont. Er hat den augustinischen Neuplatonismus, gemäß welchem der Wille (voluntas) im dreifaltigen Gott und in der dreifaltigen Seele "gewissermaßen alles" sein sollte, unter den Bedingungen neuzeitlicher Metaphysik neuformuliert, "spinozisiert" und mit der Upanishadenlehre verschmolzen. Der Wille wird hier zur Leidenschaft, die Leiden schafft, mithin seine Ab-schaffung zur Erlösung von allem Leiden.

 

II. Die sechs klassischen "Systeme" (Darshanas) der indischen Philosophie

§ 14. Die sechs Darshanas.

Unter den philosophischen Schulstömungen Indiens berufen sich einige auf die Autorität der Veden und erkennen sie entweder als Shruti (Offenbarung) oder doch als Smrti (Tradition) an, die in philosophischer Bemühung anzueignen und auszulegen sei. Man nennt sie daher Astika (anerkennende). Ihnen stehen diejenigen gegenüber, die die Vedenautorität ablehnen oder geradezu bekämpfen, die sog. Nastika. Mit letzteren werden wir uns später nur gelegentlich befassen und dabei zeigen, daß sie gleichwohl, wie es nicht anders sein kann, zur Erbschaft vedischen Denkens gehören.

Obwohl es eine große Vielfalt von Astika-Richtungen gibt, haben sich doch unter ihnen sechs Richtungen als klassische profiliert, die als Schwerpunkte indischer Systeme immer wieder in den Philosophiegeschichtsdarstellungen besondere Beachtung finden. Es sind die großen Strömungen des Nyaya, des Vaishesika, des Samkhya, des Yoga, des Mimamsa und des Vedanta (darunter besonders die Advaita-Philosophie). Sie sollen daher im folgenden besonders vorgestellt werden.

Kennzeichnend für diese Strömungen ist, daß sie auf Schulgründer zurückgeführt werden können, die damit als historische Persönlichkeiten auftreten. Daher spricht man gewöhnlich vom Nyaya des Gautama, vom Vaishesika des Kanada, vom Samkhya des Kapila, vom Yoga des Patanjali, vom Mimamsa des Jaimini oder vom Advaita-Vedanta des Samkara.

Die literarische Gestalt ihrer Lehren ist der Sutra (Faden). Es handelt sich um Kompendien oder "Leitfäden", oft bis zur Kürze eines Aphorismus kondensiert, die die Auslegung der vedischen Lehren und Regeln enthalten. Ihrer Kürze und oft auch Dunkelheit wegen werden sie selber Ausgangspunkt anderer Auslegungs-Sutren, so daß sich die Schulliteratur als eine große Kommentartradition darstellt. Nebenbei sei bemerkt, daß sich diese literarische Form der Sutren über den ganzen ostasiatischen Raum ausgebreitet hat, dies insbesondere im Gefolge der buddhistischen Ausstrahlung bis nach China und Japan.

*Wenn auch jedes dieser Darshanas das Erbe der Veden insgesamt auf seine Weise auslegt, so sind sie doch nicht so totalitär im Anspruch, wie man das von den abendländischen philosophischen Schulströmungen sagen kann. Vielmehr liegt ihr Schwerpunkt in einer Art disziplinärer Ausarbeitung bestimmter Motive des vedischen Denkens. So hat man den Nyaya gerne als die klassische indische Logik und Erkenntnistheorie angesprochen, weil eine entsprechende Thematik ihren Schwerpunkt bildet. Den Vaishesika, bei dem die Karma-Lehre und eine Art Atomismus im Vordergrund steht, kann man als indische Naturphilosophie bezeichnen. Entsprechend werden beide auch gerne zusammengefaßt und als Nyaya-Vaishesika als die klassische indische erkenntnistheoretisch begründete Naturlehre dargestellt. So etwa von Karl H. Potter: Indian Metaphysics and Epistemology: The Tradition of Nyaya-Vaisesika up to Gangesa (Encyclopedia of Indian Philosophies), Princeton, N.J. 1977. Der Samkya stellt sich als eine Art Evolutionslehre dar, die auch das Erkenntnisproblem und das Erlösungsthema besonders beachtet. Der Yoga stellt letzteres in den Vordergrund. Daher werden auch diese beiden gerne zusammengefaßt zum Samkhya-Yoga als einer umfassenden evolutionären Erlösungslehre. Demgegenüber ist der Mimamsa recht ritualistisch ausgerichtet und nimmt daher eine besondere Stellung ein, die dem Gewicht des ritualistischen Moments in den Veden und Brahmanas entspricht. Der Vedanta mit seinem Anspruch, "am Ende der Veden" zu stehen und den geistigen Sinn dieser Riten zu deuten, sieht darin eine Propädeutik für seine eigenen Lehren, so daß man häufig auch eine gemeinsame Darstellung des Mimamsa-Vedanta findet.

Insgesamt herrscht in diesen Darshanas ein sehr irenischer Geist, der durch sie dem philosophischen Denken Indiens überhaupt vermittelt worden ist. Man betont nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten. Und wenn es Polemik und scharfe Abgrenzung gibt, so gegenüber den Nastika-Richtungen, die vorgeben, außerhalb des vedischen Erbes zu stehen.

§ 15 Die Nyaya-Philosophie.

Die Bezeichnung dieser Philosophie betont das "Zurückgehen" oder "Zurückführen" in der Argumentation. Man könnte sagen, in ihrem Titel ist sie als eine Deduktion-Lehre ausgewiesen.

Dies entspricht dem von den Indern selbst am meisten an ihr geschätzten Gehalt: er besteht in einer Logik und Erkenntnistheorie umfassenden Methodologie. Diese ist ihrerseits auf die brahmanische und Upanishaden-Anthropologie begründet.

Ihr ältestes Dokument ist ein Sutra-Kompendium von 5 Kapiteln mit je zwei Abschnitten, die jeweils zwischen 2 bis 70 Sätze enthalten, welches als die "Nyayasutras" des Gautama zitiert wird. Eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei Potter, Indian Metaphysics and Epistemology, a.a.O. S. 221-38). Das Werk scheint im 2. Jahrhundert n. Chr. seine endgültige Gestalt gefunden zu haben und somit Resultat einer langen mündlichen Schultradition zu sein. Der Autor wird in Zitaten und Hinweisen mit dem Beinamen Akshapada (Augenfüßler) belegt, woran sich Legenden knüpfen, daß er an den Füßen Augen gehabt habe oder schlichter, daß er beim Gehen vor sich hin auf seine Füße zu schauen pflegte.

Daran knüpfen über die Jahrhunderte Kommentatoren der Schule an: Pakshilasvamin, genannt Vatsyayana im 5. Jh. n. Chr. mit seinem Werk Nyayabhasya (Referat bei Potter, a.a.O. S. 239-74), das zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem Buddhisten Didnaga führte. Es wurde seinerseits von Uddyotakara (ca. 550-610 n. Chr.) in seinem Werk "Nyayavarttika" kommen-tiert und ergänzt (Referat bei Potter, a.a.O.S. 303-4). Neben vielen anderen sind dann wichtige Kommentare diejenigen von Vacaspati Mishra (ca. 900-980 n. Chr.), Udayana (ca. 1050-1100 n. Chr.) und Jayanta Bhatta. Des letzteren "Nyayamanjari" gilt als umfassendste Darstellung des Nyaya-Systems, das dann das "alte Nyaya" genannt wurde.

Seit dem 12. Jahrhundert entsteht der "Nava-Nyaya" (neuer Nyaya) mit noch entschiedenerer Ausrichtung auf Logik und Methodologie. Hauptvertreter und Begründer ist Gangesha mit seinem Werk "Tattvacintamani" ("Wunschsteine der Wahrheit"). Auch dazu entstanden berühmte Kommentare wie der des Vasudeva Sarvabhauma (15. Jh. n. Chr.), des Raghunatha unter dem Titel "Didhiti", und des Gadadhara (1604-1709).

Für die Bibliographie ihrer Schriften verweisen wir auf K.H. Potter, Bibliography of Indian Philosophies, Delhi 1970.

Es liegt vom abendländischen Standpunkt aus nahe, das Wesentliche der Nyaya-Philosophie als eine formale Logik zu betrachten. Diese gilt seit Aristoteles in dem Sinne als formal, als sie gegenüber den inhaltlichen Begriffen, den wissenschaftlichen Theorien, den psychischen Denkakten, auch ihrer praktischen Anwendung zur Verständigung, Belehrung, Widerlegung von Meinungen, etc. als neutral angesehen wird. Die Verbindung mit der Rhetorik, mit Ontologie, besonders mit Psychologie, die in der Geschichte immer wieder vorgekommen ist, gilt dem formalen Logiker besonders der Moderne als Anathema, das den reinen und alles disziplinäre Wissen erst begründenden Charakter der Logik in Frage stelle und somit das wichtigste Instrument der Wahrheitsfindung und Sicherung abendländischer Wissenschaft dem zufälligen und immer perfektionierbaren Einsichtenstand empirischer Wissenschaften ausliefere, mithin reine "apriorische" Wahrheit vernichte.

Die Folge dieser Einstellung ist, daß bestimmte, von den genannten Einzelwissenschaften her sinnvoll erscheinende Fragen an die Logik nicht mehr gestellt werden können, geschweige denn beantwortet. Und so ist die Logik sich in der neueren Zeit immer undurchsichtiger gewor-den, dies entsprechend dem Maße, in dem sie für sich in Anspruch nahm, das Maß und die Form aller Durchsichtigkeit und Klarheit in den inhaltlichen Wissenschaften und im täglichen Reden und Denken zu sein.

Die formale Logik in dieser modernen Gestalt als Beurteilungsmaßstab für ein vermutliches Pendant in einem ganz anderen Kulturkreis zu nehmen, hieße, den Blick zu sehr einengen und zugleich den Gegenstand vergewaltigen. Sieht man sie aber selber – wie es auch sonst bei philosophischen Disziplinen angemessen ist – als ein geschichtlich entwickeltes Gebilde, in dem bestimmte klassische Positionen und Motive zur Geltung gekommen, andere abortiv geblieben, manches geradezu zur Wiederaufnahme und Aktualisierung vorbereitet ist, und sieht man insgesamt hinter der imponierenden Fassade einer vorgeblich einheitlichen logischen Theorie (die sich immer wieder die Euklidischen "Elemente" und die klassische newtonsche Mechanik zum Vorbild nimmt, welch letztere bekanntlich bis zu Beginn unseres Jahrhunderts ziemlich konkurrenzlos "die klassische Mechanik" gewesen ist) die mannigfaltigen konkurrierenden Begründungstheorien heterogener metaphysischer Provenienz, so wird man auch eher geneigt sein, in den logischen Elementen der Nyaya-Philosophie teils Motive abendländischer Logikgeschichte, teils eigenständige Entwicklungen zu erkennen. Und hierbei ist vor allem die Reflexion wichtig, auch aus dem Fehlen bestimmter logischer Elemente, die uns allzu vertraut und selbstverständlich erscheinen, nicht ohne weiteres auf ein Defizit zu schließen, vielmehr nach ihren Kompensationen durch anderes Ausschau zu halten.

Die Vielheit der Meinungen und das Kontinuum der Theoretisierungen auch in der Nyaya-Logik (wenn wir das einmal so nennen wollen), die ja über einen Zeitraum von rund zweitausend Jahren entwickelt wird, lassen sich schwerlich auf Formeln bringen, gegen die nicht immer einzelne Theorien und Meinungen als Gegeninstanzen ins Feld geführt werden könnten. Trotzdem wollen wir den Versuch dazu wagen. Und zwar so, daß wir den Äußerungen der prominentesten Vertreter dasjenige entnehmen, mit dem sie die vedischen Motive extrapolieren, und dies natürlich auf die Gefahr und den Erfolg hin, daß wir dadurch manches "besser verstehen, als es der Autor selber verstanden hat". Und wir schöpfen den Mut zu diesem Verfahren nicht zuletzt aus der Erfahrung, daß die Klage über Dunkelheit, Kürze, Verfälschungen und Irrtümer unter den Nyaya-Autoren nicht geringer ist als unter abendländischen Schulkommentatoren und Sektenmitgliedern, die um die reine Lehre kämpfen.

Literatur zum Nyaya-Darshana: D. H. H. Ingalls, Materials for the Study of Navya-Nyayalogic (Harvard Oriental Series, 40), Cambridge, Mass. 1951, ND Delhi 1988; B. Krishna Matilal, Nyaya-Vaishesika, Wiesbaden 1977; A. Meuthrath, Untersuchungen zur Kompositionsgeschichte der Yaya-Sutras (Religionswiss. Studien, 36), Würzburg 1996; Umesha Mishra, Conception of Matter according to Nyaya-Vaishesika, Allahabad 1936, ND 1987; G. Oberhammer, Wahrheit und Transzendenz. Ein Beitrag zur Spiritualität des Nyaya, Wien 1984; H. G. Türstig, Über Entstehungsprozese in der Philosophie des Nyaya-Vaishesika-Systems (Beiträge zur Südostasienforschung, 78), Wiesbaden 1982; Satishandra Vidyabhusana, A History of Indian Logic: Ancient, mediaeval and modern Schools, Kalkutta 1920, ND 1988; P. M. Scharf, The Denotation of Generic Terms in Ancient Indian Philosophy: Grammar, Nyaya, and Mimansa (Transactions of the American Philosopihical Society, 86,III), Philadelphia 1996; P. P. Gokkale, Inference and Fallacies discussed in Ancient Indian Logic, with special Reference to Nyaya and Buddhism (Bibliotheca Indo-Buddhica, 107), Delhi 1992; Cl. Nenninger, Aus gutem Grund: Prasastapadas anumana-Lehre und die drei Bedingungen des logischen Grundes (Philosophia Indica: Einsichten . Ansichten, 1), Reinbek 1992; Cl. Oetke, Vier Studien zum altindischen Syllogismus (Philosophia Indica, 2), Reinbek 1994. Weitere Literaut bei J. M. Bochenski, Formale Logik, 3. Aufl. Freiburg 1970, S. 600 - 605 und S. 612.

Die Thematik und das Anliegen der Nyaya-Philosophie sind in den ersten Sutren der Nyayasutras" des Gautama Akshapada so gut wie abschließend formuliert (Vgl. K.H. Potter, Indian Metaphysics a. a. O. S. 222; auch Glasenapp, Die Philosophie der Inder, Stuttg. 1949 S. 240):

"Das richtige Wissen (jnana) um das Folgende führt zur Vollkommenheit (nihshreyasa):

1. das Instrument der Erkenntnis (pramana),
2. den Inhalt der Erkenntnis (prameya),
3. den Zweifel (samshaya),
4. die Absicht (prayojana),
5. das Beispiel (drstanta),
6. den Satz (siddhanta),
7. die Glieder einer Schlußfolgerung (avayava),
8. die Überlegung (tarka).
9. die sichere Entscheidung (nirnaya),
10. die Diskussion (vada),
11. die Argumentationsstrategie (jalpa),
12. die Kritik (vitanda),
13. die Scheinargumente (hetvabhasa),
14. die Sinnverdrehungen bzw. Unterstellungen (chala),
15. die irreführenden Einwände (jati),
16. die Mißverständnisse (nigrahasthana).

Gelingt es, den Irrtum (mithyajnana) zu vermeiden, so verschwinden auch nacheinander Fehler (dosa), Tätigkeit (pravrtti), Wiedergeburt (janma) und Leid (duhkha), und das führt zur Erlösung (apavarga)".

Man sieht, daß das vedische Anliegen der Moksa voll übernommen ist und die Erkenntnis in seinen Dienst gestellt wird. Die Nyaya-Philosophie gibt sich dadurch selbst als eine Lehre vom Heil bzw. von der Erlösung durch Erkenntnis zu erkennen. Dies im Gegensatz zu anderen Richtungen, insbesondere dem Yoga, der dasselbe Ziel auf praktischen Wegen anstrebt.

An Auskunft, was nun die Erlösung selber sei, erhält man von Gautama nur den lapidaren Satz (nach Potter Topic III, 22, S. 224): "Erlösung ist absolute Freiheit (vimoksa) vom Leid". Daß damit allenfalls ein Aspekt der vedischen Moksa erfaßt wird, liegt auf der Hand. Die Nyaya-Philosophie konzentriert sich vielmehr auf die Erkenntnis der Erkenntnis, ein Unternehmen, das seiner Natur nach wie die abendländische Reflexionsphilosophie als eine paradoxale Fragestellung bezeichnet werden muß. Soll nämlich Erkenntnis erkannt werden, so muß etwas Identischen gespalten und unterschieden werden und so Unterschiedenes zugleich als dasselbe behandelt werden. Man kann daher erwarten, daß entweder die erkannte Erkenntnis etwas anderes sein wird als die Erkenntnis, die solche Erkenntnis ausspricht – das ist der Weg, den die sog. Transzendentalphilosophie einschlug. Oder aber die Erkenntnis wird zu einem Prozeß oder Ereignis, das überhaupt nicht erkannt, sondern nur getätigt oder erlebt werden kann, sich "zeigt" oder aufgewiesen wird und dann das Maß seiner selbst und dessen, was nicht Erkenntnis ist, darstellt. Dies ist der Weg eines metaphysischen Gnoseologismus, wie ihn etwa Leonard Nelson beschritten hat, für den es keine Erkenntnistheorie geben kann. Und für diesen letzteren Weg liegt es nahe, die Erkenntnis als das vorzuführen, was übrig bleibt, wenn man alles andere, was nicht Erkenntnis ist, ausgeschieden hat – eine Art "negativer Theologie" der Erkenntnis.

Man sieht sogleich, daß die Nyaya-Erkenntnislehre zwischen beiden Positionen oszilliert. Man kann sagen: sie führt die Erkenntnis als den Weg des Heils vor. Die richtige Erkenntnis ist das Heil. Aber zugleich will sie auch sagen, woraus Erkenntnis besteht und woraus nicht: Sie setzt Erkenntnis aus Faktoren zusammen und grenzt sie gegen ihre Fehlformen ab. Und diese Faktoren sind ihrer Natur nach nicht selber Erkenntnis, sondern allenfalls Erkanntes.

Im vorliegenden Falle, sind es die vedischen anthropologischen und ontologischen Motive, die den Hintergrund für die Konstruktion der Erkenntnis abgeben. Das zeigt sich in der Anführung von Erkenntnisinstrumenten und Inhalten – wir vermeiden den realistisch vorbelasteten Ausdruck "Objekte" – der Erkenntnis. Die Unterscheidung zwischen ihnen geht ihrerseits in die Richtung einer Unterscheidung zwischen formalen und inhaltlichen oder materialen Faktoren der Erkenntnis.

Das Menschenbild und die Wirklichkeitsauffassung des Nyaya bleiben demjenigen der Upanishaden verpflichtet. Im Zentrum steht die Atman-Lehre als Lehre von dem seelisch-geistigen Kern des Menschen, der sich aus den Elementen der körperlichen Welt seinen Körper organisiert und dadurch in die Erscheinung tritt. Der Atman ist durchdringend (vibhu), es bleibt auch im Karman-Zusammenhang der Wiedergeburten derselbe, der unsichtbare Grund für die körperlichen Schicksale seiner jeweiligen körperlichen Existenzweise. Gleichwohl ist er nicht fest an seine Körper-Konstellation geburnden: im Traum, Schlaf und Tod kann er sich vom Ort des Körpers lösen. Bestimmte Erkenntnisweisen gelten selbst als solche Loslösungen und gleichsam Versetzungen an außerkörperliche Örter.

Dabei gilt die Verhaftetheit an das Körperliche als das Leidvolle schlechthin (duhkha) und die erkenntnismäßige Loslösung als das Heil. Und das größte Hindernis ist der Irrtum oder ein falsches Wissen, welches den Atman eben als ein Körperliches, als sinnlich, als Willen, als Streben ansieht.

In der Entwicklung eines Ideals des wahren Atman spricht die Nyaya-Philosophie ihre Gottesvorstellung aus: Ishvara weiß alles, nimmt alles ohne Sinne wahr, hat keinen Körper, (oder die ganze sinnlich wahrnehmbare Welt gilt einigen als sein Körper), sein Wille ist zugleich das Gesamt-Karma des körperlichen Weltlaufs, er ist überhaupt erste Ursache aller Dinge und zugleich Ordner der Welt. Man kann daraus entnehmen, daß diese "Theologie" die körperliche Welt insgesamt wieder nach dem Muster des Verhältnisses des Körpers des Menschen zu seinem Atman deutet – wie es unter den christlichen Denkern am meisten Augustinus mit seiner Gottes-Psychologie getan hat.

Kommen wir von diesen Voraussetzungen wieder auf die Erkenntnistheorie des Gautama Akshapada zurück. Er hat in den beiden Themen Nr. 1 und 2. jeweils die anthropologischen Voraussetzungen als "Instrumente der Erkenntnis" und die ontologischen als "Inhalte der Erkenntnis" zu unterscheiden und vorzustellen versucht. Dies geschieht in zwei Listen von Titelbegriffen und ihrer Erklärung.

Beginnen wir mit der Liste der Erkenntnisinhalte und fügen die wesentlichen Erklärungen hinzu. Die Erkenntnisinhalte sind (nach Potter, a. a. O. S. 223):

1. Das Selbst (atman). Es ist Träger von Wünschen, Abneigungen, Bestrebungen, Lust, Schmerz bzw. Leid und Erkenntnis bzw. Irrtum.
2. Der Körper (sharira). Er ist der Ort (ashraya) von Bewegungsgeten (cesta), Sinnesorganen und Erkenntnisinhalten.
3. Die Sinnesorgane (indriya).
4. Die Erkenntnisinhalte (artha) oder was Objekt wird.
5. Das Erkenntnisurteil.
6. Das innere Erkenntnisorgan. Es zeigt sich darin, daß immer nur ein Erkenntnisurteil zu einer Zeit gefällt wird. Vielleicht am ehesten mit "innerer Sinn" oder "Bewußtsein" zu umschreiben.
7. Das Tätigsein. Es umfaßt sowohl Sprechen und Urteilen wie körperliche Bewegungen.
8. Defekte. Sie sind der Grund von Aktivitäten.
9. Wiedergeburt (pretyabhava).
10. Frucht (phala). Etwas, was durch Tätigsein oder Defekte hervorgebracht wird.
11. Schmerz. Alles, was Unwohlsein bedeutet (badhana).
12. Erlösung. Absolutes Freisein (vimoksa) von Schmerz und Leid.

Die Erkenntnisinstrumente sind dagegen nur vier (nach Potter a. a. O. S. 222/223):

1. Sinnesempfindung (pratyaksa).
2. Schlußfolgerung (anumana).
3. Vergleichung (upamana).
4. Verbales Zeugnis (shabda).

Man sieht, daß die Erkenntnisinstrumente zugleich auch Erkenntnisinhalte, nämlich nach Nr. 7 und Nr. 5 sind. Das heißt, daß die Instrumente ihrerseits als Teile der Wirklichkeit zu erkennen sind. In abendländischer Terminologie müßte man eher umgekehrt formulieren: Einige Erkenntnisinhalte sind Instrumente oder – biologisch – Organe, deren Tätigkeit Erkenntnis liefert. Solche Organe nennt die abendländische Erkenntnistheorie aber Erkenntnisvermögen: etwa Sinnlichkeit, Gedächtnis, Einbildungskraft, Denkkraft. Aber hierzu gibt es im indischen Denken keine genaue Entsprechung. Am ehesten könnte man sagen, daß die Sinnlichkeit die einzige Erkenntniskraft darstellt, von der Gedächtnis und Denken (manas) nur so etwas wie spezifische Aktionsweisen darstellen. Und diese gehen wiederum kontinuierlich in die sonstigen Aktionsweisen des Wollens, Wünschens, Strebens und der Karma-Verhaftungen über.

Wenn das zutrifft, muß man die Nyaya-Erkenntnistheorie sensualistisch nennen. Denn dieser von Berkeley und Condillac im Abendland entwickelte Standpunkt hält ebenfalls die Sinnlichkeit für die Grundkraft aller Erkenntnis und deutet alle Wirklichkeit als Inhalte sinnlicher Wahrnehmungen (Berkeley: "esse = percipi"). Dementsprechend muß er auch alles, was sonst noch Urteils-, Verstandes-, Vernunft- usw. –Erkenntnis genannt wird, als "Transformationen der Sinneserkenntnis" deuten. Berkeleys Theorie von der "Repräsentations"-Abstraktion als sinnliche Erfassung des Allgemeinen führt das vor (vgl.Geoge Berkeley, Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, 1. engl. Auflage 1710, 2. Aufl. 1734, deutsch von Fr. Ueberweg, hg. von A. Klemmt, Hamburg 1957, S. 9, 12, 15).

Wir gehen davon aus, daß genau dies auch für die Nyaya-Erkenntnistheorie zutrifft. Daher werden wir die Theorie der Erkenntnisinstrumente aus diesem Blickwinkel betrachten.

Zunächst ist festzustellen, daß der Nyaya-Begriff der Sinnlichkeit umfassender ist als der abendländische, worin schon liegt, daß er sog. andere Fähigkeiten mitumfaßt. Er umfaßt zunächst auch die sprichwörtlichen fünf Sinne und ordnet ihnen eine bestimmte Erkenntnisfunktion bezüglich seiner Inhalte oder "Objekte" zu:

1. Die fünf Sinne:

das Gehör erfaßt nur den feinsten Stoff, gewöhnlich als Äther bezeichnet;
das Gefühl erfaßt die Luft;
das Gesicht richtet sich auf Feuer;
der Geschmack erfaßt das Wasser;
der Geruch erfaßt die Erde.

Und zwar deshalb, weil diese Sinnesorgane aus dem gleichen Stoff bestehen. In ihnen trifft Gleiches mit Gleichem zusammen. Man erinnere sich hier an die brahmanische und Upanishadenlehre von der Zusammensetzung des Menschen aus diesen Elementen. In ihrem Schematismus hat sie vorsokratische (Empedokles) und aristotelische Parallelen, jedoch ist die Zuordnung der einzelnen Sinne zu den 5 Elementen seit Aristoteles im Abendland kanonisch anders gewesen (Gefühl bzw. Getast-Erde; Geschmack und Geruch-Wasser; Gehör-Luft, Gesicht-Feuer; wer aber den Äther wahrnimmt, dem schwinden die Sinne – weswegen geschäftstüchtige Apotheker einen solchen Stoff mit dem Namen dieses göttlichen Elementes, der "quinta essentia" benannten). Diese fünf Sinne heißen im engeren Sinne Erkenntnissinne (jnanendriya).

2. Neben ihnen nimmt die Nyaya-Philosophie noch weitere fünf Tatsinne (karmendrya) an. Es handelt sich um die folgenden:

die Rede (vac), körperlich der Mund;
das Greifen, körperlich die Hand (pani);
das Gehen, körperlich die Beine oder Füße (pada);
das Entlehren, körperlich After oder Darm (payn);
das Zeugen, körperlich das Zeugungsorgan (upastha).

Diese im Prashna-Upanishad schon vorkommenden Sinne gelten im Unterschied zu den vorgenannten als untätig im Schlaf, dafür als sehr erkenntnisrelevant im Wachsein. Ihre Berücksichtigung als Erkenntnismittel unterstreicht das pragmatistische Element in der Nyaya-Erkenntnistheorie.

3. Darüber hinaus aber nimmt die Nyaya-Erkenntnistheorie noch einen besonderen Sinn an, den sie nach seinen "außerordentlichen" (alaukika) Leistungen beschreibt. Man hat dementsprechend viel hineingeheimnist, ihn als transzendenten, höheren, ja als Geist-Sinn umschrieben, gewissermaßen als Sinn für alles Übersinnliche. Die anderen klassischen Richtungen identifizieren ihn auch direkt mit dem manas, dem Denken oder Geist, erkennen ihn somit gar nicht als einen Sinn an. Hier ist die Lage vergleichbar mit der Einschätzung des sog. "inneren Sinnes" seit Locke. Für die Sensualisten ist er das Organ der Körper- und Organgefühle; für die Rationalisten wird er zum Vorstellungsvermögen oder gar zur Denkkraft schlechthin. Es dürfte hier wie dort kaum aufzuklären sein, ob sich darunter etwas Eindeutiges verstehen läßt. Denn gerade hier greift wieder die Ontologie ein und präjudiziert mit ihren Gegenstandskonstitutionen, auf was sich ein solcher Sinn richten kann und soll: wer von abstrakten ("unanschaulichen") Ideen schwärmt, braucht ein Organ, um sie zu erfassen.

Nach der Nyaya-Lehre leistet dieser außerordentliche Sinn dreierlei:
a. die Erfassung eines gemeinsamen Kennzeichens von verschiedenem Einzelnen (samanyalaksna). Streng sensualistisch gedeutet handelt es sich um Merkmalswahrnehmung und somit um Begriffsbildung. Rationalistische Deutung nennt das eine "Erfassung des Allgemeinen". (laksana wird auch mit"Definition" übersetzt).

b. Die assoziative Verknüpfung einer Erinnerung mit einem Sinneseindruck (jnalaksana). Man könnte das wörtlich mit "Wissensdefinition" übersetzen. Es handelt sich darum, wie etwa Beispiele des Jayanta zeigen, daß hier eine Gemeinsamkeit zwischen einem unmittelbaren und daher auch unbenannten Sinneseindruck und einem durch Namen oder Begriff fixierten, als Gedächtnisinhalt niedergelegten, Sinneseindruck gestiftet wird. Dadurch wird ein unmittelbarer Sinneseindruck unter einen Begriff subsumiert. Natürlich spielt diese Leistung auch bei der Gemeinsamkeitsstifrung zwischen den Inhalten verschiedener Sinne eine Rolle, z. B. wenn erkannt wird, daß sich ein Gehörseindruck und eine Gesichtsempfindung auf dasselbe beziehen. Für diese Leistung der Koordination hatten die Stoiker und Aristoteles den "Gemeinsinn" (sensus communis) eingeführt. Dem dürfte jnalaksana am meisten entsprechen.
c. Die Wahrnehmung von Ereignissen und Dingen über räumliche und zeitliche Entfernung hinweg (yogaya oder pratibhana jnana). Das ist die Leistungsfähigkeit, auf welche die Yogis sich für ihre "übersinnlich" erscheinenden Einsichten berufen. Sie hat in abendländischer "Wahrschau", "Hellseherei", "Spökenkiekerei" ihre Parallele. Ihr Kern dürfte aber schlicht die Leistungsfähigkeit der Erinnerung sein, in der wir ja gewiß "über die Zeit und den Raum hinweg" etwas wahrnehmen. Da der Nyaya-Philosophie keine der abendländischen vergleichbare Zeittheorie mit den drei "Dimensionen" von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zur Verfügung stand, ließ sich in ihr auch Erinnerung und Phantasie nicht genau von einander abgrenzen. Da aber Erinnerungen ebenso wenig wie Phantasien anhand irgend eines Korrelates (das Vergangene ist nicht mehr und darum überhaupt nicht!) als solche ausweisbar sind, kann sie nur durch subjektive "Lebhaftigkeit" und durch die Bestätigung anderer Menschen, die sich auf gleiche Erinnerung berufen, von der Phantasie abgegrenzt werden. Für die "Verifikation" eines telepathischen Fern-Sehens bedarf es immer des gleichen Zeugnisses anderer, die unmittelbar Zeugen gewesen sind, und so läuft sie auf die Vergleichung von Phantasie (des Telepathen) mit Erinnerungen (der Zeugen) hinaus, eine Angelegenheit, die sehr beträchtlich vom guten Willen, der Gläubigkeit und der Statistik und Typisierung der Ereignisse abhängt. Erst recht gilt das von prognostischen "Wahrschauen", die, solange sie Prognosen sind, kein Vergleichungspendant in sinnlichen Wahrnehmungen haben, und sobald das Prognostizierte Gegenwart (oder auch nicht) wird, keine Prognosen mehr sind. Erst dann kann wieder nur eine Erinnerung (an die Prognose) mit gegenwärtigen Sinneswahrnehmungen von Zeugen verglichen werden, und das unterliegt den erstgenannten Bedingungen.

Wir deuten also diese "außergewöhnlichen" (alaukika) Sinnesleistungen im Gegensatz zum Selbstverständnis der Nyaya-Philosophie als etwas sehr gewöhnliches, nämlich als das Spiel von Erinnerungen und ihrer phantastischen Kombinatorik. Und keineswegs soll damit behauptet werden, daß abendländische Wissenschaft mit diesem Spiel schon fertiggeworden sei und es durchschaut habe. In der Nyaya-Lehre liegt ebenso wie in der antiken stoischen und epikurei-schen Auffassung ein wertvoller Hinweis, dieses Spiel als eine Transformation der Sinnesleistungen überhaupt und somit sensualistisch zu deuten – ein Gesichtspunkt, der leider zugunsten neuplatonischer Theorien von "übersinnlichen" Gegebenheiten, Ideen und Begriffen "an sich", die zu ihrer Erfassung eines unsinnlichen Organs bedürften, zu sehr vernachlässigt worden ist. Außerhalb der klassischen indischen Darshanas ist er von den Carvakas ("Materialisten", eine der Nastika-Richtungen) mit noch größerer Entschiedenheit vertreten worden.

Gemäß dem sensualistischen Ansatz der Nyaya-Erkenntnistheorie kann man schon vermuten, daß die Sinneserkenntnis auch die einzig sichere und wahre Erkenntnis sein muß. Sie kann es freilich nicht unqualifiziert sein, will man dem, was üblicherweise Sinnestäuschung genannt wird, Rechnung tragen.

Hier unterscheidet man nun zwischen einer direkten, unmittelbaren, vielleicht auch unbewußt zu nennenden und jedenfalls nicht zugleich an sprachliche Fixierung gebundenen (nirvikalpa) Sinneserkenntnis und einer mittelbaren, bewußten und sprachlich durch Begriffe fixierbaren (savikalpa) Sinneserkenntnis. Erstere mag dem entsprechen, was man gemeinhin Empfindung nennt. Und nur diese ist absolut sicher und wahr und liefert auch die Sicherheits- und Wahrheitsgarantien für alle anderen Formen der Sinneserkenntnis. Die zweite (savikalpa) als bewußte Wahrnehmung unterliegt dagegen der Täuschungsmöglichkeit. Durch die Benennung werden nämlich Erinnerungen an frühere Sinneseindrücke mobilisiert und mit der jeweiligen Empfindung zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen. So mag man etwas Glänzendes für ein Stück Silber halten und es so nennen, sich aber darin täuschen und sich bei genauerem Hinsehen enttäuschen lassen, wenn es sich als Stein oder Muschel herausstellt. Im Eindruck des Glänzens kann man sich dabei nicht täuschen, wohl aber bei der Subsumption dieser Empfindung unter den Begriff eines bestimmten glänzenden Gegenstandes, der dann auch falsche Erwartungen hinsichtlich der Eigenschaften des glänzenden Gegenstandes hervorruft (atasmimstaditi). Und diese Verkennung führt dann zu sinnlichen Illusionen (viparitakhyati).

Die Wahrheit und Sicherheit der Empfindung ist aber, wie schon bei den ontologischen Voraussetzungen dieser Theorie erwähnt, dadurch bedingt, daß dasselbe im Sinnesorgan mit demselben in der Realität zusammentrifft und eine unauflösliche Verbindung eingeht (samyukta-samavaya).

Was nun für die Sinne allgemein gilt, das muß auch für den außerordentlichen Sinn und seine Leistungen gelten. Auch von ihm muß gesagt werden, daß er seinen Gegenstand: das Allgemeine und die zeitlich und räumlich entfernten Dinge und Ereignisse direkt und unmittelbar erreichen bzw. mit diesen verschmelzen können muß. Daraus folgt ein Standpunkt, der hinsichtlich des Allgemeinen bzw. der Universalien viel mit dem mittelalterlichen Universalien-Realismus gemein hat, indem er dem Allgemeinen (samanya) auch ein für-sich-Bestehen zuspricht. (vgl. dazu K. H. Potter, Indian Metaphysics a. a. O. S. 133 ff.).

Außerordentlich problematisch aber wird die Sache, wenn nun auch davon gesprochen wird, es gäbe eine sinnliche Erfassung des Abwesenden als solchen bzw. der Abwesenheit selber (asat). Das Problem besteht darin zu sagen, was beim Fehlen einer Sache eigentlich wahrgenommen wird, so etwa, wenn man sieht, daß "ein Topf nicht mehr auf seinem Platz auf einer Matte steht". Die meisten Nyayayikas machten daraus eine positive Wahrnehmung des Negativen. Kanada lieferte eine kanonische Unterscheidung von vier Weisen des Nichtseins: 1. das Nichtsein einer Sache, ehe sie hergestellt wird oder entsteht, 2. das Nichtsein nach dem Untergang einer Sache, 3. das Nichtsein einer Sache in jeder anderen von ihr verschiedenen Sache, und 4. das absolute Nichtsein einer Sache zu jeder Zeit und in jedem anderen Ding.

Es dürfte auf der Hand liegen, daß dies die Grundlage für die Behandlung, ja auch Formulierung, der Null und des Nichts im indischen Denken liefert, insbesondere der buddhistischen Nirwana-Lehre, die solche Abwesenheit verabsolutiert.

Die verbreitetsten Nyaya-Lehren gehen allerdings nicht so weit. Sie betonen vielmehr, daß in aller Abwesenheitswahrnehmung zugleich wesentlich ein Positives wahrgenommen wird, nämlich der Ort, an dem etwas fehlt, und das sog. "Gegenpositive" (pratiyogi), die fehlende Sache selbst. Und diese Lehre führt wieder auf die Leistung des außerordentlichen Sinnes zurück: das Gegenpositive kann offensichtlich nichts anderes sein als das Abwesende, d. h. irgendwo anders räumlich und zeitlich Entfernte. Dadurch bliebe aber die Negation und das Negative nur ein Hinweis auf ein je anderes Positives.

Man kann kaum verkennen, daß die Lage hier durchaus der Bewertung der Negation in der abendländischen Logik und Mathematik entspricht, die so tiefgreifend von indischer Null-Lehre beeinflußt ist. Auch hier gibt es die Anhänger der "Absolutheit" der Negation und der Null und die Anhänger einer positiv-relationalen Theorie, die das Nichts und die Null für einen undeutlichen Ausdruck eines positiven Sachverhaltes nehmen. Freilich dürften die ersteren bei weitem in der Mehrzahl sein. Für sie ist die Null ein eigenständiges mathematisches Gebilde, ebenso die "leere Menge" ein eigenständiger Begriff (mit Null-Extension) und das Nichts eine ontologische Grundkategorie (Bei Heidegger "nichtet das Nichts"!). Für die anderen aber bleibt jede Negation immer nur ein Verweis auf ein Positives: der "Nicht-Raucher" bleibt ein Mensch (oder auch ein Lebewesen oder Ding), der nicht raucht und alles andere tun mag außer Rauchen; und was fehlt, kann entsprechend nur als positiv Erinnertes ausgemacht werden.

Die Schlußfolgerung (anumana) ist dasjenige unter den Erkenntnisinstrumenten, was noch am ehesten abendländischer formaler Logik entspricht. Es wird regelmäßig mit der Schlußlehre bzw. Syllogistik verglichen. Mit dem aristotelischen Standard-Schluß, dem Syllogismus, hat sie jedenfalls soviel gemein, daß es sich um eine regelmäßige und in bestimmter Reihenfolge stehende Satzverknüpfung handelt, die als Beweisschema gelten kann. Sie sieht folgendermaßen aus:

1. Behauptung (pratijna): Im Berg ist Feuer (gemeint ist wohl ein Vulkan).
2. Begründung (hetu): Weil auf dem Berg Rauch ist.
3. Beleg, Beispiel (udaharana): Wo Rauch ist, ist auch Feuer, wie in der Küche
(aber nicht: in einem Teich).
4. Anwendung (apanaya): Nun ist aber Rauch auf dem Berg.
5. Schluß (nigamana): Also muß es auch Feuer geben.

Man muß jedoch sogleich den Unterschied zum aristotelischen Syllogismus beachten. Dieser ist formal und zieht seine Beweiskraft aus der ebenfalls formalen Struktur von Begriffen und Urteilen, nämlich ihrem Allgemeinheitsverhältnis gemäß Gattung-Art-Individuum, welches seinerseits durch die Inklusionsverhältnisse der Art in der Gattung (der der Individuen in der Art und in der Gattung) und der Implikationsverhältnisse der ("generischen") Gattungmerkmale in den Arten und Individuen (als deren Intensionen) oder durch das Nichtbestehen eines Gattungs-Art-Verhältnisses "formal" vorgibt, ob und wie die Begriffe in Urteilen und in schlußmäßigen Urteilsbindungen zusammenhängen können oder nicht zusammenhängen. Daher ist die formale Syllogistik auch notwendigerweise auf die Quantifikation der Begriffe (klassischerweise nur der Subjekte) und die Verwendung der Negation angewiesen.

Nun hat die Nyaya-Lehre keine eigene Begriffs- und Urteilslehre entwickelt, schon gar nicht etwas, was man eine formale Betrachtung von Begriff und Urteil nennen könnte. An ihrer Stelle steht die grammatische Kategorisierung der Sprache, in der die Inder schon früh – etwa mit Paninis Grammatik (ca. 300 v. Chr.) – sehr viel weiter gelangten als das Abendland. Hier standen Begriffe von Subjekt (dravya) und Eigenschaft (guna), von Individualität (visesa) und Zusammenhang (samavaya) zur Verfügung, die vor allem in der Vaishesika-Philosophie ausgiebig behandelt werden und hier auch vorauszusetzen sind. Sie entscheiden bei der Schlußfolgerung darüber, was als Subjekt oder Prädikat oder als Einzelnes oder Zusammenhängendes ins Schema eingesetzt werden kann. Was aber so grammatisch bestimmt ist, wird dann durchaus inhaltlich, nach seinem Sinn und seiner Bedeutung, nicht nach seinen formalen Strukturen behandelt.

Dies entspricht aber genau dem stoischen Schlußverfahren, welches ebenfalls nicht-formal, sondern inhaltlich, und grundsätzlich auch ohne Quantifikation der Begriffe funktionierte. Die Stoiker gaben immer Beispiele, wenn sie Schlüsse bildeten, und sie demonstrierten inhaltliche Erkenntnisse. "Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es Tag. Also ist es hell". Dieses stoische Paradeargument als Beispiel für die sog. erste (chrysippsche) "unbeweisbare Schlußform" wurde natürlich auch gelegentlich "formalisiert" als "Wenn A, dann B. Nun aber A, also B" (im Griechischen sind die Buchstaben zugleich Zahlzeichen, so daß man auch die Übersetzung findet: "Wenn das Erste, dann das Zweite. Nun aber das Erste, also das Zweite"). Diese erste stoische Unbeweisbare ist in unserem Jahrhundert von der analytischen Philosophie unter dem Titel "Hypothetisch-deduktives Erklärungsschema" von Hempel und Oppenheim (daher auch HD-Schema genannt) aufgenommen und als Grundschema für alle wissenschaftlichen Erklärungs- und Interpretationsverfahren propagiert worden. In ihm steht am Anfang eine "Gesetzeshypothese" als Prämisse. Dann folgt eine Faktenfeststellung, woran sich dann der "Schluß" im engeren Sinne als "Prognose" (auf ein zukünftiges Faktum) oder "Retrodiktion" (auf ein vergangenes Ereignis) anschließt.

Offensichtlich haben auch die Stoiker (wie Aristoteles) solche Schlußformen an Beispielen ausprobiert und keine Erklärung dafür gefunden, warum sie "Wahrheiten" liefern. (Im vorliegenden Paradebeispiel haben sie nicht diskutiert und vermutlich übersehen, daß es auch gelegentlich am Tage dunkel sein kann, nämlich bei der Sonnenfinsternis, so daß die Prämisse "Wenn es Tag ist, ist es hell" in dieser Allgemeinheit falsch ist).

Wir würden daher diese Nyaya-Schlußform noch am ehesten mit dieser stoischen, inhaltlich und speziell sensualistisch begründeten Schlußform vergleichen und möchten darüber hinaus vermuten, daß es nicht nur dem stoischen Schlußverfahren ähnlich, sondern geradezu von den Stoikern übernommen worden ist. Der Unterschied besteht ersichtlich nur darin, daß die Nayaya-Schlußform eine "Behauptung" (pratijna) und ihre (vorläufige) Begründung (hetu) voranstellt, die in der stoischen ersten Unbeweisbaren fehlt. Der Rest stimmt aber vollkommen mit dieser überein. Er drückt ein allgemeines Gesetz aus (udaharana: Wo Rauch ist, da gibt es auch Feuer) - was der stoischen Prämisse als Gesetzesaussage (im HD-Schema der Gesetzeshypothese) entspricht, stellt dann ein beobachtetes Faktum fest (apanaya: Es gibt Rauch auf dem Berg) und schließt gemäß der Prämisse auf ein anderes (verborgenes) Faktum (nigama: also gibt es auch Feuer im Berg). Eine solche Denkform für eine "apriorische" Denkform aller Menschen zu halten, die deswegen in verschiedenen Kulturen zugleich und so weitgehend übereinstimmend entwickelt werden konnte, hindert uns der hier vorausgesetzte Sensualismus sowie die bekannten Tatsachen, daß die Stoiker sie mit vielen Mühen und in Auseinandersetzung mit Aristoteles' Syllogismustheorie entwickelt haben, während sie in der Nyaya-Logik fertig dasteht. Dies läßt darauf schließen, daß sie die Nyaya-Logiker von den Stoikern übernommen haben. Es ist und war aber immer indischer Brauch, solche Entlehnungen von anderen Kulturen nicht kenntlich zu machen, geschweige denn ausländische Verfassernamen zu zitieren.

Erwähnen wir auch die Deutung von M. Hiriyana (Essentials of Indian Philosophy, 5. Aufl. 1960, S.101, der meint, daß es beim anumana darum gehe, beim Diskussionspartner den gleichen Gedanken zu evozieren, den der Argumentierende selber hat ("The Nyaya-Vaishesika, like the rest of the indian systems, rejects the verbal view of logic which is common in the West. It was never forgotten in India that the subject matter of logic is thought, and not the linguistic form in which it may find expression") - was uns gänzlich unangemessen erscheint. Potter (Indian Metaphysics, a. a. O. S. 183) vergleicht das Schema mit dem, was J. St. Mill mit seinen Induktionsprinzipien erreichen wollte. Das erscheint uns als abwegig, da es ja bei Mill in dem von ihm "Induktion" genannten Verfahren um eine methodische "Herausfilterung" von (kausal genannten) Zusammenhängen im sinnlich gegebenen Erfahrungsmaterial geht, während anumana den Kausalzusammenhang schon voraussetzt und keineswegs erschließt oder begründet. Auch I. M. Bochenski, (Formale Logik 3. Aufl. Freiburg-München 1970 S. 489) können wir nur insoweit zuzustimmen, als er "den vermeintlichen ‚Syllogismus‘ nicht als Syllogismus" deuten will. Aber es bleibt bei ihm unklar, was er hier unter einer "Formel des rhetorischen Analogieschlusses" verstehen will. Das udaharana im Schema ist ja ersichtlich keine Analogie, sondern eben die Sache selbst ("Wo Rauch ist, ist Feuer", und der Hinweis, wo das vorkommt ("Wie in der Küche"), ist auch keine Analogie, sondern ein empirischer Parallelfall, der das Gesetz bestätigen soll.

Die Vergleichung (upamana) gilt im Nyaya als eigenes Erkenntnisinstrument. Aber in der Vaishesika-Philosophie wird sie nicht als solches zugelassen, und auch manche Nyayayikas subsumierten sie unter die Erkenntnis durch Zeugnis, von der sogleich zu handeln ist. (vgl. dazu Potter, Indian Metaphysics, a. a. O. S. 174 ff.).

Die Bandbreite der Beispiele zeigt, daß es sich wohl um zweierlei theoretische Verfahren handelt. Das eine dürfte schlicht die Subsumption eines Dings oder Sachverhalts unter einen sprachlich fixierten Begriff sein. Man beschreibt eine nicht anwesende Sache solange, bis der Begriff sich einstellt, sie damit als ein "Fall von ..." erkannt wird.

Das andere ist das, was man Erkenntnis aus Analogie oder durch Modell-Interpretation nennt. Sie ist überall angebracht, wo nicht ein einzelner Begriff, sondern vielmehr ein komplexes Bild, eine Struktur, überhaupt ein Beispiel die Züge und Eigentümlichkeiten eines Sachverhaltes klarmachen soll. Das ist die Erklärungsart Demokrits und der platonischen Mythen, der Metphorik und im Prinzip auch die der "logischen" oder "mathematischen Rekonstruktion" als "Modellierung" eines Phänomens. Hierbei aber handelt es sich ersichtlich um das zentrale Verfahren aller wissenschaftlichen Erkenntnis, die auf ein Quid-pro-quo hinausläuft, ein dunkel und vorläufig Erfaßtes durch ein schon Bekanntes aufzuhellen. Und natürlich hängt dabei die Qualität dieser "Abbildung" in Modelle und der Interpretation der Sachverhalte durch solche Modelle vom Stand der modellliefernden Disziplinen oder dem sprachlich tradierten Modellvorrat einer Kultur ab.

Die Erkenntis durch Zeugnis (shabda) bildet das letzte der fünf Nyaya-Erkenntnisinstrumente. Auch es wird nicht von allen Darshanas anerkannt. Vaishesika führt es z. B. auf einen Fall der Schlußfolgerung (anumana) zurück. Was durch dieses Erkenntnismittel gesichert werden soll, ist die ganze Veden-Tradition. Es handelt sich um die hermeneutisch vermittelte Erkenntnis.

Auch innerhalb des Nyaya bestehen Differenzen, wieweit dadurch alle vedischen Gehalte als shruti (Offenbarung) oder nur als smrti (Tradition) oder darüber hinaus Behauptungen und Erkenntnisse von Autoritäten (apta) als erkenntnisverbürgend gerechtfertigt werden sollen. Die Lage ist hier durchaus dem perennen abendländischen Streit um die Autoritätenmethode vergleichbar. Auch hier geht es ja darum, ob die Offenbarung als höhere Einsicht, oder ob die Autorität der Klassiker (z. B. der Gesetze, der Schulhäupter, der Lehrbücher oder eines Wissenstandes) dogmatisch anzuerkennen seien oder nicht. Und wo dagegen plädiert wird – zumeist übereifrig in der Meinung, man könne alles und jedes prinzipiell "hinterfragen" – macht man gewöhnlich die Anerkennung der Autoritäten davon abhängig, ob und wieweit sie mit dem übereinstimmen, was aus anderen Erkenntnismitteln und -begründungen als wahr und sicher erscheint.

Diese Tendenz besteht auch im Nyaya. Nur eine orthodoxe Fraktion der Nyayayikas schwört auf die "unvordenkliche" (sanatana) Offenbarung der Veden durch Ishvara selbst, deren Wahrheits- und Erkenntnisanspruch hinzunehmen sei, da sie in einer Art Verbalinspiration den vedischen Weisen (rsis) vom Gotte übermittelt sei. Die meisten Nyayayikas aber stellen Bedingungen auf, nach denen sie auch unter den Autoritäten die echten und angemaßten Verkünder unterscheiden wollen. Hierbei tauchen viele der in der abendländischen Rhetorik entwickelten Kriterien auf: Nur die besten Gelehrten seien vertrauenswürdig, zumindestens müßten es mehrere sein, die dasselbe sagen ("opinio communis-Argument"). Was aber nur ein Einzelner sage, müsse zunächst als verdächtig gelten.

Die radikale Kritik aber läßt als shabda nur das zu, was an Aussagen der Autoritäten durch die anderen Erkenntnisinstrumente kontrollierbar und überprüfbar ist: Auch Autoritäten sollen nur das als Wahrheit und wirkliche Erkenntnis vermitteln können, was sie durch sinnliche Wahrnehmung und Schlußfolgerung (die ja ihrerseits nur eine Transformation sinnlicher Wahrnehmung ist) ermittelt haben. Diesen Gehalt aber richtig zu verstehen, etwa die gleichen Erfahrungen gemacht zu haben und mit der Überlieferung vergleichen zu können, erfordert hermeneutische Technik. Und dazu liefert die Nyaya-Theorie des shabda wenigstens rudimentäre Ansätze. Naturgemäß fehlt hierbei alles das, was in abendländischer Hermeneutik auf das Konto der formalen Logik gerechnet werden kann: die Prüfung des Wahrheitsgehaltes von Überlieferungen und Aussagen rein aufgrund ihrer logischen Kohärenz oder Unstimmigkeit. Aber man muß zugleich zugeben, daß die Logik als Prüfmittel auch von abendländischen Hermeneuten wenig eingesetzt – und wohl meist auch wenig beherrscht – worden ist. Denn es ist auch abendländischer Hermeneutik allezeit eher darum gegangen, die Klassiker und Autoritäten richtig oder gar "besser zu verstehen, als sie sich selbst verstanden haben" (Kant), als zu prüfen, ob das so Verstandene selber wahr und richtig sei.

Abgesehen von der Sicherungsfunktion für die vedische Tradition deutet shabda aber auch auf einen logischen Topos hin, der für alles logische Argumentieren und wissenschaftliche Beweisen relevant ist: die Gegebenheitsweise von Beweisvoraussetzungen, Axiomen, Prinzipien. Daß sie selber nicht bewiesen, begründet, abgeleitet werden können, ergibt sich aus ihrem Begriff und ist seit Aristoteles eine logische Binsenwahrheit. Sie dennoch aufzuweisen, einzuführen, "plausibel zu machen" – und jeder Beweis, jede Demonstration setzt voraus, daß dies immer schon geschehen ist – ist eines der perennen Probleme abendländischer "Begründung" von Einzelwissenschaften, Methoden und der Metaphysik selber. Hier ist ungeheuer viel versucht und vorgeschlagen worden, und doch bleibt das Thema kontrovers. Die schlichten Selbstverständlichkeiten, "Evidenzen", "Grundüberzeugungen", "gemeinsamen Meinungen der Fachleute" haben nur noch in altetablierten Disziplinen mit unbefragten Forschungs- und Lehrroutinen eine randständige Existenz und dürften insofern vedischer shabda entsprechen. Überall aber, wo konkurrierende Großtheorien mit gleichem Wahrheitsanspruch über denselben Phänomenbereich entwickelt worden sind, stellt sich das Problem der "Einführung" der Begründungsprinzipien mit aller Schärfe, da jede der konkurrierenden Theorien regelmäßig dasjenige ableitet, was die andere voraussetzt, und umgekehrt. So wird jeweils auch das, was der einen als selbstverständlich und evident gilt, für die andere beweis- und ableitungsbedürftig. Und man hat Grund zu der Vermutung, daß es der einen nur deshalb als selbstverständlich und evident gelten kann, weil es durch die konkurrierende Theorie immer schon abgleitet und bewiesen worden ist.

In diesen Reigen reihen sich würdig auch alle transzendentalphilosophischen Programme der Forschung nach den "Bedingungen der Möglichkeit von ..." oder nach dem "Tu quoque..." ("auch Du mußt voraussetzen, daß ..., wenn Du überhaupt vernünftig argumentieren willst!") ein. Aber was sie als das nicht hinterfragbare Apriori oder als die "Bedingung der Möglichkeit" aufzufinden vermeinen, das leiten die nicht-transzendentalphilosophischen Theorien immer schon als aposteriorische Wirklichkeit ab: etwa als bestimmte logische Form, als psychologischen Befund, als soziologisches Datum, als sprachliche Figur, als Handlungsmuster etc. Woran man sieht, daß hierbei keineswegs in unendliche Gefilde erstmalig zu entdeckender Entitäten vorgestoßen wird, sondern nur Altbekanntes, an sich schon Plausibles oder gar manche Trivialität nur zu einem Absoluten hochstilisiert und als axiomatische Begründungstopos ausgezeichnet wird.

Der Rahmen für solche axiomfähigen Topoi und Motive aber ist allemal die lebendige Kulturtradition, die entweder unmittelbar und gleichsam naiv übernommen oder in wissenschaftlich-hermeneutischer Aufarbeitung für Begründungszwecke weiterentwickelt wird. Für beides aber dürfte im indischen Denken shabda stehen: bewußte oder auch verfremdete oder verkappte Berufung auf die vedische Tradition.

Neben den eigentlichen Instrumenten der Erkenntis thematisiert die Nyaya-Philosophie noch eine Reihe weiterer methodischer Elemente, die im wissenschaftlichen und gelehrten Betrieb vorkommen. Die meisten davon wären in abendländischer Bestimmung als Gegenstände der Rhetorik einzuordnen, wie man an der Liste des Gautama Nr. 10 bis 16 sieht. Hier geht es darum, die Tricks und Stratageme öffentlicher Kontroversen zu analysieren und sie auf ihre Tauglichkeit zur Befestigung oder Erschütterung von Meinungen zu prüfen. Natürlich spielt dabei der Einsatz der genannten Instrumente der Erkenntnis selbst eine Hauptrolle. Er bleibt auch für solche Rhetorik bei weitem das wichtigste und dominierende Mittel, die Wahrheit zu ermitteln und durch sie recht zu behalten. Aber daneben gibt es bekanntlich die vielerlei seit der griechischen Sophistik sprichwörtlich gewordenen Tricks, Wahrheit oder Falschheit ins Gegenteil zu verkehren und die Meinungen darüber zu verwirren, die gleichermaßen dem Angreifer wie dem Verteidiger als Waffen zur Verfügung stehen. Es sind grosso modo Spielregeln für die Umgehung der Spielregeln des eigentlichen wissenschaftlichen methodischen Erkenntnisspiels, bei denen entweder derjenige gewinnt, dem es gelingt, diese Umgehung unbemerkt zu bewerkstelligen, oder aber derjenige, der die Umgehung aufdecken kann.

Dabei gelangt auch die Nyaya-Rhetorik zu einer triadischen Klassifikation von Redegattungen, die der griechisch-römischen in etwa entspricht. Wie letztere die Gattungen der beratenden (genus deliberativum), der Gerichts- (genus iudiciale) und der Lob- bzw. Prunkrede (genus demonstrativum) unterschied, so die erstere die Diskussion i. e. S. (vada), die der gemeinsamen Wahrheitsfindung dient, die kritische Argumentation (vitanda), die der Aufdeckung der Fehler des Gegners dient, und die sophistische Argumentation (hetvabhasa), die den Gegner ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt seiner Argumente nur zu verwirren und seine Argumente unglaubwürdig zu machen dient.

Zwischen den "logischen" und rhetorischen Elementen der Methodologie ist bei Gautama als Nr. 8 die Überlegung (tarka) aufgeführt. Der Liste selbst ist schon zu entnehmen, daß sie dazu dient, sichere Entscheidungen (Nr. 9) herbeizuführen. Dies geschieht, wenn das Vorbringen von Diskussionsteilnehmern gewertet und gewürdigt wird.

Es geschieht aber auch, und daran ist wohl in erster Linie gedacht, wenn in einem "inneren Dialog" ein Problem "erörtert", nämlich hinsichtlich seines pro und contra erwogen wird. Über das, was tarka dabei eigentlich ist und leistet, sind sich die Nyayayikas keineswegs einig, übrigens ebenso wenig wie abendländische Wissenschaftstheoretiker darüber, was eigentlich ein Problem sei.

Unseres Erachtens handelt es sich bei tarka aber gerade um das, was man Problemkonstitution nennen könnte. Diese ist in der scholastischen Quaestionenmethode oder der sic-et-non-Methode schon einmal sehr detailliert ausgearbeitet und schematisiert worden und lag nicht nur dem scholastischen Lehrbetrieb, sondern auch der Forschung und der Darstellung von Forschungsresultaten in den "Summen" zugrunde Sie wurde aber dann wie manche scholastische Errungenschaft als "Autoritätenmethode" abqualifiziert und kam zugunsten neuerer Methoden (wie des mos geometricus im 17. Jahrhundert) außer Gebrauch. Sie ging davon aus, daß Quaestio, Frage oder Problem nur das sein kann, worüber es verschiedene Meinungen gibt oder wo verschiedene Meinungssysteme an den Punkten Probleme hervorbringen, wo sie wirklich oder vermeintlich denselben Gegenstand von ihrer verschiedenen Sicht her betreffen.

Die scholastische Quaestionenmethode bestand nun darin, Probleme überhaupt dadurch aufzuspüren, daß kontroverse Meinungen zu bestimmten Punkten konfrontiert und detailliert entfaltet wurden. Das setzt im Prinzip großes Wissen über Meinungen (auch und erst Recht gegnerische oder für falsch gehaltene), somit weite Bildung, eine gerechte schiedsrichterliche Einstellung und große Erfahrung in der Würdigung und im Verständnis der Meinungsargumente voraus. Giambattista Vico (in: De nostri temporis studiorum ratione; Neapel 1709) war wohl einer der letzten, der sich gegenüber dem Mos geometricus dafür stark machte. Diese schiedsrichterliche Einstellung ist in der Moderne zugunsten eifernder Parteinahme für nur die eigene und meist einseitige Doktrin, die dann nur noch demonstrierend entfaltet wurde, immer mehr in Verfall geriet. Die Konfrontation der Argumente führte dann zu einem Urteil darüber, welche die stärkeren und gewichtigeren seien; und ihre Annahme als solche galt als die Problemlösung, sie waren die Antwort auf die gestellte Frage. Um aber nicht fahrlässig und voreilig zu verfahren, verlangte die kunstgerechte Anwendung der Quaestionen-Methode im Nachhinein noch die ausdrückliche Widerlegung der Gegenargumente, den Nachweis also, daß sie keine Antwort auf die gestellte Frage sein konnten.

In diesem Sinne scheint uns tarka dieser innere Abwägungsprozeß über das Für und Wider verschiedener Meinungen zum gleichen Thema zu sein, welcher aber in der Nyaya-Philosophie nicht zu einem sicheren und schematischen Verfahren ausgestaltet worden ist. Sucht man nach modernen Entsprechungen, so wird man am ehesten noch die prudenzielle, vor allem jurisprudenzielle Entscheidungsfindung als ein Äquivalent ansehen können, die ihrerseits ersichtlich ein Nachfahr der scholastischen Quästionen-Methodik ist. Theodor Viehweg hat sie in einer aufsehenerregenden Studie als "Topik" gekennzeichnet und wieder ins Bewußtsein der Juristen gebracht (vgl. Topik und Jurisprudenz, 2. Aufl. München 1963, noch öfter aufgelegt).

§ 16 Die Vaishesika-Philosophie.

Von der Bezeichnung her ist diese Philosophie als eine "Analytik" gekennzeichnet. Der Begriff vishesa, der in ihr eine hervorragende Rolle spielt, bedeutet etwa Individualität, Spezifität, wie sie durch Unterscheiden, Analytik der Phänomene, herausgestellt wird. Damit bedeutet es auch so etwas wie Grundbaustein der Wirklichkeit. Und da derartiges in abendländischer Wirklichkeit als Atom (lat. individuum) oder Element bezeichnet wird, kann man die Vaishesika-Philosophie auch als eine Atomistik oder Elementenlehre ansprechen. Die klassischen abendländischen Naturphilosophien erklären aber die Naturwirklichkeit aus solchen Grundbausteinen, Atomen oder Elementen, und sie sind darin die philosophischen Grundlagen auch noch modernster Naturwissenschaften geblieben. Entsprechend ist auch die Vaishesika-Philosophie als ein Pendant zur abendländischen Naturphilosophie, und ihre Weiterentwicklung bis in die Gegenwart, als Grundlegung indischer Naturwissenschaft aufzufassen.

Stellen wir sie in eine weitere Perspektive hinein, indem wir die Natur selbst nur als Teil der Wirklichkeit betrachten, so erweitert sich auch der disziplinäre Begriff zur Ontologie als allgemeiner Wirklichkeitslehre. Und dies dürfte dem Anspruch und den in Betracht gezogenen Phänomenen in der Vaishesika-Philosophie noch mehr entsprechen. Der Kernbereich jeder Ontologie ist eine ontologische Kategorienlehre: die Bemühung um die Aufstellung von Grundbegriffen, durch die das Wesen aller Wirklichkeit und ihren mannigfaltigen Erscheinungen erfaßt werden können. Und in der Tat steht eine solche Kategorienlehre im Zentrum des Vaishesika.

Als Methodologie setzt sie die Logik und Erkenntnistheorie der Nyaya-Philosophie voraus und verwendet sie. Daher wird sie auch gewöhnlich mit ihr zusammen als Nyaya-Vaishesika-Philosophie vorgestellt (vgl. K. H. Potter, Indian Metaphysics and Epistemology. The Tradition of Nyaya-Vaisesika up to Gangesa, Princeton, N. J. 1977).

Grundtext dieser Richtung sind die "Vaishesika-Sutras" des sagenhaften Kanada, dem auch Beinamen wie Uluka (Eule), Kanabhaksa oder Kanabhuj (Reiskornesser) und Kashyapa zugelegt werden. Ihre Datierung reichen bis zu 800 Jahre vor Buddha zurück, doch dürfte die Datierung um 50 – 150 n. Chr. angemessener sein, die sich auf die Kenntnis und Verwertung dieser Sutras durch historisch datierbare Autoren stützt. Aber auch dies besagt nicht, daß hinter den aufgezeichneten Vaishesika-Sutras nicht eine lange, evtl. jahrhundertelange mündliche Tradition steht. In der aufgezeichneten Überlieferung wird das Werk in zehn Kapiteln vorgestellt (vgl. die summarische Wiedergabe von M. Hattori in: Potter, a. a. O. S. 212-220).

Auch an dieses Werk schließen sich klassische Kommentare an. So der von Prashastapada (ca. 550-600 n. Chr., nach Frauwallner) unter dem Titel "Padartha-dharmasamgraha" (vgl. Potter, a.a.O. S. 282-303), das "Upaskara" des Shamkara Misra (15. o. 16. Jh. n. Chr.), welches bis zur Auffindung älterer Kommentare und Kommentarfragmenten in jüngster Zeit als autoritativer Kommentar schlechthin galt. Und neuere werden bis in unsere Tage verfaßt.

Literatur: B. Faddegon, Vaicesika-System, described with the help of the oldest texts, Amsterdam 1918, ND 1969; Wilh. Halbfass, On Being and What There Is. In: Vaisesika and the History of Indian Ontology; Albany 1992; Miyamoto Kaiichi, The Metaphysics and Epistemology of the Early Vaisesikas (Bhandakar Oriental Series, 28), Delhi 1996.

Der zentrale Topos der Vaishesika-Lehre ist, was in den Darstellungen gewöhnlich als Lehre von den sechs Kategorien bezeichnet wird. Die Vaishesika-Sutras des Kanada nennen sie sogleich am Anfang:

"Die Gegebenheiten werden unter sechs Kategorien angeordnet, nämlich Substanz (dravya), Qualität (guna), Bewegung (karman), Allgemeines bzw. Selbigkeit (samanya), Spezifität bzw. Unterschied (vishesa) und Inhärenz bzw. Relation (samayaya)" (M. Hattori bei Potter, a. a. O. S. 212).

Man sieht sogleich den teilweisen Parallelismus zur aristotelischen, im Abendland klassisch gewordenen Kategorienlehre, die es rechtfertigt, auch dieses eine Kategorienlehre zu nennen. Auch die aristotelische Kategorienlehre beginnt mit einer Hauptunterscheidung von Substanz und Qualität (Eigenschaften i. w. S.), und auch die Relation (Beziehung, einschließlich der Inhärenzbeziehung etwa der Eigenschaften bezüglich ihrer Subjekte) spielt darin eine hervorragende Rolle. Befremdlich muß allerdings erscheinen, daß hier etwas den "logischen Kategorien" Gattung und Art Entsprechendes aufgenommen wurde. Ebenso war die Bewegung für die klassische abendländische Kategorienlehre in erster Linie etwas, was durch die Kategorien zu erklären, nicht als Kategorie vorauszusetzen war – bekanntlich hat erst Hegel die Bewegung bzw. das Werden zu einer Kategorie erhoben. Aber es scheint, daß "Bewegung" als Übersetzung für karman nicht den vollen Sinn wiedergibt. Vielmehr muß dabei die Nuance des Aktiven, Handlungsmäßigen an der Bewegung betont werden, und dies hatte freilich auch schon Aristoteles als "Handeln" (prattein; neben Leiden, paschein) in seine Kategorien aufgenommen. Insgesamt kann es nicht verwundern, daß eine indische Kategorienlehre auf vedischem Boden diejenigen Grundbegriffe zu Kategorien stilisiert, die in der vedischen Literatur seit Anbeginn als Archai der Welterklärung gedient haben. Auch die aristotelische Kategorienlehre stilisiert ja nur ausgewählte Archai der Vorsokratiker zu einer Grundbegriffsaxiomatik.

Es kann ebenso wenig verwundern, daß eine so durchaus idealistische Philosophie wie die vedische auch keinen prinzipiellen Unterschied zwischen logischen und ontologischen Kategorien anerkennen kann. Hätte der Vater des abendländischen Idealismus Platon seine Ideenlehre in die Gestalt einer Kategorienlehre gebracht, so hätten darin Allgemeinheit und Besonderheit (logisch: das Enthaltensein der Gattung als Merkmal in ihren Arten) den gleichen kategoriellen Status erhalten müssen, den sie in der Vaishesika-Kategorienlehre erhalten haben. Das ist durch den aristotelischen Realismus, der die logischen und erkenntnistheoretischen Kategorien für etwas Subjektives, nicht den "Dingen an sich" Zukommendes ansah, für lange Jahrhunderte unterbunden worden.. Es scheint, daß erst die scholastische Transzendentalienlehre den Versuch unternahm, die logisch-erkenntnistheoretischen Grundbegriffe als Transzendentalien ("über die Kategorien hinausgehende") mit den ontologischen Kategorien wieder zu verknüpfen. Insofern dürfte es nicht unangebracht sein, die Vaishesika-Lehre, in der ja ähnliches vorgeführt wird, richtiger als eine Kategorien- und Transzendentalienlehre zu bezeichnen. Wir werden darauf sogleich noch näher einzugehen haben.

Bemerken wir zuerst noch, daß das Problem aller Kategorienlehren darin besteht, tatsächlich allgemeinste und von einander unabhängige Begriffe - die man nach klassischem Gebrauch auch Axiome nennen kann - aufzufinden und auszuzeichnen. D. h. in logischer Hinsicht, daß sie sich nicht gegenseitig als Gattungen oder Arten (die Merkmale der Gattungen sind regelmäßig vollständig auch Merkmale ihrer Artbegriffe) enthalten dürfen. Ihre Unabhängigkeit besteht gerade darin, daß sie keine gemeinsamen Merkmale (und solche können ihrerseits als allgemeinste Begriffe behandelt werden) enthalten können. Dagegen leuchtet logisch unmittelbar ein, daß die von ihnen abgeleiteten Arten, die mehr Merkmale als ihre Gattungen enthalten, diese zusätzlichen Merkmale durch die Aufnahme von Merkmalen der übrigen Kategorien erhalten. Diese abgeleiteten Arten zu den Kategorien-Gattungen werden in der abendländischen Philosophie Prädikabilien genannt. Ihrer Ausarbeitung, die zu einem logischen System aller oberen Begriffe der Wissenschaften führt, ist natürlich seit jeher größte Aufmerksamkeit gewidmet worden. Wir werden sehen, daß auch die Vaishesika-Philosophie wesentlich darin besteht, die zu den einzelnen Kategorien gehörenden Prädikabilien oder Sub-Kategorien anzugeben. Sie weichen aber wesentlich von allen abendländischen Prädikabiliensystemen ab und lassen insofern sehr genau die Besonderheit der indischen Wirklichkeitsauffassung erkennen.

Um die logischen Verhältnisse klarzulegen, geben wir hier ein Schema nach dem Muster einer platonisch-porphyrianischen Begriffsnotation, die es erlaubt, die Merkmalsimplikationen bei nebeneinanderstehenden Gattungen und ihren zugehörigen Arten erkennbar zu machen (vgl. dazu L. Geldsetzer, Logik, 1987):

 

Wir haben hier drei unabhängige Kategorien und (nach platonischer Dihärese) je zwei Artbegrif-fe bzw. Prädikabilien gewählt. Wie man sieht, enthalten die Prädikabilien jeweils das Gattungsmerkmal (hier A bei der linksstrehenden Kategorie), zusätzlich tritt eine "spezifische Differenz", d. h. ein weiteres Merkmal (hier B und C bei ihren Arten) hinzu, welches eine der anderen Kategorien, bzw. ihrer Merkmale sein kann. Im Prinzip lassen sich die Prädikabilien rein kombinatorisch aus den Merkmalsbeständen aller Kategorien bilden. Ebenso müssen sich dann weitere abgeleitete Begriffe: Subprädikabilien bzw. überhaupt alle weiteren Begriffe nach gleichem Schema kombinatorisch bilden lassen, wobei dann auch die Prädikabilien selbst als Merkmalsgruppe bzw. spezifische Differenzen fungieren können. Es liegt auf der Hand, daß mit Zunahme der Zahl der Kategorien sowie der Zulassung multipler Artbildung (wie sie in der klassischen aristotelischen Logik im Gegensatz zur dihäretischen platonischen Begriffsbildung üblich ist, das Schema schnell sehr komplex wird.

Nun gibt es ersichtlich keinen logischen Grund, warum bei unabhängigen und gar einfachen Grundbegriffen stehengeblieben werden müßte. Der logische Schematismus legt es vielmehr nahe, einen einzigen höchsten, sei es einfachen oder komplexen, Begriff vorauszusetzen, der als höchste Gattung auch in alle Kategorien und Prädikabilien als Merkmal eingehen müßte.

Nach diesem Schema waren die vorsokratischen Archai, war auch die platonische Idee des Guten konzipiert. Aristoteles selbst hatte Überlegungen darüber angestellt, ob es über den Kategorien noch einen allgemeinen Begriff gäbe und den Begriff des Seins dafür gehalten. Er meinte bekanntlich, das Sein werde in den Kategorien "je nach Art der Kategorie verschieden ausgesprochen" (pollachos legethai). Es liegt auf der Hand, daß man dieses "vielfältig ausgesprochen werden" der Gattungscharaktere in den Arten auf zwei verschiedene Weisen deuten kann. Einmal im gewöhnlichen logischen Sinne, nach dem jeder allgemeinere Begriff in seinen zugehörigen Arten "verschiedentlich" enthalten ist, da er in den Artbegriffen mit verschiedenen spezifischen Differenzen verbunden wird. Zum anderen aber so, daß das Allgemeine nicht als Identisches in die Artbegriffe eingehe, sondern eben jeweils verschieden. Dadurch wird aber das Allgemeine selbst vieldeutig, und seine begriffliche Natur wird widerspruchsvoll.

Daran knüpfte im Abendland bekanntlich eine säkuläre Debatte über Univozität oder Analogie des Seins an. Die Univozisten (wie etwa Duns Scotus), die idealistisch dachten, nahmen den Seinsbegriff im ersteren Sinne für einen echten höchsten Gattungsbegriff und übernahmen dafür die Beweislast, daß alles kategorielle Sein (wie Substanzen, Eigenschaften, Raum, Zeit, Beziehungen etc.) hinsichtlich seines Seinscharakters identisch sei. Die Analogisten (wie Thomas von Aquin), die realistisch dachten, hielten dagegen im letzteren Sinne die Substanzen für ein ausgezeichnetes Seiendes, dem gegenüber die übrigen Kategorien nur ein uneigentliches, eben analoges Sein bezeichneten, denn der Seinsbegriff sollte ja kein eigentlicher Begriff sein. Sie wollten damit der Tatsache Rechnung tragen, daß man zwar vom Sein der Dinge, der Eigenschaften oder auch der Zeit reden kann, aber doch üblicherweise nicht "in gleichem Sinne". Damit sahen sie sich aber auch gezwungen, zwischen Sein (als oberstem Prinzip, aber nicht als oberstem Gattungsbegriff) und Seiendem (als analogen Kategorien) einen wesentlichen, jedoch nicht begrifflich faßbaren Unterschied zu machen. Diese Unterscheidung ist bekanntlich noch jetzt, und durch Heideggers Fundamentalontologie neu aufgenommen, als "ontologische Differenz" Grundproblem. Ebenso dürfte dieser "analogische" Seinbegriff die Mustervorlage für L. Wittgensteins "familienähnliche Begriffe" abgegeben haben. Wie man sieht, lebt das aber davon, daß an dieser Stelle die Logik zugunsten einer Dialektik aufgegeben wird.

Was nun die Anwendung des logischen Schematismus auf inhaltliche Begriffe betrifft und somit zur Ontologie führt, so bedarf das Stehenbleiben bei unabhängigen Kategorien einer Erklärung. Sie sind in keiner Philosophie das Produkt einer logischen Konstruktion nach kombinatorischen Gesichtspunkten, sondern verdanken sich in aller Regel mühsamer empirischer Analyse des Reichtums der Wirklichkeit. Sie ergeben sich als dasjenige, was in diesem Reichtum von Besonderheiten tatsächlich unterschieden, aber nicht aufeinander zurückgeführt werden kann. Und dabei knüpft die philosophische Analyse regelmäßig an diejenigen Unterscheidungen, die die Sprache selbst schon vorgibt, an. Daß man Dinge und ihre Eigenschaften unterscheidet, ist zunächst eine Sichtweise der indogermanischen Sprache (die etwa im Chinesischen kein Äquivalent hat). Das Verbalsystem legt es nahe, auf Tätigkeiten und Leiden, aber auch auf die Zeit zu achten. Die selbständigen Ortsadverbien oder die Ortspräfixe lassen Räumliches auffällig werden. Derartiges hat bekanntlich in der aristotelischen Kategorienlehre stark gewirkt, und auch in der Vaishesika-Kategorienlehre findet man Spuren davon. Aber diese "empirische" Auf-findung der Kategorien schützt nicht davor, logischen Fehlern aufzusitzen, die das grammatische System der Sprache induziert, und die durch die Sprachgewohnheit als Selbstverständlichkeit befestigt werden.

Ein Hauptfehler dieser Art ist es, denselben Tatbestand durch verschiedene Kategorien zu fassen, mithin etwas zu unterscheiden und als unabhängig voneinander anzusehen, was nicht zu unterscheiden ist. So hat etwa Aristoteles Raum und Zeit als eigene Kategorien behandelt und neben der Relation aufgeführt, obwohl sie doch ersichtlich besondere Arten von Relationen (nämlich die Beziehung des Nebeneinander bzw. des Nacheinander) sind. Leibniz hat diesen Fehler bemerkt, und Kant hat ihn mit untauglichen Mitteln heilen wollen, indem er Raum und Zeit als Anschauungsformen von den Kategorien unterschied. Bei Kant kann man sich allerdings fragen, ob er nicht in den umgekehrten Fehler verfiel, dasjenige nicht zu unterscheiden, was gerade kategoriell unterschieden werden muß. Er hat bekanntlich die Substanzen zu einer Unterkategorie der Relationen (neben Kausalität und Wechselwirkung) gemacht und sie so als "selbstbezüglich" definiert. Damit ging ihm aber der Begriff von selbständigen Dingen, die nicht Relation, sondern Bezugsgrößen von Relationen sein konnten, verloren; und die neue Substanzkategorie mußte sich als contradictio in adiecto erweisen – Vorbild aller neueren "ipsoflexiven" Begriffe – da sie zugleich Relation und nicht-Relation sein sollte. Man sieht das an Kants Ding-an-sich-Begriff, den die idealistische Kritik mit Recht als ein eigentliches Unding dargetan hat, insofern damit ja etwas gemeint sein soll, was einerseits keinerlei Beziehung aufs Erkenntnisvermögen haben, andererseits gerade durch diese Beziehung augfs Erkenntnisvermö-gen konstituiert sein soll.

Wir haben diese Beispiele für die Problematik abendländischer Kategorienlehren aber nur genannt, um darauf aufmerksam zu machen, womit man auch in der Vaishesika-Lehre zu rechnen hat. Und sicherlich kann keine Rede davon sein, daß das Abendland in seinen philosophischen oder auch einzelwissenschaftlichen Kategorienlehren über logisch einwandfreie Axiomatiken verfügt. Gerade in den modernen Axiomatiken zeigt sich gar ein fataler Trend, die logische Unabhängigkeitsprüfung zugunsten angeblich freier und willkürlicher Setzungen zu umgehen und damit eine Unabhängigkeit zu postulieren bzw. zu dekretieren, die bei der inhaltlichen Sinnbetrachtung aller wissenschaftlichen Termini immer erst noch zu prüfen bleibt – und wenn sie einer solchen Prüfung nicht standhält, zu Widersprüchen in der Theorie führen muß.

Wenden wir uns nunmehr wieder den Einzelheiten der Vaishesika-Kategorienlehre zu. Sie besteht, wie wir schon sagten, wesentlich in der Klassifikation der ontologischen Kategorien und der Subkategorien bzw. Prädikabilien. Inhaltlich werden diese Begriffe der eigenen vedi- schen Begriffstradition entnommen und unter die sechs genannten Kategorien gestellt. Folgen wir ihrer Reihenfolge.

I. Die Substanzkategorie (dravja). Von ihr gilt: "Der charakteristische Zug der Substanz besteht darin, daß sie Bewegung (karma; wir sagen lieber: Handlungsfähigkeit) und Qualitäten besitzen und der Grund dafür sind, daß Bewegung und Qualitäten auftreten" (Hattori bei Potter, a. a. O. S. 212).

Der abendländische Substanzbegriff (von substare = darunterstehen, im Sinne von: Träger für etwas sein. Übersetzung des griechischen Terminus hypokeimenon = Darunterliegendes, lat. = subjectum), insinuiert die Vorstellung von einem Träger, der, vollbepackt mit Eigenschaften, hinter und unter diesen Eigenschaften verschwindet und somit unsichtbar bleibt. Ein anderes effektives Modell dafür ist die Vorstellung von Kern und Schale, wonach man, solange man die Schale "sieht", auf den "substanziellen Kern" nur schließen, ihn aber gerade nicht sinnlich wahrnehmen kann. Man muß daher "durch und hinter" die Schale zum "Wesen" der Sache vordringen. Insofern ist Substanz das "Eigentliche" und das "Wesen" (insofern auch Übersetzung des griechischen Terminus ousia = Seiendes, Wesen, scholastisch-lateinisch: entitas), das es denkend zu erschließen gilt, das eigentliche Sein "hinter den Erscheinungen". Das mag das Atom sein, das man seiner Kleinheit wegen nicht sieht, oder die "Idee" oder der "Sinn" der Sache, die denkend zu verstehen sein, nicht aber sinnlich wahrnehmbar sein sollen. Diese Vorstellung ist auch in der Alltagssprache noch lebendig, wo man dasjenige eine (chemische) Substanz nennt, was man gerade nicht kennt, und was man daher beriecht, schmeckt und allerlei Experimenten und Analysen unterwerfen muß, um erst dann von ihr sagen zu können, was sie eigentlich sei.

Dieser abendländische Substanzbegriff setzt, wie man sieht, den platonisch-aristotelischen Rationalismus voraus, der die Leistungen der Sinnlichkeit streng von denjenigen des Denkens unterscheidet und ihnen ganz verschiedene Sphären der Wirklichkeit: der Sinnlichkeit die eigenschaftshaften Erscheinungen und dem Denken die substanziellen Wesenheiten bzw. das eigentliche Sein, zuweist. Die Gegenposition des Sensualismus läßt entweder den Unterschied von Substanz und Eigenschaften verschwinden oder deutet die Erkenntniskräfte (die sämtlich Modifikationen der Sinnlichkeit sein müssen) selber als einzige Substanz, wie etwa Berkeley.

Die abendländischen Substanzlehren haben in der Summe zu einer hierarchischen Ontologie geführt, die auch jetzt noch das Alltagsdenken, den sprichwörtlichen gesunden Menschenverstand bestimmen. Er unterscheidet als substanzielle Wirklichkeiten die tote, lebendige und geistige Natur, und diese jeweils selbst nach weiteren substanziellen Elementen: die tote Natur nach physikalischen Elementarteilchen, chemischen Elementen und Molekülen; die lebendige Natur nach pflanzlichem und tierischem Sein; die geistige Natur nach psychischem, sozialem, kulturellem und vielleicht auch noch absolutem (göttlichem) Sein.

Es ist wichtig zu bemerken, daß Räumlichkeit und Zeitlichkeit bzw. Unräumlichkeit und Unzeitlichkeit (Zeitlosigkeit, evtl. Ewigkeit) in dieser Ontologie traditionellerweise nur die Rolle "wesentlicher" Eigenschaften dieser Substanzen gespielt haben. Denn Raum und Zeit galten seit Aristoteles als eigene Kategorien neben derjenigen der Substanz. Es ist daher im Abendland ein unfaßbarer und in der Philosophie niemals ernsthaft diskutierter Gedanke, daß etwa Raum und Zeit gleichrangige "Substanzen" neben den genannten sein könnten.

Hier liegt nun der wesentliche Unterschied zur Vaishesika-Substanzenlehre, die ansonsten recht genau – und wohl auch nicht unbeeinflußt von der abendländischen – mit dieser übereinstimmt.

Die Vaishesika-Substanzenlehre unterscheidet neun, nach einigen Kommentatoren zehn Substanzen.Diese sind: 

1. Erde (prthivi),
2. Wasser (apas),
3. Feuer (tejas),
4. Luft (vayu).

Diese werden auf Atome, kleinste, unteilbare und ewig bestehende Elemente zurückgeführt. Das entspricht genau der aristotelischen und danach klassischen abendländischen Elementenlehre. Eine Sonderstellung nimmt danach das "fünfte Element" ein, das nach seinem aristotelistischen Pendant gewöhnlich als Äther bezeichnet wird.

5. Äther (akasha) ist ein ewiges und alles durchdringendes Element. Aber während es bei Aristoteles und bis in die Physik des beginnenden 20. Jahrhunderts als Fluidum des Sternenraumes und als sinnlich nicht wahrnehmbar galt (die Pharmakologen nennen daher den bekannten Stoff, der die Sinne schwinden läßt, mit diesem Namen, und überhaupt haben sie der "Quintessenz" zu bedeutendem Ansehen verholfen), ist in der Vaishesika-Lehre der Äther das Medium der Töne und Laute, und er wird daher durchs Gehör selbst sinnlich wahrgenommen.

6. Die Zeit (kala) ist eine sich von der Vergangenheit durch die Gegenwart in eine unbestimmte Zukunft erstreckende Substanz.

7. Der Raum (dish) ist eine sich nach rechts, links, Ost, West, aufwärts und abwärts erstrecken-de Substanz. Von Raum und Zeit gilt gleichermaßen, daß sie vielfältig teilbar sein sollen. Daß die Fassung der Zeit als Substanz nicht unumstritten war, entnimmt man dem Hinweis (gegenüber der Samkhya-Philosophie), daß sie nicht als Atombewegung verstanden werden könne.

8. Das Selbst bzw. die psychische Substanz (atman) ist eine Substanz, die aus den psychischen und körperlichen Handlungen wie Erkennen, Lust- oder Unlustempfindungen, Wünschen und Anstrengungen sowie Atmen, Augenöffnen oder Schließen etc. erschlossen wird. Es zeigt sich in dem, was von sich "Ich" sagen kann, bezieht sich aber niemals auf den Körper.

9. Das Denken bzw. Vernunft (manas) wird als winziges "inneres Organ" beschrieben – und so auch übersetzt –, das eine Verbindung zwischen dem Selbst und den körperlichen Sinnesorganen darstellt. Seine Hauptleistung ist die Erinnerung bzw. die Kombination der Erinnerungen in den Denkakten, aus denen es auch erschlossen wird.

10. Das Absolute, Göttliche (Ishvara) wird nur von einigen Vertretern als Substanz hinzugefügt (vgl. Dasgupta I, 312). Es gilt dann als unabhängig von allen anderen Substanzen (das meint ja auch der abendländische Begriff des Absoluten), soll aber doch wieder in einer Ursprungs- und Entstehungsbeziehung zu allem anderen stehen, wie es die Brahman-Lehre vorgezeichnet hat.

Sucht man nach einem Denkmodell, das diesen Substanzbegriffen am ehesten gerecht wird, so wird man sie insgesamt nicht als Träger ihnen aufsitzender Eigenschaften oder gar verborgenen Kern in einer Schale von Attributen vorstellen, sondern eher als einen Ort, Platz oder eine Stelle, in der Eigenschaften und Bewegungen bzw. Veränderungen wie auf einem Markt zusammenkommen und sich durchbringen. Vaishesika gibt dafür auch das Bild vom Ruhepunkt (ashraya), in dem die übrigen kategoriellen Bestimmungen zusammenfallen (ashrta). Dies ist wichtig für die mehr oder weniger phänomenalistischen Folgerungen, die in gewissen Strömungen, am meisten wohl im Buddhismus, aus dieser Lehre gezogen worden sind: Mit dem Wegfall der Qualitäten und der (handlungsmäßigen) Bewegungen entfallen auch die Substanzen und damit jede Wirklichkeit.

II. Die Qualitäten (guna) werden in siebzehn, nach einigen bis zu dreiundzwanzig Gruppen eingeteilt. Dabei sind einige allgemein für alle Substanzen, andere nur für bestimmte Substanzen bestimmend. Hierbei finden sich große Unterschiede zu den gewohnten abendländischen Vorstellungen. Zwar kann man auch im Abendland die Qualitätskategorie als eine offene Kategorie ansprechen, unter die alle diejenigen Bestimmungen fallen, die eben nicht anderen Kategorien zugeteilt werden können, und sie bewährt sich gerade in neueren Zeiten darin besonders (wenn etwa Räumlichkeit und Zeitlichkeit als Qualitäten der Masse oder eine quantitative Metrik als Qualität des Raum-Zeit-Kontinuums angesprochen werden). Aber die Vaishesikalehre von der Qualität sieht in abendländischen Augen besonders chaotisch aus. Doch fehlt es auch nicht an Übereinstimmungen. Diese liegen im Ausgang von Sinnesqualitäten, die in abendländischen Qualitätslehren immer im Mittelpunkt standen.

Auffällig ist dann schon, daß alles Zahl- und Maßhafte, was man seit Aristoteles unter der eigenen Quantitätskategorie faßte, mit unter die Qualitäten gestellt wird. Hierin deutet sich eine tiefliegende Unterschiedenheit indischen und abendländischen Denkens an, die in der Neuzeit akzentuiert wird. Seit Galileis Programm des "Messens was meßbar ist und Meßbarmachens was (noch) nicht meßbar ist" neigt man in abendländischer Wissenschaft ja dazu, alles Qualitative in Quantitäten zu überführen (wovon ja auch die verbreitete Meinung, daß jede Qualität ihren Preis habe, nur ein Ausdruck ist, und was sich dem entzieht, schnell für wertlos zu halten). Hierzu bietet die Vaishesika-Lehre eine wesentliche Alternative, indem sie Quantitäten umgekehrt zu Qualitäten macht, die keine Sonderstellung genießen. Man kann darin einen Grund dafür sehen, daß in Indien die Mathematik, wiewohl sie schon in alter Zeit eifrig betrieben wurde und vielfach die arabische und abendländische Mathematik inspiriert hat, in der Philosophie keine Rolle gespielt und erst recht nicht als Grundlagentheorie der Naturerklärung oder Instrument experimenteller Naturmanipulation gedient hat.

Gelten aber Zahl und Maß als Eigenschaften bestimmter Dinge, so wird auch verständlich, daß gewisse "logische" Eigenschaften wie Unterschiedenheit, Trennung und Verbindung in die gleiche Reihe der Qualitäten eingerückt werden.

Schließlich findet man aber auch eine Reihe "psychischer Qualitäten" hier eingeordnet, mit deren Kategorisierung sich abendländische Philosophie immer sehr schwer tat, nicht zuletzt deshalb, weil es immer umstritten war, ob die Seele selber eine eigentliche Substanz oder nur ein Epiphänomen körperlicher Substanzialität sei. Daß Atman aber eine Substanz, und mithin alles sog. Psychische nur ihre Eigenschaften ausmachen könne, daran hat indische Philosophie nie gezweifelt.

Die Reihe der Qualitäten sieht demnach so aus:

1. Farbe (rupa) ist das, was durch das Auge erfaßt wird und sich an Erde, Wasser und Feuer findet. Als Farben gelten: weiß, blau, gelb, rot, grün, braun und bunt (citra).

2. Geschmack (rasa) wird durch die Zunge wahrgenommen und soll sich nur an Erde und Wasser finden. Als Geschmacksqualitäten gelten: süß, sauer, stechend (katu), zusammenziehend (kasaya) und bitter (tikta).

3. Geruch (gandha) wird mit der Nase wahrgenommen und findet sich nur an Erde. Auffälligerweise gibt es hierzu ebensowenig wie im Abendland eine besondere Typologie der Geruchsqualitäten. Jedenfalls nicht unabhängig von den einzelnen Riech-Substanzen.

4. Getast (sparsha) wird durch die Haut wahrgenommen. Diese Qualität weist nur die drei Arten heiß, kalt und lau (weder heiß noch kalt) auf. Hier ist auffällig die Armut der Tastqualitäten, der in abendländischen Lehren eine große Vielfalt gegenübersteht. Vor allem gilt der Tastsinn als klassischer Realitätssinn für das "Widerstandserlebnis" der Wirklichkeit, der insofern im indischen Denken kein Pendant besitzt.

5. Ton (sabda) wird durch das Gehör wahrgenommen und ist die Eigenschaft des Äthers.

6. Zahl (samkhya) ist die Eigenschaft der Dinge, die sie zählbar macht. Jedes Ding wird als Einheit (ekatva) wahrgenommen (und so muß man ergänzen: seine Abwesenheit als Null, die die indische Mathematik als Zahl eingeführt hat). Bei höheren Zahlen oszilliert die Wahrnehmungen zwischen den Einheiten (apeksabuddhi), so daß die einzelnen Dinge und die Gesamtheit zugleich wahrgenommen wird. Die (Kardinal-) Zahlwahrnehmung wird ausdrücklich als nichtsprachliche Erkenntnis (nirvikalpa) bezeichnet. Dies macht jedenfalls plausibel, daß man hohe Zahlen zwar wahrnehmen, aber eben nicht bestimmt benennen kann.

7. Größe bzw. Maß (parimana) gibt es in fünffacher Weise: Größe (mahattva), Kleinheit (anutva), Länge (dirghatva), Kürze (hrasvatva) und Kugelhaftigkeit (parimandalya). Letztere ist die Gestalt der Atome und damit zugleich eine Art Maßeinheit, da alle Größen und Kleinheiten sich als Vielfache der Atome bestimmen. Die allesdurchdringenden Substanzen wie Äther, Raum, Zeit und Selbst sind aber absolute Größen (paramamahat) und werden daher nicht auf die Atomeinheit zurückgeführt.

8. Unterschied bzw. Unterscheidung (prthaktva) wird positiv wahrgenommen, z. B. bei der Wahrnehmung höherer Zahlen.

9. Verbindung (samyoga) wird als Zusammenhang von Dingen wahrgenommen.

10. Trennung bzw. Auflösung (vibhaga) wird als Gegenteil von 9 wahrgenommen.

11. Nähe (paratva) und

12. Ferne (aparatva) sind Eigenschaften des Raumes und der Zeit.

13. Schwere (gurutva) zeigt sich als Eigenschaft der Dinge, die fallen.

14. Öligkeit (sneha) ist eine Eigenschaft bestimmter Flüssigkeiten.

15. Beständigkeit (samskara) ist eine Eigenschaft von Körpern und Seelen, in einem Zustand zu verharren. Sie zeigt sich in gleichförmigen Bewegungen (vega), in der Elastizität (sthiti-sthapaka) bei Körpern und in der Assiduität (bhavana), d. h. der durch Gewöhnung erwerbbaren Ausdauer der Seele bei ihren Tätigkeiten. Man sieht, daß hier dasjenige, was in der abendländischen Philosophie als primordiales Problem mit ungeheurem Aufwand behandelt worden ist: die Erklärung von Bewegung und Veränderung durch Kräfte, Potenzen, Dispositionen, Vermögen, schlicht als Eigenschaft diagnostiziert wird. Gleichwohl geht auch die Vaishesikatheorie des samskara in die Richtung einer Potenzenlehre. Die Bewegung des fliegenden Pfeiles, die seit Zenons provokativer Theorie von ihrem scheinhaften Charakter bis heute die Logomachien über die Bewegung in Gang gehalten hat, wird folgendermaßen gedeutet: "Der Flug eines Pfeiles besteht in einer Reihe von Bewegungen, bei welcher die jeweils folgenden aus dem samskara der jeweils vorhergehenden hervorgebracht werden" (Hattori bei Potter, a.a.O. S. 216).

16. Verdienst (dharma) ist eine Eigenschaft der Seele, Glück und evtl. Heil zu erfahren. Entsprechend ist adharma die Eigenschaft, Leid und Elend zu erfahren. Man sieht, daß diese Qualität ebenfalls wie eine Potenz behandelt wird.

17. Schicksal (adrsta) ist die Eigenschaft von Dingen und Seelen, sich in eine kosmische Ordnung einzufügen.

18. Wissen (buddhi),

19. Glückseligkeit (sukha),

20. Leid bzw. Sorge (duhkha),

21. Wille (iccha),

22. Haß bzw. Antipathie (dvesa) und

23. Anstrengung (yatna) gelten schließlich als Eigenschaften der Seele.

III. Bewegung, bzw. Veränderung, Tätigkeit (karman) taucht hier als eigene Kategorie auf. Das bedeutet in erster Linie, daß sie nicht erklärt, nämlich aus anderen Kategorien abgeleitet werden kann und muß, sondern sich vorfindet und als solche hingenommen wird. Die Aufmerksamkeit der Vaishesika-Lehre richtet sich demnach darauf, festzustellen, wann und wie sie vorkommt, und worin sie besteht. Das Problem eines angemessenen Verständnisses scheint hier darin zu bestehen, daß jede Interpretation (sowohl moderner indischer Gelehrter wie erst recht abendländischer Übersetzer) sich fast zwangsläufig abendländischer Kausalvorstellungen bedient.

Es scheint aber, daß man der Vaishesika-Vorstellung von Bewegung bzw. Veränderung am ehesten gerecht wird, wenn man sie wie eine besondere Gruppe von Qualitäten behandelt, die sich unter bestimmten Umständen an bestimmten Substanzen zeigen. So Bhasarvajna (ca. 860 – 920 n. Chr.) in seinem Nyayabhusana (vgl. Bimal Krishna Matilals Referat bei Potter, a. a. O. S. 414/14). Es wird eigens herausgestellt, daß Raum, Zeit und Äther sowie alle Qualitäten und erst recht die Bewegung selbst keine Bewegung bzw. Veränderung haben (Hattori bei Potter, a. a. O. S. 217). Was das bedeutet, macht man sich klar, wenn man bedenkt, daß abendländische Physik den Begriff der Beschleunigung gerade als Veränderung der Bewegung definiert oder durchaus Räume in Räumen sich bewegen läßt (bei Inertialsystemen) oder (in der Relativitätstheorie) Raum- und Zeitstrecken relativistischen Kontraktionen oder Dillatationen unterwirft. Die Unveränderlichkeit von Raum, Zeit und Äther entspricht allerdings insoweit der vorrelativisti-schen klassischen Mechanik.

Grosso mode kann man sagen, daß alle Bewegungen, Veränderungen oder Tätigkeiten nach dem Muster schlichter Ortsbewegungen verstanden werden, wobei eine Art absoluter (euklidischer) Raum vorausgesetzt wird. Es gibt daher auch nur fünf Bewegungstypen:

1. Aufwärtsbewegung (utksepana),
2. Abwärtsbewegung (avaksepana),
3. Zusammenziehung (akuncana),
4. Ausdehnung bzw. Expansion (prasarana),
5. allgemeine Ortsbewegung (eigentlich: Gehen, gamana).

Auf diese Typen muß nun alle Bewegung und Veränderung von Körpern und Seelen zurückgeführt werden. Sie sollen sich immer dann einstellen, wenn bestimmte Substanzen und bestimmte Eigenschaften an ihnen oder Verbindungen bzw. Berührungen zwischen ihnen gege-ben sind. Dies auszudrücken, bedient man sich natürlich leicht der Sprache der Kausalität: die Eigenschaften "bringen hervor", "verursachen" die Bewegung (obwohl es auch in abendländischer Philosophie noch immer ein höchst zweifelhaftes Problem ist, was das tatsächlich bedeuten soll). Wir halten eine "humeanisch" gereinigte Vorstellung für angemesse-ner, die nur von "Bedingungen" statt von Ursachen spricht.

Als Beispiel dafür haben wir schon die Pfeilbewegung erwähnt. Andere "körperliche" Beispiele sind folgende: "Die Bewegung eines Juwels zu einem Dieb hin (!) oder die Bewegung einer Nadel zu einem Magnetstein sind bedingt durch die kosmische Ordnung (adrsta)". "Die Bewegungen von Erde, Feuer und Luft sind bedingt durch ein Berührendes, oder durch die kosmische Ordnung". "Verschiedene Bewegungen des Wassers sind bedingt durch Verschiede-nes: das Fallen durch Schwere oder kosmische Ordnung, das Fließen durch Öligkeit; das Aufsteigen durch die Berührung der Luft mit den Sonnenstrahlen". "Die Bewegung einer Hand ist bedingt durch den Willen und die Verbindung der Hand mit dem Selbst". "Die Bewegung des Denkens ist bedingt durch Anstrengung und die Berührung des Denkens mit dem Selbst". (vgl. Hattori bei Potter, a. a. O. S. 216).

Halten wir fest: Bewegung ist hier eine nach dem Typus der Ortsbewegung konzipierte eigene Kategorie. Sie beschreibt ein Phänomen, welches sich dann zeigt, wenn bestimmte andere Gegebenheiten vorliegen, die durch andere Kategorien beschrieben werden, nämlich Substanzen mit bestimmten Eigenschaften und in bestimmten Verbindungen bzw. Berührungen (vgl. dazu die Kategorie VI: samavaya).

Man sieht leicht, daß die Bewegung dann nicht mehr als Kategorie behandelt wird, wenn das, was sie beschreiben soll, auf diese anderen Kategorien zurückgeführt oder von ihnen her vollständig abgeleitet wird bzw. werden kann. Dies aber hat eine nichtorthodoxe Richtung innerhalb des Vaishesika, besonders der schon genannte Bhasarvajna, versucht. Diese Richtung nähert sich daher eher abendländischen Vorstellungen über die Bewegung an, die sie vorwiegend aus anderen Kategorien abgeleitet hat. Diese werden dann zwangsläufig als Kräfte aufgefaßt, die kausal wirken. In der Interpretation sowohl indischer wie abendländischer Denker tauchen dann auch Analoga aristotelischer oder neuerer physikalischer Begriffe auf: die Impetustheorie der aristotelistischen Physik der Spätantike und des Mittelalters, wonach bei einer Berührung zwischen Körpern eine Bewegungskraft von einen auf den anderen "übergeht" (das lateinische im-petus dürfte ja eine genaue Übersetzung des griechischen en-telecheia:= "inneres Streben nach dem Ziel" darstellen, vgl. L. Geldsetzer, Vorlesung über Naturphilosophie, gehalten im SS 1981 bes. S. 28ff und 66ff.), oder gar die Schwerkraft der newtonschen Physik. Beide Begriffe werden dann als eigentlicher Sinn des vorn genannten Begriffs der beständigen Bewegung (vega) hingestellt. Wir möchten hier allerdings auch vermuten, daß die nichtorthodoxe Lehre des Bhasarvajna sich selber dem Einfluß griechischer und arabischer Naturphilosophie verdankt.

IV. Selbigkeit bzw. Allgemeines (samanya). Über diese Kategorie findet man in den Vaishesi- ka-Sutras des Kanada keine weiteren Aufschlüsse. Sie wird als selbstverständlich in die Reihe der übrigen eingestellt. Umso mehr haben sich die Kommentatoren damit auseinandergesetzt. In ihren Definitionen oder Theorien darüber, was samanya eigentlich sei, kommt vielleicht eines der bedeutendsten Lehrstücke indischer Metaphysik und Ontologie zur Entwicklung.

Die Frage, auf welche diese Kategorie eine Antwort geben soll – und alle Kategorien sind ihrem Wesen nach nichts anderes als Begriffe für mögliche Antworten auf mögliche Fragen (so sind sie von Aristoteles eingeführt worden) – ist leicht zu verstehen. Es ist die Frage danach, wie es kommt, daß die Welt sich als eine Vielheit von Einzelnem, Besonderen zeigt, und daß diese Einzelheiten als etwas je Bestimmtes erkannt oder wiedererkannt werden können.

Das Abendland hat diese Frage allerdings nicht als Kategorienproblem behandelt, obwohl sie im Zusammenhang mit der Substanzkategorie immer wieder thematisiert worden ist. Vielmehr hat es darin überhaupt die wesentliche metaphysische Problematik gesehen, die über die Problematik der Kategorien "hinausreicht". Von solchem handelte extensiv die mittelalterliche Transzendentalienlehre. Und in der Behandlung dieser Problematik kulminierte der mittelalter-liche (und auch noch der moderne) Universalienstreit.

Unter den Transzententalien (nach dem klassischen Merkwort REUBAV: res, ens, unum, bonum, aliquid, verum), die als gemeinsame Bestimmungen des Sinnes der Kategorien und aller durch sie gefaßten Gegebenheiten galten, scheint uns das aliquid am ehesten geeignet zu sein auszudrücken, um was es geht. Im Deutschen läßt es sich als "Etwas" übersetzen. "Etwas" ist die allgemeinste Antwort auf die Frage: "Was?", und sie kann dann durch alle Kategorien hindurch spezifiziert werden: das Etwas kann eine Substanz, eine Qualität, eine Bewegung usw. sein, und je nachdem ist es dann etwas Bestimmtes, ein "Selbiges".

Dasjenige aber, was ein Etwas zu diesem bestimmten Etwas macht und es als dieses erkennen läßt, das ist nach den klassischen Theorien des Abendlandes seine Idee (Platon), sein Wesen (ousia nach Aristoteles. Diese Auffassung rückt das Etwas aber in die Nähe der Substanz oder identifiziert sie gar damit), sein Begriff oder Prinzip. Idee, Wesen oder Begriff der Sache aber ist etwas, was traditionellerweise in der Logik behandelt wird, und gerade aus der ontologischen Erörterung über den Seinsstatus der Begriffe bzw. des Allgemeinen (universale) ist der Universalienstreit entstanden.

Nun hat die indische Philosophie nicht in gleichem Maße wie die abendländische Philosophie Logik und Ontologie voneinander getrennt. Und erst recht verfügt die klassische indische Philosophie nicht wie schon die klassische griechische über eine Lehre von der Allgemeinheitsstruktur der Begriffe. Sie hatte allenfalls – und schon wegen der Sprachvorgabe – eine Ahnung von solcher Allgemeinheitsstruktur derart, daß Begriffe allgemeiner und spezieller sein können, daß allgemeinere als Gattungen speziellere als ihre Arten einschließen bzw. die Arten von den Gattungen "umfaßt" sind. Wohl aber hat sie ihre Aufmerksamkeit auf die oberste Gattung und die unterste Art, die zugleich Individuum ist und durch Eigennamen logisch gekennzeichnet wird, gerichtet. Darüber sagt auch schon das Vaishesika-Sutra des Kanada:

"Ausgenommen das Sein (bhava), können Gattungen wie ‚Substanz‘ ‚Qualität‘ ‚Bewegung‘ von anderem Gesichtspunkt her auch als Arten angesehen werden. Die unterste Art (antya vishesa) wird aber niemals als eine Gattung angesehen" (Hattori bei Potter, a. a. O. S. 212).

Das heißt aber, daß das Sein selbst als oberste Gattung überhaupt erfaßt werden kann. Eine Stellung, die ihm auch die univoke Seinstheorie des Abendlandes zugewiesen hat. Dann bleibt diese Gattung aber nicht Kategorie neben den anderen, sondern sie wird darüber erhoben und dient zur logischen Ableitung derselben. Sie wird, wie wir sagten, zum Transzendentale.

Von diesem Sein (bhava oder satta) wird dann in den Vaishesika-Sutras weiter gesagt, es sei "die Bedingung dafür, daß man hinsichtlich der Substanzen, Qualitäten und Bewegungen von ‚existiert‘ bzw. ‚ist vorhanden‘ sprechen kann". Das wiederum bedeutet, daß es wie in neuplatonischer Logik – etwa in der porphyrianischen Begriffspyramide – mit der Bedeutung der logischen Kopula identifiziert wird. Denn von allem, worüber ein Urteil gefällt wird, sagt man mittels der Kopula schon, daß es "ist" und spricht ihm damit das Sein zu.

Der Seinsbegriff ist aber nur die oberste Gattung und damit nur ein Beispiel für die angebliche Kategorie (eigentlich das Transzendentale) des Allgemeinen, welches jedem Bestimmten seine Selbigkeit verleiht. In dieser Hinsicht heißt es bei den Kommentatoren auch parajati (=oberstes Sein). Demgegenüber aber ist jeder Begriff, sind auch die übrigen Kategorien, wie wir gesehen haben, untergeordnet, ein niedereres Allgemeines, d. h. ein aparajati.

In welchem Zusammenhange nun aber alle diese samanyas untereinander bestehen, das hat die Vaishesika-Philosophie ebenso wenig wie die abendländische Logik und Ontologie herausgestellt. Bekanntlich hat Plato mit seinem Begriff der methexis ton ideon (Zusammenhang der Ideen, lat.: participatio) einen solchen Zusammenhang behauptet und die Neuplatoniker haben ihn in verschiedenen Seinspyramiden spekulativ entfaltet. Aber ihre logische Analyse ist durch die aristotelische Begriffslehre verhindert worden, da sie jeden Begriff als selbständige Einheit auffaßte und ihn in der formalen Logik durch einen einzelnen Buchstaben (was im Griechischen auch eine Zahl bedeuten konnte) notierte. Dadurch wurde aber unsichtbar gemacht, daß diese methexis darin besteht, daß eben die Bedeutung jeder Gattung (ihre sog. Intension), vollständig als Bedeutungsanteil in ihre Arten eingeht, während ihr Umfang (ihre sog. Extension) die Umfänge ihrer Arten voll umschließt. Die gleiche formallogische Notation der Begriffe als Einheiten verhinderte auch die Einsicht in das, was den sog. "spezifischen Unterschied" zwischen den so zusammenhängenden Begriffen ausmacht. Für Aristoteles und die klassische Logik ist diese "differentia specifica" geradezu etwas Mystisches, das logisch überhaupt nicht faßbar ist. Wir werden auch gleich bei der nächsten Kategorie vishesa sehen, daß die Vaishesika-Lehre sie ebenfalls als unableitbare Kategorie einführte und damit ebenfalls ihre logische Analyse verhinderte.

Und doch läßt sich auch logisch darstellen, was es mit dem Zusammenhang und den Unterschieden zwischen den Begriffen auf sich hat, wenn man das Verhältnis der Intensionen und Extensionen durch geeignete Darstellungsmittel notiert und insbesondere den spezifischen Unterschied selber als intensionalen Bestandteil, der in die Artmerkmale eingeht, mitnotiert. (vgl. dazu L. Geldsetzer, Logik, 1987). Wir haben schon vorn Gebrauch davon gemacht. Im Sinne der Auffassung vom samanya als Kategorie wäre es, sie eben als vierte neben den drei dort genannten zu stellen. Die Problematik des Seinsbegriffs (bhava) aber zwingt dazu, sie als obersten Begriff über die Kategorien zu setzen und sie dann als Merkmal in alle unteren Begriffe aufzunehmen. Das aber würde wiederum bedeuten, daß jeder Begriff sowohl Sein als auch Allgemeines wie ein Bestimmtes (wir nannten dies Selbigkeit) ist. Und dieses dürfte nicht als Verschiedenes, sondern als eines und eben dasselbe (Selbiges) verstanden werden.

Bleiben diese logischen Verhältnisse ungeklärt – und wir sagten schon, daß sie auch in der klassischen abendländischen Logik, die auf die Formalisierung des Aristoteles zurückgeht, ungeklärt geblieben sind – so kommt es leicht zu dem, was man Kategorienverwechslung nennt. Auf ihr beruht zu wesentlichen Teilen auch der perenne abendländische Universalienstreit.

Indem festgestellt wird, daß das Sein (als Bedeutung der obersten Gattung) allen Begriffen zukommt, läßt man sich dazu verleiten, nun auch danach zu fragen, was das Sein der Begriffe selber ist. Man wird dazu geführt, ihnen neben den Dingen und der Wirklichkeit ein eigenständiges Sein zuzuteilen und dieses entsprechend vom Sein der Dinge zu unterscheiden. So werden die Begriffe bzw. ihre Bedeutungen, ihr Sinn zu einer eigenen Klasse von Dingen, sie werden real (von lat. res, Ding, Sache), wie es der mittelalterliche Aristotelismus den Neuplatonikern als "Ideenrealismus" vorgeworfen hat (Die Platoniker selber hätten dergleichen niemals behaupten können, da sie nicht die Ideen für Dinge, sondern die Dinge für an den Ideen Teilhabendes, für "Phänomene" hielten).

Entsprechend knüpfte auch bei den Vaishesika-Kommentatoren eine lange Universaliendebatte an die Behauptungen des Kanada über samanya und den Seinsbegriff an. Man diskutierte das Verhältnis des Allgemeinen zum einzelnen Ding; es wurde über die besondere Erkenntnisart des Allgemeinen verhandelt; ob es sinnlich wahrnehmbar oder nicht, ob es durch Worte oder ohne Sprache (nirvikalpa) erfaßbar sei; man fragte nach seiner Existenzweise, ja auch, wo es sich befinde, etwa nur innerhalb der Dinge oder auch oder gar nur außerhalb derselben (vgl. dazu Potter, a. a. O. S. 133-142).

Alle diese Universaliendebatten verdanken sich der Kategorienverwechslung, denn sie sind ein untauglicher Versuch, eine Kategorie bzw. gar ein Transzendentale aus anderen Kategorien abzuleiten, was auf eine contradictio in adiecto hinausläuft. Es ist der typische Fehler von Schulkommentatoren, die eine Lehre weiterentwickeln, indem sie in rekursiver Weise die Kategorien der ursprünglichen Lehre auf die Kategorien selber anwenden, und dies beliebig wiederholt und durch die in indogermanischen Sprachen so leicht sich anbietende Substantivierung verschiedener grammatischer Gestalten des gleichen Wortstamms kamoufliert. Das Schema ist: das Wesen des Seins des Seienden, des Erkennbaren des Erkannten der Erkenntnis usw. zu erforschen. Es läßt sich durch Hinzunahme griechischer und lateinischer Äquivalente noch mühelos verlängern und komplizieren.

Dies zeigt zumindest, daß es ohne Anschauung nicht geht. Besser noch wäre es gewesen, wenn man auf die anschaulichen Elemente bzw. Grundlagen aller Begriffe, somit auch der Kategorien (und Transzendentalien) geachtet hätte. Dies geschah auf der Grundlage stoischer und epikureischer Erkenntnistheorie bekanntlich erst wieder durch Berkeley, dessen Abstraktionstheorie dieser Anschaulichkeit aller Begriffe Rechnung trägt, was aber auf Grund der durchschlagenden rationalistischen Traditionen abendländischer Logik und Wissenschaft gemeinhin als Kuriosität gilt.

Legt man diese berkeleysche Abstraktionstheorie dem Verständnis zugrunde, so sieht man auch leicht, warum samanya zugleich als Selbigkeit und Allgemeines aufgefaßt werden kann, was in rationalistischer Perspektive als "Individualität" und "Gemeinsames an den Individualitäten" streng getrennt wird. Man braucht sie nur den beiden Aspekten zuzuordnen, die in der logischen Praxis seit jeher, in der logischen Theorie aber erst seit der "Logik von Port-Royal" von Nicole und Arnauld genau unterschieden werden: der Intention und der Extension an Begriffen. Und dabei ist genauer zu beachten, was Extension eigentlich bedeutet.

Man hält sie für gewöhnlich für einen Umkreis, der in der Regel eine Vielzahl von Individuen in sich faßt, von denen das als Merkmal gelten soll, was die Bedeutung des zugehörigen Begriffs ausmacht. Bei dieser Betrachtungsweise, die in der abendländischen Logik klassisch geworden ist, muß man konsequenterweise denjenigen Begriffen, die nur ein Individuum als Extension "umfassen", eine Sonderstellung einräumen: es sind die Namen oder "Kennzeichnungen". Sie gelten den meisten Logikern überhaupt nicht als Begriffe, da sie nicht "allgemein" seien und im übrigen auf Empirie und Inhaltliches verwiesen, welches nicht zum Thema der formalen Logik gehöre. Merkwürdigerweise ist man dann aber bereit, Begriffe, die überhaupt keine Extension besitzen (was sie nach der allgemeinen Definition von Begriffen: daß sie Intension und Extension besitzen, eigentlich zu Unbegriffen machen sollte), also die sog. leeren Begriffe (nach dem Muster der mathematischen Null) doch als Begriffe anzuerkennen.

Durch die leeren Begriffe aber erzeugt man erst gegenstandslose Bedeutungen und somit ein windiges Reich logischer Entitäten, die mit der Wirklichkeit nichts gemein haben. Durch die Ausscheidung der Namen als logischer Gegenstände aber verbaut man sich die Einsicht darin, daß jeder richtig gebildete Begriff - wie auch jedes sinnvolle Wort einer Sprache - in erster Linie ein Name für ein Bestimmtes ist. Es ist erst dann eine empirische und ontologische Frage, ob ein durch einen Begriff bzw. Namen Bezeichnetes begrifflich noch weiter und näher bestimmbar ist. Und dies ist eine Frage, die von den sog. Fortschritten der empirischen Wirklichkeitserkenntnis abhängt. Es dürfte wohl nichts in der Wirklichkeit geben, was jemals als Individuum ausgegeben worden ist und nicht dennoch weiter analysiert und auf "tieferliegende" Elemente reduziert worden ist, die ihrerseits zu weiterer Forschung herausfordern. Die sog. mereologische Logik beruht auf dieser Einsicht.

Nimmt man aber jeden Begriff und somit jedes Allgemeine als Name, so muß man auch jede Extension als eine Einheit nehmen, von der es offensteht, ob sie noch weiter unterteilt und in Vielheiten aufgesplittert werden soll oder kann oder auch nicht. Kann dies geschehen, so kann man diese Einheit ein Kollektiv oder eine Ganzheit nennen. Sie hat in jedem Falle die gleiche logische Bedeutung wie die Einheit oder Selbigkeit des sog. Individuums.

Um ein Beispiel zu nennen: Man ist gewohnt, den einzelnen Menschen für ein Individuum und das Menschsein für ein Abstraktum zu halten. Das Menschsein sei ein allgemeiner Begriff, dessen Extension alle einzelnen Menschen umfasse, und dessen Bedeutung (Intension) jedem einzelnen Menschen zukomme. Man muß aber sehen, daß das Wort "Menschsein" - selber eine recht technische Bildung der Logiker - zugleich und wesentlich die Einheit der Menschheit konstituiert, die durchaus ebenso konkret und individuell - und anschaulich - ist, wie der einzelne Mensch, und die in logischer und empirischer Hinsicht zwanglos von anderen Tierheiten und von der Pflanzenwelt unterschieden wird. Zwischen beiden lassen sich beliebige weitere extensionale Einheiten ansiedeln: die Männer- und die Frauenwelt, die weiße, gelbe, schwarze oder rote Menschheit, die europäische oder asiatische, die entwickelte oder die primitive, die großwüchsige oder kleinwüchsige usw.

Will man aber den einzelnen Menschen erkennen, so kommt man nicht umhin, ihn nach seiner organischen Zusammensetzung, seinen physischen Eigenschaften und seelischen Charakteristiken, schließlich auch nach seinen biographischen Schicksalen zu beschreiben, die ersichtlich ebenso allgemeine Bestimmungen wie die Charaktere der Menschheit sind. Und so wird auch der einzelne Mensch ein "Fall von ..." und verliert in diesen Bestimmungen seine angebliche Nichtreduzierbarkeit, ohne doch aufzuhören, ein Bestimmtes und Selbiges, kurz: ein Individuum zu sein.

Es scheint, daß die Vaishesika-Lehre vom samanya auf dem Wege gewesen ist, eine solche Einsicht zu fördern.

Sie hat, wie man jetzt sagen könnte, auf der Identität des Abstrakten und Konkreten bestanden, welches abendländische Logik und Wissenschaftstheorie auseinandergerissen hat. Und indem sie dies als Kategorie fixierte, hat sie zugleich darauf hingewiesen, daß hinter diese Eigentümlichkeit von Sein und Erkenntnis nicht zurückgegangen werden kann.

V. Spezifität bzw. Unterschied (vishesa). Diese Kategorie hat der ganzen Richtung den Namen gegeben: sie wurde aufgefaßt als eine "analytische Philosophie", eine Lehre von der richtigen Unterscheidung der Dinge und des Heraushebens ihrer Spezifität.

Man sollte erwarten, daß es sich deshalb um eine zentrale Kategorie handele. Aber das ist nicht der Fall. Die Vaishesika-Sutras des Kanada führen sie nur als Kategorie auf und sagen darüber hinaus in dem schon vorn angegebenen Zitat, in welchem wir nach Hattoris Vorgang vishesa durch "Art" übersetzt haben: "Ausgenommen das Sein (bhava), können Gattungen wie "Substanz‘, ‚Qualität‘, ‚Bewegung‘ von anderem Gesichtspunkt her auch als Arten (vishesa) angesehen werden. Die unterste Art (antya vishesa) wird aber niemals als eine Gattung (samanya) angesehen".

Man hat diesen nachdrücklichen Hinweis auf die Sonderstellung der untersten Arten vielfach als Hinweis genommen, daß es sich bei vishesa überhaupt um ein Individuationsprinzip handele. Daher wird vishesa gewöhnlich auch mit "Individuator" und antya vishesa mit "letztem Individuator (final individuator)" übersetzt. Candramati, ein unorthodoxer Vertreter des Vaishesika aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., dessen Werk Dashapadarthashastra in chinesischer Übersetzung aus der Zeit um 648 n. Chr. erhalten ist (vgl. Potter, a. a. O. S. 274 f.), hat sogar aus antya vishesa eine eigene Kategorie gemacht und für jede der von ihm unterschiedenen neun Substanzen einen eigenen Individuator angenommen.

Demgegenüber hat ein anderer Kommentator, Varadaraja, im 12. Jahrhundert n. Chr. die Individuatoren wieder ganz aus der Liste der Kategorien gestrichen (vgl. Potter, a. a. O. S. 143 und 629), mit dem Argument, daß damit doch nur die je "eigene Natur" (svarupa) der Substanzen genannt würde, die - wie man unterstellen kann - ja schon durch den Begriff derselben (samanya) ausgesprochen wird.

Andere Diskussionen fanden darüber statt, ob und wie man vishesa erkennen kann: ob durch sinnliche Wahrnehmung oder nicht, und wenn, ob nur aus der Ferne oder nur aus der Nähe, mit oder ohne sprachliche Benennbarkeit. Solche Bestimmungen und Überlegungen verweisen auf eine Parallele in der abendländischen Philosophie hinsichtlich der Bestimmung des Einzelnen, Besonderen bzw. Individuellen. Hier stehen sich der platonische idealistische und der aristotelische realistische Ansatz diametral gegenüber.

Für Platon ist jede Idee ein Einzelnes und Bestimmtes. Ihre Spezifität ergibt sich als ein Gesamt (koinonia) anderer Ideen, an denen sie teilhat (methexis), wie auch sie selber wiederum Bestandteil anderer Ideen sein kann. Die einzige Ausnahmestellung hat die oberste Idee (des Guten), die selber zwar in allen anderen Ideen enthalten ist, selber aber keine anderen Ideen in sich enthält. Die Ideen aber sind die Wirklichkeit selber, so daß ihre genaue Kenntnis und mithin die Kenntnis der Zusammengesetztheit einer bestimmten Idee aus anderen auch die vollkommene Erkenntnis der Wirklichkeit darstellt.

Faßt man die Ideenlehre in porphyrianischer Weise als eine logische Begriffslehre, wie wir das schon vorne getan haben, so entspricht sie sehr gut demjenigen, was Kanada im zitierten Text gesagt hat. Man muß nur in Erinnerung behalten, was wir im vorigen Abschnitt über die logische Rolle der Individualisierung durch Namen bzw. Kennzeichnungen gesagt haben. Namen bzw. Kennzeichnungen sind in platonisch-porphyrianischer Logik nichts Absolutes, sondern gewissermaßen etwas Relatives: Indem eine Idee bzw. ein Begriff benannt wird, wird sie zu einem Individuum, und logisch muß ihre Extension als ein Ganzes und Einheitliches gefaßt werden. In diesem Falle fallen Gattung, Art und Namen zusammen. Z. B. ist das, was man "Menschheit" nennt, ein bestimmtes individuelles Gebilde. Soweit man es als solches betrachtet, sieht man davon ab, ob und wie es weiter aufteil- und unterscheidbar ist in Arten (z. B. Menschenrassen) oder gar andere Individuen (z. B. einzelne Menschen). Erst wenn man die Analyse in dieser Richtung weitertreibt, wird man "Menschheit" auch als Gattung zu "Menschenrasse" oder auch als Art zu "Lebewesen" gebrauchen. Dann hat man aber gerade den Begriff "Menschheit" verlassen und ist zu anderen Begriffen übergegangen. Ob das aber bei jedem Begriff möglich ist, ist sicher keine logische, sondern eine empirische und, wie wir schon sagten, vom Kenntnisstand der Wissenschaft abhängige Frage.

Das läuft aber darauf hinaus zu sagen, daß der Begriff des Individuellen logisch überflüssig ist. Und in der Tat ist er ja auch von den Aristoteles eingeführt worden, der sich damit eine Menge von Paradoxen auflud. Bleibt man bei der platonischen Deutung der Aussage des Kanada, so läßt sie sich zu einer definitorischen Trivialität verallgemeinern: Ausgenommen den obersten (allgemeinsten) Begriff, können alle Gattungen von anderem Gesichtspunkt her auch als Arten angesehen werden. Die unterste Art (bzw. unterste Arten) wird (werden) aber niemals als Gattung (für noch weitere Arten!) angesehen.

Nun bedeutet die Fixierung der Art (vishesa) als Kategorie, daß alles Wirkliche und Erkennbare mit der schon angeführten Ausnahme des Seins (als höchsten und allgemeinsten Begriffs) eben als Art erkannt werden soll. Dies neben der Aufforderung, es auch als Selbigkeit bzw. Allgemeines (samanya) zu erkennen. Etwas als Art zu erkennen bzw. zu konstruieren, aber heißt: die zugehörige Gattung aufzuweisen und den Unterschied zu ihr herauszustellen. Darin liegt das analytische Forschungsprogramm der Vaishesika-Philosophie. Ersichtlich widerspricht das nicht, vielmehr steht es in vollem Einklang damit, jedes Bestimmte auch und zuerst als Selbiges (samanya) zu beschreiben.

Was macht nun den Unterschied zwischen Erkenntnis eines Wirklichen als Gattung (samanya) und als Art (vishesa) aus? Dies läßt sich logisch nach den Verhältnissen von Inten-sion und Extension näher angeben. Etwas als Gattung erkennen, heißt, seine Merkmale (Intensionen) deutlich vorstellen und zugleich wissen, worauf sich seine Extension bezieht und wie diese weiter in Arten eingeteilt werden kann. Etwas als Art erkennen, heißt, seine Bedeutungsmerkmale vollständig vorzustellen und sie zugleich hinsichtlich des Anteils zu unterscheiden, der ihren Gattungsbegriff ausmacht bzw. der als sog. artbildendes Merkmal (oder Merkmale) darüber hinaus zukommt. Diese Unterscheidung ist dabei wesentlich, denn die Art kennt man eben nur, wenn man auch die Gattung dazu kennt. Bezüglich der Extension von Artbegriffen verhält es sich entweder wie bei den Gattungen, d. h. man muß auch ihre Einteilbarkeit kennen, oder man muß wissen, daß sie unterste Arten sind und somit nicht weiter teilbar sind.

Da man für die Arterkenntnis schon die zugehörige Gattung kennen muß, die als eigener Begriff gegeben sein muß, konzentriert sich das Interesse wesentlich auf die artbildenden Merkmale, die noch darüber hinaus den Bedeutungen der Artbegriffe zukommen.. Sie werden in der klassischen Logik als differentia specifica gefaßt. Sie scheinen auch genau dasjenige zu sein, was mit vishesa gemeint ist, und was wir deshalb als "Spezifität bzw. Unterschied" übersetzt haben, obwohl es nicht falsch sein dürfte, die Sache im weiteren Sinne - wie im Zitat nach Hattori - mit Art zu übersetzen.

Was ist nun eine spezifische Differenz? Wir sagten schon, daß sie in der klassischen Logik eine Art mystischen Charakter hat, insbesondere seitdem Porphyrios sie nach dem Vor-gang des Aristoteles unter die logischen Kategorien (die berühmten quinque voces) reihte und sie damit für eine unableitbare oberste logische Gattung erklärte.

Das ist sie aber keineswegs. Sie ist weder ein kategorialer Begriff noch überhaupt ein selbständiger Begriff. Eine spezifische Differenz ist eine reine Intension. Nehmen wir als Beispiel die Gattung "Menschheit" und als spezifische Differenz das "Männliche". Dadurch bilden wir die Art "männliche Menschheit". In der sprachlichen Form (Substantiv nebst Adjektiv) bleiben die Bedeutungskomponenten gewissermaßen sichtbar. Sie werden als eigene Bedeutungskomponenten unsichtbar, wenn die so gebildete Art nur mit dem Namen "Männer" bezeichnet wird. Wer aber weiß, was Männer sind, der weiß auch, daß es sich der Extension nach um einen Teil der Menschen handelt, die Intension "männlich" aber als solche in den Artbegriff "Männer eingegangen ist.

Nun stellen aber die Sprache wie die Logik noch ein anderes Mittel zur Verfügung, diesen Artbegriff zu fassen, und das hat wohl Anlaß für die mancherlei Mystifikationen um die spezifische Differenz gegeben. Dies ist die Negation. Sie erlaubt es, einen Artbegriff auch als Gegenart zu einer oder auch mehreren Arten zu bezeichnen, die unter dieselbe Gattung fallen. Genau genommen wird durch die Negation nur die spezifische Differenz der Gegenart bzw. aller unterscheidbaren Gegenarten unter derselben Gattung gleichsam getilgt, nie aber die Gattung selber. Gibt es nur eine Gegenart - wie in der platonischen sog. dihäretischen (zweiteilenden) Begriffslehre üblich - so bleibt bei ihrer Negation gleichsam im Subtraktionsverfahren die gemeinte Art übrig. Z. B. wenn man die Menschheit (als Gattung) nur in Männer und Frauen einteilt, so lassen sich die Männer durch Negation eindeutig als nicht-Frauen, die Frauen ebenso eindeutig als nicht-Männer bezeichnen, und jeder weiß, was das bedeutet. Teilt man die Gattung Menschheit aber etwa nach Rassen, also in mehrere Arten ein, so genügt es nicht, die "Weißen" als "nicht-Schwarze" zu definieren, sondern man muß alle übrigen Arten negieren. Dies ließe sich im Prinzip durch eine Bildung wie "nicht-Schwarze - nicht-Gelbe - nicht-Rote" durchführen, es ist aber in indogermanischen Sprachen so nicht üblich. Vielmehr muß man dann die logische Form der Urteile (mit dem konjunktiven Funktor) wählen. Und dies wiederum macht unsichtbar, daß es sich dabei gleichwohl um Begriffsbildung handelt (wie man ja generell in der Logik die Begriffslehre streng von der Urteilslehre trennt.

Es bleibt aber darauf hinzuweisen, daß solcher Gebrauch der Negation für die Artbezeichnung immer schon die Position der Gattung voraussetzt und also keineswegs absolut ist, wie etwa Spinoza meinte, der jede Definition als Negation ansah ("omnis definitio est negatio"). Es scheint, daß manche Nyaya- und Vaishesika-Denker, erst recht aber buddhistische Logiker die Negation im Sinne Spinozas verabsolutierten und daraus entsprechende nihilistische ontologische Folgerungen zogen.

Wir haben hier einige logische Erwägungen im Sinne einer weiterentwickelten platonisch-porphyrianischen Logik angestellt um darzutun, was vernünftigerweise mit der Herausstellung von vishesa als eigener Kategorie in der Vaishesika-Philosophie gemeint sein kann: eben was es mit der Erkenntnis von Wirklichkeit durch Artbegriffe bzw. mit der Bildung von Artbegriffen mittels der spezifischen Differenz auf sich hat. Natürlich war die klassische indische Philosophie weit davon entfernt, über solche logischen Mittel zu verfügen, wie wir im Kapitel über die Nyaya-Methodologie schon dargetan haben.

Offensichtlich genügt das aber nicht, der Breite der Vaishesika-Kommentare zum Thema gerecht zu werden. Wir sagten schon, daß sich auch Parallelen zur aristotelischen Ansicht der Bestimmung des Individuellen und Besonderen finden. Deshalb dürfte ein Blick auf solche realistischen Motive angebracht sein.

Die aristotelisch-realistische Sicht unterscheidet zunächst und im Gegensatz zur platonisch-idealistischen zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit. Entsprechend unterscheidet sie auch zwischen dem Allgemeinen, welches der Erkenntnis und nur ihr angehört, und dem Individuellen bzw. Besonderen, welches eine Bestimmung der Wirklichkeit ausmacht. Diese Unterscheidung läßt es sehr plausibel erscheinen, daß auch zwischen den Vaishesika-Kategorien des Allgemeinen (samanya) und des Besonderen als Individuellen (vishesa) streng unterschieden wird. Ersteres erscheint dann als erkenntnistheoretische, letzteres als ontologische Kategorie. Die ontologische Kategorie wird dann als Individuationsprinzip gefaßt.

Schwierigkeiten ergeben sich sofort, wenn nun gesagt werden soll, was das Individuationsprinzip ausmacht. Die Grundunterscheidung legt ja fest, daß es kein Begriff - der der Erkenntnis angehören müßte - sein darf. In der Tat hat Aristoteles und haben auch seine scholastischen Nachfolger größten Wert darauf gelegt, ihm in der berühmten Vierursachen- Lehre eine Sonderstellung als Materie anzuweisen, die das absolute Gegenteil zur Form (und diese wird wesentlich als Begriff gefaßt) sein soll, während die Wirkursache (causa efficiens) und die Zweckursache (causa finalis) ihrerseits eigene Formen und somit als Begriffe faßbar sein sollen. Jedes Einzelne und Besondere der Wirklichkeit soll mithin als ein Zusammengesetztes (concretum) aus drei Formen bzw. Begriffen: aus Wirk-, Ziel- und eigentlicher Formursache sowie aus Materie erfaßt und begriffen werden. Die Materie aber gilt als Individuationsprinzip.

Da nun die Formen die Mittel der Erkenntnis sind, d. h. alles, was erkannt werden kann und soll, als Form erfaßt werden muß, die Materie aber keine Form und keine Erkenntnis, sondern das Prinzip der Wirklichkeit selber sein sollte, so war es nur konsequent, daß Aristoteles selber schon die Materie als unerkennbar, unbestimmbar, nicht in Form und Begriff zu Fassendes ausgab. Dabei hätte er stehen bleiben können um etwa zu behaupten - wie es nach ihm viele Realisten getan haben - daß die Wirklichkeit eben nicht erkannt wird, sondern "sich zeigt", "zur Geltung bringt", "wirkt", "sich offenbart" oder daß man, wenn man sie nicht erkennen kann, dann an sie glauben muß (wie etwa Thomas Reid und nach ihm Jakob Friedrich Fries in: Wissen, Glaube und Ahndung, 1805, und wiederum viele andere nach ihm, die das nicht so deutlich eingestehen).

Als Schüler Platons sah Aristoteles aber wohl deutlicher als die späteren Realisten, daß dies nur Ausflüchte sein konnten, da ja auch alles Bestimmen von "Sich-Zeigen", "Offenbaren", "Wirken", "Gelten" usw. auf begriffliche Formen hinauslief, die die Wirklichkeit schlechthin wieder zu einer reinen Ideen- und Formenwelt machen mußten, wie es sein Lehrer Platon behauptet hatte. Es mußte ihm aber darauf ankommen, die Materie als das Individuationsprinzip des Reichtums der wirklichen Dinge gerade zum Nicht- oder Unbegriff zu machen, um sie von den Formen zu unterscheiden. Dazu prägte er den Un-Begriff des "Nicht-Seienden", logisch gesehen die Negation der obersten Gattung und somit Prototyp einer contradictio in adiecto. Er vollbrachte damit - ein sonst bei den griechischen Sophisten beliebtes - Kunststück, die Materie als "Nicht-Sein" dialektisch zugleich als Begriff und als nicht-Begriff zu fassen.

Man sieht, wie bei Aristoteles der Versuch, Individualität und Individuation "begrifflich" oder kategoriell zu fassen, in eine Dialektik einmündet. Sie lenkt in ihren widersprüchlichen Teilen den Blick zurück auf die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten: Entweder die Individualität selbst positiv begrifflich durch Merkmale der Arten zu kennzeichnen und somit keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Art bzw. Allgemeinem und Individuellem zu machen, oder die Negation als begriffliches Mittel ins Spiel zu bringen. Letzteres ist dann auch bei der Ausgestaltung des Vaishesika durch die Kommentatoren des Kanada in der Ausarbeitung einer siebten Kategorie des Nichtseins (abhava) versucht worden.

VI. Inhärenz bzw. Relation (samavaya). Die übersetzende Bezeichnung dieser Kategorie kann im Abendland nur als Verlegenheitsvorschlag gelten. Einerseits taucht ja die Relation schon unter den aristotelischen Kategorien selbständig auf, und daher wird man im Vaishesika etwas Entsprechendes vermuten und suchen. Andererseits richtet sich samavaya wesentlich auf ein Verhältnis von Substanzen zu ihren Eigenschaften und den übrigen Kategorien, was man bis auf Kant im Abendland nicht als Relationsverhältnis deutete. Kant seinerseits hat in seiner Kategorienlehre Substanz selber als ein eigenbezügliches Verhältnis, als reflexive Relation gedeutet und dem die "Inhärenz" als Verhältnis der Substanz zu ihren Eigenschaften an die Seite gestellt. Diese Schwierigkeiten und Vorverständnisse legen es nahe, samavaya eher durch "Integration" im Sinne von Ganzheitsbildung zu übersetzen.

Im Vaishesika wird sie definiert als Beziehung zwischen getrennt nicht denkbaren (ayustasiddha) Dingen. Dies wird erläutert durch fünf Fälle, in denen dergleichen vorkommt: Im Verhältnis von Ganzem und Teil, Substanz und Qualität , Substanz und Bewegung, Allgemeinem und Besonderem bzw. Individuellem sowie Ewigem und zeitlich Erscheinendem. Eine lebhafte Schuldiskussion ging darum, ob sich diese Kategorie durch sinnliche Wahrnehmung direkt oder nur durch denkerisches Erschließen ergebe.

Angesichts dessen, daß die Nyaya-Methodologie dem indischen Philosophieren keine Begriffslehre zur Verfügung stellte, ist es nicht verwunderlich, daß samavaya nicht in logischen Vorstellungen erläutert werden konnte. Ersichtlich handelt es sich bei dieser Kategorie darum, die rechte Mitte zwischen Identität und Unterschied zu artikulieren, wie sie in Begriffsverhältnissen vorkommt. Das Verhältnis von Ganzem und Teil weist logisch auf das Verhältnis einer Gattung zu ihren extensionalen Arten und Individuen hin; Substanz und Qualität stehen im Verhältnis von generischen und spezifischen Merkmalen im Begriffe, und dasselbe kann man auch von Substanz und Bewegung sagen, sofern letztere als eine akzidentelle Spezifikation einer Substanz betrachtet wird; das Allgemeine und Besondere bzw. Individuelle faßt dies logische Verhältnis exemplarisch zusammen, und das Verhältnis von Ewigem und Vergänglichem weist wieder auf ein logisches Verhältnis von wesentlichen und unwesentliches bzw. zufälligen Spezifikationen am Begriff hin. Alle diese logischen Verhältnisse am Begriff aber artikulieren nur eine Identität, die sich gewissermaßen unter verschiedenen Aspekten zeigt, und dies wird am besten als Inhärenz gefaßt.

Nun gehört aber zur Bedeutung von samavaya auch Kausalität im Sinne einer notwendigen Verknüpfung zwischen wohlunterschiedenem Verschiedenem. Man muß zugeben, daß auch im Abendland immer wieder versucht wurde, das Kausalverhältnis als ein begriffliches Inhärenzverhältnis zu deuten. Die Neuplatoniker deuten Kausalität als ein "Einfluß-" oder "Emanations -" Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen hin. Das Allgemeine wurde als Kraft, Potenz (in aristotelischer Terminologie) gefaßt, welche sich in das Besondere herab ergießt, in es hineinfließt und es durch seine Kraft oder Energie zum Dasein bringt und es darin erhält (sog. creatio continua).

Die aristotelische Vier-Ursachen-Lehre spaltete das Allgemeine noch weiter in die drei Form-Ursachen der Bewegungs(anstoß)-, Form- und Zweckursache und die (vierte) materiale Ursache auf, ging dabei aber immer noch davon aus, daß alle vier Ursachen in jeder Substanz als Inhärenzen vorhanden seien und ihr Wesen ausmachen bzw. dieses erklären sollten. Das sieht man besonders deutlich an der "Entelechie", dem "In-Sein des Zweckes oder Zieles in der Sache selbst", das in der mittelalterlichen Naturwissenschaft als "Impetus" (inneres Streben) oder in der Neuzeit als "Tendenz" (Gespanntheit auf etwas) fortlebte. Man kann es noch deutlicher daran sehen, daß die aristotelische materiale Ursache überhaupt in der physikalischen "Masse" untergegangen ist und somit die Substanzialität einer physikalischen Gegebenheit selber bestimmt. Erst recht ist ja auch die Form-Ursache voll in den "Begriff der Sache" eingegangen. Nur die sog. bewirkende oder Bewegungsursache (causa efficiens), die in neuzeitlichen Kausalvorstellungen als alleinige tatsächliche Ursache angesehen wird, hat sich dieser logischen Identifizierung mit der Sache selbst verweigert. Zu offensichtlich war schon für Aristoteles der "Mensch (Vater), der einen Menschen erzeugt", von dieser Wirkung als Individuum verschieden. Gleichwohl konnte man auch bei solchen natürlichen Erzeugungskausalitäten nicht die wesentliche Identität dessen, was vom Vater im Kind als dasselbe zur Geltung kam, übersehen. Und so wurde auch in der Neuzeit noch weiter versucht, die Kausalität an dieser Identität festzumachen. Noch die Millsche Induktionstheorie für die Auffindung der Kausalfaktoren setzt voraus, daß die Induktion, die ja eine logische Methode der Bildung von Allgemeinbegriffen ist, überhaupt für solche Kausalanalysen geeignet sei.

Es scheint, daß auch die Kausalitätsauffassung des Vaishesika solchen Vorstellungen verhaftet blieb. Sie kreist immer wieder um das Thema, wie aus einem identisch-Selbigen Verschiedenes und Anderes hervorgeht, ohne doch von diesem Selbigen gedanklich abtrennbar zu sein. Die Substanz verändert ihre Qualitäten oder Bewegungen, der Produzierende legt etwas von sich in die produzierte Sache hinein, das Instrument hinterläßt an der Sache seine Spuren. Dies wird ähnlich der aristotelischen Vier-Ursachen-Lehre nach verschiedenen Ursachen- gruppen klassifiziert. Man spricht etwa von samavayi-karana, der Inhärenz-Ursache im engeren Sinne, von asamavayi-karana, was man gemäß diesen Voraussetzungen dann freilich nicht als nicht-inhärente Ursache, sondern eher als konkomitante Nebenursache übersetzen sollte, schließlich von nimitta-karana was wohl am ehesten der aristotelischen Wirkursache entspricht.

Geht es bei alledem um Veränderungen oder Entstehen von Neuem in der Wirklichkeit, so wird notwendigerweise die Aufmerksamkeit auf dasjenige gelenkt, was der Veränderung oder dem Entstehen vorausgeht: Es ist nicht so, wie das Veränderte, oder es ist nicht da, wie das Hervorgebrachte. Im Abendland und auch in der frühen Vaishesika-Philosophie hat man diesem weniger Beachtung geschenkt, da man von der Wirklichkeit oder dem Vorhandensein der Komponenten oder Faktoren ausging, die im kausalen Integrat vereinigt werden. Der einzige, der wohl im Abendland darauf aufmerksam wurde, Sextus Empiricus, hat seine Einsichten über dies Negative sogleich zu einer vernichtenden Kritik am Kausalitätsdenken benutzt.

Bekanntlich stellte Sextus Empiricus das Zeitverhältnis - wie später Hume - in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zur Kausalität. Ursache kann etwas sinnvollerweise nur sein, wenn es nicht gleichzeitig zur Wirkung ist und umgekehrt. Denn sonst stünden ja zwei Sachverhalte oder Dinge nur nebeneinander. Ist nun Ursache zeitlich von der Wirkung getrennt und unterschieden, so heißt das, daß etwas Ursache ist dann und nur dann, wenn die Wirkung nicht ist. Und ebenso ist Wirkung dann und nur dann, wenn Ursache nicht mehr, d. h. nicht ist. Sextus Empiricus zog daraus den Schluß, daß dadurch Wirkungen aus Nichts erklärt, ebenso Ursachen auf Nichts als ihre Wirkungen bezogen würden, was daher überhaupt nichts erkläre oder begründe. Der Hintergrund dieser Argumentation dürfte die epikureische Auffassung vom universalen Indeterminus und von der Zufälligkeit aller Verhältnisse gewesen sein.

Sextus Empiricus - als Platoniker dere mittleren Akademie - hat aber wohl gesehen, daß der zeitliche Unterschied keineswegs einen Übergang zum puren Nichts begründet, sondern allenfalls die Aufmerksamkeit darauf lenkt, daß die zeitlich vergangene Ursache eine erinnerte Ursache sein muß, ebenso daß die etwa in die Zukunft verlegte Wirkung eine prohairetische (prognostizierende) Gedankenbildung über ein zu Erwartendes sein muß. Er nannte dies "etwas Hinzugedachtes". Beides aber unterstreicht wiederum nur die Tatsache, daß es bei der kausalistischen Zusammenhangskonstruktion um einen begrifflichen Zusammenhang, um eine gedankliche Identitätsbildung gehen muß. (Man wird sich eingestehen, daß diese - platonisch zu nennende - Einsicht auch bis in die modernsten abendländischen Kausalitätstheorien gewöhnlich übersehen wird).

Der spätere Vaishesika hat nun dieses negative Element ebenfalls in seine Betrachtungen einbezogen, indem er positive Begriffe über das Nichtsein, die Abwesenheit bildete und sie für das Kausaldenken nutzbar machte. Man wird nicht fehlgehen, wenn man eine vage Analogie dazu im aristotelischen Begriff der Steresis (privatio-Beraubung, Ausfall), der Abwesenheit von Formen im "potenziellen" Material der Veränderungen wiedererkennt. Aber wie die Entwicklung der Potenzen- und Kräftelehre im Abendland zeigt, ist darin sogleich wieder der positive Gehalt überbetont worden. Der Vaishesika aber entwickelte daraus eine eigene Kategorie der "Abwesenheit des Sein" (abhava) und fügte sie als siebte Kategorie der Kategorienliste an.

VII. Nichtsein (abhava). Wie gesagt, wurde diese Kategorie erst durch die späteren Kommentatoren im Verfolg der Ausarbeitung der Kausalitätsvorstellungen entwickelt. Sie konnten dabei auf Kanadas Unterscheidung von vier Arten von Nichtsein zurückgreifen: 1. Das Nichtsein einer Sache vor ihrer Entstehung. 2. Das Nichtsein einer Sache nach ihrem Untergang. 3. Das "gegenseitige" Nichtsein - als logisches Negieren - gegenwärtig vorhandener Dinge: Jedes bestehende Ding ist das Nichtsein eines anderen vorhandenen Dinges. 4. Das absolute Nichtsein in allen Zeitverhältnissen. (Vgl. K. H. Potter, Hg., Enc. of Indian Philosophies, Vol. II, S. 145.)

Die Diskussionen, die darüber geführt wurden, entfalteten sich im Rahmen der extremen Auffassungen, abhava überhaupt als Kategorie und somit positive Seinsbestimmung zu behandeln, wie es der Vaishesika betrieb, oder es als Kategorie abzulehnen, wie es vor allem die Vedantaschule tat. Es ergab sich eine Spannweite von Interpretationen, die derjenigen zwischen einer ontologischen Auffassung vom Nichts und einer rein logisch-sprachlichen von der Negation entspricht. Ersichtlich neigte der Vaishesika dazu, das Nichtsein zu ontologisieren. Es war dann sinnvoll darüber zu streiten, ob es sinnlich wahrgenommen werden könne oder nur zu denken sei. Wie wir schon zeigten, hat die Nyaya-Erkenntnistheorie eine sinnliche Wahrnehmung der Abwesenheit (asat) als positive Wahrnehmung behauptet und damit dem Vaishesika die Argu-mente zur Verfügung gestellt.

Damit konnte zunächst das von Sextus Empiricus aufgeworfene Problem gelöst werden: Das Nichtsein einer Sache oder eines Dinges vor seiner Entstehung konnte als Ursache des Dinges konstruiert werden; ebenso die Existenz eines Dinges als Ursache seines Nichtsseins nach seinem Untergang. Daneben blieb abhava aber auch eine nichtkausale Bestimmung jedes beliebigen existierenden Dinges: Man diskutierte etwa die "Abwesenheit von Hörnern beim Hasen". Das weist in Richtung der spinozistischen Maxime: omnis definitio est negatio. Denn ersichtlich kann ja jedes Ding durch negierende Beziehung auf andere Dinge (freilich nicht durch Negationen seiner eigenen Gattungsbegriffe oder Eigenschaften) bestimmt werden. Es ist dann Nicht-dieses und Nicht-jenes oder nicht so wie diese oder wie jenes. Das jeweils Positive, auf welches durch die Negation verwiesen wird, heißt dabei pratiyogi. Dabei geriet man auch auf die Frage, ob ein solches abhava selber auch als pratiyogi fungieren, also ein negativer Sachverhalt selbst Gegenstand einer negierenden Verweisung werden könne, mithin, ob man auch sinnvoll von abhava des abhava (vom "Nichtsein" des "Nichtseins") reden könne. Aber das wurde von den meisten verneint. Die darin liegende doppelte Verneinung verweise dann wieder auf ein Positives, ein bhava, zurück.

Man wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, daß diese Liste von Kategorien als allgemeinster Wirklichkeitsbestimmungen durchaus das Ansehen einer Rhapsodie hat. Aus-gehend von gewissen Sichten auf diese Wirklichkeit, hat man diese Sichten mit erheblichem logischem - der Nyaya-Philosophie entstammendem - methodischen Apparat ausgebaut, aber nicht zu einem Ganzen integrieren können. Die Sichten ihrerseits eigneten sich aber sehr wohl, selbst in so etwas wie Super-Kategorien gefaßt zu werden. Solche Super-Kategorien wären dann so etwas wie das wesenhafte Sein, das durch die Substanzen dargestellt werden soll, die sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungsweisen und Manifestationen dieses Seins, welche durch die Eigenschaften und die Bewegungen erfaßt werden, schließlich die Beziehungen, die zwischen alledem bestehen. Dann hätte sich die Frage nach dem Gemeinsamen und mithin nach einem ersten und einzigen Prinzip stellen müssen, das auch diese Super-Kategorien zur Einheit hätte verknüpfen können.

Am Leitfaden solcher Vereinheitlichungsfragen sind jedenfalls die abendländischen Metaphysiken entwickelt worden, und von ihnen kann man daher auch erst sagen, welcher Art "- Ismus" sie sind. Man wird an diesem Fehlen bzw. der Nichtausarbeitung eines solchen Prinzips im Vaishesika ermessen, daß es unangebracht wäre, ihn nun selber auf Biegen und Brechen unter ein solches Prinzip zu stellen und ihn etwa einen allgemeinen Atomismus zu nennen - wie es üblicherweise geschieht und wir auch zur Einführung vorne getan haben. Denn ersichtlich würde dadurch nur die Substanzkategorie totalisiert, die Beiträge und Bestände der Eigenschafts- und Bewegungskategorien und diejenigen der Relationen blieben aber außer acht. Und ebenso wäre es irreführend, den Vaishesika nun als metaphysiche Erscheinungslehre oder etwa auch als allgemeinen Relationismus darzustellen. Alle solche Fassungen wären ihrerseits Interpretationen, die den Vaishesika über die in ihm liegenden Tendenzen hinaus im Sinne abendländischer Metaphysiken fortentwickeln würden.

In der Auseinandersetzung mit den anderen klassischen Schulen und ersichtlich angeregt vom Samkhya finden sich auch im Vaishesika Ansätze zu einer Entwicklungssicht der Gesamtwirklichkeit. Ihre Ausbildung steht im Zusammenhang mit zunehmenden theistischen Komponenten. Ishvara, im Kategoriensystem 10. und oberste Substanz, erhält mehr und mehr eine Sonderstellung, die derjenigen des göttlichen Bewegers und Schöpfers aller Dinge entspricht. Er soll es dann sein, der allen Substanzen: von den Luftatomen bis zum atman und manas die Kraft zum In-die-Erscheinung-Treten (adrsta) mitteilt und damit das Entstehen regiert. Damit ergibt sich das Thema der Entstehung und Schöpfung (srsti) und eines Entwicklungszusammenhanges vom atomar Einfachen zum Komplexen und Höchsten. Gibt es aber Schöpfung und Entwicklung, so muß es auch ihr Gegenteil: Auflösung und Vergehen (pralaya) geben. Es wird ebenso auf Ishvara und sein Eingreifen bzw. seinen göttlichen Beistand zurückgeführt und eröffnet auch im Vaishesika die Dimension, in der Erlösung vom Leiden erwartet und gesucht werden kann. Es ruht dann adrsta, das Streben nach Wirklichkeit, die Komplexionen und Konglomerationen der Substanzen und ihre Verbindungen lösen sich auf, auch Erinnerung und Erkenntnis als solche Verbindungen von Seelen und Körperlichem verschwinden wieder. Und was dann ist, das läßt sich somit auch nicht mehr sagen.

Wohl aber wird noch einiges darüber gesagt, was der Mensch dazu tun kann, um es dahin zu bringen. Und dabei wird so etwas wie eine Vaishesika-Ethik entwickelt.

Der Grundbegriff dieser Ethik ist dharma. Der Begriff selbst entstammt ältesten vedischen Quellen und spielt daher im ganzen indischen Denken eine hervorragende Rolle. Sein Bedeutungsspektrum reicht von Tugend, moralischer Fähigkeit bis zu Gesetz, Norm (vgl. auch R. May, Law and Society in East and West. Dharma, Li, and Nomos, their contribution to thought and to life, Beiträge zur Südostasienforschung Bd. 105, Wiesbaden 1985). Dharma zu haben oder zu üben heißt, in diesem Leben die Bedingungen zu schaffen, sich von der Einbindung in die Karma-Kausalität und in den Kreislauf der Wiedergeburten lösen zu können. Und dazu ist es notwendig, mit seinen natürlichen Neigungen und Trieben in rechter Weise zurechtzukommen, die das menschliche Verhalten und Handeln regieren. Es sind dies iccha, die Neigung zu oder das Angezogenwerden von Dingen, die als angenehm erscheinen, und dvesa, die Abneigung gegen-über dem Unangenehmen. Man könnte auch sagen, dharma bestehe darin, den Verlockungen und Reizen der Welt ebenso zu widerstehen wie dem Ekel, Abscheu oder gar der Angst vor irgend etwas in der Welt. Eine gewisse Parallelität zum stoischen Begriff der ataraxia, d. h. der Unerschütterlichkeit dürfte auf der Hand liegen. Wer aber dharma hat und übt, bei dem stellt sich auch weltliches Wohlsein (abhyudaya) und geistig-seelisches Wohlbefinden (nihshreyasa) ein. Tugend belohnt sich nicht nur durch sich selbst oder durch Erlösungsaussichten, sondern sie ist auch zugleich die weltliche Bedingung glückhafter Lebensumstände.

Darin liegt ersichtlich eine feine und alte soziale Erkenntnis. Wer nicht jedem Wunsch und jeder Neigung nachgibt und sich auch durch Widerwärtiges nicht verdrießen läßt, wer sich weder zu Hohem verlocken noch von Niedrigem abschrecken läßt, der wird Hohes und Niedri- ges mit Gleichmut und um ihrer selbst willen tun. Und das kann nur heißen, daß er darin mehr oder weniger zum Erfolg verurteilt ist.

Um es aber nicht bei einer abstrakten Formel zu lassen, wurde die Dharmalehre auch durch eine Pflichtenlehre ergänzt, die gleichsam die Etappenziele auf dem Weg zum richtigen dharma benennt. Es handelt sich um einen Katalog von dreizehn Pflichten, denen nachzukommen ist:

1. Glaube (shraddha),

2. Schonung des Lebendigen (ahimsa),

3. Wohlwollen gegenüber allen Wesen (bhutahitatva),

4. Vertrauenswürdigkeit (satyavacana),

5. Lauterkeit (asteya),

6. Keuschheit (brahmacarya);

7. Intellektuelle Reinheit bzw. Redlichkeit (anupadha-bhavashuddhi),

8. Selbstkontrolle bzw. "Verzicht auf Zorn" (krodhavarjana),

9. körperliche Sauberkeit (abhisecana),

10. allgemeine Reinlichkeit, Hygiene (shudidravya-sevana),

11. Demut vor dem Göttlichen bzw. Absoluten (vishistadevatabhakti),

12. Fasten (upavasa) und

13. Beachtung der Pflichten selber (apramada).

(vgl. S. Radhakrishnan, Indische Philosophie, Band 2, Darmstadt, Baden-Baden, Genf 1956, S. 171).

Wer nun nach diesen Pflichten lebt und sich so um dharma bemüht, der ist ein Weiser in der Welt (sannyasin). Auch im Westen hat dies als Ideal eines asketischen Lebensstils mittlerweile einigen Anklang gefunden.

§ 17 Die Samkhya-Philosophie.

Die Herkunft der Bezeichnung dieser philosophischen Richtung muß noch immer als unsicher angesehen werden. Von den einen wird auf einen sagenhaften Begründer namens Sankha hingewiesen, andere betonen die etymologische Verwandtschaft mit Samkhya = Zahl und deuten den Samkhya als eine Zahlenphilosophie, die sogar Pythagoras beeinflußt haben sollte (Winternitz: Es scheint mir als bewiesen, daß Pythagoras durch das indische Samkhya beeinflußt wurde", nach S. Radhakrishnan, a. a. O. S. 194). Dabei finden sich hier keinerlei Zahlenspekulationen oder auch nur die Benutzung von mathematischen Elementen, da ja auch die recht früh entwickelte indische Mathematik streng von der Philosophie getrennt gehalten wurde. Am plausibelsten erscheint noch die Deutung, daß die Bezeichnung an den in älteren Texten vorkommenden Begriff Samkhya im allgemeinen Sinne philosophischer Reflexion anknüpft. Die Bezeichnung könnte dann etwa mit "spekulatives System" übersetzt werden.

Als Begründer des Samkhya gilt Kapila, den man ins 6. Jahrhundert v. Chr., also noch vor Buddha ansetzt. Auf Kapila werden insbesondere gewisse Argumentationen gegen die vedischen und upanishadischen Gottesvorstellungen, wie sie in Griechenland von Xenophanes gegen die homerisch-hesiodischen Götterbilder bekannt sind, zurückgeführt und daher auf eine "atheistische" Grundeinstellung des Samkhya geschlossen, die dann von Buddha übernommen worden sein soll.

Die schriftliche Überlieferung des Samkhya beginnt erst mit einem Samkhya-Karika des Ishvarakrishna, welches spätestens um 560 n. Chr. angesetzt wird, weil es um diese Zeit von Paramartha ins Chinesische übersetzt und kommentiert wurde. Doch mag es auch einige Jahrhunderte älter sein. An dieses Werk knüpfen Kommentare von Mathara, Gaudapada und Vacaspatimishra (9. Jh.) an. Des letzteren "Mondschein der Samkhya-Wahrheit" genießt besondere Autorität. Von den späteren sei noch Vijnanabhikshu (um 1650) genannt.

Literatur: V. G. Furtado, Classical Samkhyaethics: A Study of the ethical perspectives of Isvarakrishna's Samkhyakarikas (Religionswissenschaftliche Studien, 21), Würzburg 1992; M. Hulin, Samkhya literature (A History of Indian Literature, 6, III), Wiesbaden 1978; S. G. M. Weerasinghe, The Samkhya Philosophy: A critical evaluation of its origin and development (Sri Garib Dass Oriental Series, 167), Delhi 1993, G. J. Larson, Classical Samkhya: An Interpretation of its History and Meaning, 2. Aufl. Delhi 1998.

Wie die übrigen Darshanas knüpft auch der Samkhya an bestimmte Themen, Motive und Grundbegriffe der Upanishaden und der vedischen Überlieferung an. Aber wichtiger erscheint für die Besonderheit des Samkhya, daß er gewisse Probleme thematisiert, die die Richtungen des Nyaya und des Vaishesika offengelassen, ja zu denen sie im Ergebnis ihrer Arbeit erst hingeführt hatten.

Hier ist zunächst das Problem der Vereinheitlichung der im Vaishesika kategoriell unterschiedenen Substanzen und ihrer Differenzierung mittels der Eigenschaften (gunas) zu nennen. Der Samkhya zieht neun der vom Vaishesika unterschiedenen Substanzen (dravyas) zu einer einzigen und einheitlichen Grundsubstanz - der prakriti - zusammen und läßt sie durch nur drei gunas zu verschiedenartigen Erscheinungs- und Verwandlungsformen bestimmt werden. Die Manifestationsgestalten dieser Grundsubstanz aber verknüpft er wieder in einem kausalen Evolutions- und Involutionszusammenhang. Dieser prakriti-Grundsubstanz aber stellt er die zehnte Substanz des Vaishesika, nämlich das Geistige oder Göttliche (Ishvara) als ein zweites unabhängiges Prinzip gegenüber. Seine Bezeichnung purusha (in den Veden der "Urmensch", aus dessen Teilen der Kosmos gestaltet wird) läßt noch erkennen, daß damit aller objektiv erscheinenden Wirklichkeit ein Subjektives bzw. ein subjekthaftes Prinzip gegenübergestellt wird, das auch als der "Betrachter" oder als "Bewußtes" umschrieben wird. In dieser dualistischen Prinzipientrennung scheint jedenfalls dasjenige thematisiert worden zu sein, was auch in der abendländischen Philosophie seit Parmenides als Subjekt-Objekt-Spaltung Dauerthema geblieben ist. Anders als in abendländischer Reflexionsphilosophie wird im Samkhya die grundsätzliche Nichtobjektivierbarkeit dieses Subjekt-Prinzipes betont. Daher kann über purusha im Samkhya nur vergleichsweise wenig, und dies wenige (ähnlich wie in abendländischer negativer Theologie) vorwiegend nur in negativen Ausdrücken gesagt werden.

Dabei dürfte es von besonderer Wichtigkeit sein, daß auch alles dasjenige, was man im Abendland an "psychischen Vermögen" oder gar an "physiologischen Substraten" des Bewußtseins oder der Subjektivität vorauszusetzen und zu diskutieren gewohnt ist, im Samkhya grundsätzlich der prakriti zugeteilt und keineswegs auf purusha bezogen wird. Es dürfte daher auch eine Inkonsequenz im System sein, daß der frühe Samkhya entsprechend der Einheit und Einzigkeit der prakriti die Einheit und Einzigkeit des purusha, der spätere Samkya aber seine Vielheit - etwa im Sinne Leibnizscher Geistmonaden - behauptet, da ja auch zahlenmäßige Bestimmungen grundsätzlich nur auf die prakriti und ihre Manifestationen bezogen werden sollen. Aber diese Unklarheiten haben schon in den vedischen Bestimmungen des atman, des "Selbsts" ihre Muster, und nicht weniger stellen sie auch in den abendländischen Bestimmungen des Verhältnisses des einen Gottes zum Göttlichen in den Geistern und Seelen (oder in Leibnizens Konzeption der Zentralmonade im Verhältnis zu den geschaffenen Monaden) ein perennes Problem dar.

Wird dadurch das Geistige in die denkbar fernste Transzendenz von der prakriti, der erscheinenden Wirklichkeit, gerückt und zugleich mit demjenigen identifiziert oder verschmolzen, was man als das Eigentlichste und Unhinterfragbare des menschlichen Bewußtseins ansehen kann, so kann man die Samkhya-Lehre vom purusha auch als eine mystisch-pantheistische Theologie ansprechen. Und es erscheint dann nicht verwunderlich, daß der Samkhya eben deswegen als eine atheistische Philosophie verschrien wurde. Xenophanes, vielen scholastischen Mystikern und noch Spinoza ist es hierin nicht besser ergangen, als sie den anthropomorphen Gottesbildern ihrer Zeit ein metaphysisches göttliches Prinzip entgegenhielten, das auch anspruchsvoller philosophischer Spekulation standhielt. Daß sich mit dieser purusha-Lehre religiöse bzw. theologische Ansprüche verbanden, zeigt sich darin, daß auf ihr auch die Samkhya-Heils- und Erlösungslehre beruht. Ihr Grundgedanke ist, daß purusha eben nur er selbst sein und sich von aller Annäherung oder gar Involvenz in die prakriti-Manifestationen enthalten muß.

Soweit der Samkhya die prakriti und den purusha als zwei Prinzipien unvermittelt einander gegenüberstellt, muß man ihn als eine dualistische Metaphysik deuten. Dies ist im Rahmen und auf dem Hintergrund der monistischen vedischen Traditionen eine auffallende Besonderheit, gegen die sich die übrigen Darshanas, insbesondere der Advaita ("Nicht-Zweiheit") wenden. Und auch der spätere Samkhya zeigt immer wieder Tendenzen, den Dualismus zugunsten eines Monismus zu überwinden, indem purusha als das höhere und letztlich bestimmende Prinzip in den Vordergrund gerückt wird.

Daß der Samkhya aber beim Ziehen dualistischer Konsequenzen aus der vedischen Traditionslage nicht allein stand, sieht man an den ältesten Dokumenten der persischen Literatur und Religion, dem sog. Awesta. "Man kann sagen, daß hinsichtlich des Formenreichtums und des Charakters der syntaktischen Konstruktionen die awestische Sprache ganz dem Niveau der altindischen vedischen Sprache entspricht, namentlich in den Texten, die wir mit größter Wahrscheinlichkeit der ersten Zeit des mazdaistischen Glaubens zuschreiben. Diese Texte, die in Versen verfaßt worden sind, heißen Gathas ("gesungene Strophen") und werden dem Zara- thustra selbst zugeschrieben" (Otakar Klima in: Jan Rypka, Iranische Literaturgeschichte, Leipzig 1959, S. 8). Die awestischen Texte wurden wahrscheinlich erst im 4. Jahrhundert n. Chr. unter den Sassaniden aufgezeichnet, aber man hat Grund zu der Annahme, daß Zarathustra, dessen Lehre sie wiedergeben, selbst ins 6. Jahrhundert v. Chr., also in die Zeit des Kapila, zu datieren ist. Vieles spricht dafür, daß in dieser Zeit die Perser das vedische Sanskrit noch als dialektale Variante ihrer eigenen Sprache gut verstehen konnten. Und so wäre auch ein lebhafter Ideenkommerz zwischen den verwandten indogermanischen Stämmen anzunehmen.

Zarathustra setzte bekanntlich dem guten Lichtgott Ahura Mazdah den Herrn der Finsternis und des Todes Angra Manyav gegenüber. In den awestischen Versen klingt das so:

Die beiden Geister zu Anfang, die sich durch ein Traumgesicht als Zwillingspaar
offenbarten, sind das Bessere und das Böse in Gedanken, Wort und Tat.

Und zwischen ihnen beiden haben die Verständigen
die rechte Wahl getroffen, nicht die Unverständigen.

Und als diese beiden Geister zusammentrafen,
da setzten sie fürs erste das Leben und das Nichtleben fest, und daß zu Ende
der Dinge den Drug-Genossen das böseste Dasein, aber dem Asa-Anhänger
der beste Aufenthalt zuteil werden sollte.

(vgl. Chr. Bartholomae, Die Gathas und die heiligen Gebete des altiranischen Volkes,
Halle 1879; ders.: Die Gathas des Avesta, Straßburg 1905 - nach O. Klima, ibid. S. 6).

Aber selbst in diesem anerkannt dualistischen Mazda-System und seinen manichäischen Nachfolgern blieb es nicht aus, daß der gute Gott letztlich wieder die Oberhand behielt und alles Dunkle, Böse und Teuflische irgendwo in die Heerscharen dieses Oberherrn eingereiht wurde. Der Teufel behält auch in dualistischen Religionen ebenso wenig das letzte Wort, wie in den Metaphysiken ein dualistisches Gegenprinzip.

1. Die Lehre von der Prakriti. Die Prakriti wird als eine "ewige Kraftsubstanz" beschrieben. Als Substanz ist sie Träger von Eigenschaften und Erscheinungsweisen, welche ihrerseits einen Evolutions- und Involutionszusammenhang aufweisen. Als Kraft ist sie etwas, was ständig Wirkungen hervorbringt. Auch Aristoteles hatte in seiner Substanzlehre schon dieses Moment der Kraft (dynamis, potentia) in die Substanzen hineinverlagert, wenn auch sein Begriff von der Dynamis mehr ein passives Angelegtsein auf die Aufnahme und die aktive Prägung durch die Formen bedeutete. Erst in Verbindung mit diesen Formen ergibt sich der Begriff der "Energie" (energeia = beim Werke sein, wörtlich auch: Wirklichkeit; lat. actus = Tätigsein), der in neuzeitlicher Ontologie und Naturwissenschaft unsere Vorstellungen von der Grundsubstanz der Wirklichkeit so nachhaltig geprägt hat. Ersichtlich ist derartiges, was im Abendland erst so spät durch große spekulative und einzelwissenschaftliche Anstrengungen entwickelt worden ist, mit der prakriti gemeint: eine einheitliche Grundsubstanz, die die Züge des modernen Energiebegriffes hat (vgl. auch: K. A. Jacobsen, Prakrti: The principle of matter in the Samkhya and Yoga systems of religious thought (Asian Thought and Culture, 30), Würzburg 1997).

Als metaphysisches Grundprinzip ist Energie bekanntlich von den Monisten um Ernst Haeckel und Wilhelm Ostwald aus dem bis dahin die Naturwissenschaften leitenden Materiekonzept entwickelt worden, und ersichtlich haben diese energetischen Konzeptionen wiederum auch die metaphysischen Materialismen - sei es den dialektischen oder den westlich naturwissenschaftlichen Materialismus - zu ihrem dynamischen Materiekonzept gebracht. In dieser Richtung wird man den Sinn dessen, was mit prakriti gemeint sein kann, zu suchen haben. Aber Kraft und Energie muß wirken, um sichtbar, erkennbar und damit manifest zu werden. Es stellt sich das Problem der Erklärung des Überganges von einer "potentiellen" zu einer "aktuellen" energetischen Lage dieser Ursubstanz. Und ganz analog zu modernen Überlegungen konstruiert die prakriti-Lehre dies als Übergang von Gleichgewichts- zu Ungleichgewichtslagen innerhalb der Substanz.

Das begriffliche Material für diese Konstruktion sind nun die aus dem Vaishesika bekannten gunas (Qualitäten). Sie werden im Samkhya auf drei reduziert: es gibt nur noch sattva, raja und tamas. Sattva (etymologisch mit "sat" = seiend, auch vollkommen, zusammenhängend) bezeichnet dasjenige, was der manifesten Wirklichkeit Gestalt, Form, "Seinsvollkommenheit" verleiht. Alles was mit dem Guten, Glücklichen, Lichten und Heiteren umschrieben werden kann, geht auf sattva zurück. Rajas ist dagegen eine Bewegungs- oder Veränderungsgröße. Es ist für manifestes Tun, für die Veränderung, somit auch für das "Leiden" - "die Leidenschaftlichkeit" des Erscheinenden verantwortlich. Damit ist es auch der Antagonist zum tamas, welches für alles Dunkle, Schwere, Hemmende, Widerständliche steht: modern gesprochen eine Trägheitsgröße.

Diese drei Bestimmungen oder Momente an der prakriti hängen zusammen, so wird in einem schönen Gleichnis gesagt, wie Flamme, Öl und Docht bei der Lampe. Das Vorherrschen einer von ihnen bestimmt jeweils einen hervorstechenden Zug an den Einzelerscheinungen der Wirklichkeit: Sattva gibt offenbarende oder manifeste Gestalt (prakasa), rajas gibt Aktivität, Veränderung, Handeln (pravritti), tamas das Ansichhalten, die Schwere und Trägheit (niyamana). Herrscht aber keine vor, so bleiben sie in einem sich nach außen hin nicht manifestierenden dynamischen Gleichgewicht (samvavastha), das gleichsam interne Konstellationsveränderungen nicht ausschließt. Erst die Störung des Gleichgewichts (gunaksobha) erzeugt Manifestation.

Diese Manifestation der prakriti hängen nun ihrerseits wieder in einer Evolutionsreihe zusammen. In ihr ist all das wieder zusammengestellt, was auch der Nyaya und der Vaishesika kategoriell unterschieden hatten. Die Evolutionsreihe sieht so aus:

1. Die Buddhi, Vernunft, am ehesten ein Weltpneuma im stoischen Sinne,
2. Der ahamkara, wörtlich "Ich-Macher", Individualisator des psychischen Substrates von Bewußtsein,
3.- 9. Die fünf tanmatra-Elemente Äther, Luft, Feuer, Wasser, Erde und die aus ihnen gemischten sichtbaren Dinge (bhuta).
10. Das manas, eine Art sinnengebundenes Denken, Phantasie,
11.- 15. Die fünf Sinne (buddhindrya),
16.- 20. Die fünf Tatsinne oder Vermögen (karmendrya): Sprechen, Greifen, Gehen, Entleeren, Zeugen.

Im einzelnen gibt es bei verschiedenen Vertretern des Samkhya verschiedene, zuweilen auch parallel geführte Reihungen, insbesondere bei der Zuordnung der tanmatras und der Sinne. Man sieht daran, daß eben die Aufstellung der Evolutionsreihe selber eines der wesentlichen Problemfelder und Erkenntnisziele des Samkhya darstellte.

Daß dieser Zusammenhang Evolution genannt wird, dürfte selber schon eine abendländische Deutung sein, denn es gibt dafür keine Sanskritbezeichnung. Und dabei ist der Terminus Evolution selber für vielerlei Interpretationen offen. Seit Leibniz, der ihn wahrscheinlich unter dem Vorbild des neuplatonischen Emanationsgedankens stilisierte, blieb er eher ein Verlegenheitsetikett, mit dem ein recht widersprüchliches Verhältnis von objektiv identischer Substanzialität und (zeitlich) erscheinender Nicht-Identität belegt wurde. Im Emanationsgedanken (Herausfließen aus einer Quelle) blieb das Wasser der Quelle in allen seinen kaskadenhaften Verzweigungen dasselbe göttliche Sein, und doch sollte es als "geschaffenes" und "Herausgeflossenes" von der Quelle auch verschieden sein. Die Richtung des Fließens aber führt zum Dünneren, Unwesentlicheren, bis es sich im Nichtigen verliert. Im modernen Evolutionsgedanken wird die Richtung - nominalistisch-empiristisch - umgekehrt. Nun ist das Feine, Dünne, ja Unsichtbar-Verborgene der Ausgang, und dieses bleibt das Identische, die Grundlage für Vergröberungen, Sichtbarwerdungen, Unterschiedlichkeiten, Differen-zierungen, die gleichwohl in einem Identischen integriert bleiben. Die Buchrolle, die alles schon enthält, aber erst beim Aufwickeln (evolvere) ihren Inhalt sicht- und lesbar macht, blieb hier immer das Denkmodell.

Mit eben denselben Bestimmungen wird nun aber auch im Samkhya beschrieben, was den Zusammenhang der Manifestationen der prakriti ausmacht Es handelt sich um Übergänge vom Feineren zum Gröberen, vom Unsichtbaren zum Sichtbaren, aber immer so, daß das Spätere im Früheren angelegt, schon wirklich ist und in der Evolution nur neue Seiten offenbart. Die Parallelität zum sog. Präformationsgedanken (Einschachtelung, enkapsis), wie er ebenfalls von Leibniz entwickelt wurde, liegt auf der Hand.

Damit wird aber auch der Kausalitätsgedanke neu definiert, mit welchem dieser Zusammenhang sonst begrifflich erfaßt wird. Der Samkhya muß behaupten, daß zwischen Ursache und Wirkung Identität besteht, daß die Wirkung jeweils schon in der Ursache enthalten ist. Diese Identität in eine Verschiedenheit auseinanderzulegen, ist Sache eines Betrachters, der sich selbst schon als eine solche Evolutionsmanifestation von seinem Betrachtungsgegenstand unterschieden hat. Dieser Unterschied manifestiert sich als Zeitablauf, in welchem daher der Veränderungszusammenhang eingebettet erscheint, ebenso wie auch der Betrachter und Erken- ner sich dabei als in zeitlicher Veränderung befindlich erfährt. Vom weisen Yogi aber wird gesagt, daß er gerade die Zeit und ihre Momente (ksana) gleichsam überspringen könne, alles auf einmal direkt in der prakriti zu erkennen.

Wird auf diese Weise im Samkhya Entstehen, Wachstum und der Zusammenhang vom Feineren zum Gröberen als Evolution erklärt, so besteht auch Bedarf, das Vergehen, die Rückbildung, den Übergang von Gröberem zum Feineren bis zum Verschwinden zu erklären. Auch dies geschieht auf der Grundlage der guna-Konstellation. Geraten sie untereinander in ein Gleichgewicht, so verschwindet das, was durch das Vorherrschen des einen von ihnen bedingt war. Und das kann man eine Involution nennen, durch die auch Leibniz das sog. manifeste Vergehen und insbesondere den "Tod" der Lebewesen erklärt hatte. Auch dabei ist klar, daß es nicht um ein absolutes Verschwinden im Nichts gehen kann, denn prakriti bleibt immer und ewig - soweit man das überhaupt in zeitlichen Begriffen so nennen kann - bestehen. Damit wird auch durch die prakriti-Lehre des Samkhya das vedische Motiv vom Samsara, dem ewigen Kreislauf der Dinge, erst recht auch das vom Karma, dem Kausalzusammenhang aller Manifestationen, unterbaut und weiter ausgeführt.

2. Die Lehre vom purusha. Der purusha ist im Samkhya das Gegenprinzip zur prakriti. Das heißt in erster Linie, daß es nicht prakriti oder nicht so wie bei prakriti ist. Und da alles Erkenn- und Sagbare sich ausschließlich auf die prakriti und ihre Manifestationen bezieht, so kann dies Gegenprinzip eigentlich nur in Negationen aller positiven Bestimmungen der prakriti erfaßt werden. Wir sprachen eingangs von einer Parallele zur sog. negativen Theologie des Abendlandes. In der Tat sind auch viele Bestimmungen des purusha Negationen der Prakritimanifestationen: Er ist reine Nicht-Objektivierbarkeit, Nicht-Aktivität und auch Nicht-Leidenkönnendes, Nicht-Manifestierbares usw., zusammengefaßt: er ist Nicht-Purusha.

Aber weder im Samkhya noch in der abendländischen negativen Theologie war man in dieser Hinsicht konsequent. Neben die negativen Bestimmungen treten doch auch positive, die von den Bestimmungen der prakriti hergenommen sind. Da sie von dieser abgenommen und auf ein ihnen ganz heterogenes Feld angewandt werden, werden diese positiven Bestimmungen naturgemäß zu Analogien, Metaphern, "Quasi-Bestimmungen", eigentlich so zu nennenden mythologischen Gleichnissen. Purusha wird so als "reines ruhiges Bewußtseinslicht", als "bloßer Betrachter oder Zeuge" beschrieben, der der Prakritimanifestation zuschaut. Die logische Struktur bedingt es, daß die positiven Bestimmungen als Metaphern zugleich und in gleicher Hinsicht gelten und auch nicht gelten, mithin, daß sie dialektisch und widerspruchsvoll sind. Auch diese Charakteristik teilt die Purusha-Lehre des Samkhya mit den dialektischen "Dogmen" abendländischer positiver Theologie, die man dieser logischen Eigenschaft wegen immer für "übervernünftig" gehalten hat.

Aber dies betrifft gewissermaßen die innersystematische Struktur des Redens über purusha. Aus der Vorgeschichte und den Traditionen vedischen Denkens und insbesondere aus den Vorleistungen des Vaishesika kann man ableiten, daß es sich bei dem Gemeinten um Atman oder das Selbst, das Wesen von Bewußtsein überhaupt handelt, ebenso auch um die 10. Restsubstanz des Vaishesika: Ishvara oder das Göttliche schlechthin. Von daher treten auch im Samkhya wieder dieselben Probleme der Bestimmung dieses Prinzips auf. Und bei vielen derselben blieb es bei Meinungskontroversen. Das gilt in erster Linie schon für die zahlenmäßige Bestimmung von purusha: Ist es eines oder ist er vieles oder gar unendlich vieles? Man beachte, daß auch bei Zahlenbestimmungen die logische Negation und somit die Dialektik ins Spiel kommt. Ist die prakriti eine, so kann purusha nicht einer sein, und das mag man Vielheit oder gar Unendlichkeit nennen. Und da er auch dieses nur gleichnishaft (nach Maßgabe von prakriti-Manifestationserfahrungen) sein kann, so kann er zugleich Vieles, Unendliches und Eines sein. In der Entwicklung des Samkhya stellt man nur fest, daß am Beginn die Einheit, später mehr die Vielheit oder Unendlichkeit von purusha betont wurde. Auf die parallele Problematik der Bestimmung des Geistig-Göttlichen in der abendländischen Theologie oder bei Leibniz (Zentralmonade, Einzelmonaden) wurde schon hingewiesen.

Diese Dialektik der Bestimmungen setzt sich auch in der so wesentlichen Bestimmung des Verhältnisses von purusha und prakriti zueinander fort. Karma-Kausalität herrscht im Bereich der Prakriti-Manifestationen, im Evolutionszusammenhang. Da purusha außerhalb desselben steht, ist er weder Ursache noch Wirkung, wie mit allem Nachdruck betont wird. Aber zugleich wird auch behauptet, daß purusha es ist, welcher die Gleichgewichtslage der gunas in der prakriti stört und damit die Evolutionsmanifestation anregt oder bewirkt. Er tut es allein durch seine Gegenwart - wie der Magnet, der das Eisen anzieht. Ein anderes Bild für das Verhältnis von prakriti und purusha ist das vom Blinden und Lahmen: prakriti ist blind, aber beweglich, purusha sieht alles, aber er bewegt sich nicht. Beide zusammen kommen gut miteinander fort. Wieder ein anderes Gleichnis besagt, daß purusha alles durchdringe: "wie der Kristall rot wird, wenn man eine Hibiskusblüte dahinterhält". Insbesondere vergeistige purusha so den Körper und die psychischen Kräfte, so daß sie wie individuelle Selbste erscheinen.

In positiven Bestimmungen werden auch acht Zustände (bhava) des purusha angegeben, die er jeweils annehmen kann, und die je nach Qualität und Intensität sein Schicksal der Annäherung und Entfernung an die Prakriti bezeichnen. Es sind dies

1. Tugend (dharma) und Lasterhaftigkeit (adharma),

2. Erkenntnis (jnana) und Nichterkenntnis (ajnana),

3. Entsagung (vairagya) und Nichtentsagung (avairagya),

4. Besitz übernatürlicher Fähigkeiten (aishvarya) und Nichtbesitz derselben (anaishvarya). Das Innehaben der positiven Zustände führt zur Erlösung (moksa), die negativen zur Einbildung ins Samsara, die Kette der Wiedergeburten.

Als "theoretische" Philosophie favorisiert der Samkhya unter diesen Zuständen natürlich denjenigen der Erkenntnis. Ihr Ziel ist die Einsicht des purusha gegenüber jeder erkannten prakriti-Manifestation: "Das bin nicht ich, das gehört nicht zu mir!". Und zu dieser Einsicht, so wird betont, kann sich der Weise durchaus erheben. Die gewonnene Einsicht ist schon die Trennung des purusha von der prakriti, selbst wenn der Weise noch in einem Körper weiterlebt, "wie eine angedrehte Töpferscheibe noch weiterläuft". Der purusha "verharrt dann, ohne zu schauen". Er ist dann "wie ein Spiegel, in den kein Reflex mehr fällt".

Ein besonderes Problem stellt das Verhältnis des Samkhya zur vedischen Götterlehre dar. Wir wiesen schon darauf hin, daß er vielfach als eine atheistische Philosophie bezeichnet worden ist, zugleich aber auch, daß er hierin eher mit der Einstellung des Xenophanes gegenüber den homerischen Götteridolen zu vergleichen ist. Einerseits stellt man fest, daß der Samkhya die überlieferten Gottheiten als "gewordene Herren" (janyeshvaraq, karyeshvara) deutet, als purusha, die noch in dem Wahn stehen (abhimana), bestimmte prakriti-Manifestationen seien ihr eigenes Selbst - so wie die menschlichen Bewußtseine gewöhnlich ihren Körper für ihr Selbst halten. Sie regieren als "Herren" diese Manifestationen, so der Mondgott das Manas, der Sonnengott das Sehen, der Feuergott die Rede usw. Daher hat auch der Samkhya nichts dagegen, daß man etwa Brahma, Vishnu und Shiva in Tempeln verehrt, denn man verehrt in ihnen purusha. Bezüglich der ihnen dargebrachten Opfer ist man aber kritischer. So heißt es etwa bei Mathara: "Wenn man den Himmel durch Opfer erreicht (besser: erreichen will), bei welchen man Bäume fällt, Tiere tötet und blutigen Schmutz hervorruft, wodurch kommt man dann in die Hölle?" (nach H. Glasenapp, a. a. O. S. 215).

Andererseits finden sich in diesem Zusammenhang Argumente, die man geradezu negative Gottesbeweise oder auch Anti-Gottesbeweise nennen könnte, und die auch dafür genommen worden sind. Sie richten sich gegen die Vorstellungen von einem höchsten und einzigen Gott, wie er als Ishvara verehrt wurde. Mathara und Gaudapada argumentieren etwa: Es gibt keinen Platz für so etwas wie Ishvara, da es nur erlöste und unerlöste purushas gibt. Wäre Ishvara erlöster purusha, so könnte er die prakriti nicht erschaffen. Wäre er unerlöst, so wäre er samsara unterworfen und damit nicht einmal purusha. Vacaspatismishra argumentiert: Es gibt keinen Gott, der aus Egoismus die Welt geschaffen hat, denn sonst würde ihm etwas fehlen, und er wäre deshalb kein Gott. Auch aus Güte kann ein Gott nicht die Welt geschaffen haben, denn dann hätte er auch Leid und Übel miterschaffen, was ganz ungöttlich sei (vgl. dazu das Leibnizsche Theodizieeproblem). Leid und Übel sind aber besser aus der prakriti-Manifestation zu erklären.

Wie man sehen sollte, setzen solche Argumentationen aber purusha voraus, an dem gemessen alle vedischen Göttervorstellungen nur schlechte Idole sind. Man wird daher eher behaupten, daß der Samkhya durch solche Argumente wesentlich zu einer höheren Gottesvorstellung im indischen Denken beigetragen hat, die jede immanentistische Modell-Metaphorik ablehnt. Daß derartiges angesichts der vedischen und später allgemein verbreiteten Kulte Indiens den Frommen als ebenso anstößig gelten mußte, wie im christlichen Abendland die Kritik am überlieferten Anthropomorphismus der Gottesbilder, und daher gerne als atheistisch diskriminiert wurde, liegt auf der Hand.

Der Samkhya dürfte im indischen Denken spekulativ an diejenigen Grenzen gestoßen sein, die auch im abendländischen Denken bisher nicht überschritten werden konnten. Sie erge-ben sich aus der dem sog. natürlichen Bewußtsein eigentümlichen Gegenüberstellung von Objekt und Subjekt und der darin liegenden Aufgabe, ihre jeweilige Natur und ihren Zusammenhang zu klären. Ersichtlich artikulieren die Lehren von der prakriti und vom purusha diese Gegen-überstellung ganz richtig und jedenfalls besser als abendländische Subjekt-Objekttheorien. Denn sie vermeiden den im Abendland immer wieder begangenen Fehler, das Subjekt in einer Weise und Sprache zu thematisieren, die es selber wieder zum Objekt macht. Daraus ergeben sich ja alle neuplatonischen Auffassungen vom "Geist an sich", der in irgendeiner Transzendenz ebensowohl vom Objekt wie auch vom Subjekt verharren soll und damit zugleich wieder Subjekt und auch nicht Subjekt ist.

Abendländische Subjektstheorien, die diesen Fehler vermieden haben, sind in der Tradition der Mystik entwickelt worden. Und diese haben bekanntlich seit jeher schlechte Presse. Ihre Bemühungen kreisen alle darum, die letztliche Einheit - unio mystica - von Subjekt und Objekt darzutun, und sie differieren erheblich in der Art und den Mitteln, mit denen sie dies versuchen. Dabei spielt auch das Verfahren, die theoretische Subjekt-Objektspaltung "praktisch", also durch Praxis oder durch gewisse Praktiken zu überwinden, eine hervorragende Rolle. Wir werden auch solchen Verfahren in der anschließenden Yoga-Philosophie wieder begegnen.

Man hat auch im Abendland gewöhnlich übersehen - eben wegen der schlechten Reputation der Mystik in philosophischen und erst recht einzelwissenschaftlichen Kreisen - was es in dieser Hinsicht bedeutet, daß Descartes, der neuzeitliche Neuformulierer der Objekt-Subjekt-Spaltung, den wesentlichen Charakter des Subjekts als Denktätigkeit (cogito) bestimmte. Damit wurde ja - in idealistischer Einheitstendenz - der wesentliche Charakter des Objekts, die Ausgedehntheit (extensio), zum Inhalt oder vielmehr zum Konstrukt solcher Denkpraxis. Diesen idealistischen Ansatz hat bekanntlich Leibniz weiter ausgeführt und damit die Weichen zum sog. deutschen Idealismus gestellt. Aber durch diese Betonung der Aktivität des Subjekts wurde im europäischen Idealismus das Objekt gleichsam vergewaltigt und letztlich vernichtet. Es wurde verunmöglicht, was schon im alten Platonismus als Schulforderung aufgestellt worden war: Die Phänomene zu retten. Diese Forderung bedeutet unter anderem ja auch, der Eigenständigkeit des Objekts in irgendeiner Weise gerecht zu werden. Von daher ist nun wiederum die große Leistung des Idealisten George Berkeley einzuschätzen, der zwar die Tätigkeit des Subjekts, dabei aber die wesentlich passive Seite herausstellte. Sein metaphysisches Prinzip "esse = percipi" dürfte am ehesten im europäischen Denkraum dasjenige formulieren, was als Tendenz im Samkhya anliegt. Das "esse" (Sein, sinnliche Wirklichkeit, Objekt) ist und existiert nur dadurch, daß es von einem Zuschauer wahrgenommen wird, also in seinem "percipi". Die Passivform des percipere aber drückt angemessen aus, daß das Subjekt, solange es überhaupt Subjekt ist, sich diesem Wahrnehmen nicht entziehen kann. Und damit werden natürlich die Sinnesphänomene, das Objekthafte, in ihrer Eigenständigkeit "gerettet". Deutet man nun das "est" (Berkeley formuliert sein Prinzip als "esse est percipi"!) in der Berkeleyschen Formel als echte Kopula, wie es meist der Fall ist (und nicht als Äquivalenz, wie wir es für angemessen halten), so kann das logisch nur heißen, daß das esse als Objekt nur eine Art von Subjekt, also des Percipierenden, ist; und es muß aus logischen Gründen die Frage übrigbleiben, ob es noch eine oder mehrere andere Arten von "percipi" gibt, die nicht als "esse" spezifiziert sind.

Hätte es Berkeley dabei belassen - und damit bei der ersten Auflage seines berühmten Treatise concerning the principles of human knowledge von 1710 - so hätte er wohl recht adäquat formuliert, wie weit auch der Samkhya in seiner Spekulation gekommen war. Die prakriti ist das Seiende, das wahrgenommen wird, und das Wahrgenommenwerden verweist auf purusha als auf den Zuschauer, durch welchen wahrgenommen wird. Über diesen - er wird logisch als höchste Gattung gefaßt - läßt sich dann auch nicht mehr sagen, was "sein" selber sein könnte, denn dies würde eine noch höhere Gattung voraussetzen. Sein passives "Zuschauen" (percipi) ist zugleich sein einziges Sinnmerkmal, welches als generisches Merkmal auch in seinen Artbegriffen - bei Berkeley im "Sein", im Samkhya in der prakriti - enthalten sein muß.

Wie man weiß, hat Berkeley - in neuplatonischer Tradition stehend - doch weiter darüber spekuliert, was dieses "percipi" noch weiter "sein" könnte und dazu die alte Geisthypostase als Gottesbegriff bemüht. "Zuschauen" war ihm dann das Gegenteil von aktiver Willensbekundung, und er suchte daher - in gut augustinischer Weise - den göttlichen Geist als aktives Willenswesen zu bestimmen, das seinerseits den (menschlich beschränkten) Zuschauer die von Gott willentlich hervorgebrachten Ideen sehen läßt. Hier fließt die Berkeleysche Theorie mit der Theorie von der "Schau aller Dinge in Gott" des Malebranche zusammen; entsprechend entfernt sie sich von den Bestimmungen des Samkhya-purusha. Und doch blieben, wie wir schon sagten, auch für diesen wenigstens tendenziell Bestimmungen im Spiel, die auf seine Erfassung als ein geistiges und göttliches Wesen - Ishvara - abzielten. Nicht von ungefähr teilen beide - der Samkhya wie auch Berkeley - das Schicksal, von den einen als eigentlich atheistisch, von den anderen als spekulativ-theistisch ausgelegt zu werden. Und das dürfte ja seinerseits ein Kennzeichen großer Meta- physik, die sich forschend an den Grenzen des Erkenn- und Sagbaren umtut, sein.

§ 18. Die Yoga-Philosophie.

Unter den sechs Darshanas der indischen Philosophie ist die Yoga-Philosophie diejenige, der es im wesentlichen um die praktische Erreichung von moksa, also Erlösung und Heil geht. Sie ist eine Theorie derjenigen Praxis, die zum Heil führen soll, und das war und ist gemäß den vedischen Traditionen Meditation: die Beschäftigung des Geistes mit sich selbst und die dadurch erhoffte Lösung des Geistes von allem Materialen und Phänomenalen der sinnlichen Wirklichkeit. Sie macht sich dabei die theoretischen Einsichten der übrigen Darshanas, insbesondere aber des Samkhya, als dessen praktische Seite sie vor allem gilt, zunutze. Die meditative Praxis des Yoga ist im Lichte der Samkhya-Einsichten wesentlich darauf gerichtet, purusha reinlich von der prakriti loszulösen und ihn damit zu erlösen.

Die Bezeichnung "yoga" ist etymologisch verwandt mit dem lateinischen "iugum" und dem deutschen "Joch". Gemeint wird damit das "Anschirren" von Zugtieren, übertragen: das Anspannen der Kräfte, die Konzentration. Als denkerische Anspannung wird das zur "Andacht", eben zu dem, was man auch im abendländischen Denken in mystischer Versenkung und in Meditation betreibt. Dafür war im christlich-neuplatonischen Denken immer die augustinische Weisung maßgebend: "noli foras ire, in te ipsum redi, in interiori homine habitat veritas" (wende dich nicht nach außen, kehre in dich selbst ein, im inneren Menschen wohnt die Wahrheit). Und weiter, wenn man dahin gelangt sei: "transcende te ipsums" (gehe über dich hinaus), finde dich als Teil oder Moment eines Umfassenden, des Göttlichen selber. Dies zu erreichen ist unio mystica, der höchste Gipfel mystischer Bestrebungen, in welchem Theorie und Praxis, letzte Einsicht und reinstes Tun zusammenfallen.

Abendländisches Symbol für diese Vereinigung war immer die Liebe, und ihr sinnliches Modell die sexuelle Liebesvereinigung. Sie ist ein umfassendes Erkennen und Verstehen ihres Gegenstandes (im alttestamentlichen Sprachgebrauch wird der Zeugungsakt mit demselben Wort benannt, das auch Erkennen bedeutet), sie ist unwiderstehliches Hingezogenwerden zu diesem, und sie ist lustvollste Vereinigung, in dem alle Sinne und die Grenzen zwischen Ich und Du, zwischen Individuum und Umwelt schwinden. Und vor allem: Sie ist fruchtbar, sie hat Folgen. Nicht nur als Fortpflanzung des Menschengeschlechts, sondern indem sie allem Tun und Verhalten des Liebenden eine bestimmte Richtung gibt. Das Göttliche selbst wird daher im christlichen Abendland wesentlich als Liebe verstanden: "Gott ist die Liebe", in Liebe wendet er sich dem Menschen und seiner Schöpfung zu, aus Liebe zeugt er den Menschensohn, und nur in Liebe kann er wirklich "erkannt" werden und kann man ihm begegnen. Letzteres hat Spinoza im Gedanken des "amor Dei intelectualis" gefaßt.

Es liegt auf der Hand, daß diese "metaphysische" Vereinnahmung der Liebe die abendländischen Vorstellungen über alles, was mit Liebe, ja mit Sex, zu tun hat, tief geprägt hat. Noch die gegenwärtige "sexuelle Revolution", die allem Geschlechtlichen einen so dominierenden Stellenwert im Zivilisationsgefüge einräumt, ist ein säkulärer Reflex davon: sie ist der säkularisierte Gottesdienst, von dem das Heil erwartet wird. Aber daß er das, was man von ihm erwartet, beim Verlust dieser metaphysischen Hintergrunddimension nicht leisten kann, das war ebenso zu erwarten. Die Trümmer des Idols liegen einstweilen als Scherbenhaufen von Frustration, Zerfall der Ehen, Kinderfeindlichkeit, Verantwortungsscheu und Selbstsucht vor aller Augen.

Da wendet man sich nun auch im Westen verstärkt östlichen Heilspraktiken zu, vor allem eben dem Yoga. Wir werden sehen, daß er auf seine Weise ebenso viel verspricht wie geglückte Liebe im Abendland.

Wie die übrigen Darshanas knüpft auch der Yoga an bestimmte vedische Motive an. Heilspraktiken, vor allem Meditation, sind nicht vom Yoga erfunden, vielmehr gehören sie zum ältesten Bestand der vedischen priesterlichen Kultur. Ihr Grundsymbol ist aber nicht die Liebe, schon gar nicht die Zeugung, sondern eher das Brüten, das Heißwerden bis zum Brennen, die Veränderung der Dinge im und durch das Feuer. Darauf greifen schon die ältesten Weltentstehungsmythen zurück, wenn sie nicht durch Zeugen, sondern durch Brüten (tapas) alles entstehen lassen. Das Rigveda und der berühmte "Gesang der Erhabenen" aus dem Epos Mahabharata, läßt Götter und Weise durch solches tapas Verzückungen erleben und magische Kräfte gewinnen, die sie instand setzen, die himmlischen Wesen zu sehen und sich durch die Lufträume zu bewegen. Die Brahmanas empfehlen das Rezitieren der heiligen Texte und das Murmeln bestimmter Laute, besonders des "om" (Name des Brahman) als Mittel zur Erreichung übernatürlicher Erkenntnisse - und daneben: guten Schlafs und dauerhafter Gesundheit. Die Upanishaden aber erwähnen schon vielfach "yoga". Im Shvetashvara-Upanishad 1,3 heißt es:

"Nachdenken und Hingebung (yoga) übend, sah'n sie Gottes Selbstkraft, verhüllt in eigenen Gunas".

Und weiter (Vers. 13-16):

"Wie Feuer, eingekehrt in seine Heimstatt,
unsichtbar fortbesteht nach seinem Wesen
und aus der Reibholzheimstatt neu aufleuchtet,
so flammt's, in beidem gleich, im Leib durch om auf.

Den Leib machend zum Reibholze
und den om-Laut zum oberen Holz,
schaut man, nach fleißiger Denkquirlung,
verstecktem Feuer gleich, den Gott.

Wie im Ölsamen Öl, in Milch Butter,
in Strömen Wasser, im Reibholze Feuer,
so findet im eigenen Selbst (atman) jenen,
wer ihn erschaut durch Wahrheit und Kasteiung,

den alldurchdringenden Atman
wie Butter in der Milch versteckt
in Selbsterkenntnis, Selbstzucht wurzelnd,
das Endziel der Upanishads."

(Nach P. Deussen, Sechzig Upanishads des Veda, ND, Darmstadt 1963, a. a. O. S. 291 ff. )

Im Adhaya-Upanishad wird auf die Atemtechnik angespielt, die Meditationssituation beschrieben und deren Ziele und Erträge geschildert (I, Vers 9-15):

Den Odem hemmend, die Bewegung zügelnd,
bei Schwund des Hauchs ausatmend durch die Nase
wie jenen Wagen mit den schlechten Rossen,
so fesselt ohne Lässigkeit das Manas.

Rein sei der Ort und eben, von Geröll und Sand,
von Feuer, von Geräusch und Wasserlachen frei.

Hier wo den Geist nichts stört, das Auge nichts verletzt,
in windgeschützter Höhlung schicke man sich an.

Erscheinungen von Nebel, Rauch und Sonnen,
von Wind und Feuer, von Leuchtkäfern, Blitzen,
von Bergkristall und Mondglanz sind beim yoga
im Brahman Offenbarung vorbereitend.

Aus Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther dann
fünffach entwickelt sich die yoga-Tugend.
Der weiß nichts mehr von Krankheit, Alter, Leiden,
der einen Leib erlangt aus yoga-Feuer.

Behendigkeit, Gesundheit, Unbegehren,
ein klares Antlitz, Lieblichkeit der Stimme,
schöner Geruch, der Ausscheidungen wenig,
darin bestätigt sich zuerst der yoga.

Gleich wie ein Spiegel, der mit Staub bedeckt war,
wie Feuerschein glänzt, wenn er gereinigt,
so wird nur, wer erkennt der Seele Wesen,
des Ziels teilhaftig und befreit von Kummer.

Wenn seiner Seele Wesen ward zur Fackel,
im Yoga Brahmans Wesen zu erschauen,
fest, ewig, rein von allen Daseinsformen,
wer so den Gott weiß, der wird frei von Banden"

(Nach P. Deussen, a. a. O. S. 295 ff.)

Schließlich gibt das Maitrayana-Upanishad des Yayurveda die klassische Aufstellung der sechs Glieder oder Stufen der yoga-Praxis (P. Deussen, a. a. O. S. 342 ff). Es sind die folgenden: 

1. Regelung des Atmens (pranayama),
2. Zurückziehung der Organe, von den Sinnendingen (pratyahara), ein Absperren gegenüber Sinneseindrücken,
3. Meditation (dhyanam),
4. Fixierung des Denkens bzw. der Aufmerksamkeit (dharana),
5. Kontrolle dieser Fixierung (tarka),
6. eigentliche Versenkung (samadhi).

Indem man, wie es zur Erläuterung heißt, "die Zungenspitze gegen den Gaumen preßt und Rede, Manas und Atem unterdrückt", soll man "das Brahman mittels tarka schauen" und einen Zustand der völligen Selbstvergessenheit und Selbstlosigkeit (niratma katvam) erreichen.

Man kann davon ausgehen, daß alle diese Praktiken in Indien schon in frühester Zeit weit verbreitet waren. Die Yoga-Philosophie faßt sie zu einem philosophischen System zusammen und liefert eine ihnen entsprechende Theorie, die ihrerseits wieder die Vorstellungen darüber, was durch sie geleistet, erhofft oder erwartet werden konnte, bestimmte. Aber es ist auch klar, daß die Praktiken auch in andere philosophische Richtungen oder religiöse Strömungen Eingang fanden, nicht zuletzt in den Buddhismus, über den sie auch nach China und Japan vermittelt wurden.

Der begründende Klassiker des Yoga ist Patanjali mit seinen Yoga-Sutras, 194 Merksprüchen, die in vier Büchern geordnet sind. Davon liegen mehrere Übersetzungen vor: M. A. Oppermann, Yoga-Aphorismen des Patanjali. Sanskritübersetzung und Betrachtung. Mit einer Einführung von F. Hartmann, Leipzig 1908; Swami Vivekananda, Raja-Yoga. Mit den Yoga-Aphorismen des Patanjali, übersetzt von Emma Pelet, Zürich 1951; G. Feuerstein, The yoga-Sutra of Patanjali. An exercise in the methodology of textual analysis, New Delhi 1979; I. K. Taimni, Die Wissenschaft des Yoga. Die Yoga-Sutren des Patanjali in Sanskrit, Übersetzung und Kommentar, übersetzt von L. Flock, München 1982 (engl.: Science of Yoga. The Yoga-Sutras of Patanjali in Sanskrit with englisch translation, 7. Aufl. Adyar 1986); V. Verma, The Yoga Sutra of Patanjali: A Scientific Exposition with original selections, Delhi 1996; J. H. Woods, Yoga-System of Patanjali: Or the Ancient Indian Doctrine of Concentration of Mind, Delhi 1998. Patanjali wird von indischen Gelehrten meist mit einem berühmten Grammatiker aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. identifiziert. Westliche Forscher machen jedoch Gründe geltend, die dafür sprechen, daß die Yoga-Sutras erst aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert stammen, so daß es sich nicht um einen und denselben Autor handeln könnte.

Die Yoga-Sutras des Patanjali wurden wiederum zum Gegenstand klassischer Kommentare, die den Yoga weiter ausbauten. Der erste und kanonische ist der des Vyasa. Seine Lebenszeit wird von den einen ins 4., von den anderen ins 7. Jahrhundert n. Chr. datiert. Diesen wiederum kommentierte Vacaspatismishra im 9., Jahrhundert in seinem Tattvavaisharadi genannten Werk. Um die Jahrtausendwende verfaßte Bhoja ein Standardwerk über die Sutras, das Rajamartanda. Vijnanabhikshu schrieb später mit seinem Yogavarttika einen Kommentar zu Vyasas Yogabhashya in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. (vgl. Vijnanabhikshu, Yogavarttika, Text with English translation and critical notes along with the text and English translation of the Patanjali Yogasutras and Vyasabhasya by T. S. Rukmani: Band I: Samadhipada, New Delhi 1981; Band II: Sadhanapada, New Delhi 1983; Band III: Vibhutipada, New Delhi 1987). Und diese Reihe setzt sich wie bei allen Darshanas bis in die Gegenwart fort. Der - auch im Westen - bekannteste moderne Propagator des Yoga (im Rahmen hinduistischer Religionsmission) dürfte Swami Vivekananda (1863- 1902) sein.

Weitere Literatur: S. Dasgupta, Yoga Philosophy in Relation to Other System sof Indian Thought, Kalkutta 1930, ND 1996; S. Dasgupta, Yoga as Philosophy and Religion, Delhi 1998; G. Feuerstein, The Philosophy of Classical Yoga, New York 1960, auch Rochester,Vermont 1996; J. Filliozat, Religion, Philosophy, Yoga: A Selection of Articles (translated from the French by M. Shukla), Delhi 1991; G. und Y. Frost, Tantric Yoga: The Royal Path to Raise Kundalini Power, York Beach 1989; Chr. Fuchs, Yoga in Deutschland: Rezeption, Organisation, Typologie, Stuttgart 1990; Ramakrishna Puligandha, Jnana-Yoga: The Way of Knowledge. An Analytical Interpretation, New York 1975, auch New Delhi 1997; B. Tatsky u. a., Theorie und Praxis des Hatha-Yoga, Petersberg 1995; BDY (Berufsverband Deutscher Yoga-Lehrer, Hg.), Yoga-Begegnungen, Erfahrungen, Perspektiven. Erster Gesamtdeutscher Yoga-Kongreß Leipzig 1993, Würzburg 1995; P. Tr. Duneja, The Legacy of Yoga in Bhagavad-Geeta, Delhi 1998.

Schon von Patanjali an wird im Yoga auf die theoretischen Vorgaben des Samkhya Bezug genommen. Die hier entwickelten Lehren von der prakriti und vom purusha sind die beiden Angelpunkte, um deren Verhältnis es im Yoga geht. Dabei besteht die Tendenz, purusha deutlicher und entschiedener als im Samkhya als das dominierende Prinzip, als eigentlich Göttliches und Geistiges, als Ishvara zu behandeln.

Alle Yoga-Praktiken sind darauf abgestellt, purusha in irgendeiner Weise zum reinen Selbstsein und damit zur klaren Unterscheidung und Trennung von der prakriti zu bringen. Purusha bleibt dabei zugleich der innere Bewußtseinskern jedes einzelnen Menschen, der nicht "objektiviert" werden kann und der durch jede Beziehung zu individuellen körperlichen oder sinnlichen Gegebenheiten in seiner Reinheit beeinträchtigt und gewissermaßen materiell kontaminiert wird. Da die Individualisierung ausschließlich am körperlich-erscheinenden Menschen festzumachen ist, ist jede Frage nach der Individualität des purusha, nach seiner Zahl oder nach dem Verhältnis evtl. mehrerer purushas zueinander oder zu einem Übergeordneten sinn- und bedeutungslos. Gerade danach aber pflegen Abendländer, die mit indischem Denken in Berührung geraten, in erster Linie zu fragen. Christlich und neuplatonisch, wie sie geprägt sind, meinen sie, es müßte da so etwas wie die individuelle Unsterblichkeit der Geistseele herauskommen.

Davon aber kann, wie auch sonst allgemein im indischen Denken, letztlich nicht die Rede sein. Wohl aber verspricht auch der Yoga gewissermaßen im Vorfeld des metaphysischen Selbstverlustes allerhand Gewinn, Stärkung und Förderung für das individuelle Selbst, solange es noch mehr oder weniger eng mit körperlichem Dasein identifiziert werden kann.

Die Lehre trägt dem Rechnung, indem sie nach Patanjali zwischen einem vorbereitenden praktischen Yoga (kriya-yoga) und dem eigentlichen meditativen Yoga, gleichsam dem "Königsweg" (raja-yoga) zum Heil unterscheidet. Es versteht sich, daß ersteres die "Heerstraße" für die große Masse geblieben ist, auf der auch die meisten westlichen Adepten des Yoga marschieren, während letzteres ein schmaler Pfad für die intellektuelle Elite und die Esoteriker geblieben ist.

Ebenso wie die abendländische Mystik sich - etwa gemäß der Lehre Bonaventuras - als "Aufstieg des Geistes zu Gott" (Itinerarium mentis in Deum) versteht und dabei auf Stufen von der Sinnlichkeit über die Einbildungskraft, Verstand, Vernunft, reiner geistiger "Schau" bis zu ekstatischen Vereinigung und dem "Mitwissen" und "Teilhaben" (Synderesis) am göttlichen Sein aufsteigt, so bewegt man sich auch im praktischen Yoga erst einmal in recht drastischer Sinnlichkeit, ehe man zur Begehung des Königsweges vorbereitet ist.

Die erste Stufe und gewissermaßen der Zugang ist der Mantrayoga. Hier handelt es sich vor allem um die Anrufung des göttlichen Helfers Ishvara, der im Yoga als Obergott fungiert und sich als schon gereinigter purusha auch um die Nachzügler bemüht. Sein Name ist Om (eigentlich dreisilbig auszusprechen als Aum). Das bleibt für die Menge gewöhnlich nur ein Verfahren der Fixierung der Aufmerksamkeit, nicht anders als im oft ebenso verstandenen Gebet. Und wie man in christlicher Frömmigkeit seinen Rosenkranz herunterleiert, um sich der Mithilfe der Jungfrau Maria zu versichern, so eignet sich auch das Om-Beten für mannigfaltige Mechanisierung durch Gebetstrommeln und Gebetsmühlen, wie sie vor allem in tibetischer Volksfrömmigkeit verbreitet sind. Nur der Eingeweihte aber sieht in jeder Silbe des Gottes-namens tiefere Bedeutungen. Sie sind Vorgriffe und Hinweise auf die zu durchlaufenden Stufen der Ekstase. Das "A" (in Aum) bedeutet die Identifizierung mit Brahman, dem Wesen der Welt überhaupt; das "U" ein Eintauchen in einen Zustand des Traumschlafes (taijasa), in welchem bzw. nach welchem die Welt als illusionäres Produkt des Selbst erfahren wird; das "M" verweist auf einen Zustand des Tiefschlafes, in dem alles Gegenständliche verschwunden ist (prajna, das "Wissen" des Nichtwissens); Pause und Schweigen nach dem Aum-Laut aber bedeutet dann den Zustand der Befreiung und Ablösung des purusha von aller Bindung an die Erscheinungswelt. (Vgl. K. H. Potter in: Encyclopedia of Indian Philosophies, Advaita Vedanta up to Samkara and His Pupils, Delhi 1981, S. 89).

Der Hathayoga lehrt den Aufstieg zu einer zweiten Stufe höherer Konzentration und "Anstrengung", wie der Name selbst besagt. Hier geht es um gleichsam sportliche Übungen, um den Leib ganz und gar zum willfähigen Instrument geistiger Verfügbarkeit abzurichten. Und wie der Sport neben der körperlichen Ertüchtigung immer auch den Nebeneffekt der Förderung der Gesundheit und des Lustgewinns hat, so belohnt auch der Hathayoga seine Adepten durch solche willkommenen Nebenwirkungen, die dann oft die Hauptsache werden. Im Mittelpunkt stehen die berühmten Atemübungen.

Gewiß ist der Luftaustausch das auffälligste Phänomen der Eingebundenheit des Organismus in die Umwelt, wie bei uns wohl die Stoiker zuerst bemerkt haben. Diese Einbindung des Organismus in die Materiewelt der Kontrolle und Manipulation zu unterwerfen, mußte daher - neben der Kontrolle der Nahrungsbilanz - zu einem Hauptmittel der Lockerung der Grenzen zwischen geistigem und körperlichem Wesen des Menschen werden. Hyper- und Hypoventilation beim Atmen zieht dann auch "außergewöhnliche" Bewußtseinszustände nach sich, die wiederum als Techniken der Loslösung des purusha vom Prakritikörper eingesetzt werden. Weitere Hatha-Yogaübungen bestehen dann in der Einnahme schwieriger und oftmals kurios erscheinender Körperstellungen. Das ausgedehnte Stillsitzen mit Verlust jedes Körpergefühls ist dabei zur wohl verbreitesten Yogatechnik der Einübung in die Meditation geworden.

Als dritte Stufe gilt der Laya-Yoga. Laya bedeutet Auflösung, und gemeint ist damit die hier angezielte Ablösung des purusha von der individuell-körperlichen Gebundenheit. Der Gedanke ist hier der Abzug aller Körperenergien aus der prakriti und ihre Konzentration im purusha. Die einschlägige Technik wird Bhuta-shuddi genannt. Sie wird als eine Reinigung aller Körperelemente beschrieben. Es ergibt sich eine Art Energiefluß der "Schlangenkraft" (Kundalini) aus den unteren Körperregionen, vor allem aus den Sexualorganen, durch die Wirbelsäule (die auch als Gefäß der Hauptblutadern gilt) zum im Gehirn angenommenen Sitz des purusha. Der Vorgang wird als außerordentlich lustvoll beschrieben. Physiologisch dürft es sich um einen mehr oder weniger lang hingezogenen Orgasmuszustand handeln. Für viele Adepten gilt er denn auch schon als der schlechthin erreichte Erlösungszustand des purusha (Vgl. dazu S. Radhakrishnan, Band II, S. 225; G. Oberhammer, Strukturen yogischer Meditation. Unter-suchungen zur Spiritualität des Yoga, Wien 1977; Sivananda Radha, Kundalini-Yoga for the West. With a foreword by H. v. Guenther, ND London 1981; Ajit Mookerje, Kundalini. The arousal of the inner energy, London 1982).

Wie nun in der abendländischen Mystik die Liebe und "brünstige Minne" bis hin zum Orgasmus dem wahren Mystiker nur allegorische Erfahrung und gleichsam Vorgeschmack auf die Wonnen der Unio mystica, der Vereinigung mit dem Absoluten und damit der Aufgabe der individuellen Vereinzelung war und ist, so sind es auch dem echten Yogin die bisher genannten Stadien. Sie sind Vorbereitungen auf den letztlich zu beschreitenden Weg des "königlichen" Raja-Yoga. Hier wird ernst gemacht mit der auch dem abendländischen Idealismus eingeschriebenen Einsicht, daß die Erkenntnis selbst eine Praxis ist. Der Raja-Yoga ist daher auch der eigentlich metaphysische Teil des Yogadarshana. In ihm muß sich sein praktizistisches bzw. pragmatisches Prinzip darin bestätigen, daß es die Erkenntnis selbst als Handlung ausweist. Das erscheint dem Theoretiker als eine höchst paradoxale Aufgabe, da er daran gewöhnt ist, von aller Philosophie und Denkbemühung letzten Endes "theoretische Einsichten" zu erwarten und alles, was er dazu und dabei tut, als instrumentelles Beiwerk einzuschätzen. Im Raja-Yoga kann es aber nicht mehr darum gehen, Handlung schlechthin oder auch Erkenntnishandlungen als gewissermaßen höchste und ausgezeichnetste Handlungen zu "erklären", sondern sie selbst in Handlungen zu "benutzen" und zu solchen Handlungen anzuleiten.

Um dies im westlichem Kulturambiente nachzuvollziehen, wird man sich tunlichst solcher Kategorien bedienen, die in bestimmten pragmatistischen Idealismen entwickelt worden sind.

Alle Erkenntnis beginnt mit dem Fungieren der Sinne. Was sie als Beobachtungsgehalte dem Bewußtsein verschaffen, bleibt auch das Material von gedächtnismäßiger, phantasiemäßiger und letztlich auch denkerischer Verarbeitung. Die indischen Darshanas haben insgesamt diese "sensualistische" Grundlage aller Erkenntnis betont und festgehalten, jedenfalls mehr als abendländische Philosophie, die in vielen Richtungen und Schulen übersinnliche oder "unanschauliche" Erkenntnisgrundlagen behauptet bzw. vorausgesetzt hat (wie etwa in Platons geistiger Ideenschau und Lehre von den eingeborenen Ideen oder Kants Apriorismus).

Der Raja-Yoga setzt dementsprechend ein mit der Empfehlung einer genauen und gründlichen sinnlichen Beobachtung eines beliebigen Beobachtungsgegenstandes. Das mag irgend ein materieller Gegenstand der Umwelt sein, aber auch - gleichsam noch näherliegend - der eigene Bauchnabel oder gar die Nasenspitze. Was in dieser Weise beobachtet werden kann, ist eine Gestalt von prakriti. Beobachtetes und Beobachter, Objekt und Subjekt stehen sich als prakriti und purusha gegenüber und sind doch zugleich auch in der Fixiertheit der Aufmerksamkeit auf den Gegenstand zu einer Einheit verbunden. In dieser Einheit, die ja in der Beobachtungshandlung selbst gestiftet wird, ist eine Grenze zwischen Objekt und Subjekt nicht auszumachen. Die erste hierbei zu machende Erfahrung ist nun diejenige, die wiederum als einziger (und daher wird diese Leistung gewöhnlich unterschätzt und mißverstanden) George Berkeley in der westlichen Philosophie auf die Formel vom "Esse = Percipi" gebracht hat: Die Handlung der Wahrnehmung macht den Gegenstand! Denn ohne Wahrnehmung verschwindet er als dieses Gegenüber zum beobachtenden Bewußtsein. Das Wohin des Verschwundenseins ist naturgemäß sinnlich nicht auszumachen. Erst die erneute sinnliche Beobachtung läßt ihn wieder entstehen. Abendländisches Denken setzt hier die Konstanz der "objektiven materiellen Welt" voraus, "auch wenn sie nicht sinnlich wahrgenommen wird". Aber dieser Glaube an Erhaltungsprinzipien - vielleicht ein abendländischer Aberglaube par excellence - erhält seine Plausibilität auch nur aus der Tatsache, daß, während einer nicht wahrnimmt, andere wahrnehmen und ihre Wahrnehmung "theoretisch" vermitteln. Dadurch wird die Konstanz der Welt nur "intersubjektiver" Wahrnehmung verdankt, keineswegs aber darüber hinausliegenden Prinzipien. Für den Yogin liegt in dieser Erfahrung jedenfalls eine wichtige Bestätigung für die Primordialität des purusha gegenüber der prakriti - ebenso wie für Berkeley darin der Beweis für das Sein des Geistes und die Nichtigkeit der Materie lag.

Eine weitere Erfahrung liegt darin, daß solche lange und sorgfältige Beobachtung etwas im Bewußtsein bewirkt, was man im Westen als "lebhaften Eindruck" beschreibt. Der Eindruck wird gewöhnlich als Erinnerungsbild der Wahrnehmung des Gegenstands bzw. des Gegenstandes selber gedeutet. Ob dies der Erfahrung gerecht wird, dürfte eine offene Frage sein. Jedenfalls setzen wir dabei eine feste Grenze zwischen Wahrnehmung und Erinnerung und ihren sog. Inhalten: Was wahrgenommen wird, ist keine Erinnerung und was erinnert wird, wird nicht wahrgenommen. Daß es eine solche Grenze nicht gibt, war aber auch bei uns schon von Platon behauptet worden. Bei ihm spielte die Anamnesis, die Wiedererinnerung keineswegs nur dann ihre Rolle, wenn die Sinnlichkeit ihr Werk getan hatte, sondern sie spielte dominierend in der sinnlichen Wahrnehmung mit. Sie war als das vorausgesetzt, was den "flüchtigen" und "momentanen" Wahrnehmungen überhaupt erst Dauer und Beständigkeit verleihen konnte. Nicht nur das Wahrgenommene wird in und während der Wahrnehmung auch ständig miterinnert und als Vergangenes ständig rückholend "präsentiert", Erinnerung greift auch (in die Zukunft) voraus und lenkt so Erwartungen bezüglich der Wahrnehmung, leistet Zukunftspräsentierung. So entsteht in der Seele die Zeit, wie es dann später Augustinus maßgeblich für den Idealismus beschrieben hat.

Der Yogin achtet auf die Handlungen, die bei alledem geschehen. Es sind, vorausgesetztermaßen, Handlungen des purusha, durch die er sich noch in die prakriti-Welt verhaftet erlebt. Die Erfahrung der Sinnestätigkeit zeigt ihm daß es "seine Welt" ist, die er sich da erzeugt. Die Erinnerung (und die erinnernde Assoziation) zeigt ihm darüber hinaus, daß dieses sinnliche Handeln - wie alles Handeln - karmatische Folgen hat, nämlich eben diese Erinne-rungen, die ihn nicht weniger in die Prakritiwelt einbinden.

Die weitere Aufgabe besteht nun darin, auch noch diese karmatischen Erinnerungs-wirkungen zum Verschwinden zu bringen. Solange gegenstandsbezogene sinnliche Meditation und Erinnerungen an solche getätigt werden, handelt es sich noch um bewußte Handlungen des purusha. Im Yogasutra des Patanjali wird diese Meditation (samadhi) ausdrücklich "bewußte" - samprajnata - genannt. Es kommt also darauf an, Samadhi bis zum Vergehen des Bewußtseins weiterzutreiben, es asamprajna zu machen.

Wem dies gelingt, der ist reiner absoluter purusha geworden und hat sich von aller Prakritibindung gelöst. Im unbewußten samadhi gibt es, wie gesagt wird, "keine Samen mehr" (nirbija), aus denen noch etwas ins Bewußtsein einwirken könnte. Es ist ein Zustand der Indifferenz (paravairagya) und Absolutheit (kaivalya), also eine Entrücktheit, die ihrem Wesen nach durch nichts mehr veranschaulicht und sagbar werden kann.

Man sollte meinen, daß von dem, wovon man nicht reden kann, nur noch zu schweigen wäre. Das haben die besten Yogis wohl auch getan. Aber im Osten wie im Westen ist bekanntlich gerade das Unbewußte zum Thema ausgebreitetster Geschwätzigkeit geworden. Die dabei verwendete Rhetorik ist überall dieselbe: eine grandiose Metaphorik der Bewußtseinswelt, in der alle Schranken zeitlicher, räumlicher und materieller Begrenzung aufgehoben sind. Es ist die Projektionsfläche des Ausgleichs aller Defizite der bewußten Realität und der Erfüllung aller Wünsche und Sehnsüchte, die an der bewußten Wirklichkeit scheitern. Aber wo der westliche Tiefenspezialist nur individuelle (oder kollektiv-stammesgeschichtliche) vergessene Erinnerungen oder geheimste Triebregungen im Unbewußten aufzugraben wähnt, läßt der fabelnde Yogin auch diese Parameter noch hinter sich und seinen Allmachtsphantasien freien Lauf. Er kann sich als von aller prakriti befreiter purusha an jeden Ort und jede beliebige Zeitstelle des Universums versetzen, sich so klein wie Atome und so groß wie das Universum selbst machen. Daher weiß er alles, gleichsam vorwärts und rückwärts und gleichzeitig mit allem Bestehenden; daher kann er auch überall und jederzeit in die Prakritikausalitäten eingreifen und Wunder wirken, nicht zuletzt als Therapeut. Da er sich aber durch solche "wunderbaren Künste" (vibhuti) wieder in die Prakritiwelt verstrickt, warnt ihn die Yogalehre, es damit nicht zu übertreiben. Daher hält sich der weise Yogin auch davon zurück, und man hat nie von einem gehört, der eine Kernspaltung verursacht, eine Spielbank gesprengt oder künftige Börsenkurse vorausgesagt hätte.

§ 19 Die Mimamsa-Philosophie

1. Mit der Yoga-Philosophie teilt der Mimamsa die wesentliche Ausrichtung auf die Praxis. Aber im Gegensatz zum Yoga geht es nicht so sehr darum, den einzelnen Menschen durch bestimmte Handlungen in einen Zustand zu versetzen, der ihm das Heil zu gewinnen verspricht, sondern vielmehr darum, den ganzen Kosmos in Gang zu halten. Es handelt sich beim Mimamsa um die Hausideologie einer Priesterkaste, die meint, ohne ihr Zutun, ohne die pünktliche Einhaltung der Riten und Zeremonien des Kultus könne die Welt nicht funktionieren. So spricht es das Brahmana der hundert Pfade schon aus: "Die Sonne würde nicht aufgehen, würde nicht der Priester in der Frühe das Opferfeuer darbringen."

Diese Einstellung lag schon der ältesten priesterlichen Literatur der Veden selbst und ihren ersten Interpretationen in den Brahmanas, den Handreichungen für die einzelnen Priesterklassen, zugrunde. An diese knüpft der Mimamsa deshalb auch im wesentlichen an. Erst die späteren Klassiker bedienen sich auch der parallel entwickelten Darshanalehren, um sich und anderen zu erklären, worum es dabei gehen konnte. Besonders der Nyaya und der Vaishesika wurden dafür herangezogen. Eine besonders enge Verbindung ergab sich später zum Vedanta-Darshana, da dieser sich ebenso grundsätzlich an der ältesten vedischen Literatur orientierte und daher die Mimamsalehren als Hilfsdisziplinen benutzte. Daher spricht man in der indischen Philosophie gewöhnlich von einer Einheit des Mimamsa-Vedanta.

Es liegt auf der Hand, daß eine solche Priester-Philosophie auch den ideologischen Untergrund für die einheimischen religiösen Kulte abgeben mußte. So betont S. Radhakrishnan, daß der Mimamsa "für die Religion des Hinduismus von außerordentlicher Bedeutung" war, und weiter: "Die moderne Gesetzgebung des Hinduismus ist vom System des Mimamsa in beträchtlichem Maße beeinflußt" (S. Radhakrishnan, Indische Philosophie, 2. Band , Baden Baden 1955, S. 294).

Die Bezeichnung Mimamsa oder auch Mimansa bedeutet "Leitfaden zur Erörterung". Und zwar bezieht sich dieser Leitfaden auf die Erklärung der priesterlichen Ritualliteratur der ältesten Schriften. "Karma-Mimamsa" bezieht sich dabei auf den Handlungsritus; "Purva-Mimamsa" meint die "früheren Erörterungen".

Literatur: A. B. Keith, The Karma Mimamsa, London 1911; N. V. Thadani, The Mimamsa, Neu Delhi 1952; K. P. Bahadur, The Wisdom of Meemaansaa (Mimamsa), 2 Bände, Neu Delhi 1983; Bimal Krishna Matilal und Arindam Chakrabarti (Hg.), Knowing from Words: Western and Indian philosophical analysis of understanding and testimony (Synthese Library 230), Dordrecht 1994; Purusottama Bilimoria, Sabdapramana: Word and knowledge. A doctrine in Mimamsa-Nyaya philosophy (Studies of classical India, 10), Dordrecht 1988; F. Zangenberg, Art. "Mimamsa", in: J. Ritter (Hg.), Handwörterbuch der Philosophie, Band 5, Sp. 1395 - 1396.

2. Das begründende Klassikerwerk des Mimamsa ist das Mimamsa-Sutra des Jaimini mit zwölf Kapiteln. Es wird auch Samkarsanakanda oder Devatakanda genannt.(Übersetzung in: Ganganatha Jha, The Purva Mimansa Sutras of Jaimini, Allahabat 1916; vergl. ders.: Purva Mimamsa in its Sources, Benares 1942; Auszüge in: S. Radhakrishnan und Ch. A. Moore, a. a. O. S. 487 - 498). Westliche Forscher datieren seine Entstehungszeit auf das erste nachchristliche Jahrhundert, obwohl es auch Stimmen gibt, die es dreihundert Jahre älter machen. Auf eine Reihe von verlorenen Kommentaren dazu stützt sich der Kommentar des Shabarashvamin (Shabara), der wahrscheinlich aus dem 5. nachchristlichen Jahrhundert stammt. Radhakrishnan legt die Lebenszeit aber in das erste vorchristliche Jahrhundert.

An dieses Werk schließen dann die Kommentare des Prabhakara (7. Jh n. Chr.) und des Kumarila (8. Jh. n. Chr.) an. Von Kumarila stammt das Werk Tantravarrtika und das Shlokavartika (Vgl. Tantravarrtika. A Commentary on Sabara's Bhasya on the Purvamimamsa Sutras of Jaimini, 2 Bände, Calcutta 1903-1924, ND. Delhi 1983; Auszug aus dem Shlokavartika in: S. Radhakrishnan und Ch. A. Moore, a. a. O. S. 498 - 505; vgl. über seine "Sprachphilosophie" Lars Göhler, Wort und Text bei Kumarila Bhatta. Studie zur mittelalterlichen indischen Sprachphilosophie und Hermeneutik, Frankfurt 1995; Govardhan P. Bhatt, The basic ways of knowing: An in-depth study of Kumarila's contribution to Indian epistemology, 2. Aufl. Delhi 1989). Radhakrishnan hält allerdings Kumarila für den Lehrer des Prabhakara und datiert seine Lebenszeit auf die Jahre 590 - 650 n. Chr., aber von anderen werden auch die Daten 680 - 750 n. Chr. genannt. (Vgl. zu diesen F. Zangenberg, Sabara und seine philosophischen Quellen, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Süd- und Ostasiens, 6, 1962; S. 60-77; Francis X. D' Sa, Sabdapramanyam in Sabara and Kumarila. Towards a Study of the Mimamsa Experience of Language, Wien 1980).

Um 850 n. Chr. verfaßte Mandana Mishra die für die Entwicklung des Mimansa bedeutenden Werke Vidhiviveka und das Mimamsa-nukramani (vgl. dazu L. Schmitthausen, Mandanamishras Vibhramaviveka, in: Sitz.-Ber. d. Österr. Ak. d. Wiss., Phil.-Hist. Kl.. 247 (1965), S. 157 ff.). Mit einem anderen Werk, dem Brahmasiddhi, wird er aber auch als Klassiker des Advaita-Vedanta in Anspruch genommen (vgl. dazu K. H. Potter, Enc.of Indian Philosophies, Band III, Delhi 1981, S. 346 - 419). Im 17. Jahrhundert ist Khandadeva der überragende Vertreter des Mimansa. Er hat nicht nur Jaiminis Mimamsasutra kommentiert, sondern sich auch mit den übrigen Darshana-Richtungen auseinander gesetzt. Davon zeugt vor allem sein Logikwerk Bhattadipika (vgl. seine indische Werkausgabe: Khandadeva: Bhattadipika, Khandadevaviracita; Pradhana sampadakah Mandana Mishra; Sampadakah Sampannarayana-caryah, 4 Bände, Nachdruck Neu Delhi 1986. Die Ausgabe enthält auch Jaiminis Mimamsasutra).

Wie bei den übrigen Darshanas gibt es bis heute Mimamsakas, die die philosophischen Gesichtspunkte dieser Richtung im Konzert der gelehrten Diskussionen zur Geltung bringen. Ihnen kommt auch von westlicher Seite die Tendenz entgegen, ihre klassischen Leistungen mit westlichen sprachphilosophischen Theoriebeständen zu vergleichen. So vergleicht L. Göhler etwa Kumarilas Theorien allgemein mit westlichen sprachphilosophischen Ideen, thematisiert die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung bei Kumarila und Frege, die Sprachauffassung der Mimamsa mit der Sprechakttheorie und ihre Hermeneutik mit derjenigen Gadamers.

3. Als priesterliche Erläuterungsliteratur zum vorwiegend ritualistischen Gehalt der ältesten vedischen Schriften haben sich die Mimansa-Schriften eine gläubige und gehorsame Einstellung gegenüber ihren Quellen bewahrt. Was in den Veden gesagt und festgestellt wird, gilt als absolute Wahrheit und Weisheit (Shruti). Den minderen Status eines nur auf Tradition beruhenden Wissens (Smrti), dessen Wahrheit und Übereinstimmung mit dem Gehalt der Veden geprüft und gegebenfalls bewiesen werden kann und muß, haben die Brahmanas und Upanishaden.

Der ideelle Gehalt der Veden, das "sinnvolle Wort" - wie die Bezeichnung "Veda" andeuten soll - wird als ewig bestehende eigentliche Wirklichkeit angesehen. Sie ist überall und jederzeit vorhanden und wird in gesprochener Sprache und in Schrift nur immer wieder ad hoc manifestiert. Daher haben die Veden auch weder einen menschlichen noch göttlichen Autor: sie sind der Sinn und sinnhafte Wirklichkeit selbst. Wird dieser Sinn ausgesprochen oder aufgeschrieben, so beziehen sich diese menschlichen Sprachmittel bei aller Unvollkommenheit auf diese vorgegebene ewige Wirklichkeit selbst, und es kann daher durch sprachliche Mittel keine Sinnstiftung, sondern neben dem Treffen des wahren allenfalls ein falsches Ausdrücken dieses Sinnes in der Deutung zustande kommen (vgl. dazu auch Gerhard Oberhammer, Offenbarungsgeschichte als Text: Religionshermeneutische Bemerkungen zum Phänomen in hinduistischer Tradition (Publications of the De Nobili Research Library, Occasional papers, 5), Wien 1994).

Die Annahme eines ewigen Sinnbestandes der vedischen Texte bindet diesen Sinn- bestand an die Sprache Sanskrit, die damit das privilegierte Ausdrucksmittel dieses Sinnes und damit seine einzige phänomenale Erscheinungsgestalt ist. Das heißt zugleich, daß der vedische Sinngehalt in keiner anderen Sprache, und seien es auch die mehr und mehr auseinanderlaufen-den "Dialekte" der indischen Sprachen, geschweige denn Übersetzungen in Fremdsprachen, ausdrückbar und verständlich zu machen sei. Damit wird das Sanskrit, das in grauer Vorzeit die Umgangssprache der arischen Einwanderer auf dem indischen Subkontinent war, gewisser- maßen stillgestellt. Sie wird mehr und mehr neben dem sich daraus entwickelnden Prakrit und erst recht den zahlreichen regionalen "Dialekten" und den Sprachen der Ureinwohner zu einer esoterischen Geheimsprache der brahmanischen Priesterkaste und der Gelehrten. Die Ent- stehung und außerordentlich intensive Entwicklung der Grammatik in Indien verdankt sich bekanntlich diesem Bestreben, einerseits die mündliche Tradition des Vedengehaltes durch genaueste Aufzeichnung in der Nagari-Alphabet-Schrift (devanagari) zu sichern, als auch den Stillstand des Sanskrit in seinem überlieferten grammatischen Bestand für alle Zeiten - und entgegen der natürlich zu nennenden Sprachentwicklung und Veränderung - zu gewährleisten.

Damit stellt sich für den Mimamsa, und nicht nur für ihn, das Problem, wie mit den Fremsprachen und den einheimischen "Dialekten", die immer auch Soziolekte der niederen Kasten waren, umzugehen sei. Ein Schlüsselphänomen für die traditionelle Einstellung wurde hier die Lehre des Gautama Buddha und des Buddhismus. Buddha lehrte in der Pali-Sprache Südindiens und Ceylons, und diese wurde auch für seine Anhänger obligatorisches Ausdrucksmittel. Das war selbst schon Grund genug für jeden gebildeten Brahmanen und erst recht die Mimamsakas, seine Lehre für falsch und für ein häretisches Abweichen von der vedischen Tradition zu halten. Und das hatte Buddha, der, wie man vermuten muß, bei seiner privilegierten prinzlichen Erziehung auch in der Sanskritsprache und in der brahmanischen Gelehrsamkeit versiert war, offensichtlich gerade angezielt und vielfach betont. Und man hat es ihm sowohl in Indien wie überall in der Welt so abgenommen, obwohl er doch die dominierenden Lehren der vedischen Tradition, insbesondere ihren soteriologischen Grundansatz, vollständig übernahm und vertrat. Daß seine Lehre auf dem indischen Subkontinent fast gänzlich verdrängt wurde, verdankt sich - neben der brahmanischen Einschätzung als "plebeischer" Unterkasten-revolution - ersichtlich dieser Häresie gegen die heilige Sprache.

Diejenigen, die dieser heiligen Sanskritsprache nicht mächtig waren, wurden "Mlecchas" genannt. Man könnte es mit "Barbaren" übersetzen, wenn dieses Wort nicht selber ein Sanskritwort (barabara, im Pali: babbhara) für (vielleicht nördliche) Nachbarvölker wäre. Die Grammatiker warnen davor, durch Vernachlässigung des Sanskritstudiums zum Mleccha zu werden und sich damit mit der untersten Kaste und den Nichtariern oder gar Tieren gemein zu machen. Daß die Mlecchas eigene Sprachen haben, wird vorausgesetzt, es sind eben die Nachfolgersprachen des Sanskrit und alle Fremdsprachen. Die Mimamsakas betonen nachdrücklich: Man soll diese Mlecchasprachen nicht lernen, man soll sich mit Mlecchas nicht einmal unterhalten, man soll auch ihre Länder nicht aufsuchen. Ja es wird gar davor gewarnt, den Mlecchas das Sanskrit zugänglich zu machen (vgl. dazu W. Halbfass, Indien und Europa. Perspektiven ihrer geistigen Begegnung, Basel-Stuttgart 1981, S. 199).

Gilt nun aber das Sanskrit ein und für allemal als das Gefäß des vedischen Sinnes, so liegt es nahe, daß die Mlecchasprachen nur korrupte und mißverstandene Abkömmlinge des Sanskrit sein können, in denen sich nur schwache und dunkle Erinnerungen an den vedischen Sinn erhalten haben können. Darin liegt wiederum ein Motiv für etymologische Spekulationen der Grammatiker, diesen Sinn in den Prakritdialekten und auch in den Fremdsprachen ausfindig zu machen. Man wird nicht verkennen, daß diese Haltung sich bis in unsere Zeiten in der Indogermanistik gehalten hat, auch wenn statt der Herleitung der indoeuropäischen Sprachen aus dem Sanskrit nun eine gemeinsame, nur noch zu re-konstruierende Ursprache als Ausgangssprache des Sanskrit und der europäischen Sprachen vorausgesetzt wird. Daß dies überhaupt möglich wurde, verdankt sich eben diesem Bemühen der Vedengrammatiker und der Mimamsakas, das Sanskrit in seinen vedischen Formen für alle Zeiten stillzustellen.

Das ist ihnen auch gelungen. Und dieser Erfolg trug nun wesentlich dazu bei, daß die auf solche Weise "eingefrorene" Sanskritsprache nicht nur den vedischen Sinngehalt, sondern darüber hinaus allen späteren gelehrten Umgang mit ihm immer im selben Medium einer unveränderlichen Gelehrten- und Wissenschaftssprache regieren konnte. Das führte dazu, daß grundsätzlich alle Merkmale für eine Bewertung des chronologischen Früher und Später der Entstehung und Abfassung von Sanskrittexten, die man im Abendland schon an den sich verändernden Sprachzuständen recht deutlch ablesen kann, entfielen. Natürlich wird man bei gehörigem Interesse für solche Chronologien nach anderen Kriterien Ausschau halten und insbesondere die Filiationen der Schulen beachten. Aber dieses Interesse war in Indien nie besonders ausgeprägt. Daher die noch immer recht unklare Gesamtchronologie und die Betonung des Alters. Wenn uns unser Eindruck nicht täuscht, so liest auch ein heutiger Brahmane oder Pandit seine alten Sanskrittexte, als wären sie gerade soeben geschrieben. Und man wird auch nie den Verdacht ganz los, daß so manches für alt gehaltene um Jahrhunderte jünger sei, als man zu glauben sich geeinigt hat.

Ersichtlich steht nun diese Sinnlehre des ewigen Wortes in genauer Parallele zur herakliteisch-platonischen Auffassung vom Vorrang des Logos und des Ideensinnes gegenüber allen "phänomenalen" Manifestationen von Sinn. Der Platonismus und die von ihm inspirierte christliche Philosophie hat diesen ontologischen Vorrang im Universalienstreit als These ausgedrückt, daß der Sinn vor den materiellen Dingen, d. h. auch vor dem materiellen Zeichen, das ihn ausdrücken soll, bestehe: "Universale ante rem". Diese Übereinstimmung mit der Grundlehre des Mimansa scheint uns keineswegs auf einer autonomen indischen Entwicklung zu beruhen angesichts der Tatsache, daß die Logoslehre des Heraklit, die ja den Logos zur Arché, zum Ursprung und Wesen aller Dinge erklärt hat, worin ihm dann Platon mit seiner Ideenlehre gefolgt ist, wesentlich älter zu sein scheint als der Mimamsa. Der antike und nachantike Neuplatonismus hat sie in der damaligen Welt überall verbreitet, und sie ist zur Grundlage aller Theologien einschließlich des Islam geworden, die sich auf ein offenbartes heiliges Wort und heilige Schriften berufen. So spricht alles dafür, daß die Mimamsakas sich auch dieser neuplatonischen Lehre für die Begründung und Apologetik ihrer priesterlichen Theologie bedient haben.

Daß die Mimamsakas die Entwicklungen im christlichen Abendland genau verfolgt haben dürften, darauf deutet noch ein weiteres Motiv ihrer Lehre hin, das schwerlich als äußerer Parallelismus zu erklären ist, wie etwa noch H. Zimmer mit vielen anderen und zumal den indischen Auslegern meint (vgl. Heinrich Zimmer, Philosophy of India, 3. Aufl. Princeton, N. J. 1974, S. 607: "The method of the Purvamimamsa-sutra resembles somewhat that of Thomas Aquinas' scholastic Summa Theologica"). Hierbei geht es um ihre Hermeneutik, um ihre Lehre von der richtigen Auslegung der einzelnen Stellen der überlieferten "heiligen Schriften" in den Kommentaren der Mimamsakas. Offensichtlich haben sie die in der Scholastik seit Abaelard entwickelte Quästionenmethode, die ja durch die "theologischen Summen" auch in deren Inhaltsgliederungen verbreitet wurde, übernommen. Während diese auch "Sic-et-non-Methode genannte Technik im Westen für alle Problemerörterungen und -Entscheidungen benutzt wurde, haben die Mimamsakas sie strikt auf die Interpretationsproblematik, also die Textauslegung beschränkt angewandt.

Wir stellen im folgenden die Mimamsa-Auslegung von Textstellen und die Quästionen-Methode nebeneinander:

Mimamsa-Hermeneutik Quästionenmethode

1. Festellung des Gegenstandes einer Quaestio: utrum (sit) - ob etwas der Stelle (vishaya) der Fall ist

2. Geltendmachung von Zweifeln gegen videtur quod non - es scheint, daß diese (samshaya) es nicht so ist (Gegenargumente)

3. Gegensetzung gegnerischer Ansichten sed contra dicendum - dagegen ist (purvapaksha) zu sagen

4. Geltendmachung der eigentlichen und end-conclusio: abschließende Feststellung, gültigen Ansicht (uttara-paksha, siddhanta) alsProblemlösung bzw.Entscheidung

5. Sicherung des Ergebnisses durch Bezug- ad primum, ad secundum, etc. -nahme auf andere Textstellen (sangati), positive und negative Beurteilung aller Argumente pro und contra

4. Als indische Version einer priesterlichen Offenbarungstheologie stellt der Mimamsa die Wahrheit und höhere Weisheit des Sinngehaltes der vedischen Tradition nicht in Frage, sondern konzentriert sich auf die hermeneutische Sicherung dieses Gehaltes. Natürlich kann er dabei nicht von den philosophischen Fassungen dieses Gehaltes, den ihnen die übrigen Darshanas gegeben haben, gänzlich absehen. Und so bleiben die großen Themen dieser indischen Tradition auch im Mimamsa immer präsent. Es sind die Themen: Existenz und Beschaffenheit des heils- und erlösungsbedürftigen Wesens, des Atman; Verstrickung dieses Wesens im karmatischen Sam- sara; Rolle von Erkenntnis und Praxis für das Heilsstreben und die Erlösung, schließlich Natur und Erfassung dessen, was dabei Heil und Erlösung selbst überhaupt sein kann. Sofern davon die Rede ist, artikuliert sich auch der Mimamsa in der Terminologie und den Denkformen der übri-gen Richtungen. Resümieren wir dieses Anliegen des Mimamsa mit den Worten des Prabhakara-Schülers Shalikanetha (nach O. Strauß, Älteste Philosophie des Mimamsa, Sitz.-Ber. d. Preuß. Ak. d. Wiss., 1932, S. 172):

"Erlösung ist das absolute Aufhören der Verkörperung auf Grund restloser Vernichtung von Verdienst (dharma) und Schuld (adharma). Verdienst und Schuld bewirken die Wanderung der Seele von Leib zu Leib. Wenn nach ihrer völligen Aufhebung die Seele ihre Verbindung mit den körperlichen Sinnesvermögen gelöst und die Fessel des Wanderungsleidens vollständig abgeschüttelt hat, so heißt sie erlöst".

§ 20 Die Vedanta-Philosophie

1. Diese philosophische Richtung verdankt ihre Bezeichnung ihrem besonderen Verhältnis zur gesamten vedischen Tradition. Sie versteht sich selbst als das "Ende" dieser Tradition, in welcher alles wesentliche an Erkenntnissen, die aus den Veden, den zugehörigen Upanishaden und der Brahmanaliteratur erhalten werden können, aufgehoben ist. Eine später hinzugekommene Bedeutung der Bezeichnung betont das darin vertreten vedische "Weltprinzip".

In der Tat handelt es sich um diejenige theoretische Richtung der indischen Philosophie, die - neben der Mimamsa-Richtung und mit ihr gemeinsam - die Grundlage einer "Theologie" der Hindu-Religionen gelegt hat. Sie ist darin dem abendländischen Neuplatonismus vergleichbar, der in ebensolcher Weise die philosophisch-wissenschaftliche Grundlage der Theologien nicht nur des Christentums, sondern auch der jüdischen und islamischen Religion abgegeben hat. Auch der Vedanta ist eine durch und durch idealistische Philosophie, in welcher ein ewiges geistiges Sein von einer vergänglichen sinnlich-phänomenalen Scheinwelt unterschieden wird. Die Ausgestaltung der Vedantalehre beruft sich aber nicht nur auf ihre besonderen Klassiker, sondern auch auf die mythologische Literatur, insbesondere die lehrmäßigen Einschübe des in Indien so berühmten und allgemein bekannten Mahabharata-Epos, insbesondere den "Gesang des Erhabenen" bzw. die Bhagavad-Gita, die Wilhelm von Humboldt bekanntlich "das schönste philosophische Gedicht aller Zeiten" genannt hat.

Literatur: Paul Deussen, The system of Vedanta, according to Badarayana's brahma-sutras and Sankara's commentary thereon set forth as a compendium of the dogmatics of Brahmanism from the standpoint of Sankara, Chicago 1912, ND. Delhi 1987; P.T. Raju, Idealistic Thought in India. Vedanta and Buddhism in the Light of Western Idealism, London 1953, ND. 1973; Klaus Rüping, Studien zur Frühgeschichte der Vedanta-Philosophie. Teil 1: Philologische Untersuchungen zu den Brahmanasutra-Kommentaren des Sankara und des Bhaskara, Hamburg 1977; Swami Satchidanandendra Sarasvati, The method of the Vedanta. A critical account of the Advaita tradition, transl. from the Sanskrit by A. J. Alston, London 1989; Hajime Nakamura, A history of early Vedanta philosophy, Part I, Delhi 1990.

2. Indem der Vedanta an die Veden anschließt, erhalten auch die diese Veden selbst schon erklärenden Upanishaden und die Brahmana-Literatur in ihm die Stellung philosophischer Grundlagentexte. Allerdings gilt denjenigen Schriften der Vorzug, in denen die großen Themen des Vedanta am deutlichsten angesprochen werden: die Lehre vom Brahma und Atman, vom geistigen Purusha, vom allesdurchdringenden Prana, dem Lebenshauch, und von der Prakriti-Scheinwelt der Maya. Identifikationen dieser Entitäten mit den prominentesten Göttern des indischen Olymps sind häufig und gewöhnlich und stellen den Bezug zu den religiösen Kulten dieser Gottheiten her.

Die Bhagavad-Gita ("Gesang des Erhabenen") ist ein Lehrgedicht von ca. 700 Strophen, das als Gesänge 25 - 42 im 6. Buch des Mahabharata-Epos über die Schicksale der Nachkommen des Königs Bharata eingebettet ist. Indische Forscher datieren das Epos als Werk des Vyasa ("Ordner") in die graue Vorzeit, europäische deuten es als allmählich zwischen 400 v. Chr. und 400 n. Chr. entstandene Sammlung. (Ausgabe: Mahabharata. Translated into English Prose by Kisari Mohan Ganguli, 12 Bände, 4. und 5. Aufl. Delhi 1982-1991; Mahabharata. A prose English Translation by Manmatha Nath Dutt, 7 Bände, Calcutta 1896, ND. 1988).

Literatur: Die Gita wurde zuerst von Charles Wilkins 1785 ins Englische übersetzt und dadurch den Europäern zugänglich. August Wilhelm Schlegel gab 1823 eine kritische Edition und übersetzte den Text ins Lateinische. Neue Ausgaben: Bhagavad-gita. Der vollständige Text mit dem Kommentar Shankaras unter Heranziehung der Sanskritquellen, übersetzt von J. Dünnebier, München 1989; Bhagavad-gita. Mit einem spirituellen Kommentar von Bede Griffith, übers., eingel. und erl. von M. von Brück, München 1993. Engl. Ausgaben von D. White, Bern 1993; von Franklin Edgerton, 2 Bände Cambridge 1944, ND Delhi 1994; von C. Chapple, Albany 1984, ND. 1994; von Alladi Mahadeva Sastry, 7. Aufl. Madras 1977, Nd. 1988; Auszüge in: S. Radhakrishnan und Ch. A. Moore, eds. A Source Book in Indian Philosophy, Princeton, N. J. 1957, S. 101-163. - Vgl. dazu: Alf Hiltebeitel, The ritual of battle: Krishna in the Mahabharata, ND. Albany 1990; A. Malinar, Rajavidya: Das königliche Wissen um Herrschaft und Verzicht. Studien zur Bhagavadgita, Wiesbaden 1996; R. N. Minor (Hg.), Modern Indian interpretation of the Bhagavadgita, New Delhi 1991; R. J. Venkateswaran, Dictionary of Bhagavadgita, New Delhi 1991.

Der Gesang setzt ein, als die zwei Fürstenfamilien der Kauvaras und der Pandavas mit ihren Heeren gegeneinander zur Schlacht angetreten sind. Zunächst weigert sich der Pandaprinz Arguna, gegen seine Verwandten auf der anderen Seite zu kämpfen. Aber der Gott Vishnu in Gestalt seines Wagenlenkers Krishna belehrt ihn, daß der Kampf unausweichlich ist, und daß der Tod keine Bedeutung habe, da er nur den Körper, nicht aber das ewige geistige Wesen des Menschen betreffe. Bei dieser Gelegenheit wird Arguna in nuce die ganze Vedanta-Lehre vorgetragen. Sie endet mit der Quintessenz, die hier nach H. Glasenapps Versübertragung (Vgl. H. v. Glasenapp, Indische Geisteswelt, Band I: Glaube und Weisheit der Hindus, Hanau 1986, S. 65, Verse 8 - 10) wiedergegeben sei:

"Wer stets bei seinem Tun nur meiner denkt im Leben,
mich über alles liebt, sich ganz mir hingegeben,
wer niemand haßt und wer an keinem Ding mag hangen,
der wird, o Pandusohn, dereinst zu mir gelangen."

Wer Gott sieht, der alle Wesen
ganz durchdringt mit seinem Sein,
im Vergänglichen den Ewigen -
sehend ist nur der allein.

Sieht er Gott allgegenwärtig
in der Dinge buntem Spiel,
tötet er sein Selbst nicht selber
und erreicht das höchste Ziel.

Wer höchstes Wissen sich erwarb auf Erden
und zu mir kommt, in meinem Licht zu stehn,
wird nicht geboren, wenn die Welten werden,
und stirbt nicht, wenn die Welten untergehn".


An thematischen Grundgedanken des Vedanta kann man in der Bhagavad-Gita die folgenden ausmachen: Es gibt einen höchsten Gott als höchsten Purusha (Geistwesen). Er steht zugleich als Weltherrscher über allem, ist aber zugleich mit einem Teil seines Wesens in allem enthalten. Er gilt geradezu als "Behälter des Alls", und alles hat "seine Wurzeln in ihm". Dabei wird er als Weltenlenker, Güte, Vater, Freund beschrieben, der dem Menschen gegenüber wohlwill und alle ihm Ergebenen liebt, insbesondere auch die Sünder erlöst. Als "niedere materielle Natur" (Aparaprakriti) und "höhere energetische Natur" (Paraprakriti) ist dieser Gott zugleich auch Ursache der Erscheinungswelt. Indem er alles erschafft und durchdringt, zeigt er sich doch am meisten in allem Schönen, Machtvollen und Gewaltigen, das aus seinem Glanze hervorgeht. Insofern ist er auch die einzige wirkliche Ursache in aller Erscheinung. Da er aber alles selbst hat und ist, ist er ohne selbstisches Interesse und daher dem karmischen Kausalzusammenhang nicht unterworfen.

Dieser Gott erschafft die Welt, indem er in das sog. Unwandelbare (Akshara), den Mutterschoß, der selbst ein Teil von ihm ist, hineinzeugt. Das Motiv des Zeugens als Schöpfungsmythos ist in der vedischen Tradition ein Fremdmotiv, da sonst diesbezüglich immer vom Ausbrüten die Rede ist. Möglicherweise verdankt es sich auch in der Gita westlichen Einflüssen. Aus diesem befruchteten Mutterschoß gehen dann alle Einzelheiten der Welt hervor, zunächst Unsichtbares (Avyakta), die purushas, dann die sichtbare prakriti-Natur in allen ihren Verdichtungsprodukten. Diese geschaffene Welt geht in periodischer Schöpfung und Vernich-tung auf. Der Gott lenkt diesen Prozeß durch seine Kraft der Maya wie ein Puppenspiel. Insbesondere führt und leitet er alle Seelen in "göttlicher Bestimmung" (daivi sampad), die einen zur Erlösung, die anderen in immer tiefere Verstrickung ins Karma. Das Karma-Motiv in den Veden und in allen Ausprägungen der indischen Philosophie hat als solches schon einen universal-deterministischen Impuls gesetzt. Im Vedanta wirkt er sich als Prädestinationslehre über das Allbewirken des Gottes aus.

Die beiden Wege sind natürlich die des Heils und der Erlösung und des Unheils bzw. der Verdammung. Auch der Heilsweg wird zum Thema der Gita. Er ist gedoppelt: der eine besteht in der Erkenntnis des wahren Seins und dadurch in der Freiwerdung gegen alle Verstrickungen in den prakritischen Schein. Der andere ist der eher "praktische" der Frömmigkeit (bhakti), der allen als der leichtere offensteht, denen Erkenntnis zu schwer ist. Er besteht in treuer Pflichterfüllung und wird im Yoga weiter detailliert. Entsprechend sind aber auch die Heilsziele zweifach. Der erste Weg führt zum Eingang ins Unwandelbare (akshara), den Mutterschoß zurück und wird als Brahma-Nirvana beschrieben. Der zweite Weg ist ein "Gleichartig-Werden" (sadharmyam agata) mit dem göttlichen Purusha, was vielleicht mehr als züfälliger Weise mit der platonischen "Angleichung an den Gott" (homoiosis to theo omoiwsiV tw qew) übereinstimmt.

3. Die eher philosophisch zu nennende Ausarbeitung dieser Motive findet sich auch im Vedanta in den Kommentaren einer bedeutenden Reihe von Klassikern. Als ältester ist Badarayana zu nennen. Max Müller hielt ihn für älter als die Bhagavad Gita, und die Inder setzen seine Lebenszeit zwischen 500 bis 200 v. Chr. an Manche europäischen Forscher datieren ihn jedoch ins 2. Jahrhundert n. Chr. Von ihm stammt ein Brahma-Sutra mit 555 Aphorismen in 4 Kapiteln mit jeweils 4 Abschnitten. Es versteht sich selbst als Zusammenfassung einer vorausgehenden Kommentarliteratur, bleibt dabei aber in seiner Kürze dunkel und umso mehr auslegungsfähig für alle möglichen Gesichtspunkte. Doch insinuiert es eine Evolutionslehre der Welt aus dem Brahma, die mit den Motiven der Evolution der Welt aus dem Purusha in der Gita gut übereinstimmt.

Literatur: Ausgabe: Badarayana, The Brahmasutras and their principal commentaries: A critical exposition, 3 Bände, 2. Aufl. New Delhi 1986; Badarayana, Vedanta-Sutras. With the commentary by Sankaracarya and Ramanuja. Translated by G. Thibaut (Sacred Books of the East Bde 34, 38 und 48), 3 Bände, London 1904, ND. 1985-1990; Badarayana, Die Sutras des Vedanta oder die Cariraka-Mimamsa. Nebst dem vollständigen Kommentar des Cankara, übersetzt von P. Deussen, Leipzig 1887, 2. ND 1982.

Gaudapada folgt mit großem zeitlichem Abstand mit seinen Karikas ("Lehrstrophen"), die vor allem an das Mandukya-Upanishad erklärend anschließen. (vgl. die Auszüge aus den "Gaudapadakarikas on the Mandukya Upanishad also called Agamashastra", in: Karl H. Potter (Enc. of Indian Philosophies, Band III, Delhi 1981, S. 105 - 114). Potter (ibid. S. 13) datiert das Werk vor 630 n. Chr, andere halten es für noch jünger, nähmlich als aus dem 8. Jahrhundert n. Chr. stammend. In Auseinandersetzung auch mit buddhistischen Argumenten entwickeln die Karikas eine Theologie eines einzigen Gottes (deva), der hier auch Atman ("Selbst") genannt wird. An das fast tausend Jahre ältere Lehrgedicht des Parmenides gemahnend, gilt dieser Gott als das einzige einheitliche Sein. Ihn zu denken heißt jede Vielheit ausschließen, die ihrerseits Kennzeichen der Scheinwelt und des eigentlich Nichtigen der Maya ist. So gerät ins Zentrum dieser Theologie der Begriff der "Nicht-Zweiheit" (Advaita) dieses Gottes, der dann für alle Formen der monotheistischen Hindu-Religionen bestimmend blieb. Wie auch schon bei Parmenides über den "zweiten Weg der Forschung" über das Nichts wird aber auch in den Karikas eine eigene Theorie von der Entstehung der Illusionen bzw. über das Wesen des Scheins und des Nichtigen aufgeboten. Es wird dabei vorausgesetzt, daß die Erfahrung der selbstgemachten Traumwelt die Nichtigkeit und Scheinhaftigkeit der Vielfalt beweise. Hauptargument für die Nichtigkeit der im Wachzustand erfahrenen phänomenalen Wirklichkeit ist die These, daß es kein verläßliches Unterscheidungskriterium eines Unterschiedes zwischen Traum und Wacherfahrung geben könne. Und so ist auch für Gaudapada die Welt der sinnlichen Erfahrung nur ein scheinhaftes Traumgebilde, das der eine Gott sich selber inszeniert.

Da in dieser Theologie nur von dem einen Gott als eigentlich Wirklichem die Rede ist, muß auch die erscheinende Vielheit der Seelen als eine Illusion der Maya gelten. Der wahrhaft Erkennende sieht die Welt immer schon vom Standpunkt des einen und einzigen Gottes, ohne sich selbst gemäß der Advaita-Lehre auch nur als Teil dieser Einheit deuten zu können. Manche Interpreten sehen darin eine solipsistische Fassung des Idealismus des Vedanta.

Literatur: Gaudapada, The Agamasastra (Transkription in lat. Buchstaben), übersetzt und annotiert von Vidhusekhara Bhattacharya, Calcutta 1943, ND. 1989; Douglas A. Fox (Ed.), Dispelling Illusion: Gaudapadas "Alatasanti", with an introduction, Albany 1993.

Die bedeutendste Gestalt unter den Klassikern des Vedanta ist Shankara (788-820 n. Chr.). Er war über seinen Lehrer Govinda ein Enkelschüler des Gaudapada, an dessen Werk er entschieden anknüpft. In der Tat hat er dessen Lehre mit einer Menge von Schriften (von denen vermutlich viele wegen seiner nachmaligen Prominenz unter seinem Namen in Umlauf kamen) zu einem System ausgebaut. Die Advaita-Lehre des Gaudapada verschärft er zu einer "absoluten Nicht-Zweiheitslehre" (kevaladvaitamata), die seither als Kernstück des klassischen Vedanta gilt.

Unter Hindus wird Shankara für den größten indischen Denker überhaupt gehalten, geradezu für den indischen "Platon", und auch westliche Forscher folgen ihnen darin gewöhnlich. Vergleiche mit den berühmtesten idealistischen oder als solchen geltenden Denkern der west-lichen Philosophie sind daher immer wieder angestellt worden.

Literatur: Sankara, A thousand Teachings: The Upadesasahasri of Sankara. Translated and ed. by S. Mayeda, Tokyo 1979, ND. Albany 1992; A. J. Alston, A Samkara Source-Book, 6 Bände: I-III: On the Absolute, On the Creation, On the Soul, London 1980-1981, Nd. 1983-1987; IV-VI: On rival Views; On Discipleship, On Enlightenment, London 1989; Upanishads in Sankara's own words, with the bhasyas in the original Sanskrit, english translation, exhaustive explanatory notes and footnotes by V. V. Panoli, 4 Bände, Calicut 1992-1995; Realization of the Supreme Self: The Bhagavad Gita Yogas of Sankara, transl. by Trevor Leggett, London 1995; The Complete Commentary By Sankara on the Yoga Sutras: A full translation of the newly discovered text by Trevor Leggett, London 1990; F. X. D' Sa, Word-Index to Sankara's Gitabhasya, Pune 1985; T. Vetter, Studien zur Lehre und Entwicklung Shankaras, Wien 1979); J. A. Taber, Transformative Philosophy: A Study of Shankara, Fichte and Heidegger, Honolulu 1983; Abheda Nanda Bhattacharya, The Idealistic Philosophy of Shankara and Spinoza. Some Typical Problems of Idealism of the Two Philosophers, Delhi 1985; Natalia Isayeva, Shankara and Indian philosophy (SUNY series in religious studies), Albany 1993; K. Jayammal, A Glossary of Technical Terms in the Commentaries of Sankara, Ramanuja and Madhva on the Brahma-Sutras, New Delhi 1998.

4. Da die Lehre des Shankara die systematische Grundlage des Vedanta bildet, können wir uns bei einem systematischen Überblick an ihr orientieren.

a. Hermeneutische Kanons. Die Veden selbst und ihre Auslegung in den Brahmana-Schriften und Upanishaden bleiben selbstverständliche Wissens- und Erkenntnisvoraussetzung der Lehre. Diese Texte enthalten unbezweifelt die höchste und einzige Wahrheit. Jedoch stößt die Aneignungs- und Interpretationsbemühung auf widersprüchliche Aussagen in den Texten. Dieses Faktum begründet nun eine spezifische Hermeneutik für das Verständnis dieser vedischen Wahrheit. Die schon bei Gaudapada unterschiedenen Wege der Sinnerforschung erweisen sich hier als solche, die - wie auch im hermeneutischen Umgang des Abendlandes mit seinen heiligen Schriften - einerseits auf den einen, einheitlichen und wahren Tief- und Hintersinn führen, nämlich zur Advaitalehre als Lehre von der einzigen und höchsten Wirklichkeit (paramartha), andererseits auf den ganz am "Buchstaben" hängenden Vordergrundssinn einer selbst illusionsgebundenen Lehre vom Welttreiben (vyahara). Diese letztere erklärt daher die Erscheinungswelt der Maya in ihrem evolutionären Entstehen und ihrer Vielfalt und Buntheit. Und betonen wir schon hier: zu dieser Vielheit gehören auch die illusionär vereinzelten Geistmonaden, durch die der Suchende sich selbst zu verstehen sucht. Im Anschluß an das Mundaka-Upanishad wird der erste Weg der hermeneutischen Forschung auch "höhere Wissenschaft" (paravidya) genannt, der zweite "niedere Wissenschaft" (aparavidya).

b. Erkenntnistheoretischer Ausgang ist die Selbstgewißheit des Atman. Atman (Selbst) kann weder bewiesen noch geleugnet werden, da es in jeder Erkenntnis und auch Täuschung schon mitspielt. Es kann in keiner Weise "objektiviert" und somit zum Gegenstand erklärender Aussagen gemacht werden. Und auch wenn es "reiner Zeuge" (sakshin) und Zuschauer bei allem Denken und Tun genannt wird, soll dies keine inhaltliche Erklärung enthalten. Atman ist die Urtatsache schlechthin; es wird auch mit dem identifiziert, was in alten Texten "Brahman" genannt wird. Von ihm aber gilt, daß es von sich sagen kann: "Ich bin es, der das gegenwärtige Sein erkennt, der das vergangene erkannte und der das zukünftige erkennen wird".

Bei aller Verwandtschaft, die dieser "subjektive" Erkenntnisansatz mit abendländischen Idealismen aufweist, muß sogleich auf den grundlegenden Unterschied hingewiesen werden, der ihn von den meisten Subjektivismen abendländischer Provenienz trennt. Es ist die Betonung der grundsätzlichen Nichtobjektivierbarkeit des Subjektes, die den vielfältigen Versuchen einer "reflexiven" (selbstbezüglichen) Objektivierung des Subjektes im abendländischen Denken gegenübersteht. Man kann ja ohne weiteres sagen, daß alle abendländischen Versuche, in reflexionsphilosophischer Manier das Selbst (Selbstbewußtsein, Ich, Subjekt) zu analysieren, in dialektischen Spekulationen geendet haben, in denen das Subjekt sich selbst zum Objekt und somit zum "Anderen" des Subjekts gemacht wird, das dennoch zugleich das "Nicht-Andere" bleiben soll. Und um die Blöße dieser widerspruchsvollen Argumentation zu decken, sah man sich überall, wo so reflexionsphilosophisch analysiert wurde, auch gezwungen, die Apologie einer höhere Wahrheit und Einsicht liefernden Dialektik zu betreiben.

Alledem ist der Vedanta von vorherein aus dem Wege gegangen, indem er die (axiomatische) Unbegreiflichkeit des Atman postulierte. Will man westliche Gegenstücke dazu benennen, so findet man sie wiederum beim Bischof George Berkeley, für den ebenfalls alles (erscheinende) Sein Produkt der Sinnestätigkeit ist ("esse = percipi"), diese selber aber zum Wesen des Geistes gehört, der ebenso wenig objektivierbar ist wie der vedische Atman. Und dabei war sich Berkeley bewußt, und er betont, daß man über den Geist nur mittels "notion", für ihn ein widerspruchsvoller Begriff aus falscher "Abstraktion", reden kann. Man findet ein Gegenstück aber auch bei Schopenhauer, der darin die grundlegende Gemeinsamkeit seiner Philosophie mit dem Vedanta sah, und den die Vedantin daher wohl am meisten von allen westlichen Philosophen als ihrem Denken am meisten nahestehend akzeptierten.

An die Stelle der theoretisch-begrifflichen Annäherung rückt die yogische Praxis der "mystischen" Erfahrung dieses Einen, die bei gehöriger Anstrengung zugänglich sein soll. Als Vorstufe dieser Letzterfahrung gilt die von jedermann zu vollziehende Traumerfahrung, in welcher eine erscheinende Vielfalt als gänzlich vom aktiv Träumenden produziert und zugleich als Schein und Illusion des Atman erlebt wird. Ein echtes Erwachen aus dieser aktiven Produk-tion einer illusionären Welt gibt es unter den genannten Voraussetzungen nicht, vielmehr wird ja die sog. Wachwelt als kontinuierliche Fortsetzung der Illusionsproduktion des Atman gedeutet. Das im Abendland immer wieder als Unterscheidungskriterium zwischen Traum und Wachwelt diskutierte Kriterium des Erwachens erhält dadurch im Vedanta einen ganz anderen Stellenwert. Es kann allenfalls als Demarkationskriterium von Bereichen oder Stufungen der Mayawelt dienen. Man wechselt nicht, wie im abendländischen Verständnis, von einer aktiven Expressionswirklichkeit (des Unbewußten) im Traum zu einer passiven Impressionswelt (des Bewußtseins und seiner "Wahrnehmungen"), die durch eine "an sich" bestehende Wirklichkeit sollizitiert wird, sondern allenfalls von einem mehr oder weniger unübersichtlichen und ungeordneten Illusionsbereich in einen geordneten und geregelten Illusionsbereich. Beides aber verschwindet - und zeigt für den Vedantin darin seine Nichtigkeit - im Tiefschlaf. Und dieser wiederum wird daher nicht, wie im Abendland, als Reduktion der Bewußtseinsaktivität auf einen wie auch immer zu beschreibenden "Nullgrad" bzw. vollkommenen "Unbewußtheitszustand" (was ersichtlich sehr dialektisch-widersprüchliche Beschreibungsbegriffe sind!) gedeutet, vielmehr als Erreichen einer höchsten Aktivität des Atman, der keinerlei illusionäre Mayaproduktion mehr leistet. Diese Erfahrung ist dem Lebendigen nur zeitweise in der Versenkung, Meditation und im sog. Innewerden der Einheit und absoluten Nichtzweiheit des Atman möglich. Sie wird aber zur Metapher des endgültigen Einswerdens im Erlösungszustand des Vedantin.

c. Das metaphysische Prinzip. Will man derartiges nach westlichem Verständnis im Vedanta auszeichnen, so kann es nur der Atman sein. Vom metaphysischen Prinzip in Gedankensystemen kann man sagen, daß es alles zu Diskutierende und zu Problematisierende erklären soll, während es selbst nicht weiter erklärbar oder hinterfragbar ist. Gleichwohl erlaubt es Annäherungen und Fassungen, von denen gerade eben die Rede war, die seine Plausibilität für die erwartete Totalerklärungpotenz bewirken.

Die Frage der Plausibilisierung des metaphysischen Prinzips stellt sich im Vedanta in recht ähnlicher Weise wie in jeder Theologie, die von einem höchsten Gott redet und kündet. Sie führt immer zum sog. Transzendentalienproblem, nämlich der Frage eines sprachlichen Zugriffs auf das Eine und einheitlich Gemeinte in seinen verschiedenen sprachlichen Artikulierungen. Neuplatonisch-christliches Denken hat es seit Pseudo-Dionysios mit einer ausgefeilten Theorie der vielfachen Gottesnamen und mit der sog. negativen Theologie, die das eine Göttliche durch negierende Abgrenzung vom Nicht-Göttlichen (dem Geschaffenen) benennt, versucht. Die Hochscholastik versuchte es mit der "transzendentalen Einheit" der Aspekte des Guten, Schönen, Wahren und Seins im Einen Göttlichen. An dieser Stelle finden wir im Vedanta die These von der einheitlichen Bedeutung der verschiedenen Benennungen des Atman in den vedischen und upanishadischen Texten. Atman ist zugleich dasjenige, was auch mit Brahman, mit Purusha gemeint ist. Und darüber hinaus sind alle Götternamen des vedischen Olymps und der Hindukulte, wie Ishvara, Wishnu, Shiva und so viele andere, Chiffren seiner Einheit.

d. Die praktische Philosophie als Theorie des Heilswegs. Wie die gesamte priesterliche vedi- sche Tradition sich der Hoffnung und dem Versprechen der Heilsgewinnung und -gewährung verdankt, so bleibt dies auch das zentrale Anliegen des Vedanta. Was wir bisher als theoretische Bemühung um die Zielbestimmung dieser Bestrebungen geschildert haben, das bedarf seiner Operationalisierung. Und diese kann nur in der selber theoretischen Vorgabe von Regeln oder Normen bestehen, den ganzen Lebensvollzug auf dieses Ziel hin auszurichten. Im Yoga- Darshana sind solche Normen am konsequentesten und weitläufigsten entfaltet worden, und sie bilden naturgemäß auch den Hintergrund für das, was der Vedanta darüber sagt. Das Ziel des Heils besteht im Ganz-Atman-Werden, wie die Metaphysik des Vedanta es erläutert. Um es auch nur anzustreben, bedarf es der grundlegenden Einsicht in den Mayacharakter der Lebens-welt und damit der Einsicht in den den Unterschied zwischen dem Ewigen und dem Nichtewigen. Lebensweltliches Leben aber heißt Eingebundensein in die karmischen Verstrickungen des Nichtewigen der Mayawelt, aus der es sich zu lösen gilt. Da jedes lebensweltliche Bestreben auf Erfolg und Effekte von Handlungen, auf Belohnung für Anstrengungen, auf Befriedigung von Wünschen und Erfüllung von Hoffnungen ausgeht, gilt es zuerst, sich von allen solchen Verführungen loszumachen. Und das heißt zugleich, daß die Gewinnung des Heils nicht als Lohn und Gewinn, als Glück und Befriedigung anzustreben oder gar zu erhoffen wäre, denn solches Heil wäre nur eine neue Illusion paradiesischer Scheinwelten. Geduld im Hinnehmen von Leiden und Mühsal, aber warum nicht auch von glücklicheren Lagen und Freuden, wenn sie nicht erstrebt werden, bedeutet die Einübung in eine Gemütsruhe, die sich dann ganz auf das eigentliche Ziel einer souveränen Unabhängigkeit vom vielfältig-bunten Weltgetriebe konzentrieren kann. Grundlage von alledem bleibt dabei die feste Überzeugung, daß die wahre Erkenntnis dieser Gegebenheiten in den Veden ausgesprochen und durch die Veden-Auslegung ein für allemal festgestellt worden sei.

5. An Shankara schließt eine kontinuierliche Reihe von Schülern und Schulen an, die sowohl in seinem Sinne die vedisch-upanishadischen Texte als auch seine Schriften selber interpretieren und die Vedanta-Lehre ausbauen. Unmittelbare Schüler des Shankara waren Padmapada mit seiner Schrift Pancapadika (vgl. die Auszüge bei Karl H. Potter, Enc. of Indian Philosophies, Bd. 3, Delhi 1981, S. 563 - 597) und Sureshvara mit der Schrift Naishkarmya-siddhi (vgl. John Grimes, The Naiskarmyasiddhi of Suresvara: A Monograph, Delhi 1992). Auf ersteren geht die Vivarana-Schule zurück, benannt nach dem Hauptwerk Vivarana des Prakhatman, der um 1100 n. Chr. wirkte. An letzteren schloß sich Sarvajnatman mit seinem Hauptwerk Sankshepa-shariraka als Schüler an (vgl. The Samksepasariraka, critically edited with introduction, English translation, notes and indexes by N. Veezhinathan, 2. Aufl. Madras 1985).

Weitere Vertreter des Vedanta waren dann Vimuktatman mit dem Werk Ishtassiddhi im 10. Jahrhundert, Anandabodha mit dem Nyayamakaranda im 11. Jahrhundert und Shrisharsha mit dem Khanda-nakhanda-khadya ("Leckerbissen der Kritik") im 12. Jahrhundert. Vidyaranya schrieb um 1350 das Pancadashi, Sadananda um 1500 das Vedanta-sara, Dharmaraja um 1550 das Vedanta-paribhasha, und etwa gleichzeitig Madhusudhana Sarasvati ein Advaita-siddhi, um um 1600 wirkte Appayadishita.

Von dieser Filiation des Vedanta weicht im 11. Jahrhundert die Richtung des Ramanuja ab (Vgl. dazu: Rama Prasad, Ramanuja and Hegel: A comparative study, New Delhi 1983). In seinem Kommentar zu den Vedanta-Sutras (vgl. The Vedanta Sutras with the Commentary of Ramanuja, übers. von George Thibaut, in: Sacred Books of the East, Band 48, Oxford 1904; Textauszüge in: S. Radhakrishnan und Ch. A. Moore, A Source Book of Indian Philosophy, Princeton, N. J. 1957, S. 543 - 555) erhält das Individuum neben dem göttlichen Brahman-Atman eine relativ selbständige Stellung. Sein Heilsziel liegt nicht, wie bei Shankara, in der völligen Einswerdung mit dem göttlichen Brahman, sondern gerade in der Findung und Erhaltung seiner Individualität als Atman. In ähnlicher Weise betont dann auch Madhva (1197-1276) die relative Selbständigkeit des individuellen Atman gegenüber dem göttlichen Brahman (vgl. Vedanta-sutras with the Commentary of Sri Madhwacharya, translated by S. Subba Rao, 2. Aufl. Tirupati 1936; Auszüge in: S. Radhakrishnan und Ch. A. Moore, a. a. O. S. 555 - 572; dazu: Roque Mesquita, Madhva und seine unbekannten literarischen Quellen. Einige Beobachtungen, - Publications of the De Nobili Research Library, 24 - Wien 1997).

Diese Frage der Stellung der individuellen Seele zum göttlichen Sein wird in etwa derselben Zeit bekanntlich auch zum großen Streitpunkt der aristotelisierenden christlichen und islamischen Theologien. Während Thomas von Aquin durch seine Theorie von den "separaten Formen" die Selbständigkeit der individuellen Seelen nach der Ablösung vom Körper vertritt, lassen Averroes (Ibn Rushd) und der islamische Averroismus, der auch im christlichen Abend-land Anhänger fand, die Einzelseele in der göttlichen Allseele aufgehen. Da es sich bei dieser Frage um einen epochalen Religionsstreit zwischen Christentum und Islam handelt, wird man wohl davon ausgehen können, daß er auch in Indien nicht ganz unbemerkt geblieben ist und daher vielleicht diese dogmatischen Divergenzen innerhalb des Vedanta hervorgerufen hat.

Wie die anderen Darshanas wird auch der Vedanta bis in die Gegenwart weiter vertreten und ausgebaut. Als indisches Gegenstück zum westlichen Platonismus stößt er vielfach auf dieselben Probleme wie dieser und entwickelt sich in neuplatonischer Tendenz zu einem verzweigten idealistischen Denksystem. Wie der Neuplatonismus als philosophische Unterlage der jüdischen, christlichen und islamischen Theologie die "Rettung der Phänomene" als göttlicher Schöpfung gegenüber ihrer völligen "Vernichtung" durch Erkenntnis ihrer Scheinhaftigkeit betrieb, so verstärkte sich auch im Vedanta die Tendenz, die Mayawelt gemäß ihrem göttlichen Ursprung vor der Vernichtung (etwa durch den Nihilismus des Buddhismus) zu retten und ihr eine eigene ontologische Dignität zuzuschreiben. In Kenntnis auch der europäischen Idealismen, insbesondere des deutschen Idealismus, konvergieren hier die Problemstellungen und die Problemlösungen.

In umfassendster Gestalt kommt diese Konvergenz wohl im Werk von Sri Aurobindo (1872 - 1950, vgl. S. Radhakrishnan und Ch. A. Moore, A Source Book in Indian Philosophy, Princeton 1957, S. 575 - 609) und Sarvepalli Radhakrishnan (1888-1975) zum Ausdruck (vgl. An idealist View of Life, London 1929; Selbstdarstellung in: S. Radhakrishnan und Ch. A. Moore, a. a. O. S. 610-637).

Literatur: Lakshmi Saxena, Neo-Hegelianism and Neo-Advaitic Monism. A Study in Converging Perspectives, Delhi 1979; Ram Murti Sharma, Encyclopaedia of Vedanta, Delhi 1993.

 

BIBLIOGRAPHIE ZUR INDISCHEN PHILOSOPHIE

 

1. Bibliographien

Association for Asian Studies (Hg.), Bibliography of Asian Studies, 1969 ff., Ann Arbor 1971 ff.

Th. Aufrecht, Catalogus catalogorum. An alphabetical register of Sanscrit works and authors, Leipzig 1891-1903, ND in 2 Bänden, Wiesbaden 1962.

C. Bendall, Catalogue of the Sanskrit manuscripts in the Britisch Museum, London 1902.

J. Bjorling, Reincarnation: A bibliography (Garland reference library of social science, 874), New York 1996.

B. C. Bloomfield, Theses on Asia accepted by universities in the United Kingdom and Ireland 1877 - 1964, London 1967.

R. N. Dandekar, Vedic bibliography. An up-to-date, comprehensive, and analytically arranged register of all important work done since 1930 in the field of Veda and allied antiquities including Indus valley civilisation, 4 Bände, (Bombay und) Poona 1946 - 1985.

T. N. Dharmadhikari (Hg.), Descriptive Catalogue of Sanskrit Manuscripts in the Vaidika Samshodhana Mandala, Poona, 3 Bände, Poona 1974 - 1985.

M. B. Emeneau, A Union List of printed Indian texts and translations in American Libraries, New Haven 1935.

J. N. Farquhar, An outline of the religious literature of India, Oxford 1920.

H. A. I. Goonetileke, A Bibliography of Ceylon. A systematic Guide to the Literature on the Land, People, History, and Culture published in Western Languages from the 16th Century to the present Day (Bibliotheca Asiatica, 5, 14, 16), 5 Bände, Zug 1970 - 1983.

Kr. Gopal (ed. by D. Ray), Theses on Indian Sub-Continent, 1877-1971, Delhi 1977.

G. Grönbold, Der buddhistische Kanon: Eine Bibliographie, Wiesbaden 1984.

R. Grünendahl, Hochschulschriften zu Süd- und Südostasien; Deutschland - Österreich - Schweiz, 1958 - 1979, Wiesbaden 1981.

F. Hall, A contribution towards an index to the bibliography of the Indian philosophical systems, Calcutta 1859.

S. Hanayama, Bibliography on Buddhism, Tokio 1961.

India Office Library Catralogue, Vol. 2 P.1: Sanskrit books, Sekt. 1- 4, London 1938-1957.

O. Harrassowitz (Versandbuchhandlung), South Asia, Far East (Asia-Orient Special List 385), Wiesbaden 1998.

O. Harrassowitz (Versandbuchhandlung), South Asia. Religions and Philosophies (Asia-Orient Catalog 685), Wiesbaden 1997.

H. L. Held, Deutsche Bibliographie des Buddhismus, München-Leipzig 1916.

M. Hulin, Samkhya literature ( A history of Indian literature, 6, III), Wiesbaden 1978.

Kl. L. Janert, An annotated bibliography of the catalogues of Indian manuscripts (Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland, Suppl.- Band I), Wiesbaden 1965.

Kl. L. Janert, Verzeichnis indienkundlicher Hochschulschriften: Deutschland, Österreich, Schweiz, Wiesbaden 1961.

Ch. Jain, Jaina bibliography. An encyclopaedic work of Jain references in world literature, 2 Bände, 2. Aufl. New Delhi 1982.

H. R. Jarrell, International Yoga Bibliography, 1950 - 1980, London 1981.

M. Jinavijaya u. a. (Hg.), Catalogue of Sanskrit and Prakrit Manuscripts in the Rajasthan Oriental Research Institute, 22 Teile, Jodhpur 1963 ff.

M. Lalou und J. Przyluski, Bibliographie bouddhique, Paris 1928 ff.

R. D. Maiduly u. a. (Hg.), A Catalogue of Sanskrit Manuscripts in the Vrindaban Research Institute, 3 Bände, Vrindaban 1976 - 1981.

G. Marulasiddajah u. a. (Hg.), Descriptive Catalogue of Sandkrit Manuskripts of the Oriental Research Institute of Mysore, 11 Bände (Oriental Research Institute Series), Mysore 1978 - 1985.

Motilal Banarsidass (Buchverlag in Delhi), MLBD Newsletter. A monthly of Indological bibliography, 21. Jg. 1999.

K. Parameswara Aithal, Veda-Laksana: Vedic ancillary literature. A descriptive bibliography (Beiträge zur Südasienforschung, 143), Stuttgart 1991.

M. M. Patkar u. a. , Descriptive Catalogue of Sanskrit Manuscripts in Shri Ranbir Sanskrit Research Institute, Jammu, 3 Bände, Jammu 1970 - 1984.

J. D. Pearson (Hg.), South Asian Bibliography. A handbook and guide, Sussex 1979.

K. H. Potter, Bibliography of Indian philosophy (The Encyclopedia of Indian philosophy, Vol. I), New Delhi 1970.

A. Rahman u. a., Science and Technology in Medieval India: A Bibliography of Source Materials in Sanskrit, Arabic, and Persian, New Delhi 1982.

M. Rangacarya, A descriptive catalogue of the Sanskrit manuscripts in the Government Orient Manuscripts Library. Band 1: Systems of Indian philosophy, Madras 1910-1911.

V. Raghavan, New catalogus catalogorum, 2 Bände, Madras 1949.

P. M. Rai, Sikhism and the Sikhs: An annotated bibliography (Bibliographies and indexes in religious studies, 13), London 1989.

K. Regamey, Buddhistische Philosophie (Bibliographische Einführungen in das Studium der Philosophie, 20, 21), Bern 1050.

L. Renou, Bibliographie védique, Paris 1931.

Sahitya Academy (Hg.), The National Bibliography of Indian Literature, 1901-1953, 4 Bände, New Delhi 1962-1974.

Satyaprakash, Hinduism. A Select Bibliography, Gurgaon 1984.

Satyaprakash, Muslims in India: A Bibliography of their religious, socio-economic and political Literature, Gurgaon 1985.

P. Schreiner, (Hg.), Yoga: Grundlagen, Methoden, Ziele. Ein bibliographischer Überblick, Bonn 1979.

F. J. Shulman, Doctoral Dissertations on South Asia, 1966 - 1970. An annotated bibliography covering North America, Europe, and Australia (Michigan Papers on South and Southeast Asia, 4), Ann Arbor 1971.

W. Schubring u. a., Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland. "Indische Handschriften": Band 2, Teile 2 - 8 und 10, Wiesbaden 1962 - 1987.

L. Sternbach, Bibliography on Dharma and Artha in ancient and medieval India, Wiesbaden 1973.

W. Totok, Handbuch der Geschichte der Philosophie, Band 1: Altertum. (Darin S. 13-50: Indische Philosophie), Frankfurt a. M. 1964.

V. Varadachari, Descriptive Catalogue of Manuscripts in the Institut Francais d' Indologie in Pondichéry, Pondichéry 1986.

J. M. Verpoorten, Mimamsa literature (A history of Indian literature, 6, V), Wiesbaden 1987.

H. Weber, Festschriften deutscher, österreichischer und schweizerischer Indologen: Bibliographie und Inhalt, hg. von K. L. Janert , Teil 1 (bis 1956), Bonn 1994. 

2. Nachschlagewerke

S. R. Bakshi (Hg.), Encyclopedia of gurus, 6 Bände, New Delhi 1994 (= Leben und Philosophien der Sikh-Gurus).

S. Ch. Banerji, A companion to Indian philosophy, Delhi 1996.

F. W. Bunce, A dictionary of Buddhist and Hindu iconography, New Delhi 1997.

B. Carr und I. Mahalingam (Hg.), Companion encyclopedia of Asian philosophy, London-New York 1997 (Persisch-zoroastrische, indische, buddhistische, chinesische, japanische und islamische Philosophie).

S. A. Dange, Encyclopedia of Puranic beliefs and practices, 5 Bände, New Delhi 1986-1990.

N. K. Dash, An encyclopedic dictionary of Indian culture, Delhi 1992.

A. Datta, Encyclopaedia of Indian Literature, New Delhi 1987 ff.

R. Deb (Radhakanta Deva, 1822 -1852), Shabdakalpadruma (Sanskrit-Enzyklopädie), o. O. u. J.

J. Dowson, A classical dictionary of Hindu mythology and religion, geography, history, and literature (Trubner's Oriental Series), 10. Aufl. London 1961, auch Delhi 1998.

K. C. Dutt, Who' s who of Sanskrit scholars in India, 1991, New Delhi 1994.

F.-K. Ehrhard und I. Fischer-Schreiber, Das Lexikon des Buddhismus: Grundbegriffe und Lehrsysteme, Philosophie und meditative Praxis, Literatur und Kunst, Meister und Schulen, Geschichte, Entwicklung und Ausdrucksformen von ihren Anfängen bis heute, 2. Aufl. München 1993.

I. Fischer-Schreiber, F.-K. Ehrhard, K. Friedrichs, Lexikon der östlichen Weisheitslehren: Buddhismus, Hinduismus, Taoismus, Zen, München 1994.

G. R. Garg, International Encyclopaedia of Indian Literature, Delhi 1987.

J. Garret, A Classical Dictionary of India, illustrative of the mythology, philosophy, literature, antiquities, arts, manners, customs, etc. of the Hindus, Madras 1871 - 1873, ND. 1971.

J. Grimes, A concise dictionary of Indian philosophy. Sanskrit terms defined in English, 2. Aufl. Albany 1996.

H. W. Haussig (Hg.), Götter und Mythen des indischen Subkontinents (Wörterbuch der Mythologie, I: Die alten Kulturvölker; Band V), Stuttgart 1984.

J. Herbert und J. Varenne, Vocabulaire de l' Hindouisme, Paris 1985.

G. Liebert, Iconographic Dictionary of the Indian Religions: Hinduism - Buddhism - Jainism, Leiden 1976, 2. Aufl. Delhi 1986.

W. H. McLeod, Historical dictionary of Sikhism, Lanham 1995.

Kl. Mylius, Wörterbuch Sanskrit-Deutsch, Leipzig 1980.

Kl. Mylius, Wörterbuch des altindischen Rituals. Mit einer Übersicht über das altindische Opferritual und einem Plan der Opferstätte, Wichtracht 1995.

H. Nadi, Dictionary of Indo-Persian literature (Foreword by Kapila Vatsyayan), New Delhi 1995.

N. Natarajan (Hg.), Handbook of twentieth-century literatures of India, Westport 1996.

Nyanatiloka, Buddhistisches Wörterbuch. Kurzgefaßtes Handbuch der buddhistischen Lehren und Begriffe in alphabetischer Anordnung, Konstanz 1953, 4. Aufl. Konstanz 1989.

G. Oberhammer, Terminologie der frühen philosophischen Scholastik in Indien. Ein Begriffswörterbuch zur altindischen Dialektik, Erkenntnislehre und Methodologie (Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens, 9 und 17), Wien 1991-1996 (bis "Pu").

B. Padhi und M. Padhi, Indian philosophy and religion: A reader's guide, Jefferson 1990.

Ch. S. Prebish, Historical dictionary of Buddhism (Historical dictionaries of religions, philosophies, and movements, 1), Metuchen, N. J. 1993.

K. H. Potter (Hg.), Encyclopedia of Indian philosophies, 8 Bände, Delhi 1970 - 1999, s. u.: 5. Gesch. d. Phil.

O. P. Ralhan, Encyclopedia of Sikhism: Religion and culture, 2 Bände, New Delhi 1997.

O. P. Ralhan (Hg.), The great gurus of the Sikhs, 6 Bände, New Delhi 1997.

G. Ramakrishna, N Gayathri und D. Chattopadhyaya, An Encyclopaedia of South Indian Culture, Calcutta und Delhi 1983.

T. A. G. Rao, Elements of Hindu iconography, 4 Teile, Madras 1914-1916, 3. ND Delhi 1993.

W. Rau, Bilder deutscher Indologen (136 Portrait-Bilder), 2. Aufl. Wiesbaden 1982.

R. Reyna, Dictionary of Oriental philosophy, with a foreword by M. Bagchi, 2 Bände, New Delhi 1984, ND 1994.

D. Rothermund, Indien: Kultur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt. Ein Handbuch, München 1995.

A. K. Roy und N. N. Gidwani, A Dictionary of Indology, 4 Bände, New Delhi 1983 - 1986.

A. Sagar (Hg.), Directory of Publishers and Booksellers in India, New Delhi 1986.

R. M. Saletore, Encyclopaedia of Indian Culture, 5 Bände New Delhi 1981 - 1985.

Ch. Sen, A dictionary of the Vedic rituals, based on the Shrauta and Grhya sutras, Delhi 1982.

J. S. Sharma, Encyclopaedia Indica, 2 Bände, 2. Aufl. New Delhi 1981.

P. S. S. Shashi (Hg.), Encyclopedia Indica: India, Pakistan, Bangladesh, 20 Bände, New Delhi 1996-1997. (Band 1o - 11: Vedic language and literature; Band 12: Rgveda; Band 13: Samaveda; Band 14: Yajurveda; Band 15: Atharvaveda; Band 16: Philosophy of the Upanishads; Band 17: Wisdom of the Upanishads; Band 18: Brahmanas; Band 19: Aranyaka; Band 20: Dharmashastras).

G. Shaw, Printing in Calcutta to 1800. A description and checklist of printing in late 18th century Calcutta, London 1981.

C. Sivaramamurti, Indien: Kunst und Kultur. Aus dem Französischen übers. von O. von Hinüber, Freiburg 1987.

M. und J. Stutley, A Dictionary of Hinduism. Its mythology, folklore and development, 1500 B. C. to A. D. 1500, London 1977.

Suryakanta, A Practical Vedic Dictionary, Delhi 1981.

D. D. Vadekara, Tattvajnana mahakosha ("Große Enzyklopädie der wahren Erkenntnis" in Marathi-Sprache), 3 Bände, Poona 1974.

N. Vasu (Hg.), Hindi Vishvakosha. The Encyclopaedia Indica (in Hindi-Sprache), Band 1, Calcutta 1915, ND 1986.

B. Walker, Hindu world. An encyclopedic survey of Hinduism, 2 Bände, London 1968, ND. 1983.

K. Werner, A popular dictionary of Hinduism, London 1994.  

3. Zeitschriften

Bibliotheca Classica Orientalis, Berlin 1955 ff.

Journal of Indian Philosophy, Dordrecht-Boston-London 1972 ff.

Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens und Archiv für indische Philosophie (WZKS), Wien-Leiden-Köln 1957 ff.

MLBD Newsletter. A Monthly of Indological Bibliography, hg. vom Verlag Motilal Banarsidas, New Delhi.

Philosophy East and West. A Quarterly of Comparative Philosophy, Honolulu 1951 ff.

Journal of the Indian Council of Philosophical Research, 1983 ff.

Indian Philosophical Quarterly, Poona 1973. 

4. Einführungen

M. Barbera, L'incantesimo dell'induismo, Brescia 1939.

S. S. Barlingay, Reunderstanding Indian Philosophy: Some Glimpses, New Delhi 1998.

S. S. Barlingay, A Modern Inttroduction to Indian Ethics, Delhi 1998.

H. Bechert und G. von Simson (Hg.), Einführung in die Indologie: Stand, Methoden, Aufgaben, 2. Aufl. Darmstadt 1993.

A. Becke, Hinduismus zur Einführung, Hamburg 1996.

T. Bernard, Hindu philosophy, New York 1947.

S. Chatterjee, The fundamentals of Hinduism. A philosophical study, Calcutta 1950.

S. Catterjee und D. M. Datta, An introduction to Indian philosophy, 3. Aufl. Calcutta 1948, 7. Aufl. 1968.

G. Flood, An introduction to Hinduism, Cambridge 1996.

E. Gathier, La pensée hindoue, Paris 1960.

H. Glasenapp, Die Philosophie der Inder. Eine Einführung in ihre Geschichte und ihre Lehren, 3. Aufl. Stuttgart 1974, 4. Aufl. Stuttgart 1985.

G. Grimm, Ewige Fragen. Die religiösen Grundprobleme und ihre Lösungen im indischen Geiste. Eine Einführung in die philosophischen Religionen, 2. Aufl. Konstanz 1950.

R. Guénon, Introduction générale à l'étude des doctrines hindous, 4. Aufl. Paris 1952.

M. Hiriyana, The essentials of Indian philosophy, 2. Aufl. London 1952, ND Delhi 1995; deutsch von K.-H. Golzio: Vom Wesen der indischen Philosophie, (Diederichs gelbe Reihe, 85), München 1990.

M. Hiryana, Outlines of Indian philosophy, Delhi 1993.

Kl. K. Klostermaier, A survey of Hinduism, 2. Aufl. Albany 1994.

D. Krishna, Indian philosophy: A new approach, Delhi 1997.

D. Krishna, Towards a Field Theory of Indian Philosophy: Suggestions for a New Way of Looking at Indian Philosophy, in: Journal of the Indian Council of Philosophical Research, Band 15 / 2, 1998.

F. L. Kumar, The philosophies of India: A new approach (Studies in Asian thought and religion, 14), Lewiston, N. Y. 1991.

A. A. Macdonell, Vedic mythology (Grundriß der indo-arischen Philologie und Altertumskunde, III, 1, A), Straßburg 1898, ND. 1995.

R. A. Mall, Der Hinduismus: Seine Stellung in der Vielfalt der Religionen, Darmstadt 1997.

K. Mishra, Kashmir Saivism: The central philosophy of tantrism, Portland, Oregon 1993.

G. Oberhammer (Hg.), Inklusivismus, eine indische Denkform (Publications of the De Nobili Research Library, Occasional papers, 2), Wien 1983.

K. H. Potter, Presuppositions of India's philosophies, Delhi 1991.

B. Powell, Windows into the infinite: A guide to the Hindu scriptures, Fremont, Cal. 1996.

J. Prasas, Introduction to Indian philosophy, Allahabad 1928.

R. Puligandla, Fundamentals of Indian philosophy, New York 1975, ND. New Delhi 1997.

S. Radhakrishnan, The Hindu view of life, London 1937.

S. Radhakrishnan, The Philosophy of Hinduism and other Essays, Vadodara 1998.

P. T. Raju, Structural depth of Indian thought, New Delhi 1985.

L. Renou, L'hindouisme. Les textes, les doctrines, l'histoire, Paris 1951.

H. W. Schumann, Die großen Götter Indiens: Grundzüge von Hinduismus und Buddhismus (Diederichs gelbe Reihe, 129), München 1996.

A. Schweitzer, Die Weltanschauung der indischen Denker. Mystik und Ethik, 2. Aufl. München 1965, 3. Aufl. 1978.

R. Sequeira, Die Philosophien Indiens, Aachen 1996.

D. Singh und K. Singh (Hg.), Sikhism: Its philosophy and history, Chandigarh 1997.

F. H. Smith, Outline of Hinduism, London 1934.

M. Stutley, Was ist Hinduismus? Eine Einführung in die große Weltreligion, München 1994.

L. Suali, Introduzione allo studio della filosofia indiana, Pavia 1913.

H. Zimmer, Philosophies of India, hgg. von J. Campbell, Princeton 1974. Dt. Übers.: Philosophie und Religionen Indiens, 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1979; französ. Übers. von M.-S. Renou: Les philosophies de l' Inde, Paris 1997.

H. Zimmer, Indische Mythen und Symbole, Wiesbaden 1981. 

5. Geschichte der indischen Philosophie

B. Barua, A history of pre-buddhistic Indian philosophy, Calcutta 1921, ND 1981, auch Delhi 1998.

Sh. Kr. Belvalkar und R. D. Ranade, History of Indian philosophy: The creative period, Poona-Bombay 1927-1933, auch Delhi 1997.

M. Björnstjerna, Die Theogonie, Philosophie und Kosmogonie der Hindus, Stockholm 1843.

G. Bugault, La philosophie indienne contemporaine, in: Histoire de la Philosophie, Band 3 (Encyclopédie de la Pléiade), Paris 1974, S. 1189-1211.

N. Chakravarty, Indian philosophy: The pathfinders and the system builders, 700 B. C. to 100 A. D., New Delhi 1992.

M. Chatterjee (Hg.), Contemporary Indian philosophy, Delhi 1998.

H. Th. Colebrooke, Miscellaneous Essays I, London 1837 (u. ö.)

S. Dasgupta, A history of Indian philosophy, 5 Bände, Cambridge 1922-1955 u.ö., auch Delhi 1991-1992.

E. Frauwallner, Geschichte der indischen Philosophie. Band 1: Die Philosophie des Veda und der Epos. Der Buddha und der Jina. Das Samkhya und das klassische Yoga-System; Band 2: Die naturphilosophischen Schulen und das Vaisesika-System. Das System der Jaina. Der Materialismus, Salzburg 1953-1956; engl. übers. von V. M. Bedekar, 2 Bände, 3. Aufl. Delhi 1993.

R. Grousset, Les philosophies indiennes. Les systèmes, 2 Bände, Paris 1931.

P. Masson-Oursel, Esquisse d`une histoire de la philosophie indienne, Paris 1923.

M. Müller, The six systems of Indian philosophy, New York-London 1899.

Kl. Mylius, Geschichte der altindischen Literatur, Bern-München-Wien 1988.

R. W. Perrett (Hg.) Indian philosophy of religion (Studies in Philosophy and Religion, 13), Dordrecht-Boston-London 1989.

K. H. Potter (Hg.), Encyclopedia of Indian philosophies, 8 Bände, Delhi 1970 - 1999. Band I: Bibliography, 3. Aufl. Delhi 1995; Band II: Indian metaphysics and epistemology. The tradition of Nyaya-Vaisesika up to Gangesa, Delhi 1977, ND. 1995; Band III: Advaita Vedanta up to Shamkara and his pupils, Delhi 1981; Band IV: Samkhya: A dualist tradition in Indian philosophy, ed. by G. J. Larson and R. S. Bhattacharya, Delhi 1987; Band V: H. G. Coward und K. K. Raja, The philosophy of the grammarians, Delhi 1990; Band VI: Indian philosophical analysis: Nyaya-Vaisesika from Gangesa to Raghunata Siromani, ed. by S. Bhattarcharya and K. H. Potter, Delhi 1993; Band VII: Abhidaharma Buddhism to 150 A. D., Delhi 1996; Band VIII: Buddhist Philosophy from 100 to 350 A. D., Delhi 1999.

S. Radhakrishnan, Indian philosophy, London 1923-1927, 7. Aufl. Delhi 1994, ND. 1996; dt. Übers. :Indische Philosophie, 2 Bände, Baden-Baden 1955-1956.

S. Radhakrishnan und J. M. Muirhead, Contemporary Indian philosophy (mit Beiträgen von Gandhi, Tagore, Abhedananda, Bhattacharya, Chatterjee, Coomaras-wamy, Bhagawan Das, Dasgupta, Haldar, Hiriyana, Subrahmanya Iyer, Ranade, Wadia), London 1936, 4. Aufl. London 1966.

D. Riepe, Indian philosophy since independence, Amsterdam 1979.

W. Ruben, Geschichte der indischen Philosophie, Berlin 1954.

Ch. Sharma, Indian philosophy, New York 1952.

D. Shastri, Short history of Indian materialism, sensationalism, and hedonism, 2. Aufl. Calcutta 1957.

M. Siderits, Indian philosophy of language, Dordrecht-Boston-London 1991.

J. Sinha, A history of Indian philosophy, Calcutta 1952.

O. Strauss, Indische Philosophie (Das Weltbild der Primitiven und die Philosophie des Morgenlandes, Band 2), München 1925.

A. K. Warder, A Course in Indian Philosophy, Delhi 1998.

6. Textausgaben und -auswahlen

K. P Bahadur, A source book of Hindu philosophy, New Delhi 1995.

Bibliotheca Buddhica, St. Petersburg 1901 ff.

O. Böhtlingk, Indische Sprüche. Sanskrit und Deutsch. 3 Bände, St. Petersburg 1870-1973, ND Osnabrück-Wiesbaden 1966. - L. Sternbach, Supplement to O. Böhtlingk's Indische Sprüche, Wiesbaden 1965.

Buddhica. Documents, Paris 1929 ff.

Buddhica. Mémoires, Paris 1928 ff.

D. Chattopadhyaya (Hg.), Carvaka Lokayata: An anthology of source materials and some recent studies, New Delhi 1990.

E. Conze (Hg.) Im Zeichen Buddhas. Buddhistische Texte, übersetzt von M. Winder, Frankfurt a. M. 1957.

F. Dispeker, Die schönsten Upanishaden. Der Hauch des Ewigen (aus dem Englischen übers.), Zürich 1951.

P. Deussen, Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishad's, 6. Aufl. Leipzig 1921.

P. Deussen, Sechzig Upanishads des Veda, Leipzig 1897, 3. Aufl. Leipzig 1921, ND Darmstadt 1963.

E. Frauwallner, Die Philosophie des Buddhismus (Texte der indischen Philosophie II), 2. Aufl. Berlin 1958.

E. Frauwallner, Philosophische Texte des Hinduismus (Nachgelassene Werke, 2, hg. von G. Oberhammer und Chl. H. Werba), Wien 1992.

H. von Glasenapp, Indische Geisteswelt. Eine Auswahl von Texten. Band 1: Glaube und Weisheit der Hindus; Band 2: Weltliche Dichtung, Wissenschaft und Staatskunst der Hindus, Baden-Baden 1958-1959.

I. L. Gunsser, Worte der Weisheit aus heiligen Schriften Indiens, Essen-Freiburg 1948.

J. Hentel, Die Weisheit der Upanishaden. Eine Auswahl aus den ältesten Texten, München 1921.

A. Hillebrand, Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brahmanas und Upanishaden, Düsseldorf 1958, 2. Aufl. Düsseldorf 1978.

R. E. Hume, The thirteen principal Upanishads, 2. Aufl. Oxford 1949.

M. Keller-Grimm und M Hoppe, Buddhistische Meditationen. Ein Brevier, 2. Aufl. Pfullingen 1962.

F. Kern (Hg.), Die Weisheit des Buddha. Gedichte und Überlieferung der frühen Buddhagemeinde, Zürich 1948.

Pali Text Society (Texte des buddhistischen Pali-Kanons), London 1883 ff. - (Englische Übersetzungen des Pali-Kanons:) Translation Series, London 1909 ff.

B. Kuppuswamy, Source book of ancient Indian psychology, Delhi 1993.

A. A. Macdonell, A Vedic reader for students, containing thirty hymns of the rigveda in the original samhita and pada texts, with transliteration, translation, explanatory notes, introduction, vocabulary, Oxford 1917, 5. Aufl. 1960, auch Madras 1951.

W. D. O'Flaherty (Hg.), Textual sources for the study of Hinduism, Manchester 1988.

B. Padhi und M. Padhi, Indian Philosophy and Religion: A Reader's Guide, New Delhi 1998.

S. Radhakrishnan und Ch. A. Moore, A source-book in Indian philosophy, Princeton, N. J. 1957.

Gl. Richards (Hg.), A source book of modern Hinduism, Richmond, Surrey 1996.

W. Ruben, Beginn der Philosophie in Indien. Aus den Veden (Texte der indischen Philosophie I), 3. Aufl. Berlin 1961.

F. Rückert, Die Weisheit der Brahmannen. Aus dem Gedankengut des indischen Volkes, Zürich 1945.

Sacred books of the buddhists, London 1895 ff.

F. Staal (Hg.), A reader on the Sanskrit grammarians, Cambridge, Mass.-London 1972.

P. Thieme, Upanishaden. Ausgewählte Stücke, Stuttgart 1966.

H. Weller, Indische Lebensweisheit und Lebenskunst. Aus den Quellen zusammen-gestellt und übersetzt, Hädecke 1950. 

7. Philosophische und philosophiegeschichtliche Probleme

J. P. Atreya, Mind and its function in Indian thought (World perspective in philosophy and religion, 7), New Delhi 1985.

G. N. Banerjee, Hellenism in Ancient India, Delhi 1961.

S. P. Basu, The concept of Brahma, its origin and development, Delhi 1986.

G. S. Bayer, Historia regni Graecorum Bactriani, Petersburg 1738.

G. D. Bearce, British attitudes towards India, 1784-1858, London 1961.

Shl. Biderman und B.-A. Scharfstein (Hg.), Rationality in question: On Eastern and Western views of rationality Philosophy and Religion, I), Leiden 1989.

W. Biesterfeld, Der platonische Mythos des Er, Diss. Münster 1970.

J. Bronkhorst, The two traditions of meditation in ancient India, Stuttgart 1986, 2. Aufl. Delhi 1993.

J. B. Callicott und R. T. Ames (Hg.), Nature in Asian traditions of thought: Essays in environmental philosophy, Albany 1989.

Chr. K. Chapple, Nonviolence to animals, earth, and self in Asian traditions, Albany 1993.

D. P. Chattopadhyaya u.a. (Hg.), Phenomenology and Indian philosophy, New Delhi 1992.

J. Chawla, The Rgvedic deities and their iconic forms. New Delhi 1990.

V. G. Childe, The Aryans: A study of Indo-European origins, 1926, ND London 1996.

P. Connolly, Vitalistic thought in India: A study of the 'prana' concept in Vedic literature and its development in the Vedanta, Samkhya, and Pancaratra trtaditions (Sri Garib Dass Oriental series, 159), Delhi 1992.

Edw. F. Crangle, The origin and development of early Indian contemplative practices (Studies in Oriental religions, 29), Wiesbaden 1994.

A. Dahlquist, Megasthenes and Indian religion, Stockholm 1962, ND Delhi 1977.

W. Th. de Bary (Hg.), Sources of Indian tradition, 2 Bände, New York 1958, 2. Aufl. 1970.

O. de Beauvoir Priaulx, The Indian travels of Apollonios of Tyana and the Indian embassies to Rome, London 1873.

M. Deeg, Die altindische Etymologie nach dem Verständnis Yaska's und seiner Vorgänger: Eine Untersuchung über ihre Praktiken, ihre literarische Verbreitung und ihr Verhältnis zur dichterischen Gestaltung und Sprachmagie, (Würzburger Studien zur Sprache und Kultur, 2), Dettelbach 1995.

J. D. M. Derrett, Greece and India: The Milindapanha, the Alexanderromance and the Gospels. in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 19, 1967, S. 33-63.

M. K. Dhavalikar, Indian protohistory, New Delhi 1997.

A. Dihle, Indische Philosophen bei Clemens Alexandrinus, in: Mullus, Festschrift für Th. Klauser, Münster 1964, S. 60-70.

Elements orientaux dans la religion grecque ancienne (Colloque de Strasbourg 1958), Paris 1960.

H. Falk, Schrift im alten Indien: Ein Forschungsbericht mit Anmerkungen, Tübingen 1993.

R. Fernhout, Canonical texts. Bearers of absolute authority: Bible, Koran, Veda, Tripitaka. A phenomenological study, transl. by H. Jansen and L. Jansen-Hofland, Amsterdam 1994.

J. Filliozat, Les relations extérieurs de l' Inde, I, Pondicherry 1956.

R. K. C. Foreman (Hg.), The problem of pure consciousness: Mysticism and philosophy, Oxford 1990, auch New York 1997.

A. O. Fort und P. Y. Mumme (Hg.), Living liberation in Hindu thought, Albany 1996.

L. M. Fosse, The crux of chronology in Sanskrit literature: Statistics and Indology. A study of method (Acta humaniora, 21), Oslo 1997.

A. M. Frenkian, Der griechische Skeptizismus und die indische Philosophie, in: Bibliotheca Classica Orientalis 3, 1958, coll. 212-249.

R. Garbe, Indien und das Christentum, Tübingen 1914.

R. Gérard, L' Orient et la pensée romantique allemande, Paris 1963.

H. v. Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1960.

K. Goldammer, Der Mythus von Ost und West, München 1962.

Sh. Gosh, Hindu concept of life and death, as portrayed in Vedas, Brahmanas, Aranyakas, Upanishads, Smrtis, Puranas and epics, New Delhi 1989.

R. Grafenhorst, Das kosmographische System der Puranas: Zur Funktion und Struktur indischer Kosmographie (Studien zur Indologie und Iranistik, Diss. 4), Reinbek 1997.

W. Halbfass, Indien und Europa. Perspektiven ihrer geistigen Begegnung, Basel-Stuttgart 1981, engl. Ausgaben: India and Europe: An essay in understanding, Albany 1988; India and Europe: Encounters and Reflections, Delhi 1991.

W. Halbfass, Indien und die Geschichtsschreibung der Philosophie, in: Philosophische Rundschau 23, 1976, S. 104-131.

W. Halbfass, Tradition and reflection: Explorations in Indian thought, Albany 1991.

R. B. Harris (Hg.), Neoplatonism and Indian thought (Sri Garib Dass Oriental series, 143), Delhi 1992.

M. F. Hecker, Schopenhauer und die indische Philosophie, Köln 1897.

B. Heimann, Paul Deussen und die heutige Indologie, in: Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 18, 1931, S. 246-254.

G. Hertz, Das britische Erziehungswesen in Indien, Berlin 1932.

G. Lanczkowski, Die Bedeutung des indischen Denkens für R. Wagner und seinen Freundeskreis, Diss. Marburg 1947.

M. Hermanns, Die religiös-magische Weltanschauung der Primitivstämme Indiens, 3 Bände, Wiesbaden 1964-1973.

P. Th. Hoffmann, Der indische und der deutsche Geist von Herder bis zur Romantik, Diss. Tübigen 1915.

J. E. M. Houben (Hg.), Ideology and status of Sanskrit: Contributions to the history of the Sanskrit language (Brill's Indological library, 13), Leiden 1996.

K. Hutten und S. von Kortzfleisch, Asien missioniert im Abendland, Stuttgart 1962.

Kl. Karttunen, India in early Greec literature (Studia orientalia, 65), Helsinki 1989.

P. V. Kane, History of Dharmasastra. Acient and mediaeval religious and civil law in India, 5 Bände in 8. Teilen (Government Oriental series, Class B, 6), 2. Aufl. Poona 1968-1977.

W. Kirfel, Die Kosmographie der Inder, Bonn-Leipzig 1920, ND Hildesheim 1967.

K. Kunjunni Raja, Indian theories of meaning (The Adyar Library Series, Vol. 91), Madras 1963.

St. Laycock, Mind as mirror and the mirroring of mind: Buddhist reflections on Western phenomenology (SUNY Series in Buddhist Studies), Albany 1994.

S. Layek, An analysis of dream in Indian philosophy (Sri Garib Dass Oriental series, 99), Delhi 1990.

H. de Lubac, La rencontre du bouddhisme et de l'occident, Paris 1952.

R. A. Mall, Philosophie im Vergleich der Kulturen: Interkulturelle Philosophie, Darmstadt 1996.

R. A. Mall, Der Hinduismus: Seine Stellung in der Vielfalt der Religionen, Darmstadt 1997.

P. J. Marshall (Hg.), The British discovery of Hinduism in the 18th Century, Cambridge 1970.

J. M. Masson, The oceanic feeling: The origin of religious sentiment in ancient India (Studies of Classical India, 3), Dordrecht 1980.

B. Kr. Matilal, Logic, language and reality: Indian philosophy and contemporary issues, 2. Aufl. Delhi 1990.

B. Kr. Matilal, Perception: An essay on classical Indian theories of knowledge, Oxford 1991.

B. Kr. Matilal, The world and the word: India's contribution to the study of language, Delhi 1990.

B. Kr. Matilal und J. L. Shaw (Hg.), Analytical philosophy in comparative perspective. Exploratory essays in current theories and classical Indian theories of meaning and reference (Synthese Library, 178), Dordrecht 1985.

B. Kr. Matilal und A. Chakrabarti (Hg.), Knowing from words: Western and Indian Philosophical Analysis of Understanding ans Testimony, (Synthese Library, 230), Dordrecht 1994.

G. Messina, Christianesimo, Buddhismo, Manicheismo nell' Asia antica, Rom 1947.

U. W. Meyer, Europäische Rezeption indischer Philosophie und Religion, dargestellt am Beispiel von Arthur Schopenhauer, Bern 1994.

Chr. Z. Minkowski, Priesthood in ancient India: A study of the Maitravaruna priest (Publications of the De Nobili Research Library, 18), Wien 1991.

F. Mockrauer, Schopenhauer und Indien, in: Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 15, 1928, S. 3-26.

J. N. Mohanty, Reason and tradition in Indian thought: An essay in the nature of Indian philosophical thinking, Oxford 1992.

W. Morgenroth (Hg.), Sanskrit and World Culture. Proceedings of the Forth World Sanskrit Conference of the International Association of Sanskrit Studies, Weimar 1979 (Schriften zur Geschichte und Kultur des Alten Orients, 18), Berlin 1986.

B. Nanajivako, The Indian Origin of Pyrrho's Philosophy of Epoché, in: Indian Philosophical Quarterly 12, 1985, S. 319-340.

V. P. Nanda und S. Pr. Sinha, Hindu law and legal theory (International library of essays in law and legal theory. Legal cultures, 12), New York 1996.

R. W. Neufeldt (Hg.), Karma and rebirth: Post classical developments, Delhi 1995.

G. Oberhammer (Hg.), Studies in Hinduism: Vedism and Hinduism (Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens, 19), Wien 1997.

G. Oberhammer (Hg.), Im Tod gewinnt der Mensch sein Selbst. Das Phänomen des Todes in asiatischer und abendländischer Religionstradition (Sympositionsdokumentation, in: Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens, 14, Wien 1995.

G. Oberhammer (Hg.), Beiträge zur Hermeneutik indischer und abendländischer Religionstraditionen (Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens, 6), Wien 1991.

Cl. Oetke, "Ich" und das Ich. Analytische Untersuchungen zur buddhistisch-brahmanischen Atmankontroverse, Stuttgart 1988.

P. Olivelle, The asrama system: The history and hermeneutics of a religious institution, Oxford 1993.

Nr. Ch. Panda, Mind and supermind, 2 Bände, New Delhi 1996.

Nr. Ch. Panda, Maya in physics, Delhi 1991, 2. Aufl. 1996.

K. Ch. Pandey, Comparative aethetics, Band I: Indian aesthetics (Chowkhamba Sanskrit studies, 2), 3. Aufl. Varanasi 1995.

S. S. R. R. Pappu (Hg.), The dimensions of karma, Delhi 1987.

F. Pfister, Das Nachleben der Überlieferung von Alexander und den Brahmanen, in: Hermes 76, 1941, S. 143-169.

St. H. Phillips, Classical Indian metaphysics: Refutations of realism and the emergence of 'new logic', Chicago und La Salle 1995.

G. Pollet (Hg.) India and the ancient world: History, trade and culture before A. D. 650 (Orientalia Lovanensia Analecta, 25), Leuven 1987.

Sh. Pollock, The theory of practice and the practice of theory in Indian intellectual history, in: Journal of the American Oriental Society, 105 (3), 1985, S. 499-519.

H. Sh. Prasad (Hg.), Time in Indian philosophy: A collection of essays (Sri Garip Dass Oriental series, 111), Delhi 1992.

Jw. Prasad, History of Indian epistemology, 3. Aufl. New Delhi 1987.

R. Prasad, Karma, causation, and retributive morality: Conceptual essays in ethics and metaethics, New Delhi 1989.

W. Reese, Die griechischen Nachrichten über Indien bis zum Feldzuge Alexanders des Großen, Leipzig 1914.

L. Renou, Le destin du Veda dans l' Inde (Études Védiques et Paninéennes, 6), Paris 1960.

D. Riepe, The philosophy of India and its impact on American thought, Springfield 1970.

J. Schickel, H. Bakker und B. Nagel, Indische Philosophie und europäische Rezeption (Dialectica minora, 5), Köln 1992.

A. Schimmel, Islamic literatures of India, Wiesbaden 1973.

I. J. Schmidt, Über die Verwandtschaft der gnostisch-theosophischen Lehren mit den Religionssystemen des Orients, vorzüglich des Buddhismus, Leipzig 1828.

E. Schulin, Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke, Göttingen 1958.

H. W. Schumann, Die großen Götter Indiens: Grundzüge von Hinduismus und Buddhismus (Diederichs gelbe Reihe, 129), München 1996.

E. A. Schwanbeck, Megasthenis Indica, Bonn 1946, ND Amsterdam 1966.

G. G. Sengupta, Indology and its eminent Western savants: Collection of biographies of Western Indologists, Calcutta 1996.

S. Settar, Inviting death: Indian attitude towards the ritual death, Leiden 1989.

R. Shiraishi, Asceticism in Buddhism and Brahmanism: A comparative study (Buddhica Britannica. Series Continua, 6), Tring 1996.

L. Silburn, Instant et cause: Le discontinu dans la pensée philosophique de l' Inde, Paris 1989.

D. Sinha, Understanding in human context: Themes and variations in Indian philosophy (New perspectives in philosophical scholarship, 5), Bern 1996.

J. Sinha, Indian psychology, 3 Bände, Calcutta 1958-1969, ND. 1986.

N. Smart, Doctrine and argument in Indian philosophy (Indian thought, 4), 2. Aufl. Leiden 1992.

S. Sommerfeld, Indienbild und Indiendeutung romantischer Philosophen, Diss. Zürich 1943.

M. Sprung, The question of being: East-West perspectives (Sri Garib Das Oriental Series, 182), Delhi 1995.

F. Staal, Rules without meaning: Ritual, mantras, and the human sciences (Toronto studies in religion, 4), Frankfurt a.M. 1993.

F. Staal, Universals: Studies in Indian logic and linguistics, Chicago 1988.

W. W. Tarn, The Greecs in Bactria and India, 2. Aufl. Cambridge 1951.

J. R. Timm (Hg.), Texts in context: Traditional hermeneutics in South Asia, Albany 1992.

H. W. Tull, The Vedic origin of karma: Cosmos as man in ancient Indian myth and ritual (Sri Garib Dass Oriental series, 108), Delhi 1990.

A. van Lysebeth, Tandra: The cult of the feminine, York Beach, Maine 1995.

K. Vatsyayan, Prakrti: The integral vision, 5 Bände, New Delhi 1995.

P. von Bohlen, Das alte Indien, mit besonderer Rücksicht auf Ägypten, Königsberg 1830. A. von Rospatt, The Buddhist doctrine of momentariness: A survey of the origins and early phase of this doctrine up to Vasubandhu (Diss., in: Alt- und neu-indische Studien, 47), Stuttgart 1995.

L. von Schröder, Pythagoras und die Inder, Leipzig 1884.

E. H. Warmington, The commerce between the Roman empire and India, Cambridge 1928, ND 1951.

M. Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus (1916-1920), hg. von H. Schmidt.Glintzer in Zusammenarbeit mit K.-H. Golzio (Max Weber-Ges.-Ausg. Abt I, Band 20), Tübingen 1996.

G. R. Welbon, The buddhist nirvana and its Western interpreters, Chicago 1968.

M. L. West, Early Greec philosophy and the Orient, Oxford 1971.

R. B. Williams, (Hg.), A sacred thread: Modern transmission of Hindu traditions in India and abroad, Chambersburg 1992.

A. L. Wilson, A mythical image: The ideal of India in German romanticism, Durham, N.C. 1964. 

Index der Sanskritwörter 

abhava, 82
abhisecana, 85
abhyudaya, 84
adharma, 91; 105
Adhaya-Upanishad, 95
Adhvaryu, 21, 28
Aditi, 23; 36
Aditya, 36; 37
adrsta, 71; 72; 84
Advaita, 49; 108
Advaita-siddhi, 112
Agnayi, 23
Agni, 36; 37
ahamkara, 88
ahimsa, 84
aishvarya, 91
Aitareya-Aranyaka, 29
Aitareya-Brahmana, 29
Aitareya-Upanishad, 34; 36
ajnana, 91
akasha, 68
akshara, 108
akuncana, 72
alaukika, 55; 56
anaishvarya, 91
antya vishesa, 74
anumana, 54; 58
anumati, 23
anupadha-bhavashuddhi, 85
anutva, 70
anuvaka, 21
anvikshiki vidya, 19
apam, 23
apana, 36; 37; 38
apanaya, 58
aparaprakriti, 107
aparatva, 71
aparavidya, 110
apas, 23, 68
apavarga, 52
apramada, 85
Apsaras, 23
aramati, 23
Aranyakas, 28; 29
Aranyani, 23
artha, 54
asat, 57
ashraya, 54; 69
ashrta, 69
ashtaka, 21
asteya, 85
astika, 49
Asvin, 23
aswalayana, 29
atasmimstaditi, 57
Atharva-Veda, 29
atman, 33; 36 f; 40;47; 53 f.; 69; 94; 108; 110
aum, 97
avairagya, 91
avaksepana, 72
avayava, 52
badhana, 54
barabara, 103
Bhagavad-Gita, 106
bhakti, 108
Bhattadipika, 102
bhava, 74; 75; 91
bhavana, 71
bhuta-shuddi, 98
bhutahitatva, 85
Brachmachari, 28
Brahma-Sutra, 108
brahmacarya, 85
Brahman, 21; 28; 44; 110
Brahman-Veda, 21
Brahmana, 28
Brahmasiddhi, 102
Brhadaranyaka-Upanishad, 41; 43
Brhaspati, 23
Brihad-Aranyaka, 29
Brihad-Upanishad, 34
Buddhi, 88
buddhi, 71
buddhindrya, 88
carvaka, 56
cesta, 54
chala, 52
Chandogya-Upanishad, 34; 40; 45
daivi sampad, 107
darshana, 35; 49
deva, 108
devanagari, 12; 103
Devatakanda, 101
dharana, 95
dharma, 71; 84; 105
Dhatr, 23
dhyanam, 95
Dics, 36; 37
Didhiti, 51
dirghatva, 70
dish, 69
Diti, 23
dosa, 52
dravja, 67
drstanta, 52
duhkha, 19; 52 f; 71
dvesa, 71
Dyaus, 23
gamana, 72
gandha, 70
Gopatha-Brahman, 29
Grihastha, 28
guna, 69; 88; 90; 94
gurutva, 71
hathayoga, 98
hetu, 58; 59
hetvabhasa, 52; 62
hotr, 28
hrasvatva, 70
iccha, 71
Indra, 23
Indrani, 23
indriya, 54
Isa-Upanishad, 34
Ishtassiddhi, 112
Ishvara, 53; 60; 69; 86; 90; 97
jalpa, 52
janma, 52
janyeshvaraq, 91
jati, 52
jnana, 52
Ka, 23
kaivalya, 100
kala, 68
kama, 44
kamayamana, 44
kanda, 21
Kandika, 21
karikas, 108
karman, 17f; 35; 43 f; 53; 67; 72; 90; 107
Karma-Mimamsa, 101
karmendrya, 89
karyeshvara, 91
Katha-Upanishad, 34
Kathaka-Upanishad, 38
Kaushitaki-Aranyaka, 29
Kaushitaki-Brahmana, 29
Kena-Upanishad, 34
kevaladvaitamata, 109
Khanda-nakhanda-khadya, 112
kratu, 40
kratu, 44
kriya-yoga, 97
krodhavarjana, 85
ksana, 89
kundalini, 98
laya-Yoga, 98
Mahabharata, 94; 106
mahattva, 70
Maitrayana-Upanishad, 46; 95
manas, 33;36; 37; 44; 46; 48; 69
mandala, 21
Mandukya–Upanishad, 34
Mandukya-Upanishad, 108
mantrayoga, 97
Manyu, 23
Marut, 23
Matarisvan, 23
matram, 41
maya, 106; 111
mimamsa, 49; 100
Mimamsa-nukramani, 102
Mimamsa-Vedanta, 101
mithyajnana, 52
mitra, 23
moksa, 19; 33; 35; 43; 46; 52; 91
mrityu, 36; 37; 38
Mundaka-Upanishad, 34
Naishkarmya-siddhi, 112
nama, 33
napat, 23
nastika, 49
nava-Nyaya, 51
nigama, 59
nigamana, 58
nigrahasthana, 52
niratma katvam, 96
nirbija, 100
nirnaya, 52
nirvikalpa, 57; 75
nrrti, 23
Nyaya, 49; 50
Nyaya-Vaishesika, 63
Nyayabhasya, 50
Nyayamakaranda, 112
Nyayamanjari, 50
Nyayavarttika, 50
om, 94; 97
pada, 21; 55
Padartha-dharmasamgraha, 64
pancadashi, 112
Pancapadika, 112
pancha-vinsa, 29
pani, 55
paramamahat, 71
paramartha, 109
paraprakriti, 107
paratva, 71
paravairagya, 100
paravidya, 110
parimana, 70
parimandalya, 70
Paryanya, 23
payn, 55
phala, 54
pishacas, 23
prajapati, 23; 44
prajna, 98
prakriti, 86; 87; 92; 97; 99
pralaya, 84
pramana, 52
prameya, 52
Prana, 36; 37
prana, 33
pranayama, 95
prasarana, 72
Prashna-Upanishad, 34; 55
prasna, 21
pratibhana jnana, 56
pratijna, 58; 59
pratiyogi, 57
pratyahara, 95
pratyaksa, 54
Praudha-Brahmana, 29
pravrtti, 52
prayojana, 52
pretyabhava, 54
prthaktva, 71
prthivi, 23; 68
purusha, 24; 25; 86 f; 90; 93; 97; 99
Purva-Mimamsa, 101
purvapaksha, 105
pusan, 23
raja, 88
raja-yoga, 97; 98
raksas, 23
rasa, 70
Ratri, 23
Rig-Veda, 21; 22
rik, 21
Rta, 24
rta-jna, 24
Rudra, 23
rupa, 70
sabda, 70
sadhanapada, 96
sadharmyam agata, 108
Sama-Veda, 21
samadhi, 96; 100
Samadhipada, 96
saman, 21
samanya, 57; 73; 77; 79
samanyalaksna, 56
samavaya, 58; 80
Samkarsanakanda, 101
Samkhya, 49; 85; 97
samkhya, 70
Samkhya-Karika, 85
samprajnata, 100
samsara, 18; 89
samshaya, 52; 105
samskara, 71
samyoga, 71
samyukta-samavaya, 57
sanatana, 60
sangati, 105
sankhayana, 29
Sankshepa-shariraka, 112
sannyasin, 28; 85
Satapatha-Brahmana, 28; 29; 30
Ssattva, 88
satyavacana, 85
savikalpa, 57
Savitr, 23
shabda, 54; 60; 62
Shad-vinsa-Brahmana, 29
sharira, 54
Shlokavartika, 101
shraddha, 84
shruti, 34; 49; 60; 102
shudidravya-sevana, 85
Shudra, 24
Shvetashvara-Upanishad, 94
siddhanta, 52; 105
Sindhu, 23
Sita, 23
smrti, 34; 49; 60; 102
sneha, 71
soma, 21; 23
sparsha, 70
sraddha, 23
srsti, 84
sukha, 71
sukta, 21
Surya, 23
sutudri, 23
Svarbhanu, 23
taijasa, 97
Taittiriva-Brahmana, 29
Taittiriya Samhita, 21

Taittiriya-Aranyaka, 29
Taittiriya-Upanishad, 34; 39
tamas, 88
Tandya-Brahmana, 29
tanmatra, 88
Tantravarrtika, 101
tapas, 26; 30; 37; 94
tarka, 52; 62; 96
tarka shastra, 20
Tattva-vidya shastra, 20
Tattvacintamani, 51
Tattvavaisharadi, 96
tejas, 68
Tratr, 23
Tvastr, 23
udaharana, 58; 60
upamana, 54; 60
upanishad, 35
Upanishaden, 29; 34
Upaskara, 64
upastha, 55
upavasa, 85
Usas, 23
utgatar, 21
utgatr, 28
utksepana, 72
uttara-paksha, 105
vac, 23; 32; 33; 55
vada, 52
Vaishesika, 49; 63
Vaishesika-Sutra, 64; 74
Vajasaneyi Samhita, 21
Vanaprastha, 28
Varuna, 23
Varunani, 23
vasu, 23
vayn, 23
vayu, 36; 37; 68
Vedanta, 20; 49; 105
Vedanta-paribhasha, 112
Vedanta-sara, 112
Vedanta-Sutras, 112
Veden-Samhitas, 34
vega, 71
vibhaga, 71
vibhu, 53
vibhuti, 100
Vibhutipada, 96
Vidhatr, 23
Vidhiviveka, 102
vimoksa, 53
vipas, 23
vishaya, 105
vishesa, 77; 79
vishistadevatabhakti, 85
Vishnu, 106
Vishvarupa, 23
vishve devas, 23
vitanda, 52; 62
Vivarana, 112
vyahara, 109
vyasa, 106
yatna, 71
Yayur-Veda, 21
yayus, 21
Yoga, 49; 93
Yoga-Sutras, 96
Yogavarttika, 96
yogaya, 56
yogin, 89; 100