c. Die Kamakura-Zeit (1185-1333) war eine Periode der Erstarkung der feudalen Familien, was zu Bürgerkriegen führte, in denen die Minamotofamilie die Zentralmacht übernahm. Die inzwischen reich und mächtig gewordenen Klöster nahmen in diesen Auseinandersetzungen Partei und stellten Mönchssoldaten. Neben die vorgenannten Richtungen traten drei neue buddhistische Schulen mit zahlreichen Untergliederungen.

9. Jodo ("reines Land") gegründet von Honen Shonin (1133-1212). Er beschrieb die Aufenthaltsörter Buddhas und aller Bodhisattvas als "reines Land", eine Art Paradies, das sich zwischen Sinnenwelt und Nirvana erstrecken soll. Es ist seinerseits in die drei Bezirke Hosshodo (Land des Gesetzes, d. h. der kausalgesetzlichen Erscheinungen), Juyodo (Land des Verdienstes, scl. wo die karmatische Verstrickung teilweise aufgehoben ist) und Hengedo (Land der Buddhaschüler) gegliedert, in denen Buddha selbst jeweils eine Inkarnation durchlebt haben soll. Es handelt sich um eine sehr massenwirksame Ausprägung des japanischen Buddhismus, da sie jedem Gläubigen zumindest den Eintritt in die paradiesischen Vorhöfe des eigentlichen Nirvana verspricht. Die Richtung verschmolz teilweise mit Tendai und verzweigte sich weiter. Vgl. dazu Christoph Kleine, Honens Buddhismus des Reinen Landes. Reform, Reformation oder Häresie?, Bern 1966; Christiane Langer-Kaneko, Das reine Land. Zur Begegnung von Amida-Buddhismus und Christentum, Leiden 1986; H.-Ching Shih, The syncretism of Ch'an and pure land buddhism, Bern 1992; V. H. M. Zotz, Der Buddha im reinen Land. Shin-Buddhismus in Japan, München 1991.

10. Zen (chin.: Chan , "Meditation") umfaßt eine Reihe von Richtungen, in denen jeweils privilegierte Meditationspraktiken zur "Erleuchtung" führen sollen. Unter ihren dogmatischen Textgrundlagen sind das Prajnaparamita Sutra (japan.: Hannya-gyo, "Weisheitssutra"), das Avatamsaka Sutra (japan.: Kegonkyo, "Blumenprachtsutra", s. v.) und das Lankavatara Sutra (japan.: Ryogokyo, Sutra des "Übergangs nach Sri Lanka") besonders prominent. Am bedeutendsten wurden die folgenden Zen-Richtungen:

10 a. Rinzai ( chin.: Lin Ji , benannt nach ihrem chinesischen Begründer Lin Ji Yi Xuan, gest. 866 n. Chr.), nach Japan eingeführt von Eisai (1141-1295) mit Sitz in den Gozan-Tempelklöstern in Kioto und Kamakura. Wie die Tendai-Schule vertritt Rinzai die "plötzliche Erleuchtung". Vgl. C. Hyers, Once-born, twice-born. The Soto and Rinzai schools of Japanese Zen, Wolfeboro, N. H. 1989.

10 b. Soto (, chin.: Cao-Dong , benannt nach ihren chinesischen Begründern Cao-shan Ben-ji, 840-901, und Dong-shan Liang-ji, 807-869), von Dogen ( 1200-1253) in Japan eingeführt. Ihr Hauptsitz ist der Eihei-Tempel in der Provinz Echizen. Dogen ist bei weitem der berühmteste japanische Buddhismusklassiker und wird auch heute eifrig studiert und ausgelegt. Seine Zen-Methode wurde als Za-Zen (, Meditation im Sitzen, "Nabelschau") berühmt. In seinem Hauptwerk Shobo Genzo (, etwa: "Augenschatz der wahren Realität", 3 Bände, Tokio 1939-43, Auswahl in Barbara Knab (Übersetzerin), Shobogenzo Zuimonki. Unterweisungen zum wahren Buddha-Weg, aufgezeichnet von Koun Ejo, hgg. von Shohaku Okamura, Zürich 1992) wird der Weg zur buddhistischen Einsicht in die Nichtigkeit bzw. "Leerheit" ( chin.: Kong, japan.: Ko) in dialektischer Logik und mit vielen Koans (¸ paradoxale Rätselfragen) vorgeführt. Z. B.: Ein Schüler fragt den Meister: "Was denkst du in der Meditation?" Antwort: "Ich denke über das Nichtdenken nach". Frage: "Wie kann man über das Nichtdenken nachdenken?" Antwort: "Nichtdenkend". Um dahin zu kommen, ist zunächst die (idealistische) Einsicht in die Identität aller Dinge mit dem Bewußtsein zu gewinnen: "Wenn wir Berge genau erforschen, dann ist dies die eigene Anstrengung der Berge selbst. So werden solche Berge und Wässer von selbst zu weisen Männern und heiligen Weisen". Was die "Leerheit" selbst ist, stellt Dogen in folgender Argumentation vor: "Die Leerheit...ist nicht die 'Leerheit' des Satzes 'Form ist Leerheit'. 'Form ist Leerheit' heißt nicht, daß man Form zur 'Leerheit' macht oder 'Leerheit' aufspaltet, um so Form zu erzeugen. Es handelt sich vielmehr um die Leerheit des Satzes 'Leerheit ist Leerheit'. Diese Leerheit von 'Leerheit ist Leerheit' ist ein einziger Feldblock in der Leerheit" ( vgl. H. J. Kim, The reason of words and letters, in: W. R. LaFleur, Dogen Studies, Honolulu 1985, S. 68/69). Solche Einsicht erreicht zu haben, bedeutet für Dogen das "Wegwerfen von Körper und Bewußtsein" (Shinjin Datsuraku ) und Buddhawerden. Dazu: M. Eckstein (Übers.), Dogen Zenji's Shobogenzo. Die Schatzkammer der Erkenntnis des Wahren Dharma, 2 Bände, 2. und 3. Aufl.Zürich 1989; M. Abe, A study of Dogen. His philosophy and religion, hg.von St. Heine, Albany, N.Y. 1992; E. Rommeluere (Hg.), Les fleurs du vide. Anthologie du bouddhisme soto zen, Paris 1997.

10 c. Nichiren ( ). Diese Schule ist benannt nach ihrem Gründer Nichi Ren bzw. Rissho Daishi, 1222-1282. Er studierte unter Saicho im Tendaikloster und predigte als Wandermönch, dann im Hiei-Kloster, seine Lehre als Vereinigung und zugleich Überwindung aller bis dahin bestehenden buddhistischen Strömungen. Sie ist wesentlich Interpretation des Lotos Sutra (japanisch: Hokke gyo), dem sich auch schon Shotoku Taishi gewidmet hatte, und worauf auch sein Name (wörtlich: "tagheller Lotos") hinweist. (Vgl. dazu G. Tanabe und W. J. Tanabe (Hg.), The Lotus Sutra in Japanese culture, Honolulu 1989; Margareta von Borsig, Kumarajiva, Lotos Sutra. Sutra von der Lotosblume des wunderbaren Gesetzes, nach dem chines. Text des Kumarajiva ins Deutsche übersetzt, Gerlingen 1992). Ihre Besonderheit ist ein eschatologischer und nationalistischer Grundzug: Der wahre Buddhismus soll sich nur in Japan entwickeln lassen und auf den baldigen Weltuntergang vorbereiten. Hauptwerke von Nichiren sind: Rissho Ankokuren (Diskurs über die Rechtgläubigkeit und Befriedung des Reiches); Shugokokkaron (Diskurs über den Schutz des Staates); Sainantaijisho (Gedanken zur Abwendung des Unheils) und Kaimokusho (Über die Augenöffnung). Vgl. dazu: The life of Nichiren Daishonin, hg.vom Nichiren Shoshu International Center, 2. Aufl. Tokio 1993; B. Watson u.a. (Hg. und Übers.), Selected writings of Nichiren, New York 1990..

Alle diese Richtungen sind bis heute in Japan präsent und haben ihre Anhänger, und sie finden solche auch zunehmend im Westen. Die daraus hervorgegangene buddhistische Literatur ist nicht mehr übersehbar. Ono Gemmyo, Busho Kaisetsu Daijiten (Erklärendes Wörterbuch der buddhistischen Bücher), 12 Bände, Tokio 1932-1936 (5645 S.!) listete schon damals 65 500 japanische und chinesische, und zusammen mit westlichen ca. 80 000 Titel auf. Vgl. dazu auch: Bruno Petzold, The classification of Buddhism, comprising the classification of Buddhist doctrines in India, China, and Japan, Wiesbaden 1995.

Literatur: Gregor Paul, Philosophie in Japan. Von den Anfängen bis zur Heian-Zeit, München 1993, S. 58-195, S. 257-313; ders., Zur buddhistischen Logik und ihrer Geschichte in Japan, Tokio 1992; Peter Pörtner, Jens Heise, Die Philosophie Japans. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1995, S. 125-207; Lydia Brüll, Die japanische Philosophie. Eine Einführung, Darmstadt 1989; diess., Buddhistische Philosophie, in: H. Hammitzsch u. L. Brüll (Hg.), Japan-Handbuch, 3. Aufl. Wiesbaden 1990, Sp. 1324-1334; Heinrich Demoulin, Geschichte des Zen-Buddhismus, Band II: Japan, Bern 1986; ders., Zen im 2o. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1993; K. Krishna Murthy, Buddhism in Japan, Delhi 1989; Bernard Faure, The rhetoric of Chan/Zen Buddhism, Princeton 1991; Hisamatsu Shinichi, Die Fülle des Nichts. Vom Wesen des Zen. Eine systematische Erläuterung, 5. Aufl. Stuttgart 1994; Mochizuki Shinkyo, Bukkyo Dai Jiten (Großes Lexikon des Buddhismus), 7 Bände Tokio 1931-1946, 2. Aufl. in 8 Bänden; Tamamuro Taijo, Nihon Bukkyoshi Gaisetsu (Grundriß der Geschichte des japanischen Buddhismus), Tokio 1940; Tsuji Zennosuke, Nihon Bukkyoshi (Geschichte des japanischen Buddhismus), 10 Bände, Tokio 1944-1945.

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