Highlights, Institutsleben

„Zwischen Transkulturalität und Japanizität“

Hip-Hop-Nationalisten in Baggypants, phantastische Anime-Welten und „Spaghetti-Manga“ – ein Workshop unseres Instituts am Freitag, 18. Juni, im Heinrich-Heine-Saal verdeutlichte, innerhalb welch großen Spektrums „zwischen Transkulturalität und Japanizität“ japanische Populärkultur angesiedelt sein kann. Studierende und Gäste aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen diskutierten gemeinsam mit vier ReferentInnen über aktuelle Tendenzen sowohl in den populärkulturellen Medien als auch in deren Rezeption im Ausland.

Spannende Vorträge gab es von: Hilaria Gössmann, Stephan Köhn, Steffi Richter und Marco Pellitteri

An Hilaria Gössmann kommt niemand vorbei, der sich wissenschaftlich mit japanischen Fernsehserien (terebi dorama) beschäftigen möchte. Die Japanologie-Professorin aus Trier hat zahlreiche Publikationen auf diesem Gebiet veröffentlicht und kann als die Expertin im gesamten westlichsprachigen Raum gelten. Ihr Vortrag widmete sich Repräsentationen kultureller Differenzen in japanischen Fernsehdramen seit den 1990er Jahren und lieferte damit einen Überblick über die dramaturgische Funktion, die Figuren aus anderen asiatischen Ländern (v.a. China, Korea, Vietnam) in terebi dorama einnehmen können. In der Serie Doku (Fuji TV, 1996) zum Beispiel dient die vietnamesische Hauptfigur als eine Art „Retter“ für die japanische Protagonistin Yuki, die ein lethargisches Leben als Büroangestellte führt. Insgesamt lässt sich laut Gössmann feststellen, dass Japan in den dorama eher für Modernität, Individualismus und Orientierungslosigkeit steht, während andere asiatische Länder Traditionalität, Familienorientierung und Tatkraft repräsentieren.

Inzwischen ließen sich aber auch schon Ansätze zu einer Überwindung dieser Dichotomie zwischen Japan und Asien finden, erläuterte Gössmann. Ein Beispiel ist die Serie Smile (TBS, 2009), in der die (sehr unterschiedlichen) Diskriminierungserfahrungen von drei Hauptfiguren geschildert werden. Ob man bei den Veränderungen der Darstellung von asiatischen Figuren im terebi dorama seit 1990 tatsächlich von einer „Entwicklung“ sprechen kann, wurde von den TeilnehmerInnen des Workshops kontrovers diskutiert.

Zum rege diskutierenden Publikum gehörten Studierende, HHU-Kollegen und auswärtige Wissenschaftler(innen), die sich mit Japan, Populärkultur und Transkulturalität beschäftigen.

Stephan Köhn von der Universität Erlangen, der derzeit eine Vertretungsprofessur an der Japanologie Tübingen innehat, kennen die Düsseldorfer Studierenden vor allem über seine Arbeiten zu Manga und Traditionen visuellen Erzählens in Japan. In seinem Vortrag beschäftigte er sich mit der „Transkulturalität“ der Animationsfilme Miyazaki Hayaos und machte sich dafür auf eine „Spurensuche“ in der Rezeption des Werkes Sen to Chihiro no kamikakushi in der westlichen Presse. Wie Köhn herausstellte, setzten sich bei der Rezeption automatische kulturelle Zuschreibungsverfahren in Gang, die das Werk mit der Nationalität des Regisseurs in Zusammenhang brachten. Während in Japan aufgrund der hohen Bekanntheit des Regisseurs und ausgiebig vorhandener „Sekundärtexte“ in Form von PR-Kampagnen ziemlich klar gewesen sei, wie Sen to Chihiro zu verstehen ist, sei die westliche Rezeption sehr divers ausgefallen.

Hierbei spielte auch eine große Rolle, dass Animationsfilme im Westen einen völlig anderen kulturellen Stellenwert einnehmen als in Japan, wo das Medium nicht auf eine bestimmte Zielgruppe beschränkt ist und von Erwachsenen ebenso konsumiert wird wie von Kindern. Stephan Köhn plädiert daher dafür, bei der Untersuchung von Phänomenen wie Sen to Chihiro no kamikakushi immer die kulturelle Verortung des Mediums/Genres und die Produktionsabsichten zu berücksichtigen.
In der Diskussion wies Stephan Köhn außerdem darauf hin, dass in der Wissenschaft mit Begriffen wie „Transkulturalität“ oder „Hybridität“ in letzter Zeit sehr inflationär umgegangen werde.

Steffi Richter, Professorin der Japanologie an der Universität Leipzig, begegnet allen, die sich mit japanischer Populärkultur auseinandersetzen, insbesondere über zwei Werke, die sie gemeinsam mit Jaqueline Berndt herausgegeben hat: Reading Manga und das Japan-Lesebuch zum Thema J-Culture.

In J-Culture schreibt Steffi Richter in ihrem gleichnamigen Aufsatz über die Verwobenheit des zurzeit vielzitierten „Cool Japan“-Kampagne mit nationalkonservativen Diskursen, zu denen zum Beispiel Abe Shinzôs Buch und Kampagne Utsukushii kuni e („Unterwegs in ein schönes Land“) gehört. Sie zeigt auf, dass japanische Populärkultur, deren weltweiten Erfolg zum Beispiel Iwabuchi Kôichi damit erklärt, dass sie „kulturell geruchlos“ sei, durchaus auch zum Instrument einer nationalistisch ausgerichteten Kulturpolitik werden kann.

Diese Tendenz war auch Thema ihres Vortrages unter dem Titel „Zwischen ,cool‘ und ,beautiful‘: Trans/Nationalisierung von J-Culture“. Anhand der Hip-Hop-Gruppe Arei Raise, die in enger Verbindung zum Yasukuni-Schrein steht, zeigte Richter auf, dass eindeutige Allianzen zwischen Herrschaftsdiskursen und populärkulturellen Akteuren bestehen können. Bei der Analyse von Phänomenen wie Arei Raise, aber auch Anime, Film, dorama usw. sei es wichtig, nicht nur eine reine Inhaltsanalyse vorzunehmen, sondern auch die performative Seite zu berücksichtigen. Bei Arei Raise bedeute das konkret, neben den Liedtexten z.B. auch die medialen Besonderheiten des Musikvideos, das Outfit der Rapper und deren sozialen Hintergrund zu berücksichtigen. Wichtig war es Steffi Richter in der anschließenden Diskussion auch zu betonen, dass für die wissenschaftliche Beschäftigung mit japanischer Populärkultur ein transnationaler Erklärungsansatz nötig sei. Die Japanologie-Studierenden lebten das als „Pop-Cosmopolitans“ vor.

Von Marco Pelliteri, Soziologe aus Italien, ist gerade ein sehr ausführliches Werk zur Rolle japanischer Populärkultur im europäischen Kontext erschienen: The Dragon and the Dazzle. Models, Strategies, and Identities of Japanese Imagination. Beim Workshop berichtete er darüber, wie Anime und Manga in Italien historisch und gegenwärtig rezipiert werden – ein interessantes Thema, wenn man bedenkt, dass in Italien schon früher ein umfassendes Angebot an japanischer Populärkultur verfügbar war als in Deutschland. Matsumoto Reijis Galaxy Express 999 zum Beispiel wurde von 1978 bis 1981 in Japan produziert und erschien schon 1982 im italienischen Fernsehen, während es deutsche Fernsehzuschauer niemals zu sehen bekamen.

In Anlehnung an Kiyomitsu Yuki unterteilt Pelliteri die Aufnahme von Anime und Manga in Italien in vier (sich teilweise überschneidende) Phasen: 1975 bis 1990 wurden sehr viele TV-Anime-Serien gesendet und es entwickelte sich – auch wenn dies von den japanischen Produzenten so niemals beabsichtigt gewesen war – bei den italienischen Zuschauern ein gewisser „ästhetischer Sinn“ für diese Produkte. 1978 bis 1986 wurden außerdem Manga „entdeckt“ und vor allem Jugendliche machten sich mit diesem Medium vertraut. Von 1989 bis 1999 macht Pellitteri eine Phase der systematischen Publikation von Manga aus, in der das Anime-Publikum sowohl zu Manga-Lesern als auch zu Manga-Herausgebern wurde. Seit 2000 erkennt der Soziologe eine Phase der „interiorization“ und „hybridization“, was sich in Italien unter anderem im Erscheinen sogenannter „Spaghetti-Manga“ – Comics im Manga-Stil von italienischen Zeichnern – zeige.

Die rege Abschlussdiskussion wurde von den TeilnehmerInnen des Workshops auch beim gemeinsamen Abendessen fortgeführt und es herrschte ein allgemeiner Konsens darüber, dass solche Gelegenheiten zu fruchtbarem Austausch häufiger sein sollten. Michiko Mae und Annette Schad-Seifert planen daher eine regelmäßige Fortführung dieser Arbeitstreffen zur japanischen Populärkultur.