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Erfahrungsbericht aus Japan: Die Mühlen der Bürokratie

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Der nächste Beitrag von unseren Austauschstudierenden kommt aus Chiba von Neeltje Schubert, die von ihren Erfahrungen mit der japanischen Bürokratie und ihrem spannenden Bachelorprojekt berichtet – viel Spaß beim Lesen und vielen Dank an unsere Gastautorin!

Rillakuman in Akiba

(C) Neeltje Schubert

Nun bin ich seit ca. 10 Monaten hier in Chiba und habe schon diverse Zusammenstöße mit der Bürokratie gehabt. Man muss Formulare noch einmal komplett ausfüllen, sollte man sich auch nur einmal verschrieben haben. Man rennt auch locker während dem Versuch, ein Konto zu eröffnen, fünf mal hin und zurück zu seiner Bank, weil dies und jenes noch fehlt oder weil diese Filiale deinen Wohnort nicht abdeckt, und so weiter und so fort. Man bekommt sogar im Unterricht von japanischen Lehrern erzählt, wie getrimmt die japanische Servicewelt ist. Es gibt diverse Probleme mit diversen Lösungssätzen, welche das Servicepersonal brav auswendig lernt und artig herunterspult, sollte diese Problem auftreten. Ist dein Problem nun aber keines der genannten oder auch nur ein Grenzfall, dann kannst du dir die immer gleichen Floskeln anhören, die dich nicht weiterbringen, bist du resigniert aufgibst oder dich an den Chef-Chef wendest, der immerhin etwa Individualität aufweist. Individualität ist hier eh eine Rarität.
Zudem bist du hier als Ausländer auch eh was ganz besonderes und jagst diversen Leuten tatsächlich auch Angst ein. So kommt es des öfteren vor, dass du in ein Koban (Polizeibox) eintrittst, um nach dem Weg zu fragen und der Beamte das Wort „Panik“ in den Augen stehen hat und nach hinten flieht, um einen Kollegen vorzuschicken. Und das, obwohl die japanische Polizei ja als wirklich hilfsbereit gilt! Auch die diversen Blicke, die man hier (vor allem als blonde Frau mit einem 2 Meter langen Freund) einsammelt sind kurios und wecken in mir den Wunsch, ein T-Shirt mit der Aufschrift 「一回見たら、500円をお願いします!」(„Einmal schauen, 500 Yen“) zu erstellen. Nicht selten fühlt man sich wie ein Zootier.

Und nun wage ich es auch noch ein Krankenhaus mit einer unglaublich kuriosen Bitte zu betreten. Zurück in Deutschland möchte ich meine Bachelor Arbeit zu dem Thema „Hebammen in Japan“ schreiben und bin daher am Materialien und Infos suchen. Unter anderem wollte ich einen japanischen Kreißsaal mal von innen sehen und mit dem Personal sprechen. Mit diesem Anliegen trat ich dann gemeinsam mit meiner Tutorin in das Büro der medizinischen Fakultät der Uni Chiba. Tutorin Hiromi beruhigte die Gesellschaft zuerst, aber nach Nennung des Anliegens war erst mal Ruhe und Austauschen unsicherer Blicke angesagt. „Das hat bisher noch keiner gefragt.“ Ja nu, is ja ein öffentlicher Raum, oder nich? Ich will keine Internas klauen.
Nach intensiver Beratung entschied sich die Belegschaft mir die schwere Aufgabe einer Bewerbung aufzudrücken – wohl einerseits um sich selber Bedenkzeit zu geben, andererseits in der Hoffnung, mich zur Aufgabe zu zwingen. Aber mit Hiromis Hilfe lieferte ich die Bewerbung eine Woche später im späten Mai diesen Jahres ab. Dass daraufhin nicht noch ein Bewerbungsgespräch folgte war alles… 😉
Mitte Juni bekam ich dann endlich Nachricht und vor zwei Wochen durfte ich dann tatsächlich rein. Und das Warten und der Stress haben sich wirklich gelohnt! Denn wenn du dann einmal durch die Grenzen durch bist, dann bekommst du aber auch alles, was sie geben können. Und so wurden all meine Fragen geduldig beantwortet, meine fehlenden Keigo Kenntnisse verziehen und ich durfte sogar Fotos machen.

Gynäkologenstuhl

Vor ein paar Wochen habe ich zudem eine japanische Hebamme interviewt, die mir drei Stunden lang relativ frei über ihren Beruf erzählt hat – Fragen waren kaum nötig. Auch hier wieder kaum in Worte zu fassende Hilfsbereitschaft.
Was das Krankenhaus angeht, es ist wirklich nicht schön, aber ich denke, da wird es hier wie in Deutschland gravierende Unterschiede zwischen den diversen Krankenhäusern geben. Die Privatsphäre ist so eine Sache, teils hoch geschätzt (Frauen werden von der Hüfte ab mit einem Vorhang versteckt, während sie untersucht werden) und dann wieder sehr niedrig (für „westliche“ Fühlweise). Aber ich denke, das resultiert auch aus dem Rudelverhalten, welches hier sehr ausgeprägt ist. Und so wird hier einiges, was uns Euopäern zu nah ist, als normal empfunden.

Frühstück im Ryokan

(C) Neeltje Schubert

Am Wochenende beispielsweise war ich in einem Ryokan. Da wurde uns das Essen im Zimmer serviert. Sehr spannend und interessant, aber für mich als Europäer war das komisch, dass ohne große Vorwarnung eine Frau in meinem Zimmer steht und mir mein Essen zubereitet.

1 Kommentare

  1. Johannes sagt

    Dein Bachelor-Projekt klingt wirklich sehr spannend. Die Reaktionen auf die Konfrantation mit Deinem Vorhaben sind interessant zu lesen. Und das Gefühl, angestarrt zu werden, ist mit Sicherheit niemandem fremd, der einmal in Japan war. Genauso aber mit Sicherheit auch vielen Fremden in Deutschland nicht.

    Eine Sache ist mir an Deinem Artikel allerdings negativ aufgefallen. Wenn es irgendein beliebiger Blog im Internet wäre, würde ich es einfach abhaken. Aber schließlich ist das hier ein Uni-Blog, auf dem Studierende schreiben, die sich mit Japan als Forschungsobjekt beschäftigen. Daher:

    „Aber ich denke, das resultiert auch aus dem Rudelverhalten, welches hier sehr ausgeprägt ist.“

    Den Satz hätte ich gerne etwas näher erklärt. Welches Rudelverhalten welcher Rudeltieree denn? Die Ich-bringe-Dir-Dein-Frühstück-ans-Bett-Tiere? Wenn das witzig gemeint ist, Humor in allen Ehren, aber im Zusammenhang des Textes, der – zumindest in den umliegenden Sätzen – eher ernsthaften Charakter hat, wirkt es respektlos eine Gruppe von Menschen, deren Mitglieder „(dir) drei Stunden lang relativ frei über ihren Beruf“ erzählen, Fragen geduldig beantworten und über mangelnde Sprachkenntnisse hinwegsehen, als Tiere zu bezeichnen.

    Das ganze ist mit Sicherheit nicht abwertend von Dir gemeint, und will mich beim besten Willen nicht als Verfechter irgendeiner japanischen Ehre aufspielen, aber „Gruppenverhalten“ oder etwas ähnliches hätte es doch auch getan.

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