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Kein Dokumentarfilm über Walfang: Kujira no machi

Kujira no machi (Stadt der Wale), der auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion Panorama gezeigt wurde, ist der Abschlussfilm und erste Spielfilm von Tsuruoka Keiko. Die Handlung dreht sich um die drei Jugendlichen Machi, Hotaru und Tomohiko, die durch Freundschaft aber auch unerwiderte Liebe miteinander verbunden sind: Hotaru liebt Tomohiko, Tomohiko liebt Machi und Machi ist in ihrer eigenen Welt versunken. Auf der Suche nach Machis verschwundenem Bruder, der die Familie vor sechs Jahren verließ, reisen die Freunde nach Tokyo. Da Tsuruoka fast kein Budget zur Verfügung stand, werden alle Rollen von Freunden und Bekannten übernommen, weshalb im Film auch keine Erwachsenen vorkommen. Diese Sachzwänge haben aber ein durchaus positives Ergebnis: Die Vertrautheit der Schauspieler untereinander und mit der Regisseurin erzeugt eine gewisse Intimität, von der der Film lebt und die Abwesenheit von Machis Mutter verdeutlicht die Einsamkeit von Machi.

Auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so scheint: Auch in diesem Film spielen die Ereignisse vom März 2011 ein wichtige Rolle. Als die Dreifach-Katastrophe passierte, verwarf Tsuruoka ihr bisheriges Drehbuch und fing noch einmal neu an. Der Tsunami wird in Kujira no machi durch das Motiv des Wassers repräsentiert, das sich durch den gesamten Film zieht. Der Tsunami ließ viele Menschen spurlos verschwinden und zurück blieb nur eine Leere. In Kujira no machi ist es Machis Bruder, der verschwunden ist. Zurück bleiben nur ein leeres Apartment und das Tropfen des Wassers.

Der Titel Kujira no machi wurde im Berlinale Programm mit The Town of Whales, die Stadt der Wale, ins Englische übersetzt, kann aber im Japanischen noch anders verstanden werden: Wenn man machi nicht als das japanische Wort für Stadt liest, sondern als den gleichklingenden Namen der Protagonistin. Dann ist Machi der Wal. Im Traum fragt Machis Bruder Teppei sie: „Warum können die Wale nicht an Land bleiben? Weil sie dort ihr Gewicht nicht tragen können, müssen sie ins Wasser zurückkehren.“ Auch Machi ist nur glücklich, wenn sie schwimmen kann. In Situationen von emotionalem Stress kehrt sie ins Wasser zurück. Warum aber gerade ein Wal? „Weil ich Wale mag“, meint die Regisseurin, aber auch weil der Wal ein magisches Wesen sei. Denn Wale seien aus dem Meer gekommen und an Land gegangen, aber dann wieder ins Meer zurückgekehrt.

Nicht nur die Symbole des Wassers und des Wals sollen eine magische Stimmung erzeugen. Tsuruoka bedient sich auch verschiedener gestalterischer Mittel zu diesem Zweck. Teilweise wird das Bild so stark überbelichtet, dass das weiße, gleißende Licht den gesamten Frame ausfüllt. Zudem verwendet sie eine Farbtönung, die in manchen Szenen die Farben übernatürlich leuchten lässt.

Zu dieser magischen Stimmung soll, laut Tsuruoka, auch der Freund des Bruders beitragen, den die drei auf ihrer Suche um Hilfe bitten. Nanao kleidet sich als Frau und benutzt im Japanischen eine weibliche Ausdrucksweise. Diese Ambiguität, die nur eine solch ambivalente Figur auszudrücken vermag, trage zur magischen Stimmung bei. Für Tsuruoka war die Verwendung einer solchen Figur nicht in einem Hinweis auf eine Gender-Problematik verbunden – auch wenn die Publikumsfragen beim Q&A auf der Berlinale darauf hindeuten, dass es als Hinweis auf die sexuelle Orientierung des Bruders gelesen wurde und als mögliche Erklärung für seine Trennung von der Familie.  Übrigens wurde der Film auch von den Teddy-Award-Veranstaltern  in seine Liste der „Queer Films“ der diesjährigen Berlinale aufgenommen. Dies zeigt auch wie unterschiedlich man den Film interpretieren kann.

Fazit: Ein durchaus sehenswerter Film, der viele Deutungen zulässt, einen aber deshalb auch etwas unbefriedigt zurücklässt.

Stephanie Klasen

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