HEINEAGE

Chancen und Herausforderungen des Alterns

Ringvorlesung Studium Universale
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 
Sommersemester 2006

 

Im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes "Kulturelle Variationen und Repräsentationen des Alter(n)s" wurde im Sommersemester 2006 eine öffentliche Ringvorlesung zum Thema "Chancen und Herausforderungen des Alterns" durchgeführt. In fünf im Hörsaalgebäude der Philosophischen Fakultät der Universität unter reger Beteiligung der Öffentlichkeit veranstalteten Vorlesungen stellten ausgewiesene auswärtige und universitätsinterne Experten die Thematik aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven dar und diskutierten mit den Teilnehmern.

In seinem an neuen Erkenntnissen der medizinischen Grundlagenforschung ausgerichteten Vortrag erklärte Univ.-Prof. Dr. Fritz Boege vom Zentralinstitut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, dass biologische Alterung als lebenslanger, in großem Unfang von genetischen Programmen gesteuerter Prozess verstanden wird, dessen Mechanismen beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft allerdings erst teilweise aufgeklärt sind. Bei der Erklärung großer zeitlicher Unterschiede von Alterungsvorgängen spielen allerdings auch Lebensgewohnheiten und -umstände eine bedeutende Rolle.

Aus aktuellem Anlass befasste sich der zweite Vortrag mit dem Thema "Rente mit 67 – Wer kann sie erreichen? Der Zusammenhang zwischen Arbeitsqualität und Gesundheit". Univ.-Prof. Dr. Johannes Siegrist, Direktor des hiesigen Instituts für Medizinische Soziologie, zeigte einleitend neue Chancen der Lebensgestaltung im "dritten Lebensalter" als Folge des demografischen Alterns auf. Er verwies aber zugleich auf die Einschränkungen der Gesundheit Älterer, die häufig durch eine belastende berufliche Tätigkeit mitverursacht sind. Soll die Lebensarbeitszeit generell verlängert werden, so setzt dies allerding intensive Bemühungen um eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung voraus. Im Vortrag wurden hierfür wissenschaftliche Belege vorgestellt und daraus folgende Maßnahmen erläutert.

Der Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Pott vom Germanistischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, "Zwischen Weisheit und Narrentum. Zur Lebensführung der 'Alten' in der Literatur des 19. Jahrhunderts" beschäftigte sich mit demThema Alter und Altern in einem Zeitraum, der von Goethe bis Fontane reicht, und in dem sich als dem „langen 19. Jahrhundert" (Eric Hobsbawn) die moderne Industrie- und Massengesellschaft formierte. Dabei wandelte sich die Gesellschaft in Deutschland allmählich von der Adels- zur Bürgergesellschaft. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde dann die für das Thema überaus relevante Rentenversicherung eingeführt, was gleichzeitig den Beginn der Sozialpolitik markierte und damit die "sozialpolitische Formation des Alters" (Gerd Göckenjahn). Erst danach wurde aus den „Alten“ eine eigene soziale Kategorie und ein eigener "Stand". Vorher hatte es einfach nur alte Leute gegeben. Die Bismarck’sche Sozialpolitik wird allerdings für das "Bild" des Alters im 19. Jahrhundert noch nicht eigentlich wirksam oder doch nur ganz gegen Ende des Jahrhunderts (erst 1891 tritt die Arbeiter-Rentenversicherung in Kraft). In der Literatur des 19. Jahrhunderts, die immer auch Gesellschaft beobachtet, wie sie ist, auch da, wo die Dichtung ganz und gar nicht „realistisch“ erscheint, wie in der Romantik, werden aus heutiger Sicht altertümliche Verhältnisse geschildert, die nicht alle ihre Aktualität verloren haben – wie Kosmetik, Mode sowie Kulturen des Bewahrens und der Überlieferung zwischen den Generationen, insbesondere zwischen den Großeltern und den Enkeln.

Von einem diskursgeschichtlichen Ansatz aus erbrachte Univ.-Prof. Dr. Gerd Göckenjan, Fachbereich Sozialwesen der Universität Kassel, im vierten Vortrag mit dem Titel "Die 'Erfindung' der Großmutter" den Nachweis, dass das Bild der Großmutter als einer familienorientierten Person, die ihre eigenen Interessen hinter denen ihrer Kinder und Enkel zurückstellt und Beziehungswerte wie Fürsorglichkeit, Geborgenheit, Duldsamkeit und Rechtschaffenheit verkörpert, eine Diskursfigur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist, die auf die Modernisierungsfolgen der Zeit antwortet, dem gelebten Leben alter Frauen aber nicht entspricht. Die ehemals selbständige, im eigenen Haushalt lebende alte Frau, deren Aufgabe den Enkeln gegenüber die Belehrung war, wird durch die Art ihrer Darstellung in moralischen Erzählungen und anderen literarischen Texten in das Haus der Kindergeneration hereingeholt, wo sie als romantisch verklärte Geschichtenerzählerin auftritt, Enkelarbeit verrichtet und damit eine Gesinderolle einnimmt. Die depotenzierte Großmutter ist demnach eine nach der Auflösung der Sozialform des "ganzen Hauses" in der Mitte des 19. Jahrhunderts erfundene familiendienliche Denkform, die die alte Frau durch Emotionalisierung aufzuwerten vorgibt, während sie ihr faktisch die Direktionshoheit über den Haushalt entzieht und sie der jungen Frau unterstellt – mit anderen Worten: eine soziale Abstiegskarriere, die nicht ohne Not angenommen wird.

In seinem umfassenden Überblick über die Vor- und Nachteile des Alterns aus gerontologischer und psychologischer Sicht stellte Univ.-Prof. Dr. Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg, in seinem Vortrag "Altern ist ein Werden-zu-sich-selbst" ganz besonders die Chancen gelingenden Alterns heraus. "Werden zu sich selbst" im Alter bedeutet einerseits, die Möglichkeiten einer erfüllten Lebensführung durch Weitergabe des ideellen und materiellen Kapitals an Jüngere zu verwirklichen, und andererseits, auf die eigene Person bezogen darauf hinzuwirken, im seelisch-geistigen Bereich weiter zu wachsen. Trotz mangelnder Würdigung der positiven Kräfte des Alters durch unsere Gesellschaft stehen hierzu, nach den Ausführungen des Referenten, vielversprechende Angebote zur Verfügung.

 

zurück