Else Loelgen, geb. Bagel (21. März 1900 - 4. Januar 1997)

Abschiedrede von Else Loelgen als Sachgebietsleiterin für Literatur auf der Jahrestagung des Verbands Frau und Kultur 1982

Liebe Mitglieder,

ein sonderbarer Zufall oder sollte es keiner sein? Ich stellte nämlich beim Lesen alter Akten fest: 1960 habe ich das Sachgebiet Schrifttum übernommen und zwar auf der damaligen Tagung in Kiel.

Ich erinnere mich sehr genau an die Tagung. Sie fand in dem heute abgerissenen Hotel „Bellevue“ auf der Höhe statt, und als erstes war ich fasziniert von dem Blick über die Förde. Was die Literatur anlangt, so las der Lesekreis Düsseldorf – ich hatte damals schon seine Leitung – Texte von Barlach, Frau Kramer aus der gastgebenden Gruppe Kiel las aus seinen Briefen.

Und nun nochmals Zufall oder keiner, ich werde in der kommenden Woche in Düsseldorf zum zweiten Mal das Barlachprogramm lesen. Meine Zeit als Sachgebietsleiterin rundet sich also am Ende wieder in den Anfang. Soll ich dieses merkwürdige Zusammentreffen als ein Zeichen für meine Tätigkeit nehmen? Ich glaube, ich kann kein besseres finden. In sich geschlossen, harmonisch rund. Erfüllter kann ein langer Abschnitt des Lebens nicht sein.

So ist es mir eine Freude, vor Ihnen stehen zu können und allen lieben Menschen, mit denen ich in gemeinsamer Arbeit gestanden habe, ein Dankeschön zu sagen. Ein Dankeschön für die freundliche Hilfe, mit der Sie zur Rundung eines fast ¼ Jahrhunderts meines Lebens beigetragen haben.

Denn was wäre das Rund, wenn es nicht angefüllt wäre mit vielerlei Begegnung, sachlicher Unterrichtung, ehrlicher Widerrede, zuverlässiger Gemeinsamkeit und herzlicher Zuneigung.

Ganz besonders gedenke ich in diesem Augenblick derer, die auf dem Wege zur Rundung meiner Jahrzehnte nur noch in meiner Erinnerung lebendig sein können. Ich nenne als Vertretung für alle nur zwei Namen: Elisabeth Meyer-Spreckels, Leiterin des Sachgebietes Lebensgestaltung, heute staatsbürgerliche Verantwortung, und Dorothea Husserow, langjährige Vorsitzende der Düsseldorfer Gruppe.

Vielen von Ihnen sind diese Namen völlig fremd, doch sollten Sie in den Annalen unserer Geschichte immer wieder genannt werden. Beide waren Persönlichkeiten von außerordentlicher Aktivität und Einsatzbereitschaft. Und was brauchen wir heute dringender in unserer Gemeinschaft, um uns den Problemen, die Zeit und Umwelt mit sich bringen, nur in etwa stellen zu können?

Doch ich will dem Gespräch über die Zukunft des Verbandes nicht vorgreifen. Wie oft habe ich mich während meiner Amtszeit gefragt, wenn wenig Wiederhall aus den Gruppen kam: warum machst du das Ganze eigentlich? Und immer wieder erkannte ich, daß mit der Arbeit auch ein Reifeprozeß meines Lebens vor sich ging.

Die Verbindung mit den verschiedensten Menschen förderte meine Einsicht in ihre Verhaltensweisen. Ich wurde gezwungen, mich in meinem Verhalten auf sie einzustellen, ihnen entgegenzukommen, soweit es Wahrheit und Gerechtigkeit für mich zuließen. Einblicke in das Schicksal anderer Menschen ließen mich nachdenken über das Eigene, die Zusammenhänge Leben und Umwelt wurden vertieft, Unterscheidungen zwischen Wert und Unwert klärten sich für mich.

So lernte ich, um mit Peter Handke zu sprechen, über die „Außenwelt, die Innenwelt“ kennen. Nach diesen und ähnlichen Überlegungen wußte ich dann stets, warum ich das Ganze machte: Staunen und Neugier waren die Triebfedern meiner Arbeit.

Freudig wandte ich mich nach dieser Erkenntnis wieder meiner Tätigkeit zu: Der intensiven Beschäftigung mit der – wie so schön gesagt wird – gehobenen Literatur. Sie führte mich in konkrete und abstrakte Welten ein, in differenzierte seelische Probleme, in heiter, bedachtsame Nischen des Lebens, vor allem aber offenbarte sie mir immer wieder die Notwendigkeit des Bewußtwerdens über die Schönheiten und vielfältigen Möglichkeiten einer gestalteten Sprache.

Ich bin in die Düsseldorfer Gruppe 1955 eingetreten, schon mit der Bestätigung im Amt der Sachgebietsleiterin für Schrifttum. 1960 begann wie gesagt die erweiterte Arbeit für den Verband.

In dem kleinen Düsseldorfer Kreis gab es Rede und Gegenrede, aber nun ging meine Rede ins Weite, zu über 30 verschiedenen Gruppen, und die Gegenrede ließ auf sich warten. Die Lesekreise waren sehr locker organisiert, hatten kaum Konnex miteinander, und die Berichte, die einliefen, waren nicht nur spärlich, sondern auch komisch.

Zum Beweis dafür lese ich Ihnen aus zwei Berichten vor: Im ersten geht es um die Erzählung der Kaschnitz „Popp und Mingel“. --- „Mit der Erzählung, Thema Schlüsselkind, war es auch nicht ganz so aufregend, aber auch nicht befriedigend.“

Im zweiten Bericht wird über einen Theatervortrag gesprochen: --- „Ein letzter Hinweis des Redners galt dem Passionsspiel und dem religiösen Erlebnis, das dabei mit dem Bühnenerlebnis einhergeht und einem wirklichen Bedürfnis entspricht.“

Als ich nun aber noch folgenden Satz in einem Bericht lesen mußte, da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten; es geht um einen Vortrag über die Sprache --- „Falsch ist auch die Möglichkeitsform zu meiden, es heißt: wenn ich das täte und nicht wenn ich das tun würde.“

Mit etwas erhobenem Zeigefinger ging ich daran, die sprachliche Form der Berichte anzugreifen und machte in meinem Appell den etwas pathetischen Schluß: So sei jedem Mitglied ein Studium nicht nur der großen Magier des Wortes empfohlen, sondern zugleich Kleinarbeit an der eigenen Ausdrucksweise im Umgang mit der Muttersprache.

Und dieses Schreiben, muß ich sagen, hatte eine hervorragende Wirkung. Es herrschte Schweigen, keine Gruppe war dafür, keine dagegen. Doch das Schweigen hat Frucht getragen für viele Jahre. Sie wissen alle, aus welcher Fülle gewandt geschriebener Berichte ich heute den Jahresbericht zusammenstellen kann.

Die Lektüre in den einzelnen Gruppen erschien mir ziemlich wahllos ohne Zusammenhang. Nach meinem grammatikalischen Angriff auf das Selbstbewußtsein der Lesekreise setzte ich mich nun für einen „roten Faden“ für die Wahl eines bestimmten Themas ein und machte einen Vorschlag, und hier fand ich bald Wiederhall. Mehrere Gruppen fühlten sich beeinträchtigt in ihrer „Pressefreiheit“ und wollten von solch einer Uniformierung der Arbeit nichts wissen. Doch ich wußte die Einwände zu zerstreuen mit der Bemerkung „roter Faden – kein Zwang“. Wer andere Themen besser findet für seinen Kreis, selbstverständlich, nur muß es ein bestimmtes Thema sein, dem nachgegangen wird.

So ist es geblieben bis heute. Der rote Faden hat manche Interessentin gefunden.

Meine Arbeit war angelaufen und lief nun in bestimmte Richtungen. Der jährlich herausgegebene rote Faden und der Jahresbericht machten den Lesekreisen Mitteilung über das, was gelesen werden konnte und über das, was gelesen worden war. Das später eingeführte Gruppengespräch über einen bestimmten, in der Zeitschrift veröffentlichten Artikel gab den Mitgliedern der Lesegemeinschaften Gelegenheit, sich im Gespräch zu üben.

Ein freundliches Echo brachten die Jahresberichte; das machte mir deshalb Spaß, weil es oft gar keine Mitglieder eines Lesekreises waren, die mir schrieben, sondern irgendwelche Leserinnen der Zeitschrift, die dem Bericht Anregungen entnommen hatten. So war der Jahresbericht nicht nur eine Bestätigung für mich, sondern vor allem für die Berichterstatterinnen der Gruppen.

Die größte Freude an meiner Arbeit brachten mir meine Reisen in die Gruppen mit den verschiedensten literarischen Lesungen. Nur durch sie habe ich eine direkte Verbindung vor allem zu den Vorständen der Gruppen bekommen und manche anregende Gespräche führen können.

Das letztere war mir besonders wichtig, als ich noch zweite Vorsitzende im Hauptvorstand war; ich konnte da manche vermittelnde und aufklärende Rolle übernehmen.

Meine Abschiedsrede will ich schließen mit nochmaligem Dank für alles Liebe und Gute, was ich erfahren durfte durch zahlreiche Mitglieder. Ich danke Ihnen für Ihre Herausforderung und Ihren Widerspruch; das gehört für mich zum geistigen Leben.

Meiner Nachfolgerin wünsche ich, daß ihr das Sachgebiet ebenso viel Befriedigung und Freude bringen wird, wie es mir gebracht hat.

Dem Verband wünsche ich, er möge noch manche Berg- und Talfahrt überstehen, wie er dies nun über 80 Jahre getan hat.

Selma Lagerlöf 1974

Das 19. Jahrhundert hat die skandinavische Literatur weit über die Grenzen einer nationalen Kunst hinauswachsen lassen.

Die beiden großen Anreger und Former des modernen Theaters, Ibsen und Strindberg eroberten die Bühnen Europas. Björnson und Hamsun, die Norweger, beschritten neue Wege der Erzählkunst. Jens Peter Jakobsen und Hermann Bang, die Dänen, gehören heute zu den Klassikern der psychologischen Romans.

Eine Sonderstellung unter den nordischen Dichtern nimmt der Däne Hans Christian Andersen ein, der mit seinen Märchen die Welt eroberte und die Schwedin Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöfs Erzählkunst wurzelt ganz im Heimatlichen. Ihre Werke lassen die Sagen, Märchen und Legendenwelt ihrer engeren Heimat Värmland immer wieder aufleuchten. Immer wieder tauchen dieselben Helden, dieselbe Landschaft, dieselben Höfe und Häuser auf, oftmals unter anderem Namen oder in anderen Bindungen. Aber diese Abenteuer, in die ihre Helden verstrickt werden, sind nicht bloß Nacherzählung mündlicher Überlieferung, sondern werden erst durch Selma Lagerlöfs Erzählkunst in die Sphäre des Dichterischen erhoben und nur so ist zu erklären, wie sie mit diesen heimatlich gebundenen Inhalten ihres Werkes weit über Schweden hinaus Berühmtheit erlangte.

Selma Lagerlöf ist am 20. Nov. 1858 auf dem Hofe Mårbacka in Värmland geboren. Mit 3 ½ Jahren wurde sie von einer Beinlähmung befallen, die aber nach einem Jahr so weit behoben war, dass die kleine Selma wieder laufen konnte, wenn sie auch für ihr ganzes Leben ein Beinleiden zurück behielt. So war sie von manchem Spiel anderer Kinder ausgeschlossen und ihre Anlage zu besinnlicher Beschäftigung in der Welt der Phantasie wurde früh gepflegt. Die stärkste und wichtigste Persönlichkeit der frühesten Kindheit war die Großmutter, die ihr jeden Tag Geschichten erzählte. Mit 23 Jahren, 1881 verließ Selma Lagerlöf ihr geliebtes Vatershaus zum ersten Mal für längere Zeit. Sie besuchte ein Lehrerinnenseminar und wurde 1885 Lehrerin an einer höheren Mädchenschule. Schon früh hatte Selma angefangen zu schreiben, aber nie Widerhall gefunden mit ihren kleinen Erzählungen und Gedichten. Ab 1885 begann sie an dem Roman Gösta Berling zu schreiben aus der Erkenntnis, in den mündlichen Überlieferungen der Heimat, den Geschichten der Värmland-Kavaliere einen ganz besonderen Stoff für eine Gestaltung gefunden zu haben.

1890 beteiligte sie sich mit einigen Kapiteln des Buches an einem Preisausschreiben für Novellen und errang den 1. Preis. Nun war der Bann gebrochen; man wurde auf sie aufmerksam und ihr Weg ging steil bergauf. Sie legte ihr Lehramt nieder. Sie machte große Reisen, die sich in ihren Büchern „Wunder des Antichrist“, „Jerusalem“ und den Christuslegenden widerspiegeln. Sie bereiste ganz Schweden, als sie im Auftrage der Regierung ein Lesebuch für die schwedischen Kinder schrieb, „Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden“, in dem sie nicht nur geographische Kenntnisse erschloss, sondern wiederum das Sagengut der Heimat verarbeitete.

1907 ging ein Traum ihres Lebens in Erfüllung: die Rückerwerbung ihres väterlichen Hofes Mårbacka, der drei Jahre nach dem Tode des Vaters 1888 hatte verkauft werden müssen und an den sie sich mit allen Fasern ihres Wesens gebunden fühlte. Der ihr 1909 zugesprochene Nobelpreis ermöglichte er ihr, auch die den zum Hof gehörenden Ländereien zurückzukaufen und von da an war sie bis an ihr Lebensende Gutsherrin auf dem Grund und Boden, mit dem sie auch in ihrer Kunst zutiefst verwurzelt war.

Als größte Ehrung wurde ihr 1914 die Mitgliedschaft in der schwedischen Akademie zuteil, der noch nie eine Frau angehört hatte. Am öffentlichen kulturellen Leben nahm Selma Lagerlöf lebhaften Anteil. In vielen Ausschüssen und Verbänden setzte sie sich für die verschiedensten Dinge ein, die ihr am Herzen lagen. Ohne Politikerin zu sein vertrat sie die Ansicht, dass der Frau das Stimmrecht gebühre, aus dem rein menschlichen Argument heraus, dass männliche und weibliche Denkungsart und Arbeit sich auch im staatlichen Leben ergänzen müssten.

1940, im Alter von 82 Jahren starb Selma Lagerlöf auf Mårbacka, als die Welt zum 2. Mal von einem Krieg erschüttert wurde und unter dem Dröhnen des Tumultes vergaß, dass es Inseln der Stille gibt, auf denen der Wind des Geistes weht, der immer und überall den Ausschlag geben wird.

Die Unterhaltungslektüre unserer Eltern und Großeltern

(Referat für ein Podiumsgespräch der Ortsgruppe Düsseldorf des Verbands Deutsche Frauenkultur e.V. vom 27. Februar 1973 im Frauenbundhaus, Stresemannstr.21)

Liebe Mitglieder, ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserem Podiumsgespräch. Unsere Runde wird Ihnen – das hoffe ich sehr – mit der Auswahl der Zitate aus alten beliebten Unterhaltungsromanen oder mit deren Erläuterung, eine rechte Herausforderung sein, sich lebhaft an der anschließenden allgemeinen Diskussion zu beteiligen.

Als Motto über unsere heutige Veranstaltung setze ich das Wort von Heinrich von Treitschke, welches auch Gabriele Strecker für ihr Buch „Frauenträume – Frauentränen“ (1969) gewählt hat: „Alle Zeiten lassen sich die Wandlungen des sozialen Lebens aus den Werken jener kleinen Schriftsteller, welche nur die Meinung aller Welt wiedergeben, am sichersten erraten.“ (aus: „Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts“)

So wollen wir Einblick nehmen in die Welt des Jedermanns, in „die Welt der Gartenlaube“, ein in den letzten Jahren zum Slogan gewordener Begriff, seit die Soziologie diese Zeitschrift als besonderen Blickpunkt ihrer Arbeit ansieht.

Nicht umsonst – das nur nebenbei – hat unsere Geschäftsstelle in Gütersloh ständig zunehmende Anfragen von Studenten und Institutionen, die Einsicht nehmen wollen, auch in unsere Zeitschrift. Sie besteht seit 1897, ist lückenlos im Archiv einzusehen und ist ebenfalls eine Fundgrube für die gesellschaftlichen Strömungen des jeweiligen Zeitabschnitts.

Doch zum Thema: Obwohl wir uns nur mit der Unterhaltungsliteratur der vergangenen Eltern- und Großeltern – ja schon Urgroßelternzeit beschäftigen wollen, so können wir nicht an der „Gartenlaube“ vorbeigehen; denn die damals bekannten Schriftsteller und vor allem die Schriftstellerinnen haben großenteils im Auftrag der „Gartenlaube“ geschrieben oder sie haben hier einen guten Platz für ihre der Zeitschrift angebotenen Werke gefunden.

Als zeitgemäße Besonderheit sei gesagt: Die Schriftstellerinnen hielten sich gerne mit der Angabe ihrer Weiblichkeit zurück, um nicht mit der damals üblichen Abwertung schöpferisch tätiger und geistig arbeitender Frauen beurteilt zu werden, sondern ihrer wirklichen Leistung gemäß. Gaben sich z. B. Mary Anne Evans (1819-1880) = George Eliot, Charlotte Brontë

(1816-1855) = Currer Bell und Aurore Dudevant (1804-1876) = George Sand nicht nur fremde Nachnamen, sondern auch männliche Vornamen, so machten es sich die Schriftstellerinnen, von denen wir heute hören, einfacher; der Vorname blieb offen. Man zeichnete mit E. Marlitt – Eugen oder Eugenie? W. Heimburg – Wilhelm oder Wilhelmine? E. Werner, F. Lehen.

So ereignete es sich, daß Ernst Keil, der Herausgeben der Gartenlaube, einen Brief an den Herrn E. Marlitt richtete, welcher ihm 1865 zwei Novellen eingereicht hatte. Es heißt da: „Wenn man genötigt ist, so viele verfehlte, triviale schülerhafte novellistische Arbeiten zu lesen, wie dies die Redaktion einer Zeitschrift wie meine Gartenlaube ist, nichts anders mit sich bringt, so tut es doppelt wohl, stößt man unter der Menge der Einsendungen einmal auf eine Schöpfung, die nach Stoff und Form unwiderleglich den Stempel des Talents an sich trägt […] ich wäre mit Vergnügen bereit, auch ferner novellistische Beiträge von Ihnen zu akzeptieren und sie zu den ständigen Mitarbeitern meiner Gartenlaube zu zählen, und würde Ihnen, sobald sich auch Ihre andern Erzählungen etc. zum Abdruck in meinem Blatt eigneten, liberale Honorare in Aussicht stellen.“

Ernst Keil wünschte nun selbstverständlich die persönliche Bekanntschaft mit dem Autor und kündete seinen Besuch an. Das Geheimnis mußte gelüftet werden und Ernst Keil schrieb: „Verehrtes Fräulein […] ich gestehe, daß mich diese Enthüllung des Geheimnisses zwar einigermaßen, aber doch nicht so völlig überrascht hat, da ich in der Schilderung der weiblichen Charaktere in der Tat eine weiblich warme und weiblich feine Feder zu erkennen glaubte.“

Doch nun zu Entstehung und Wirkung der Gartenlaube selber. Um das rechte Bild zu geben, will ich versuchen, trotz der Kürze des Berichtes einige Lichter auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund zu werfen, denn der Herausgeber der Gartenlaube war eine politisch engagierte Persönlichkeit; und aus diesem Engagement heraus ist die Zeitschrift entstanden.

Die Gartenlaube war nicht das erste, aber wohl das später erfolgreichste „Familienblatt“. Diese Familienblätter waren inhaltlich weit gefächert. Sie kamen dem Informationsbedürfnis des Kleinbürgertums und der mittleren Bildungsschicht entgegen. Diese Bevölkerungsschicht verlangte nach einer einfachen verständlich geschriebenen Berichterstattung; anders konnte sie sich nicht mehr auf dem Laufenden halten über die Entwicklung der immer mehr das tägliche Leben beeinflussenden, technisch naturwissenschaftlichen Forschungen und Praktiken.

Der Gründer der Gartenlaube war, wie schon eben gesagt, der Journalist Ernst Keil (1816-1878). Er hatte sich schon vor 1853, dem Gründungsjahr der Gartenlaube, mit der Herausgabe verschiedener Zeitschriften befasst. 1845 war „Berlin Leuchtturm“ erschienen; Keil vertrat darin eine politisch liberale Gesinnung. Drei Jahre konnte das Blatt trotz der damals so eingeschränkten Pressefreiheit bestehen. Aber als sich die Redaktion 1848 – als es um die Erkämpfung um Bürgerrechte ging – für die liberal revolutionären Ideen einsetzte, da griff die Zensur zu: Die Zeitschrift wurde verboten und Ernst Keil kam ins Gefängnis.

Doch von seinen Vorstellungen einer liberalen Gestaltung der bürgerlichen Gesellschaft ging er nicht ab. Er gehörte zu jener gehobenen Bildungsschicht, die sich für eine demokratische Verfassung einsetzte, für eine Volksvertretung im Parlament und vor allem für die nationale Einheit. Keil grübelte im Gefängnis darüber nach, wie er mit seinen Gedankengängen Einfluss auf eine breite Bürgerschicht bekommen könne.

Der politischen Aktivität des Bürgertums war nach den Aufständen von 1848 und der gescheiterten Nationalversammlung eine tiefe Lethargie auf diesem Gebiet gefolgt. Hier nun mußte angesetzt werden. Ein Familienblatt sollte die liberalen und nationalen Ideen wieder zu neuem Leben wecken. So mußte man zunächst mit einer solchen Zeitschrift der Stimme des enttäuschten Publikums gerecht werden, um langsam wieder aufzubauen. Dieses Publikum war, nach allen gemachten enttäuschenden Erfahrungen, eher geneigt, sich unverbindlich unterhalten zu lassen. Deshalb mußte das Familiäre, der traulich umbaute Raum des privaten Lebens herausgestellt werden, um dem Wusch nach Geborgenheit vor der rauen politischen Wirklichkeit zu entsprechen.

Am 1. Jan. 1853 erschien das erste Heft mit einer Begrüßung Ernst Keils an seine Leser:

„Grüß Euch Gott. Liebe Leute im deutschen Lande.

Wenn Ihr im Kreis Eurer Lieben die langen Winterabende am traulichen Ofen sitzt oder im Frühling, wenn vom Apfelbaume die weißen und roten Blüten fallen, mit einigen Freunden in der schattigen Laube – dann lest unsere Schrift. Ein Blatt soll’s werden für’s Haus und die Familie, ein Buch für groß und klein, für jeden, dem ein warmes Herz an den Rippen pocht, der noch Lust hat, am Guten und Edlen! Fern von aller räsonierenden Politik und allem Meinungsstreit in Religions und anderen Sachen wollen wir Euch in wahrhaft gute Erzählungen einführen, in die Geschichte des Menschenherzens und der Völker, in die Kämpfe menschlicher Leidenschaften und vergangener Zeiten. So wollen wir unterhalten und unterhaltend belehren. Über das Ganze aber soll der Hauch der Poesie schweben wie der Duft auf der blühenden Blume und es soll Euch anheimeln in unserer Gartenlaube, in der Ihr gutdeutsche Gemütlichkeit findet, die zu Herzen spricht.“

Es war ein großes Programm, was da angedeutet wurde. Keil hat es erfüllt und außerdem seine politische Zielsetzung nicht vergessen. Wie stark dieses politische und soziale Engagement des Herausgebers war, das ist deutlich zu ersehen aus der Inhaltsführung der Romane und Novellen, die in der Gartenlaube erschienen sind. Die Auflageziffern stiegen mit der Beliebtheit der Romanschriftsteller. Die Zeitschrift erreichte 1874 – als das berühmte Buch „Die zweite Frau“ von der Marlitt erschien – einen Kreis von 325 000 Abonnenten.

1878 starb Ernst Keil; unter seinen Nachfolgern wurde die national-liberale Richtung langsam nationalistisch-konservativ, ja sogar militaristisch. Und so hat die Gartenlaube gewiß ideell manches zu den Konflikten beigetragen, die zum Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914-18 geführt haben. 1924 erschien der letzte Jahrgang. Die Leser hatten sich gewandelt. Sie verlangten nach einer anderen Kost als es ein Familienblatt zu bieten hatte.

Nach diesem gedrängten Überblick wollen wir uns nun den Fragenkomplexen zuwenden, die Sie im Programm dieses Monats gelesen haben. Wir hier in der Reihe haben die verschiedensten unterhaltungsliterarischen Bücher gelesen, um Ihnen mit Zitaten aus diesen Romanen des kleinen Mannes oder der großen Masse das Wort Treitschkes zu beweisen, daß sie eine soziologische Fundgrube sind. Sie werden hinter blumenreichen und sentimentalen Wendungen viel damals aktuelle Probleme der Familie und der Gesellschaft kennen lernen. Sie werden überrascht sein, wie sehr sie uns zum Teil auch noch heute angehen. Die Umstrukturierung zur modernen Gesellschaft hat schon in der Gartenlaube einen Ausdruck gefunden.