Elisabeth Büning-Laube zum 10. Todestag

Gedanken zum 10. Todestag von Elisabeth Büning-Laube

Meine Erinnerung spiegelt unsere Begegnungen in lebhaften Farben – auch noch den Tag ihrer letzten Lesung eigener Gedichte in der Goethe Buchhandlung am Dreieck. Es war ihr bevorzugter Lebensraum, da war sie bekannt und kannte jeden – im Blumengeschäft oder in der Bäckerei, in der Kirche den Organisten oder den Obdachlosen mit den „Fifty-Fifty“-Zeitungen unten an der Straßenecke. Jeder teilte seine Freuden, Erfolge und Enttäuschungen mit ihr.

An dem Abend ihrer letzten Lesung war Elisabeth fast elegant gekleidet – schwarz – ungewöhnlich für sie und ihre sonst so unbekümmerte Art, mit besonderen Gelegenheiten umzugehen. In ihrem langen Kleid wirkte sie blass und schmal – und – auch sehr ungewöhnlich – sie wirkte verhalten, in sich gekehrt. Die Lesung verlief fast andächtig: So, wie sie ihre Gedichte vortrug, schien jedes einzelne Wort im Raum stehen zu bleiben – nachzuklingen für immer.

Der Horizont kleidet sich blau
Morgenrot durchfließt die
stille Frühe
Durchflug der Vögel
setzt Zeichen
Meine Augen halten das Bild
eine Sekunde an
Danach zerfließt alles
in ein neues großes Geheimnis.

Bald konnte ich Elisabeth nur noch im Hospiz besuchen. Sie brauchte nun die nötige Pflege, fand dort Ruhe und ein Gefühl der Sicherheit. Von dort aus fuhr ich sie im Rollstuhl in den nahe gelegenen Park. Sie wollte in der Natur und unter Menschen sein und freute sich über jede herzlich-besorgte Begrüßung.

Wir waren uns erstmals bei einer ihrer Lesungen im Schnabelewopski begegnet – unserem zweiten „literarischen Zuhause“. Hier trafen sich Lyriker, Prosaisten, aber auch Zuhörer, die ein Gespräch über Literatur suchten. Elisabeth Büning-Laube war nur eine unter vielen Poeten, aber sie wurde begrüßt als „beachtete Literatin“. Lebhaft, temperamentvoll, kämpferisch und charmant zugleich, wandte sie sich dem Einzelnen ganz zu, um besser zu verstehen, teil zu nehmen, aber auch um zu fördern oder zu beraten. Immer interessiert und – sehr belesen – war Elisabeth kritisch, direkt und schlagfertig zugleich. Im „Schnabel“ gestaltete sie auch selber Lesungen – ihre eigenen und die anderer – wie für mich oder für uns beide zusammen. So lernten wir uns kennen und schätzen. Ich war überrascht von ihrem freien und selbstbewusst-lockeren Umgang mit jedem, dabei war sie voller Neugier für alles, was Gedanken an Poesie anklingen ließ.

Elisabeth hatte eine ganz eigene, einfühlsame Art, ihre Gedichte vorzutragen. Bei einer unserer Lesungen empfand ich solche Freude daran – wie ihre geschriebenen Worte wieder Klang wurden – dass ich hineinrief: „Das ist es – geschriebene Worte klingen lassen – wie aus Noten Musik – kommt alle in mein Atelier – da können wir lesen – so lange und so oft wir wollen!“ Und sie kamen – auch Elisabeth Büning-Laube kam – so entstand „Lesen im Atelier“. Nach ersten Treffen nahm sie uns mit in ihren Salon.

Der „Literatur – Kultur – Salon Elisabeth Büning-Laube“ war etwas Besonderes. Sie lud Schreibende ein, ihre eigene Lyrik oder Prosa in einer Lesung vorzustellen – ernste bis heiter-humorvolle, aber auch eigenwillig-originelle. Alle hatten eine eigene Sprache in Inhalt, Form und Aussage – so wurde jede Lesung erfrischend ungewöhnlich.

Elisabeth gelang es immer, eine Atmosphäre von gegenseitigem Verständnis zu schaffen. Jede/r Lesende fühlte sich angenommen und – auf der Suche nach dem eigenen Ziel – verstanden. Dabei war ihre kritische Offenheit verblüffend und herausfordernd. Meinungsverschiedenheiten gab es oft, sie wurden diskutiert und von ihr mit Scharfsinn hinterfragt. Auf diese Weise gingen wichtige Impulse von ihr aus.

Zu jeder Lesung gehörte auch eine Ausstellung von Bildern – auch ihrer eigenen, denn Elisabeth hat auch selber gemalt. Lieder wurden mit Klavierbegleitung vorgetragen. Bald mussten die Stühle enger gerückt und der Pausenkuchen kleiner geschnitten werden. Es gab auch immer etwas zu helfen: Stühle schleppen, servieren, was als Stärkung für die Pause bereit stand oder den Vortragsraum wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzen. Danach saßen wir an einem großen runden Tisch, oft um das Aquarium mit vielfarbig schimmernden kleinen und großen Diskusfischen, um den Ablauf der letzten oder nächsten Lesung zu besprechen.

Elisabeth führte die Gäste auch gerne auf ihren Balkon. Er bot durch Blüten und Kletterpflanzen den Ausblick in die von hohen Häusern eng begrenzte „Weite“. Die Mauern wurden unsichtbar, denn die vielen Fensterscheiben reflektierten das Sonnenlicht in unzählige Blumentöpfe, Blüten und Ranken. Sie liebte es, aus der Hinterhofkargheit nicht nur eine Hinterhofidylle, sondern ein blühendes Wunder entstehen zu lassen – ihre „hängenden Gärten der Semiramis“.

Trauer künden
die grauen Steine
der großen Stadt
Der Frühling sprengt
ihr hartes Echo
und aus dem
gebrochenen
Fels der Häuser
bricht mit Macht
ins Graue
die lichte Narzisse.

Die Begrüßung der Zuhörer verlieh den Lesungen einen festlichen Anklang: Für Elisabeth – als Moderatorin – war es „ihr Auftritt“ auf dieser kleinen eigenwilligen Literatur–Kultur–Bühne, für die Zuhörer eine Überraschung, denn sie trug dann einen großen Hut. Der letzte war aus rosaroter Organza-Seide mit ebenso zarten rosaroten Blüten besetzt. Dieser zauberhafte Seidenhut verlieh ihrem dunkelroten Haar und dem schmalen Gesicht zarte grün-farbige Schatten. Er ließ die kleine Gestalt viel größer erscheinen – so groß wie ihre Träume: Kunst, Musik – und vor allem der Dichtung – Raum zu geben zur freien Entfaltung und – zur eigenen Lebensfreude. Wie oft hat sie zu mir gesagt: „Wir sind alle auf dem Weg – Du musst ihn nur mit Freude gehen.“

Engel fallen selten
sie fliegen –
Fallen sie, fallen sie sehr leise
wie frischer Schnee
den wir erst spüren
wenn er unsere Haut
zerfließend berührt.

Es scheint Engel zu geben
die werden immer lichter
in ihrer Liebe zum Menschen.

Ständig wachsen in mir bewegte
widerspenstige Gedanken
die ihn erschüttern
Mein Engel hat es sehr schwer
ich bin so leicht
dass mich der leiseste Wind
entführen kann.
Bald schenkt er mir Flügel.

Ihre Gedichte sind ihrem Leben abgelauscht – aus der Tiefe ihrer sicherlich oft schmerzlich erworbenen Erfahrung herausgehoben – Anklänge einer gesuchten und gefundenen inneren Harmonie. Sie öffnen den weiten Horizont einer intensiv durchlebten Gedankenwelt von zarter Poesie bis hin zu kraftvoller Dynamik. Sie öffnen ein Spektrum von fein empfundener Lyrik – geschrieben aus Freude und Schmerz. Und doch klingt immer ein Hauch von Humor in ihren Zeilen mit, als wollte sie sagen:

„So ist es eben – das ist das Leben – oder hast Du gedacht, Du wirst ins Paradies geboren? – Das musst Du dir schon selber erst ‚er-leben‘ – aber dann ist es voller Wunder.“

Das etwa waren ihre Worte – so hat sie gelebt – sehr einfach und bescheiden. Unscheinbares hat sie als beachtenswert wahrgenommen, um dann das für sie einzig Richtige entschieden zu tun – es hervorzuheben. Dabei verfügte sie über ein feines Gefühl für Qualität und Werte besonderer Art. Auch wusste sie noch, was Krieg und Frieden bedeuten. Sie ließ keinen Zweifel an ihrer Haltung für ein friedliches, menschlich-positives Miteinander aufkommen.

Gemeinsam standen wir Tuch an Tuch
gegen Kriege
in eisiger Kälte
die unsere Kleidung zerbiss
Als eine Fürbitte
um den Heiligen Geist
für Saddam
über das Pflaster am Rathaus rollte
Wusste ich wie vergeblich unser
Ruf nach Frieden
nicht vergeblich unser Streben.

Elisabeth Büning-Laube hat uns ihre Idee vom freien Denken und selbstbewussten Leben vorgelebt. Sie war in mancher Hinsicht wegweisend. In der Erinnerung begegne ich ihr mit herzlicher Dankbarkeit: Sie hat mich – und wahrscheinlich auch andere – „auf den Weg gebracht“. Es war ihre Idee, dass ich meine Lyrik und Prosa im „Kultur-Haus-Berlin“ vorstellen durfte. Sie veranlasste auch, dass ich in der von ihr als Herausgeberin kreierten Buchreihe „KunstLive“, Edition XIM „Virgines“, vier Bild-Gedicht-Bände veröffentlichen konnte. Seither folgten zahlreiche eigene Lesungen. Und – „Lesen im Atelier“ ist heute noch sehr „lebendig“.

Seit dem Tod von Elisabeth Büning-Laube hat sich die literarische Szene in Düsseldorf weiter entwickelt. Sie gleicht heute einem dichten Netzwerk mit immer neuen Impulsen – auch der jüngeren Generation. Dazu hat Elisabeth Büning-Laube durch ihre Anregungen und Initiativen unvergessen beigetragen.

Die Gedichte von Elisabeth-Büning-Laube sind „KunstLive“ Band 13 „Farbbogen“ – Anthologie – entnommen. Herausgeberin Elisabeth Büning-Laube, Edition XIM „Virgines“, 1. Auflage 2003.

Gepa Klingmüller