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Roman Ingarden
Roman Ingarden
(1893-1970) wurde am 5. Februar 1893 in Krakau geboren und studierte
zunächst Philosophie im polnischen Lemberg, bevor er an die Universität
Göttingen wechselte, um - neben dem Studium der Mathematik und Psychologie
- hauptsächlich Edmund Husserls Vorlesungen zu besuchen. Auch Ingarden
gehörte dem dortigen Phänomenologenkreis an und wurde ein enger
Vertrauter Husserls. 1918 promovierte er in Freiburg mit seiner kritischen
Arbeit über "Intuition und Intellekt" bei Henri Bergson,
1924 habilitierte er sich bei Kasimir Twardowski in Lemberg, wo er zwischen
1930-33 als Professor für Philosophie arbeitete. 1945 wechselte er
an die Universität Krakau, fünf Jahre später jedoch entzog
das stalinistische Regime ihm die Lehrerlaubnis bis 1956. Er wurde anti-marxistischer
Tendenzen beschuldigt, da man ihm Sympathien für den Idealismus unterstellte,
obwohl Ingarden - wie etwa auch Hedwig Conrad-Martius und Edith Stein
- seine Philosophie, in Abgrenzung zu den transzendentalen Tendenzen seines
Lehrers, als phänomenologisch-realistisch beurteilt sehen wollte.
Auch Ingardens philosophische Bemühungen richteten sich gegen die
Vorrangstellung des Bewußtseins. So versuchte er sich ebenfalls
an einer Ontologie, welche die Realität als bewußtseinsbestimmende
Instanz identifizierte. Er verwehrte sich jedoch vehement gegen jene metaphysischen
Perspektiven, die Hedwig Conrad-Martius und Edith Steins erkenntnistheoretische
Schriften durchdringen. Namhaft wurde er schließlich durch die Grundlegung
einer ontologischen Ästhetik, fundiert auf phänomenologischer
Betrachtung, die sich gegen eine rein psychologisch-subjektivistische
Wertung von Kunst abgrenzen will. Mit diesem Gegenstand beschäftigt
sich auch seine renommierteste Arbeit, "Das literarische Kunstwerk"
von 1931. 1963 erhielt er für sein Wirken den Gottfried-von-Herder-Preis.
Edith Stein und Roman Ingarden
Beide lernten sich
bereits 1913 kennen, eine Freundschaft entwickelte sich jedoch erst ab
1916. Zeitweise trafen sie sich täglich und diskutierten über
ihre Arbeit, bevor Ingarden Anfang 1918 nach Polen zurückkehrte und
zehn Jahre vergingen, bis sie sich 1927 in Bergzabern wiedertrafen. Ihre
nächste Zusammenkunft anläßlich Husserls 70. Geburtstag
1929 sollte ihre letzte Begegnung bleiben. Bis 1938 unterhielten sie ständigen
Kontakt, dokumentiert durch eine Vielzahl von Briefen, die 1991 im Band
XIV der gesammelten Werke Edith Steins veröffentlicht wurden. Diese
Korrespondenz ist als ein interessantes Zeitzeugnis zu bewerten, welches
nicht nur über das zwiespältige Verhältnis Steins zu ihrem
Studienkollegen Auskunft gibt, sondern auch Einblicke vermittelt in das
Leben und Wirken des Phänomenologenkreises sowie über das problematische
Verhältnis Edmund Husserls zu seinen Schülerinnen und Schülern.
Die Briefe zeugen
nicht nur von einem sachlich-philosophischen Diskurs zwischen Roman Ingarden
und seiner Kollegin. Sie offenbaren auch eine zärtliche Zuneigung
Edith Steins für ihren polnischen Studienfreund. So schreibt sie
am 5.7.1918:
"Ich denke
manchmal, daß ich Ihnen als eine recht überspannte und launenhafte
Person erscheinen muß. Und nicht mit Unrecht. Zur Milderung des
Eindrucks kann ich nur anführen, daß Sie das einzige Opfer
für alle Unvernunft sind, die in mir steckt, und daß ich
mich sonst aller Welt gegenüber ganz schrecklich vernünftig
betrage. So vernünftig, daß meine Briefe vermutlich als Fälschung
angesehen würden, wenn Sie mal auf den Gedanken kämen, sie
zu veröffentlichen. Also, hüten Sie sich, das je zu tun!"
Nachdem jedoch ersichtlich
wurde, daß ihre Gefühle unerwidert blieben und Ingarden sich
befangen zurückzog, versuchte sie ihre Liebe durch einen sachlichen
Akzent zu überdecken. Diese Strategie wollte ihr indes nicht immer
gelingen. Oft klingen Besorgnis und Sehnsucht ebenso an wie schlecht verheilte
Narben erlittener Kränkungen. Erst ab Herbst 1919 überwiegt
in den Briefen ein gelassenerer, von Entsagung geprägter Ton, Ausdruck
ihrer immer prägnanter hervorgetretenen religiösen Orientierung.
In ihrem Schreiben aus St. Magdalena vom 29.11.1925 resümiert sie:
"Zunächst
muß ich Ihnen sagen, daß die Freiburger Erinnerungen gerade
um die Zeit, als ich die Nachricht von Ihrer Vermählung bekam,
durch frische Eindrücke unwirksam gemacht waren (...). Die Erfahrungen
waren mindestens ebenso schmerzlich, aber meine inneren Widerstandskräfte
waren gewachsen, sodaß ich leichter hindurchkam und, wie ich glaube,
gerade dadurch die innere Freiheit erlangt habe. Ich bin jetzt überzeugt,
daß ich da stehe, wo ich hingehöre, und bin nur dankbar,
daß ich auf diesen Weg geführt worden bin und gehe ihn mit
freudigster Hingabe, ohne jede Spur von Resignation'."
Doch gerade Edith
Steins Hingabe an die Religion sowie ihre christlich-philosophischen Bemühungen
lieferten immer wieder Zündstoff zwischen den Freunden. So verteidigt
die Christin ihren Standpunkt am 19.6.1924:
"Da stehe
ich nun an dem Punkt, der mir die Beantwortung Ihrer Briefe als ein
so großes Unternehmen erscheinen ließ. Als ich die letzten
Zeilen gelesen hatte, fragte ich mich: wie ist es möglich, daß
ein Mensch mit wissenschaftlicher Schulung, der den Anspruch auf strenge
Sachlichkeit erhebt und ohne gründliche Untersuchung nicht über
die kleinste philosophische Frage ein Urteil abgeben würde - daß
der die allerwichtigsten Probleme mit einer Phrase abtut, die an den
Stil eines Winkelblättchens erinnert. Ich meine den zur Beherrschung
der Massen ausgedachten Dogmenapparat': Fassen Sie das nicht als persönlichen
Vorwurf auf. Ihr Verhalten ist ja das ganz typische der Intellektuellen,
soweit sie nicht kirchlich erzogen sind, und ich habe es bis vor wenigen
Jahren nicht anders gemacht."
Ihr Briefwechsel,
der später nur noch sporadisch geführt wurde und schließlich
durch emotionale Distanz geprägt war, endet mit Edith Steins Schreiben
vom 6.5.1938, in dem sie ihren Studienfreund über den Tod des gemeinsamen
Lehrers Edmund Husserl informierte. Roman Ingarden setzte sich nach dem
Krieg für eine unverfälschte Rezeption des Steinschen Werkes
ein. Er wendete sich gegen eine einseitige Vereinnahmung der Philosophin
durch die katholische Institution und bemühte sich, auch die rein
wissenschaftlichen Arbeiten Edith Steins vor ihrer Konversion zu ihrem
Recht kommen zu lassen.
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