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Elissa Pustka: Skalare Quellkonzepte für Quantität in der Romania

Quantität lässt sich aus kognitiver Perspektive als Skala modellieren: Diese beginnt mit einem Nullpunkt (nichts), ist im unteren Bereich – zumindest für zählbare Bezugssubstantive – fein differenziert (wenige, einige, manche etc.), enthält einen nicht-versprachlichten Normalbereich und schließlich einen nach oben offenen Bereich für viel, für den ein umfangreiches Paradigma expressiver Ausdrücke existiert, z.B. dt. Haufen, fr. un tas de. etc. (genauso wie für den Nullpunkt). Diese Repräsentation verbindet Quantität mit zahlreichen anderen skalaren Konzepten wie Größe (groß-klein), Qualität (gut-schlecht) oder Intensität (sehr). Diese Skalen können – auf einer mehr oder weniger offensichtlichen metonymischen Grundlage – metaphorisch aufeinander bezogen werden, z.B. mehr ist oben + gut ist oben à gut ist mehr (vgl. Lakoff/Johnson 1980, Koch 2005). Zudem sind sie die Grundlage für Metaphern aus Natur und Kultur, z.B. Tropfen für wenig, Meer für viel.

Der Vortrag liefert einen Überblick über diese ‘Trampelpfade’ zwischen skalar repräsen­tier­ten Domänen in einer Auswahl romanischer Sprachen (Fran­zö­sisch, Spanisch, Portugiesisch und romanisch basierte Kreolsprachen). Im Zentrum des Interesses steht die Frage, welche Skalen, Skalentypen und Skalenbereiche miteinander in Verbindung gesetzt werden. Dabei geht es insbesondere um die Möglichkeiten der Übertragung von Normüberschreitung, Totalität, Übermaß, Unendlichkeit und verwandten Konzepten auf große Quantität (z.B. fr. plein de < ‘voll’, sp. un sinfín de < ‘ohne Ende’) sowie um die Asymmetrien zwischen den Zieldomänen Intensität und Quantität und zwischen den oberen und unteren Skalenabschnitten (vgl. Bierwisch 1987, Cruse/Togia 1995).

In manchen Fällen werden nämlich gleich beide Abschnitte metaphorisch übertragen (z.B. dt. tief enttäuscht vs. hochzufrieden, fr. profondément déçu vs. hautement satisfait), in anderen ist lediglich der höhere – i.d.R. positive – Wert betroffen (z.B. schön > viel, aber *hässlich > wenig). Letzteres steht in scheinbarem Widerspruch zu der Tatsache, dass gerade negative Konzepte viel häufiger Quellen für Ausdrücke großer Quantität und Intensität sind (z.B. dt. brutal, fr. terriblement de, sp. una barbaridad de, pt. um (hor)ror de). Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn Semantik und Pragmatik klar auseinandergehalten werden: Semantisch ist große Quantität als oberer Skalenabschnitt an andere – i.d.R. positive – obere Skalen­ab­schnit­te gekoppelt (vgl. Orientierungsmetapher gut ist oben; Lakoff/Johnson 1980); pragmatisch von Bedeutung ist, dass diese oberen Abschnitte besonders emotional aufgeladen sind – allerdings sind die evolutionsbiologisch relevantesten Emotionen negativ: Ärger, Angst, Ekel („negativity bias“; vgl. Jing-Schmidt 2007).

 

Bibliographie

Bierwisch, Manfred (1987): „Dimensionsadjektive als strukturierender Ausschnitt des Sprachverhaltens“, in: Bierwisch, Manfred/Lang, Ewald (Hrsg.): Grammatische und konzeptuelle Aspekte von Dimensionsadjektiven, Berlin: Akademie-Verlag, 1-28.

Cruse, D.A./Togia, Pagona (1995): Towards a cognitive model of antonymy, in: Lexicology 1, 113-141.

Jing-Schmidt, Zhuo (2007): „Negativity bias in language: A cognitive-affective model of emotive intensifiers“, in: Cognitive Linguistics 18.3, 417-443.

Koch, Peter (2005): „Ein Blick auf die unsichtbare Hand – kognitive Universalien und historische romanische Lexikologie“, in: Stehl, Thomas (Hrsg.), Unsichtbare Hand und Sprecherwahl. Typologie und Prozesse des Sprachwandels in der Romania, Tübingen: Narr, , 245-275.

Lakoff, George/Johnson, Mark (1980): Metaphors We Live By, London/Chicago: University of Chicago Press.